Die Umsetzungsberatung

Widerstände, Konflikte, Krisen

Konfliktkosten: Der ökonomische Preis von Grabenkriegen und Harmoniesucht

 

Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung

Konflikte kosten nicht bloß Nerven, sie kosten auch Geld – jedenfalls wenn sie während der Arbeitszeit stattfinden. Bis zu einem gewissen Grad sind diese Kosten unvermeidlich, denn es braucht einfach Zeit, widerstreitende Ziele und Handlungsintentionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, Erwartungen zu klären oder entstandene Enttäuschungen auszuräumen. Zu einem wirtschaftlichen Problem werden die Konfliktkosten dann, wenn ein Konflikt nicht zügig und in konstruktivem Geist geklärt wird, sondern eskaliert, sich zu einem langwierigen Machtkampf auswächst oder gar zu einem "kalten Konflikt" gefriert, der eine Organisation auf Monate und unter Umständen Jahre hinaus lähmt. Dabei gilt die Faustregel: Die Kosten einer destruktiven Austragung von Konflikten sind umso höher, je höher die Hierarchieebene der beteiligten Personen, je größer das Unternehmen und je dynamischer das Markt- und Wettbewerbsumfeld ist.

  • Kosten von Machtspielen
  • Kostenträchtig ist dabei nicht die Tatsache, dass es in einem Unternehmen Konflikte gibt – im Gegenteil: Konflikte sind eine erstens unvermeidliche und zweitens nützliche Begleiterscheinung menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens. Denn sie tragen dazu bei, unterschiedliche Sichtweisen abzugleichen und gegenläufige Handlungsintentionen zu koordinieren; auf diese Weise stärken sie den Realitätsbezug und die Einheitlichkeit des Handelns. Teuer werden Konflikte aber dann, wenn falsch mit ihnen umgegangen wird. Dabei gibt es zwei typische Fehlentwicklungen: Die eine ist die verletzende Austragung von Konflikten, die Verlierer und Rachegelüste hinterlässt. Die andere, mindestens ebenso gefährliche ist die Konfliktvermeidung: Konflikte werden verleugnet, mit "staatsmännischen Formulierungen" zugekleistert, diplomatisch umschifft, am Ende gar nicht mehr wahrgenommen – alle sind nett zueinander, stimmen sich pausenlos gegenseitig zu, haben vollstes Verständnis für alles und jedes: Manche Psychologen sprechen hier von "Friedhöflichkeit".

  • Destruktive Austragung
  • Je höher die Hierarchiestufe, desto teurer

     

    Die Hierarchieebene beeinflusst die Konfliktkosten nicht allein wegen der höheren Stundensätze, sondern vor allem wegen der Höhe des Schadens, den die im Clinch liegenden Manager anrichten können. Wenn ein Gruppenleiter mit einem seiner Mitarbeiter in einen Machtkampf verstrickt ist, kann das beide einen Teil ihrer Arbeitszeit kosten, und mit einiger Wahrscheinlichkeit werden auch die Arbeitsergebnisse des Mitarbeiters (und vermutlich auch die des Gruppenleiters) schlechter sein als sie es in einem spannungsfreien Klima wären. Falls der Konflikt so hoch eskaliert, dass er auch die übrigen Teammitglieder erfasst, leidet möglicherweise die Arbeitsleistung des gesamten Teams, was auch negative Folgen für seine internen oder externen Kunden und Lieferanten haben kann. Doch selbst in diesem schlimmsten Fall handelt es sich nur um einen lokal begrenzten Brandherd, der kaum auf das ganze Unternehmen übergreifen wird.

  • Einfluss der Hierarchieebene
  • Wenn hingegen ein Vorstand wegen eines schwelenden Machtkampfs weitgehend handlungsunfähig ist, strahlt das auf das gesamte Unternehmen ab. Ein solcher Konflikt kann nicht nur dessen Ertragslage beeinträchtigen, sondern auf die Dauer seine Existenz in Gefahr bringen – vor allem in dynamischen Märkten. Denn dort ist die Fähigkeit, sich schnell an veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen anzupassen, besonders wichtig, und verzögerte, unterlassene oder halbherzige Entscheidungen werden besonders schnell und besonders hart bestraft.

  • Der maximale Schaden
  • Verhärtete Konflikte auf höheren Hierarchieebenen sind auch deshalb so teuer, weil sie in aller Regel einen Rattenschwanz an Folgeproblemen nach sich ziehen. Bald verwandeln sich die betreffenden Bereiche in Festungen, deren Besatzungen keine andere Wahl haben als mit in diesen Krieg zu ziehen. Wenn etwa der Produktions- und der Entwicklungschef im Clinch liegen, dann ist es auf der "Arbeitsebene" weder möglich noch ratsam, vertrauensvoll und offen mit der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Ein Abteilungsleiter oder Sachbearbeiter, der offen und entspannt mit der anderen Seite kooperiert, würde sich dem Vorwurf mangelnder Loyalität aussetzen, und genau wie im Krieg liefe er Gefahr, wegen "Fraternisierens", das heißt wegen Verbrüderung mit dem Feind abgestraft zu werden.

    Das heißt in der Konsequenz: Wenn die Bereichsleiter miteinander ein Problem haben, dann haben alsbald auch ihre Bereiche ein Problem miteinander. Und wenn zwei Bereiche, die im Interesse des Unternehmens reibungslos zusammenarbeiten müssten, miteinander ein Problem haben, dann hat früher oder später das gesamte Unternehmen ein Problem.

  • Unfreiwillige Gefolgschaft
  • Direkte und indirekte Kosteneffekte

     

    Dies lässt schon erkennen, dass die Kosten von Konflikten keineswegs nur in der direkten Arbeitszeit bestehen, die durch sie verloren geht. Dazu kommen zunächst die "Opportunitätskosten", die darin liegen, dass die Beteiligten in dieser Zeit auch nützlichere Dinge hätten tun können. Noch gravierender, wenn auch noch schwieriger präzise zu bestimmen, sind die direkten und indirekten Folgewirkungen, die sich stufenweise aufbauen, wenn sich ein Konflikt zuspitzt und/oder über einen längeren Zeitraum hinschleppt. Sie schlagen sich zum einen in einer reduzierten Handlungsfähigkeit der betroffenen Organisationseinheiten nieder, zum anderen darin, dass sich nach einer gewissen Zeit des "Mit-Leidens" sowohl bei den Mitarbeitern der betroffenen Bereiche als auch bei den indirekt betroffenen Kunden und Lieferanten eine Tendenz zur Abwanderung breitmacht.

  • Vielfältige Folgekosten
  • Durch einen langwierigen und zermürbenden Konflikt verwandeln sich die Beteiligten buchstäblich in andere Menschen: Sie gewöhnen sich zum Beispiel an, sich abzusichern, weil alles, was sie tun oder lassen, gegen sie verwendet werden könnte; sie lernen, ihre Entscheidungen nicht mehr primär an der Sache, sondern an taktischen Erwägungen auszurichten; sie merken, dass es ihnen unter Umständen mehr Anerkennung bringt, die andere Seite schlecht aussehen zu lassen als, das Geschäft voranzubringen, etc.

    Viele Unternehmen, die bei Insidern als "hochpolitisch" gelten, sind infolge zurückliegender oder immer noch schwelender Konflikte dazu geworden – und leiden damit dauerhaft an deren Spätfolgen. Selbst wenn die Protagonisten dieser Auseinandersetzungen mittlerweile gegangen sind oder wurden, blieben doch häufig die Gewohnheiten bestehen, die im Laufe der Auseinandersetzungen breit gemacht haben. Auf diese Weise können langwierige destruktive Konflikte ganze Unternehmenskulturen verändern, und zwar auf Dauer, weil die veränderten "Sitten und Gebräuche" oftmals auch dann beibehalten werden, wenn ihre ursprünglichen Auslöser nicht mehr existieren.

  • Konflikte verändern Kulturen
  • Wenn wir diese Folgen destruktiver Konfliktaustragung systematisieren, können wir acht Klassen von Konfliktkosten unterscheiden:
    1. Direkte Konfliktkosten: Die Vollkosten für die Arbeitszeit der beteiligten Mitarbeiter, die sie entweder für direkte Auseinandersetzungen benötigen oder für das Nachsinnen über den Konflikt und das Aushecken der nächsten Spielzüge oder auch dafür, anderen von der Sache zu erzählen, sich über die andere Seite zu empören und sich Unterstützung zu sichern.

    2. Opportunitätskosten. Hierzu zählt zum einen der entgangene Nutzen, der hätte geschaffen werden können, wenn die beteiligten Mitarbeiter in der entsprechenden Zeit, statt Grabenkriege zu führen, etwas Nützliches getan hätten, zum anderen – oft noch gravierender – die zusätzlichen Erlöse, die das Unternehmen hätte erzielen können, wenn Entscheidungen schneller, besser, sauberer getroffen werden, statt durch Kämpfe und faule Kompromisse bzw. "machtgetriebene" Durchsetzung verschleppt und verschlechtert zu werden.

    3. Unnötige Ausgaben oder Mehrausgaben, die infolge einer ungeeigneten Konfliktbewältigung entstehen, wie etwa die Einschaltung externer Berater, die keine neuen Erkenntnisse bringen, sondern nur den eingeschlagenen Weg bestätigen sollen, oder die Entsendung eines Mitarbeiters zu einer Schulung, wo eigentlich ein deutliches Feedback und das Benennen konkreter Veränderungsforderungen angebracht gewesen wären.

    4. Abstrahleffekte auf nachgeordnete Ebenen und Verbündete. Wie der Konfliktforscher Friedrich Glasl beschrieben hat, haben eskalierende Konflikte eine Tendenz zur Ausweitung der Kampfarena: Die Parteien suchen Verbündete und fordern Gefolgschaft ("Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!"). Die Folge ist, dass sich im Laufe der Zeit auch die Zusammenarbeit zwischen Personen und Bereichen verschlechtert, die mit dem Konflikt eigentlich gar nichts zu tun haben. In betriebswirtschaftliche Kategorien übersetzt heißt das, dass im gesamten Abstrahlfeld des Konfliktes die Transaktionskosten steigen, weil die Kosten für erfolgreiche Arbeitsschritte höher und die Risiken des Misslingens größer werden.

    5. Konflikt- oder schadensbegrenzende Maßnahmen wie zum Beispiel die Kosten für die Einschaltung eines Mediators oder eines Rechtsanwalts, aber zum Beispiel auch die vorsorgliche Investition in Not- oder Alternativlösungen im Rahmen eines verantwortungsbewussten Risikomanagements. Hierzu zählt aber auch die Trennung von Mitarbeitern und Führungskräften, weil man sich nicht mehr anders zu helfen weiß, um einen eskalierten Konflikt zu beenden, weil als Folge der Konfliktaustragung die Beziehungen zwischen den Beteiligten so sehr beschädigt ist, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr vorstellbar ist, oder – weil sich die "Sieger" auf diese Weise dafür rächen, in Verlegenheit gebracht worden zu sein.

    6. Belastung der künftigen Zusammenarbeit. Je heftiger und verletzender ein Konflikt ausgetragen wurde, desto mehr wird davon auch das Verhältnis der beteiligten Personen beschädigt, und zwar meist dauerhaft und manchmal irreparabel. Das ist vor allem dann fatal, wenn eine gute Zusammenarbeit der Betreffenden im Interesse des Unternehmens zwingend erforderlich ist, wie zum Beispiel zwischen den Mitgliedern eines Vorstands oder zwischen den Partnern in einer Wertschöpfungskette. In gravierenden Fällen müsste hier eigentlich eine Gewinnwarnung wegen und reduzierter Handlungsfähigkeit aufgrund belasteter Beziehungen herausgegeben werden. Oder es kommt zur Trennung von mindestens einem der Kontrahenten, was ebenfalls mit erheblichen Kosten verbunden ist.

    7. Folgeschäden. Von langwierigen, destruktiv ausgetragenen Konflikten werden oft Dritte in Mitleidenschaft gezogen: Mitarbeiter, aber auch Kunden werden frustriert, was sich in einer erhöhten Abwanderungsbereitschaft niederschlägt, Lieferanten werden "sauergefahren", weil sie mit widersprüchlichen Anforderungen oder einem mehrfachen Hin und Her konfrontiert werden; interne Kunden werden nicht optimal bedient, sodass sie ihre eigene Leistung nicht optimal oder nur mit zusätzlichem Aufwand erbringen können. Zumindest der Kostenfaktor Kundenverluste lässt sich recht gut bestimmen: Man muss nur den gleichen Betrag, den die Gewinnung eines neuen Kunden kostet, für jeden abgewanderten Kunden einsetzen.

    8. Kulturveränderung hin zu einem "politischen" Umfeld. Wenn ein Konflikt im Top-Management größere Kreise gezogen und lange genug angehalten hat, dann hat er die Kultur vermutlich dauerhaft verändert. Nicht nur die Beteiligten selbst, sondern auch ihr näheres und weiteres Umfeld werden vorsichtiger, taktischer und zynischer, was sich zum Beispiel in übertriebener Absicherung ("noch einmal passiert mir das nicht!") niederschlagen kann. Die veränderten Einstellungen und Verhaltensweisen, die für die indirekt Betroffenen im Laufe des Konflikts sinnvoll wurden, wie Absicherung, taktisches Verhalten, politische Spielzüge, gehen nach dessen Ende nicht einfach auf Null zurück: Sie sind, wenn der Konflikt lange genug gedauert hat, "in Fleisch und Blut" übergegangen und bleiben bestehen.
  • Acht Klassen von Konfliktkosten
  • Diese acht Kostenklassen kann man auch als ungefähre zeitliche Abfolge verstehen, in der sich die Konfliktkosten aufbauen: Der Verlust von Arbeitszeit und die entsprechenden Opportunitätskosten fallen von Anfang an an, sobald ein Konflikt aus dem Ruder läuft und in destruktive Bahnen gerät. Erste Abstrahleffekte auf nachgeordnete Ebenen und "Verbündete" setzen ein, wenn die Eskalation die Stufe der "Debatte und Polemik" erreicht, und sie verschärfen sich, wenn im Zuge der weiteren Eskalation Koalitionen geschmiedet und Vasallen auf Linie gebracht werden. Größere Folgeschäden bis hin zu einer dauerhaften Kulturveränderung ergeben sich meist erst, wenn ein Konflikt über längere Zeit anhält und sich in Richtung eines "kalten Konflikts" entwickelt hat. Ein bisschen aus dem Rahmen fällt die Belastung der künftigen Zusammenarbeit samt ihrer wirtschaftliche Folgen: Sie kann schon recht früh einsetzen, wenn es zu persönlichen Enttäuschungen und Verletzungen gekommen ist. Doch auch sie wirkt umso länger nach, je länger ein Konflikt währt: Umso mehr verfestigt sich bei allen Beteiligten das negative Bild von den jeweils anderen.

  • Chronologie der Konfliktkosten
  • Typische Konfliktlinie: Zentrale gegen Niederlassungen

     

    Sehen wir uns das mal anhand einiger Beispiele an. Zunächst ein scheinbar harmloser Fall aus einem internationalen Pharmaunternehmen. Dort wollte der Leiter der Landesgesellschaft Südafrika in seinem Land eine eigene Produktionsstätte aufbauen, obwohl es für die betreffende Produktgruppe im Konzern bereits Überkapazitäten gab. Dass er darüber überhaupt nachdachte, war selbst die Folge zurückliegender, unbefriedigend verlaufener Konflikte im Konzern: Er hatte in der Vergangenheit einige Male Probleme mit der Lieferzuverlässigkeit gehabt und fürchtete, dass sich daran auch in Zukunft wenig ändern werde. Deshalb sprach er am Rande einer Konzerntagung das zuständige Vorstandsmitglied auf seine Idee an. Ermutigt durch dessen ausweichende Antwort ("Man wird das prüfen müssen, wenn ein konkreter Antrag vorliegt!") ließ er von seinen Kaufleuten einen umfangreichen Investitionsantrag ausarbeiten (Zeitaufwand insgesamt ca. 20 Manntage = ca. 10.000 Euro brutto). Der wurde im zentralen Investment-Controlling sorgfältig geprüft (ca. 3.000 Euro), mit dem wenig überraschenden Ergebnis, dass der konzerninterne Import eindeutig günstiger käme. Allenfalls, so wurde als kleines Trostpflaster hinzugefügt, käme der Einsatz einer gebrauchten Anlage in Betracht.

  • Fallstudie,
    erster Akt
  • Der Country Manager verstand das als positive Vorentscheidung und gab daher, während seine Mitarbeiter den Investitionsantrag für eine gebrauchte Anlage erstellten, parallel bereits die technische Vorplanung für eine gebrauchte Anlage und die Recherche nach in Frage kommenden Angeboten in Auftrag (ca. 15.000 Euro). Als die Alternativen Gebrauchtanlage und Import in der Zentrale vergleichend durchgerechnet wurden (ca. 2.000 Euro), kam heraus, was man im Grunde von Anfang an wusste: Dass der Aufbau weiterer Produktionskapazitäten im Konzern angesichts der bestehenden Überkapazitäten völlig widersinnig wäre. Nach Abstimmung mit dem Vorstand wurde der Landeschef daher angewiesen, sämtliche Aktivitäten zu stoppen. Was in der südafrikanischen Gesellschaft natürlich mit völligem Unverständnis und großer Verärgerung zur Kenntnis genommen wurde: Der Country Manager und seine Mitarbeiter fühlten sich durch die "Hinhaltetaktik" des Vorstands und die falschen Hoffnungen, die die Zentrale bei ihnen geweckt hatte, regelrecht verschaukelt.

  • Fallstudie, zweiter und letzter Akt
  • Fazit: Rund 30.000 Euro an direkten Konfliktkosten. Dazu eine erhebliche Verschlechterung des Klimas zwischen Niederlassung und Zentrale, mit Abstrahleffekten sowohl auf nachgeordnete Ebenen (d.h., die Mitarbeiter des Country Managers) als auch auf "Verbündete" (andere Country Manager, die von diesem "unglaublichen Vorgang" natürlich postwendend und aus erster Hand informiert wurden). Wie sehr dieser Konflikt die künftige Zusammenarbeit belastet und welches Preisschild man daran heften müsste, ist schwer zu bestimmen – wagen wir dennoch eine Schätzung: Angenommen, das Unternehmen hätte 60 Auslandsniederlassungen, und bei nur einem Drittel davon würden die entstandenen Vorbehalte bewirken, dass Abstimmungsprozesse bei den nächsten drei zu verhandelnden Themen mühsamer würden, sodass sie auf beiden Seiten jeweils einen halben Arbeitstag mehr benötigten, dann wären dies allein Folgekosten von weiteren 30.000 Euro (2 x 0,5 x 20 x 3 x 500 Euro). Für unsere Zwecke kommt es dabei weniger auf die konkrete Zahl an als auf das Prinzip: Wer andere Annahmen machen möchte, möge andere Zahlen einsetzen; wer mehrere Szenarien durchspielen möchte, kann Szenarien durchspielen. In jedem Fall kann man, wenn man ein paar vernünftige Annahmen macht (wie man es für jede Investitionsrechnung auch machen muss), die Folgekosten eines Konflikts quantifizierend abschätzen.

  • Quantifizierbare und nicht quantifizierbare Konfliktfolgen
  • Der einzelne Konflikt ist in der Realität jedoch meistens kein Einzelfall, sondern Teil einer Entwicklungslinie in der Beziehungsstruktur von Individuen oder Organisationseinheiten. Wiederkehrende negative Erfahrungen mit bestimmten Personen oder Abteilungen hinterlassen eine Belastung des Klimas und führen zu einer zunehmenden Verhärtung im gegenseitigen Umgang. Die Summe solcher Konflikte ist es, die in vielen Unternehmen die Zusammenarbeit zwischen Zentrale und Niederlassungen immer mühsamer und schwergängiger macht. Sie bewirken eine schleichende Klimaveränderung in Richtung auf Abneigung und gegenseitiges Misstrauen, die sich im Alltag etwa darin äußert, dass man an vielen Stellen eher gegen- als miteinander arbeitet.

    Doch ist natürlich auch die umgekehrte Entwicklung möglich: Wiederkehrende positive Erfahrungen mit bestimmten Personen und Organisationseinheiten lassen eine Vertrauensbeziehung entstehen, auf deren Basis die Zusammenarbeit leichtgängig, effizient und damit kostengünstig läuft. Man muss jedoch klar sehen, dass die "natürliche Entwicklung" zwischen Zentrale und Niederlassungen, wenn ihr nicht gezielt entgegengewirkt wird, aufgrund der natürlichen Tendenz zur Lagerbildung in Richtung Abgrenzung und negativem Fremdbild geht. Denn Gruppen tendieren dazu, sich gegen andere Gruppen zu solidarisieren – möglicherweise ein Andenken an unsere Entwicklungsgeschichte, da die Menschheit einen Großteil ihrer langen Vergangenheit in rivalisierenden Stammesgesellschaften verbracht hat.

  • Allmähliche Veränderung des Klimas
  • Teure Konflikte um mangelnden Support

     

    Doch nicht nur das Verhältnis von Niederlassungen und Zentrale birgt reiches Konfliktpotenzial. Eine andere klassische Frontlinie verläuft zwischen operativen Einheiten und "Service- und Support-Funktionen". Wo interne Dienstleister nicht die benötigten Dienste leisten, entstehen in den operativen Einheiten oftmals Schattenfunktionen, welche die fehlenden Leistungen mit "Bordmitteln" abzudecken versuchen. Sie sind zwar oft kostspielig und meistens nicht auf dem neuesten Stande der Technik, doch sind sie das Beste, was sich die betroffenen Bereiche mit ihren eigenen Mitteln und Möglichkeiten zurechtstricken konnten.

    Ein häufiges Konfliktfeld ist hier (bzw. war in der Vergangenheit) die zentrale IT. Aber auch jede andere Service- und Support-Funktion kann mit etwas Geschick zum innerbetrieblichen Krisenherd werden. So kommt es zum Beispiel vor, dass ein Vertrieb sich seinen eigenen Controller hält, weil er mit den Zahlen aus dem zentralen Controlling nichts anfangen kann, oder seine eigenen Verkaufstrainer, weil er mit den vom Personalbereich gestellten nicht zufrieden ist. In Großkonzernen, die einen weltweit organisierten Zentralvertrieb besitzen, gibt es immer wieder den Fall, dass manche Produktbereiche – zuweilen mit Wissen des Vorstands – ihren eigenen "Under-Cover-Vertrieb" oder ihre eigenen Servicetechnik besitzen, oft unter Tarnbezeichnungen, damit die Abweichung von der offiziellen Linie nicht allzu offensichtlich wird.

  • Schatten-IT und andere Versuche der Selbsthilfe
  • Der teuerste Konflikt, dessen Kosten ich jemals zu quantifizieren die Ehre hatte, spielte sich aber auf einem ganz anderen Feld ab, nämlich die Anlagen-Instandhaltung in einem Konzern der chemischen Industrie. Einen großen Chemie-Standort muss man sich als eine Ansammlung von vielen größeren und kleineren Produktionsstätten vorstellen, von denen die meisten rund um die Uhr laufen, weil es völlig unwirtschaftlich wäre, sie täglich herunter- und neu hochzufahren. Für die Wartung und Instandhaltung dieser Anlagen ist in der Regel nicht die Produktion selbst verantwortlich, sondern eigene Teams von Servicetechnikern und Ingenieuren, deren einzige Aufgabe und Pflicht es ist, dafür zu sorgen, dass die Anlagen betriebsbereit, sicher und in einwandfreiem technischem Zustand sind.

    Im vorliegenden Fall war für die gesamte Ersatzteilversorgung des Servicebereich ein Zentrallager zuständig, das jedoch nach der Einschätzung von Experten "geradezu verdächtig schlank" war. Seit Jahren kursierten Gerüchte, dass außerhalb des offiziellen Lagers gigantische Lagerbestände in sogenannten "Hauslägern" gehortet würden. Eine Bestandsaufnahme durch externe Berater erbrachte schließlich, dass es tatsächlich, über den ganzen Standort verteilt, unzählige "graue" Läger gab, deren Wert in Summe bei einem hohen Vielfachen des Zentrallagers lag. Eine vorsichtige Schätzung des Einsparpotenzials belief sich auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.

  • Verdächtig "schlankes" Zentrallager ...
  • Was das mit Konfliktkosten zu tun hat? Interviews mit den Meistern und Ingenieuren erbrachten, dass sie sich von dem Zentrallager notorisch schlecht bedient fühlten. Es war erstens nicht durchgehend besetzt, zweitens hatte es viele Ersatzteile nicht auf Bestand, sondern musste sie erst bei Lieferanten bestellen, drittens informierte es sie in der Regel nicht über die Liefertermine. Zwar erfolgten die Lieferungen in den meisten Fällen sehr rasch, was das Zentrallager auch mit detaillierten Statistiken nachweisen konnte, doch gab es Ausnahmen, die für die Serviceleute nicht vorhersehbar waren, eben weil das Lager von sich aus keine Liefertermine nannte. Infolgedessen hatten die Techniker vor Ort das Gefühl, beim Bestellen von Ersatzteilen in der Luft zu hängen und meist erst durch die erlösende Lieferung zu erfahren, wann sie eine Störung endlich beheben konnten. Diese Phasen der Ungewissheit, in denen sie auf Teile warteten, waren für die Servicetechniker sehr belastend, zum einen, weil sie handlungsunfähig waren und ihren Job nicht machen konnten, zumal sie von ihren Linienkollegen, deren Produktion still stand, massiv unter Druck gesetzt wurden.

  • Plus dezentrale "Angstläger"
  • Solche Erfahrungen, auch wenn sie objektiv und nachweislich selten waren, brannten sich ein: Jeder der Servicemeister hatte lange Geschichten über solche Vorfälle und deren dramatische Folgen parat, und sie verbrachten viele ihrer Pausen damit, sich diese Gruselgeschichten wieder und wieder zu erzählen. Da die Meister nichts mehr fürchteten als bei technischen Problemen oder gar bei einer Havarie handlungsunfähig zu sein und nicht einmal Auskunft über den Termin der Störungsbehebung geben zu können, steckten sie jede freie Mark ihres Wartungsbudgets in den Aufbau ihrer "Hausläger". Infolgedessen wurden viele teure Teile, die zwar nur selten ausfielen, im Falle eines Ausfalls aber größere Probleme verursacht hätten, im Werk mehrfach vorgehalten – doch nur erfahrene Insider mit guten Beziehungen konnten sie mit etwas Glück lokalisieren. Viele Teile kamen überhaupt nie zum Einsatz, sondern rotteten langsam vor sich hin. Angeblich gab es für etliche herumliegende Teile die zugehörigen Anlagen gar nicht mehr; ein Spötter meinte, dass man aus ihnen leicht ein Museum der Werksgeschichte hätte zusammenstellen können.

  • Ein teures "Museum"
  • Kein persönlicher, sondern ein struktureller Konflikt

     

    In diesem Falle hatten der Konflikt und seine Kosten nichts mit Grabenkriegen und persönlichen Feindschaften zu tun – auch wenn es bei den Diskussionen zwischen den Meistern und dem Zentrallager zuweilen recht temperamentvoll zuging. Vielmehr lag ein struktureller Konflikt vor: Ohne Zweifel mangelte es dem Zentrallager an Kundenorientierung; fairerweise muss man aber sehen, dass es gegen seine eigenen Zielvorgaben verstoßen hätte, wenn es sich stärker an den Bedürfnissen der internen Kunden ausgerichtet hätte: Bei einer umfangreicheren Lagerhaltung wäre auch die Kapitalbindung nach oben gegangen, an der es gemessen wurde; Öffnungszeiten rund um die Uhr hätten zusätzliches Personal und damit Geld gekostet; eine bessere Informationspolitik hätte ebenfalls zusätzlichen Aufwand und damit zusätzliche Kosten verursacht.

  • Gefährdung der eigenen Zielvorgaben
  • Umgekehrt hatte die Instandhaltungsmannschaft die Überzeugung gewonnen, dass es völlig zwecklos war, mit dem Zentrallager über einen besseren Service zu verhandeln: Sie sah keine Chance, dort eine stärkere Beachtung ihrer Bedürfnisse zu erreichen. Also taten die Serviceleute das Einzige, was sie tun konnte, um ihre Aufgaben dennoch erfüllen zu können: Sie sparte sich ihre eigenen inoffiziellen Läger zusammen. Den meisten Beteiligten war durchaus klar, dass dies betriebswirtschaftlich nicht die effizienteste Lösung war, aber angesichts ihrer begrenzten Einflussmöglichkeiten hatten sie keine andere Wahl, wenn sie im Notfall handlungsfähig sein wollten – und das lag nach ihrer Überzeugung im übergeordneten Interesse des Unternehmens. Wie hoch der Preis dafür war, wussten sie nicht.

  • Keine Hoffnung auf besseren Service
  • Charakteristisch für die Folgekosten struktureller Konflikte ist, dass sie nicht so sehr aus direkten Auseinandersetzungen entstehen als daraus, dass sich die Beteiligten mit der Situation arrangieren und – im Rahmen ihrer jeweiligen Handlungsmöglichkeiten – das Beste daraus zu machen suchen. Der größte Kostenblock sind in solchen Fällen, genau wie in unserem Beispiel, nicht die Zeit für direkte Auseinandersetzungen, sondern es waren die kumulierten Folgeschäden, die daraus entstanden, dass die Servicemannschaft mit bester Absicht und großer Konsequenz eine Behelfslösung schuf, da eine bessere Lösung außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten lag. Wie das Beispiel zeigt, kann es für Unternehmen sehr teuer werden, wenn sich einzelne Mitarbeiter, Abteilungen oder Niederlassungen angesichts der gegebenen Rahmenbedingungen gezwungen sehen, aufwändige Hilfskonstruktionen zu schaffen, um trotz unüberwindlicher interner Barrieren ihrer Aufgabe gerecht werden zu können.

  • Hohe Folgeschäden
  • Halten wir fest: Schon ein einzelner ganz "alltäglicher" Konflikt kann die Kosten eines halben oder ganzen Jahresgehalts verschlingen, und die Kosten großer, langwieriger Konflikte erreichen zuweilen Größenordnungen, die empfindliche Spuren in den Gewinn-und-Verlust-Rechnung hinterlassen, im schlimmsten Fall sogar existenzbedrohend werden können. Es liegt daher im Interesse eines jeden Unternehmens, bei seinen Mitarbeitern und vor allem bei seinen Führungskräften ein hohes Maß an konstruktiver Konfliktbereitschaft sowohl zu fordern als auch zu fördern.

  • Bedrohliche Kosten

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  • Innerbetriebliche und externe Konfliktherde

     

    Bislang haben wir uns darauf konzentriert, die Kosten einzelner kleinerer und größerer Konflikte abzuschätzen. Aus unternehmerischer Sicht kann es aber auch sinnvoll sein, das Augenmerk auf die Konfliktkosten einzelner Personen zu lenken, gleich ob es Interne (Mitarbeiter / Führungskräfte) oder Externe (Kunden / Lieferanten / Berater) sind. Denn es gibt Menschen, die eine regelrechte "Konfliktschleppe" hinter sich herziehen: Kunden oder Lieferanten, mit denen es ständig Ärger gibt; Mitarbeiter und Führungskräfte, die mit weiten Teilen ihrer Umgebung im Clinch liegen und im Laufe der Zeit zu einem allgemein bekannten Konfliktherd geworden sind, mit der Folge, dass sich die Kollegen schon im Vorfeld von Kontakten zuraunen: "Oh, sei vorsichtig ..."

  • Menschliche Konfliktherde
  • Es lohnt sich schon deshalb, in solchen Fällen genauer hinzuschauen, denn der wirtschaftliche Nutzen eines Kunden oder Lieferanten, aber auch eines Mitarbeiters und einer Führungskraft, ist ja der Saldo aus dem Nutzen, den er dem Unternehmen an Umsatz oder Leistung bringt, abzüglich der Kosten, die er direkt oder indirekt verursacht. Die Kosten eines Lieferanten bestehen nicht nur aus dem Preis, der auf der Rechnung steht, sondern auch aus den internen Folgekosten, die bei diesem Lieferanten für Betreuung und Qualitätskontrolle, für Terminverschiebungen und andere Aufwände anfallen.

    Im Falle eines Kunden gehört zu seinen Kosten nicht nur die Herstellung des Produkts oder der Leistung, die er einkauft, sondern auch der gesamte Betreuungsaufwand vor und nach dem Kauf. Im Falle eines Mitarbeiters oder eines Managers sind es nicht nur die Lohn- und Gehaltskosten, sondern auch all die betrieblichen Ressourcen, die er direkt oder indirekt in Anspruch nimmt, darunter nicht zuletzt der Zeit- und Arbeitsaufwand, den er in seiner Umgebung auslöst. Und da gibt es sowohl Lieferanten als auch Kunden als auch Mitarbeiter und Führungskräfte, deren Saldo deutlich und dauerhaft im Minus ist: Sie stellen für das Unternehmen ein Verlustgeschäft dar.

  • Saldo aus Nutzen und Kosten
  • Wenn die Kosten-Nutzen-Bilanz eines Kunden, Lieferanten oder Mitarbeiters im Saldo negativ ist, folgt daraus noch nicht, dass man sich von ihm trennen sollte – auch wenn das natürlich eine der Lösungsoptionen ist. Zunächst einmal folgt daraus nur, dass die Situation unbefriedigend ist und einer Korrektur bedarf. Vor der Suche nach einer Lösung aber sollte stehen, das Problem zu verstehen. Besonders wichtig ist dabei zu klären, ob die Häufung der Friktionen primär mit der betreffenden Person zusammenhängt oder ob sie primär an der Situation liegt, in der sich diese Person befindet.

    Wenn ein Lieferant zum Beispiel schlecht organisiert ist, dann können die Personen, die seine Schnittstelle zum Kunden bilden, das Problem durch ihr Verhalten zwar etwas mildern oder verschärfen, aber nicht beseitigen. Infolgedessen brächte es hier auch wenig, diese Person auszutauschen. Eine dauerhafte Reduzierung der Konflikte ist nur durch Verbesserungen der Situation zu erreichen – in diesem Falle etwa der Abläufe bei dem betreffenden Lieferanten oder, wenn nötig, durch einen Wechsel des Lieferanten. Auch bei Kunden gibt es den Fall, dass ständige Reibungen letztlich nichts mit den beteiligten Personen zu tun haben, sondern an der Situation liegen – etwa daran, dass man ihre Anforderungen mit den eigenen Strukturen und Prozessen nicht optimal bedienen kann. Auch in solchen Fällen hilft es nichts, Personen auszutauschen: Da muss geklärt werden, ob die Prozesse angepasst werden können oder ob es für beide Seiten die bessere Alternative ist, getrennte Wege zu gehen.

  • Person oder Situation?
  • Wechselwirkungen von Aufgabe und Persönlichkeit

     

    Auch bei Mitarbeitern und Führungskräften ist es wichtig, bei einer Häufung von Konflikten deren Rolle und Aufgabe zu berücksichtigen. So wie der Job des Schiedsrichters seiner Natur nach konfliktträchtiger ist als der eines Mittelfeldspielers, gilt generell: Wenn eine Aufgabe besonders konfliktträchtig ist, dann ist es nicht so erstaunlich, wenn auch ihr Inhaber stärker im Feuer steht als andere. Wenn ein Vorgesetzter zum Beispiel eine hochgradig verwöhnte und verwahrloste Abteilung übernimmt und sie auf Vordermann bringen soll, dann wäre es sogar ein schlechtes Zeichen, wenn es dort keine Konflikte gäbe. Andererseits ist die schiere Zahl und Heftigkeit der Konflikte auch in diesem Fall nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass die Entwicklung auf dem richtigen Weg ist; sie könnte zum Beispiel auch bedeuten, dass er sich mit den Mitarbeitern in einen Machtkampf verbissen hat.

  • Unterschiedliche Gründe für gehäufte Konflikte
  • Manchmal kommt es auch vor, dass ein Mensch, der bislang im Bezug auf seine Konflikthäufigkeit völlig unauffällig war, in einer neuen Funktion plötzlich im Zentrum wütender Auseinandersetzungen steht. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass die betreffende Funktion seine soziale Kompetenz überfordert. Dann verhält sich der Betreffende möglicherweise unnötig ruppig oder reitet Prinzipien, wo Fingerspitzengefühl gefragt wäre, oder er versucht, Unterwerfung zu erzwingen, wo Nachdruck ausgereicht hätte, oder er eiert herum, wo Klarheit und Konsequenz erforderlich wären. In solchen Fällen liegt das Problem darin, dass Aufgabe und Person nicht zusammenpassen. Dementsprechend liegt die optimale Lösung in solchen Fällen liegt nicht in einer Trennung, sondern in einer angemesseneren Aufgabe.

  • Wenn Aufgabe und Person nicht zusammenpassen
  • Je mehr die Probleme hingegen um eine spezifische Person kreisen, desto mehr rückt zwangsläufig diese Person in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Möglicherweise sind es ja Persönlichkeitseigenschaften oder Lebensstilmuster, welche die betreffenden Person zum innerbetrieblichen Konfliktherd machen – etwa ein übertriebenes Bedürfnis, andere zu bestimmen und ihnen vorzuschreiben, was sie auf welche Weise zu tun haben, oder das aussichtslose Bestreben, es allen Recht zu machen, das in unerfüllbare Versprechungen und bald darauf in wachsende Enttäuschung mündet, oder die Neigung zum permanenten Meckern und Kritisieren, welche die Umgebung nervt und auf die Palme bringt.

    In solchen Fällen sollte man sich bewusst machen, dass das Unternehmen keine therapeutische Aufgabe und Befugnis hat. Deshalb ist es auch nicht so wichtig, aus welchen Motiven heraus bzw. zu welchem Zweck sich der Betreffende so verhält, wie er sich verhält. Unternehmerisch betrachtet ist alleine entscheidend, ob er bereit und in der Lage ist, sein Verhalten zu ändern und die Irritation der Umgebung auf ein sozialverträgliches Maß zu reduzieren: Wenn ja, ist alles in Ordnung; wenn nein, ist eine Trennung möglicherweise die bessere Entscheidung als eine Fortsetzung des Verlustgeschäfts.

  • Verhaltens-bedingte Konfliktquellen
  • Da vielen Menschen gar nicht bewusst ist, was die Auswirkungen mancher ihrer Verhaltenstendenzen sind, sollte man ihnen allerdings eine faire Chance geben. Das beginnt damit, sie durch ein klares und deutliches Feedback auf das Problem aufmerksam zu machen, ihnen klar zu sagen, welches Verhalten man sich stattdessen wünschen würde, und ihnen eine angemessene Zeit zur Korrektur zu geben. Wichtig ist dabei, nicht bloß zu sagen, wie sich der Betreffende nicht mehr verhalten sollte, sondern positiv und konkret zu sagen, welches Verhalten man sich stattdessen von ihnen wünscht.

    Dabei sollte man berücksichtigen, dass die Umgebung oft mit zeitlicher Verzögerung auf Verhaltensänderungen reagiert. Ein Nachlassen der Beschwerden ist daher bereits ein gutes Zeichen; es setzt schneller ein als die positive Würdigung erfolgter Veränderungen. Andererseits hat es bei aller Geduld und Fairness keinen Sinn, unbegrenzt auf Veränderungen zu warten. Ob jemand sein Verhalten ändern will, erkennt man nicht an dem, was er sagt, sondern ausschließlich an dem, was er tut. Und schließlich ist es wichtig, nach den ersten Verbesserungen am Ball zu bleiben und nicht zu glauben, das Problem sei bereits erledigt. Denn in aller Regel ist es leichter, ein Verhalten vorübergehend zu ändern, als ein geändertes Verhalten dauerhaft beizubehalten.

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  • Die Kosten übergroßer Harmonie ("Friedhöflichkeit")

     

    Doch nicht nur destruktiv ausgetragene Konflikte können zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen; ebenso große Schäden können auch durch die entgegengesetzte Form ungeeigneter Konfliktbewältigung entstehen, nämlich durch Konfliktscheu und Konfliktvermeidung, wie sie oft in einem übergroßen Streben nach Harmonie zum Ausdruck kommt. Denn so angenehm es sein mag, wenn es nicht ständig Streit gibt: Der Preis der Konfliktvermeidung ist, dass notwendige Auseinandersetzungen unterbleiben, sodass erforderliche Korrekturen verschleppt werden und sich das Unternehmen insgesamt nur verzögert und schwerfällig an veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen anpassen kann.

  • Konflikt-vermeidung
  • Der Schaden, den die Beteiligten dem Unternehmen auf diese Weise zufügen, ist nicht so offensichtlich wie bei manifesten Konflikten, denn es finden ja gerade keine Streitereien und auch keine Grabenkriege statt. Stattdessen schwebt man in Frieden und Harmonie auf einer "Insel der Glückseligen", die nur das kleine Manko hat, dass sie sich immer weiter vom Festland des Marktes entfernt. Das führt früher oder später zu der schmerzlichen Erfahrung, dass auch die Zahlungsströme, die bislang vom Festland kamen, zunehmend versiegen, weil die Kunden auf die Dauer nicht hinnehmen, dass notwendige Anpassungen an die Entwicklungen des Marktes nicht vorgenommen werden.

    Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist, dass sie schleichend verläuft und oft noch durch erfolgreiche neue Produkte oder positive Konjunktureffekte überdeckt wird. Oftmals wird das Problem deshalb erst erkannt und ernst genommen, wenn die verlangsamte Anpassung und die damit einhergehende Auszehrung der Profitabilität sich bereits zu einer Ergebniskrise oder gar zu einer Liquidititätskrise ausgewachsen haben.

  • "Inseln der Glückseligen" in der Krise
  • Prädestiniert für solche "Harmoniekulturen" sind Unternehmen, die über viele Jahre sehr erfolgreich waren. In der Vergangenheit zählten dazu besonders die klassischen "verwöhnten Branchen" wie Chemie, Pharma, Banken, Versicherungen, Energie etc. Denn anhaltender Erfolg nährt den Irrtum, einen immerwährenden und uneinholbaren Vorsprung vor dem Wettbewerb zu besitzen und damit gewissermaßen "unsinkbar" zu sein. Wenn sich aber bei Mitarbeitern und Führungskräften erst einmal der Eindruck verfestigt hat, dass der Erfolg ihres Unternehmens auf Dauer gewährleistet ist und deshalb ihres vollen Einsatzes gar nicht bedarf, dann ist es nur allzu naheliegend, "unnötigen" Konflikten aus dem Weg zu gehen, die entstehen würden, wenn man versuchte, Arbeitsabläufe zu verbessern, Minderleistungen zu korrigieren oder alte Zöpfe abzuschneiden. Warum sollte man es sich mit Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten verscherzen, wenn das Geschäft doch auch so erfolgreich läuft, wenn solche harmonietrübenden Aktivitäten nur der eigenen Beliebtheit und damit potenziell dem Fortkommen abträglich wären?

  • Die Harmonie nicht stören
  • Der eigenen Harmoniesucht zum Opfer gefallen

     

    Ein unfreiwilliges Beispiel für den langfristigen Preis, den solch eine Harmoniekultur kosten kann, war ein traditionsreiches Pharmaunternehmen, das in der Vergangenheit ein sehr erfolgreiches Geschäft rund um ein patentgeschütztes "Blockbuster-Präparat" aufgebaut hatte. (So nennt man in der Pharmabranche Produkte, die den Patienten so große Vorteile bringen, dass sie dem Hersteller ohne Rücksicht auf den Preis förmlich aus den Händen gerissen werden.) Auch nach dem Auslaufen der ersten Patente war es den Wettbewerbern nicht gelungen, die Produkte in vergleichbarer Qualität herzustellen. Das bestärkte die Mitarbeiter aller Ebenen in ihrer Überzeugung, einem außergewöhnlich leistungsstarken Unternehmen anzugehören, und förderte die Illusion der Unsinkbarkeit. Über die Jahre hatte sich das Unternehmen zum attraktivsten Arbeitgeber seiner ländlich geprägten Region entwickelt, und die Mitarbeiter setzten alles daran, nicht nur selbst "für immer" in der Firma zu bleiben, sondern auch ihre Kinder und Enkel, Verwandten und Freunde dort unterzubringen.

  • Ein überaus erfolgreiches Unternehmen
  • Da man seinen Kollegen und deren Angehörigen in diesem Umfeld auch privat ständig begegnete, sei es beim Bäcker, im Sportverein oder beim Weinfest, gab es die ausgeprägte Tendenz, im Geschäft niemanden weh zu tun. Wer wollte schon ins Gerede kommen, aus unbertriebenem persönlichem Ehrgeiz ein Kollegenschwein zu sein? Infolgedessen wurden unangenehme Entscheidungen entweder gar nicht getroffen oder nur mit äußerster Behutsamkeit und Halbherzigkeit; selbst offenkundige Personalprobleme wie eine fortgeschrittene Alkoholabhängigkeit oder Schwarzarbeit-bedingte Fehlzeiten wurden nicht angegangen; angedachte Entscheidungen wurden exzessiv abgestimmt und so bis zur Folgenlosigkeit verwässert. Was die Harmoniekultur zusätzlich verstärkte, war, dass in Führungspositionen hauptsächlich Mitarbeiter befördert wurden, die "bewiesen hatten, dass sie in unsere Kultur passen". Wer zu oft angeeckt war, hatte schlechte Karten, weil er "nicht die nötige Akzeptanz besaß" und "unsere Kultur nicht verstanden hatte".

  • Wachsende Harmoniekultur
  • Die Lage hinter den sieben Bergen trug mit dazu bei, dass es die Firma kaum mitbekam, wie ihre Wettbewerber immer dichter aufschlossen. Der lange Zeit wachsende Markt führte dazu, dass Marktanteilsverluste kaum registriert wurden. Der wachsende Druck auf die Margen wurde vom Management lange mit den üblichen Nachfrageschwankungen erklärt und als vorübergehende Erscheinung weggeredet. Bis das Unternehmen schließlich zum ersten Mal in seiner Geschichte rote Zahlen schrieb. Für das krisenunerfahrene Management war das ein Schock – den es vor den Mitarbeitern geheim hielt, "um keine Unruhe zu schaffen". Die eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen blieben halbherzig: Das Management fürchtete bei einem harten Kostensenkungsprogramm einen Sturm der Entrüstung nicht nur im Unternehmen, sondern auch in der Presse und Lokalpolitik. Nachdem sich die Ergebniskrise zur Liquiditätskrise auszuweiten drohte, wurde das Unternehmen für geringes Geld von einem internationalen Konzern übernommen. Der legte sofort ein radikales "Downsizing" auf, dem fast ein Drittel der Arbeitsplätze zum Opfer fiel.

  • Die Krise ...
  • Die Belegschaft wurde von dieser Entwicklung völlig überrascht: Sie hatte zwar Probleme geahnt, nicht aber deren Ausmaß und Tragweite, und war zutiefst schockiert. Die anfängliche Verzweiflung und Empörung schlug in Pessimismus und Resignation um, als den Mitarbeitern und Führungskräften ihre tatsächliche Lage bewusst wurde: Sie waren längst nicht mehr der unangefochtene Marktführer, sondern der schwer angeschlagene Verlierer in einem Geschäft, in dem mittlerweile fast nur noch der Preis zählte. Wie verarmte Adelige taten sie sich sehr schwer, die neuen Spielregeln und ihren neuen Platz in der Realität zu akzeptieren; sie schwankten zwischen Hader, Minderwertigkeitsgefühlen und nostalgischen Visionen. Da sie es nicht schafften, ihre Sitten und Gebräuche den verschärften Markt- und Wettbewerbsbedingungen anzupassen, entschloss sich der Konzern schließlich zur vollständigen Aufgabe des Geschäftsfelds. Nachdem mehrere Verkaufsversuche gescheitert waren, war das traurige Ende, dass der Standort geschlossen wurde.

  • ... und der Untergang
  • Das letzte große Rationalisierungspotenzial

     

    Das Beispiel zeigt, dass der Preis für das Vermeiden von Konflikten auf die Dauer noch höher sein kann wie der für ihre destruktive Austragung. Trotz aller Unterschiede im Erscheinungsbild kommt beides im Endeffekt auf das Gleiche heraus: Sowohl bei Stellungskriegen und anderen Formen destruktiver Konfliktaustragung als auch bei Konfliktvermeidung ist die Fähigkeit des Unternehmens beeinträchtigt, sich schnell genug an die Veränderungen von Markt und Wettbewerb anzupassen. Je schneller sich ein Markt verändert und je aggressiver das Wettbewerbsumfeld ist, desto weniger verzeiht er einen ungeeigneten Umgang mit Konflikten, gleich ob er sich in Harmoniesucht äußert oder in übertriebener Ruppigkeit. Wer als Führungskraft zu nett ist, schadet seinem Unternehmen ebenso wie ein Manager, der ruppig und entwertend mit Mitarbeitern und Kollegen umgehen. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sich der Weg in den Abgrund in einer Harmoniekultur angenehmer anfühlt als in einer destruktiv-feindseligen Kultur, in der das permanente Hauen und Stechen nur durch gelegentliche Schüsse aus der Hecke unterbrochen wird.

  • Zwei Wege in den Abgrund
  • Wie wir gesehen haben, ist es durchaus möglich, die betriebswirtschaftlichen Kosten von Konflikten zu bestimmen oder doch zumindest abzuschätzen. In der Praxis liegt das Problem meistens nicht darin, dass es so unerhört schwierig wäre, den entstandenen Schaden zu quantifizieren, sondern dass die beteiligten Personen den ökonomischen Preis ihres Handelns gar nicht so genau wissen, geschweige denn sichtbar werden lassen wollen. Zu allem Übel gilt dies umso mehr, je höher in der Hierarchie sich ein Konflikt abspielt und je teurer er infolgedessen ist. Gerade deshalb steigt mit der Hierarchieebene auch die Brisanz: Die betroffenen Top-Manager befürchten nicht ganz zu Unrecht, sich mit der Schaffung von Transparenz und gar einer Quantifizierung der Konfliktkosten angreifbar zu machen. Deshalb sind wir hier weitgehend auf beispielhafte Schätzungen angewiesen, die eine Hochrechnung der Konfliktkosten für ganze Konzerne ebenso spekulativ wie gruselig erscheinen lassen.

  • Kein Interesse an Quantifizierung
  • Aber am Ende ist es aber auch gar nicht so entscheidend, die Kosten eines Konflikts oder eines innerbetrieblichen Konfliktherds bis auf den letzten Pfennig genau zu kennen. Es geht ja nicht darum, den Anteil der Konfliktkosten in der Kostenstruktur eines Konzerns in der Bilanz ausweisen zu können – auch wenn das für den Kapitalmarkt vermutlich eine hochinteressante Kennzahl wäre, die ebenso Aufschluss über Rationalisierungspotenziale gäbe wie über versteckte Risiken für die Unternehmensentwicklung. Für praktische Zwecke ist vor allem wichtig, die finanziellen Größenordnungen zu erkennen, um die es hier geht, und sich bewusst zu sein, dass durch die ungeeignete Austragung von Konflikten nicht nur atmosphärische Trübungen entstehen, die wahren Männern und Helden sowieso nichts ausmachen, sondern dass sie auch erhebliche wirtschaftliche Schäden anrichten.

  • Herausforderung für Controller und Vorstände
  • Die Reduzierung innerbetrieblicher Reibungsverluste ist vermutlich das letzte große Rationalisierungspotenzial unserer Zeit. Daher ist sie nicht nur eine Herausforderung an Personaler und Personalentwickler, sondern auch und sogar noch mehr für Controller, Linienmanager und Vorstände. Dass die dafür in der Regel nicht das erforderliche Handwerkszeug besitzen, ist kein Grund, dieser Herausforderung auszuweichen – es sollte der Grund sein, sich die erforderlichen Fähigkeiten anzueignen!

  • Letztes großes Rationalisierungs-potenzial
  • Literatur:

    Berner, Winfried (2012): Culture Change – Unternehmenskultur zum Wettbewerbsvorteil machen

    Berner, Winfried (2000): Mehr Leistung durch den Abbau innerbetrieblicher Reibungsverluste; Praxishandbuch Unternehmensführung, Gruppe 3, S. 81 - 108
    (Sonderdruck im Download-Bereich verfügbar)

  • Literatur

  • Sie stehen vor der Frage, wie Sie in Ihrem Unternehmen Konfliktscheu und Harmoniesucht überwinden und sie durch eine konstruktive Streitkultur ersetzen können? Dann empfehlen wir Ihnen zum Einstieg einen Workshop "Aufbau einer konstruktiven Streitkultur" im engsten Kreise Ihres Top-Managements.

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  • Wir unterstützen Sie gern!
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