Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung schaffen

Grant, Adam (2013):

Givers Take All

The hidden dimension of corporate culture

McKinsey Quarterly April 2013


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 27.05.2013

Anhand neuerer Forschungen belegt Adam Grant, dass Kooperation gerade bei komplexen Aufgaben der Konkurrenz überlegen ist, und gibt Empfehlungen, wie man eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung ("giver culture") aufbauen und fördern kann.

Der Wharton-Professor Adam Grant stellt im McK Quarterly einen Auszug aus seinem neuen Buch "Give and Take – A Revolutionary Approach to Success" vor, doch was er daran so revolutionär findet, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nur als die alte Erkenntnis, dass Kooperation gerade bei komplexen Aufgaben der Konkurrenz überlegen ist. Aber auch wenn die Revolution ausbleibt, die Argumente, die Grant ins Feld führt, sind überzeugend.

Zum Ausgangspunkt nimmt er eine Untersuchung zur Effektivität der amerikanischen Geheimdienste, mit der die Harvard University nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beauftragt worden war. Nach Befragungen, Interviews und Beobachtungen brachten die Forscher um Richard Hackman die 64 untersuchten Teams in eine Rangreihe vom besten zum schlechtesten und untersuchten dann, welche Einflussfaktoren für die Leistung ausschlaggebend waren: "The critical factor wasn't having stable team membership and the right number of people. It wasn't having a vision that is clear, challenging, and meaningful. Nor was it well-defined roles and responsibilities; appropriate rewards, recognition, and resources; or strong leadership.

Rather, the single strongest predictor of group effectiveness was the amount of help that analysts gave to each other. In the highest-performing teams, analysts invested extensive time and energy in coaching, teaching, and consulting their colleagues." (S. 2) Diese kollegiale Unterstützung half den Mitarbeitern, ihre Annahmen zu hinterfragen, Wissenslücken zu schließen, neue Perspektiven einzunehmen und Muster in scheinbar unzusammenhängenden Daten zu erkennen. Im Kontrast dazu tauschten sich die Mitarbeiter der schwächsten Teams wenig untereinander aus; stattdessen rang jeder für sich darum, seine Aufgaben selbst zu lösen.

Der Einfluss der wechselseitigen Unterstützung war so groß, dass alleine diese Information reichte, um die Leistung fast aller Teams gut vorherzusagen. Ähnliche Untersuchungen gibt es laut Grant auch aus vielen anderen Bereichen, beispielsweise eine Studie von Philip Podsakoff von der Indiana University. Die Häufigkeit, mit der sich Mitarbeiter gegenseitig helfen, "predicts sales revenues in pharmaceutical units and retail stores; profits, costs, and customer service in banks; creativity in consulting and engineering firms; productivity in paper mills; and revenues, operating efficiency, customer satisfaction, and performance quality in restaurants." (S. 2)

In der Tat eine eindrucksvolle Zusammenstellung – auch wenn mich ein wenig wundert, wie man sich darüber so wundern kann, entspricht es doch genau der Erfahrung, die man sowohl beim Beobachten unterschiedlicher Unternehmenskultur als auch bei der eigenen Arbeit mit Teams machen kann: Wenn alle mit vereinten Kräften auf das gemeinsame Ziel hinarbeiten, kommt mehr dabei heraus als wenn jeder für sich arbeitet und eifersüchtig darauf achtet, dass niemand seine genialen Ideen klaut. Allerdings steht das im deutlichen Kontrast zu der im Management und in der Unternehmensberatung immer noch sehr verbreiteten Ideologie, dass interne Konkurrenz das beste Mittel wäre, um Höchstleistungen aus seinen Mitarbeitern herauszuholen.

Nach dem Grad der Zusammenarbeit unterscheidet Grant drei Typen von Unternehmenskulturen: "giver cultures", "taker cultures" und "matcher cultures". Die "Taker" zeichnen sich durch ein stark konkurrenzorientiertes, ja geradezu ausbeuterisches Verhältnis untereinander aus: Jeder versucht, so viel wie möglich von anderen abzustauben, aber möglichst wenig zu geben. Das andere Extrem sind "Giver Cultures", in denen es ein hohes Ausmaß an gegenseitiger Unterstützung gibt, vom Coaching und der intensiven Einarbeitung neuer Teammitglieder bis zu kollegialen Diskussionen und Beratungen, die helfen, Perspektiven zu erweitern, Muster zu erkennen und Wissenslücken zu schließen. Dazwischen liegen die "Matcher Cultures", in denen solche wechselseitige Unterstützung ebenfalls stattfindet, aber nur innerhalb mehr oder weniger geschlossener Seilschaften.

Angesichts der offenkundigen Vorteile "freigiebiger" Kulturen stellt sich die Frage, weshalb sie nicht verbreiteter sind. Grants Antwort: "According to Cornell economist Robert Frank, many organizations are essentially winner-take-all markets, dominated by zero-sum competition for rewards and promotions." (S. 4) Mit anderen Worten, je härter der interne Wettbewerb ist, desto unvernünftiger wird es, sich kooperativ zu verhalten. Unter solchen Umständen ist die einzige rationale Alternative zum Einzelkämpfertum, informelle Kooperationsnetzwerke auf Gegenseitigkeit zu bilden – vulgo Seilschaften.

Den Großteil des Artikels verwendet Grant darauf, wie man eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung fördern kann. Dabei stellt er zunächst fest: "Yet many people are naturally [sic!] reluctant to seek help." (S. 5) Die Gründe, die er dafür nennt, haben indes mehr mit Konkurrenzerfahrungen zu tun als mit der Natur des Menschen: Dass sie es, vor allem in "Taker-Kulturen", für aussichtslos halten; dass sie nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen; dass sie Sorge haben, verletzlich, inkompetent und unselbständig zu erscheinen.

Trotzdem ist es wohl so, dass der Schritt vom Einzelkämpfertum zur Kooperation leichter fällt, wenn er systematisch unterstützt wird. Sehr interessant finde ich zum Beispiel eine Übung von Wayne und Cheryl Baker, die sie "Reciprocity Ring" (Ring der gegenseitigen Unterstützung) nennen. Das sind etwa 10 bis 24 Personen; jede von ihnen hat die Aufgabe, eine Bitte an die Runde zu richten, und die Runde hat dann die Aufgabe, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Beziehungen zu nutzen, um sie zu erfüllen. Weil hier jeder eine Bitte äußert, fühlen sich die Teilnehmer damit weniger unbehaglich. Und meist führen schon diese Übungsrunden zu bedeutenden Erfolgen, wie im Falle eines Forschungsleiters, der dank der Hilfe eines Kollegen auf Anhieb 50.000 Dollar einsparte. Noch wichtiger ist aber, dass die Teilnehmer über solche Übungen lernen, dass Geben unter dem Strich effektiver ist als Tauschen (matching).

Funktionieren kann das aber nur, wenn die (immateriellen und materiellen) Belohnungssysteme eine Kultur des Teilens unterstützen. Wenn das Management offen oder verdeckt die besten Individuen zu identifizieren sucht und belohnt, dann entsteht unweigerlich eine "Taker-Kultur", die von Konkurrenz und Einzelkämpfertum geprägt ist. Deshalb müssen Wege gesucht und gefunden werden, kooperatives Verhalten zu ermutigen und zu belohnen. Wobei Grant betont: "Evidence highlights the importance of keeping incentives small and spontaneous." (S. 10) Was irgendwie auch logisch ist, denn anderenfalls wird Kooperation zur incentive-geförderten Einzelleistung.

Die Ideologie des internen Wettbewerbs spiegelt sich indes auch in Grants Artikel, wenn mehrfach betont, es gehe darum, die Kooperation zu fördern, "without undercutting the healthy competition that drives productivity." (S. 1, 9) Meines Erachtens verkennt er dabei, dass es in Organisationen fast immer einen natürlichen Wettbewerb gibt, weil Budgets, Beförderungen, Boni, aber auch Anerkennung nicht unbegrenzt verfügbar sind. Für den Mitarbeiter reduziert sich diese versuchte Quadratur des Kreises daher auf die Frage, was für ihn vernünftig ist zu tun, wenn er seine Ziele erreichen will: Ist es dann – unabhängig von allen persönlichen Vorlieben – klüger zu kooperieren oder zu konkurrieren?

Zum Schluss empfiehlt Grant ein "sincerity screening: Keep the wrong people off the bus" (S. 10) Nach seiner Überzeugung gibt es eine "taker personality": Menschen, die von Haus aus lieber nehmen als geben. Er nennt drei typische Merkmale, an denen man solche Menschen erkennt: Erstens tendieren sie stark dazu, Erfolge für sich selbst zu beanspruchen; zweitens sind sie die, die nach oben buckeln und nach unten treten; drittens neigen sie oft dazu, sich zu Lasten anderer zu profilieren, wie über Kollegen herzuziehen, die für eine Beförderung in Betracht kommen, oder einem schlecht informierten Kunden zu viel zu berechnen. Solche Leute solle man sich nach Möglichkeit vom Hals halten, wenn man eine "Giver Culture" aufbauen und gesund erhalten will.

Schlagworte:
Interne Konkurrenz, Kooperation, Gegenseitige Unterstützung, Wissen teilen, Egoisten, Anreize, Zusammenarbeit

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