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Euphemismen: Die Flucht vor der Wahrheit – und der Verantwortung |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Euphemismen sind Schönfärberei auf Wortebene: Der Versuch,
eine hässliche Wahrheit – wie etwa, dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz
verlieren werden – durch sprachliche Kosmetik weniger hässlich
erscheinen zu lassen. Statt von Entlassungen spricht man dann
von "Freisetzungen" – und hofft, dass, wenn es nicht mehr
so hässlich klingt, auch die Emotionen weniger heftig ausfallen
werden. Doch dieser Versuch geht ins Leere, denn nicht die Worte
sind hässlich, sondern die Tatsachen, für die sie stehen. Und so kommt, was kommen muss: Worte wandeln ihre Bedeutung, und schon bald klingt "Freisetzungen" um keinen Deut besser als "Entlassungen" – eher noch hässlicher, weil der Beigeschmack der versuchten Sprachmanipulation mitempfunden wird. |
- Schönfärberei auf Wortebene
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Interessant in diesem Zusammenhang, dass das Wort "Entlassungen",
das heute in Managementkreisen verpönt ist, seine Karriere selbst
als Euphemismus begonnen hat. Denn "Entlassung" war ursprünglich
kein arbeitsrechtlicher Terminus, sondern bezeichnete die
Beendigung eines Gesprächs durch den Ranghöheren. In älteren
Büchern liest man oft noch Formulierungen wie: "Der Meister
entließ mich mit den Worten ..." Damit war das Gespräch beendet
– wurde aber möglicherweise schon am nächsten Morgen wieder
aufgenommen. Genau diese Assoziation des Nicht-Endgültigen
machte das Wort "Entlassung" als schönfärberische Umschreibung
für Kündigung attraktiv. Doch ging dieser Beiklang im Laufe
der Jahre in dem Ausmaß verloren, wie das Wort zum Synonym
für Kündigung wurde.
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- Der tiefe Fall des Wortes "Entlassungen"
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Ein ähnliches Schicksal wird eher früher als später auch dem Wort "Freisetzung" widerfahren;
man darf jetzt schon gespannt sein, wie dann die
schönfärberische Umschreibung für "Freisetzungen" lauten wird.
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Wenn Euphemismen und anderer manipulativer Sprachgebrauch überhaupt eine Wirkung haben, dann bei Adressaten, die
mit der Materie nur oberflächlich vertraut sind und sie ihr
keine große Bedeutung beimessen. Ob von "Kernkraftwerken"
oder "Atomkraftwerken" gesprochen wird, das mag für die "intuitive"
Bewertung von Laien durchaus eine Rolle spielen.
Für Menschen, die sich etwas tiefer mit der Materie befasst haben, macht es in der Sache keinen Unterschied; es wird vielmehr zum "Parteiabzeichen": Schon die Wortwahl lässt erkennen, welcher Seite der Sprecher angehört. Je tiefer jemand die Materie durchdringt, desto mehr
schwindet die Manipulationswirkung euphemistischer Bezeichnungen.
Da sich Mitarbeiter mit "Freisetzungen" aber üblicherweise
sehr intensiv befassen, besonders wenn es ihre eigenen sind, ist die Hoffnung im Grunde
naiv, dass sie dieses
Wort weniger Ängste auslösen würde als "Entlassungen". |
- Wirkungslose Manipulation
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Bei nebensächlichen Themen
fügen sich die Mitarbeiter achselzuckend dem von der Geschäftsleitung
gewünschten "Double-Speak": Dann spricht man halt nicht mehr von "Problemen",
sondern von "Herausforderungen". Doch je gewichtiger die Themen
sind, desto störender, irritierender und ärgerlicher wird
die Differenz zwischen dem, was man sagt (bzw. sagen soll),
und dem, was man eigentlich meint. Diese "verordnete Schizophrenie" entfremdet
die Mitarbeiter dem Unternehmen und mindert ihre Loyalität.
Was deshalb eine gewisse Brisanz hat, weil Euphemismen und
andere Formen von Schönfärberei ja gerade bei heiklen Themen
gern benutzt werden.
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Verharmlosung macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer |
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Schönfärberei ist mehr als eine schlechte Angewohnheit:
Sie ist verräterisch und in ihrer Wirkung im Unternehmen destruktiv.
Verräterisch deshalb, weil sie deutlich macht, dass das Top-Management, wenn es kritisch wird, die Dinge nicht beim Namen nennt und zu seiner Verantwortung
steht, sondern versucht, die Folgen des eigenen Handelns
zu verharmlosen. Ähnlich wie viele Straftäter durch das Verharmlosen
und Herunterspielen ihrer Tat zeigen, dass sie nicht die Verantwortung
für ihr Handeln übernehmen wollen, drücken sich auch viele
Führungskräfte vor der Verantwortung, die mit ihren unangenehmen
Entscheidungen verbunden ist.
Nein, dies ist keine ungehörige Gleichsetzung von Personalabbau
mit Straftaten. Zweifellos gibt es Situationen, in denen Personalabbau
zwingend erforderlich ist, und es gibt auch Situationen, in
denen sich die Trennungen nicht "sozialverträglich" (im Grunde auch ein Euphemismus)
umsetzen lassen. Die bittere Parallele liegt nicht in der Sache, sondern in der Haltung: Im Ausweichen
vor der Verantwortung, die im Verwenden von Ausflüchten und
Verharmlosungen ebenso zum Ausdruck kommt wie in Euphemismen
und Schönfärberei.
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- Verlust an Glaubwürdigkeit
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Die Wirkung solcher Beschönigungen auf die Adressaten aber ist keineswegs positiv, sie ist destruktiv. Denn gerade
die Verharmlosung löst bei den Betroffenen, die ja um die Konsequenzen wissen und sich vor ihnen fürchten, Zorn und ohnmächtige
Wut aus. Naheliegend, dass der Betriebsrat in solchen Fällen erzürnt fordert, das Management möge nicht
herumsülzen, sondern wenigstens den Mut haben, sich dazu zu
bekennen, dass es Hunderte von Menschen auf die Straße setzt
[was wiederum eine Dramatisierung ist, denn "auf der Straße" sitzen die Leute nun auch wieder
nicht]. Die Wut wiederum kann sich in destruktivem Handeln
niederschlagen, etwa in einer Fehlzeiten und Qualitätsmängeln,
zuweilen auch in Racheakten, das heißt, in aktiver und bewusster Schädigung des Unternehmens bis hin zur Sabotage. Dieses Wechselspiel von Verharmlosung und
Dramatisierung erschwert und behindert jede konstruktive Bewältigung
der Krise.
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- Potenziell destruktive Wirkung
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Gravierende Auswirkungen hat diese Tendenz zu Schönfärberei
und Verharmlosung auch auf den Führungsnachwuchs. Da sie es
zu etwas bringen wollen, orientieren sich karrierehungrige
Aufsteiger am Top-Management und versuchen, die Spielregeln
zu herauszufinden, die für das Vorwärtskommen wichtig sind.
Infolgedessen übernehmen viele von ihnen – oftmals allzu bereitwillig
– den "Double-Speak", den ihnen das Top-Management
vorlebt. So gewöhnen sie sich eine Sprache und damit auch
eine Denkweise an, das später ihre Glaubwürdigkeit und
damit ihr Führungspotenzial in Frage stellt. Wer seine Nachwuchskräfte
entwickeln will, sollte ihnen deshalb ein Vorbild dafür sein,
auf Euphemismen und Beschönigungen zu verzichten und gerade bei unangenehmen
Themen Klartext zu reden.
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- Gedankenlose Nachahmung schlechter Vorbilder
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
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© 2002 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 28.10.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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