Emotionaler Konsens: Wir haben uns zusammengerauft |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Viele Ergebnisse, auf die man sich in Vorstandssitzungen,
Besprechungen und Projekt-Meetings einigt, sind bei genauerer
Betrachtung kein rationaler, sondern ein emotionaler Konsens
– interessanterweise selbst dann, wenn sehr kluge Köpfe und
scharfe analytische Denker an den Diskussionen mitgewirkt haben.
Denn die Einigung, zu der man sich am Schluss durchringt,
kommt meist mehr über gruppendynamische Effekte wie Dominanz, Hartnäckigkeit und Erschöpfung zustande als über eine nüchterne Ausleuchtung
der Alternativen und ihrer Vor- und Nachteile. |
- "Wir haben uns geeinigt ..."
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Typisches Kennzeichen eines emotionalen Konsens' ist, dass
die am Entscheidungsprozess Beteiligten gegenüber Dritten
vor allem das Ergebnis betonen und auf Fragen nach den Gründen
schnell defensiv reagieren: "Wir haben das lange und ausführlich
diskutiert, und sind schließlich zu diesem Ergebnis gekommen,"
heißt es dann. "Man kann natürlich alles hinterfragen. Aber
irgendwann muss man schließlich eine Entscheidung treffen." |
- " ... aber warum eigentlich?"
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Zwar können einem in solch einem Fall noch die meisten Teilnehmer
(mit gewissen Abweichungen) sagen, worauf man sich geeinigt
hat und welche Alternativen diskutiert wurden. Fragt man aber
weiter, welche Alternativen gerpüft wurden, was deren Vor- und Nachteile sind und welche Gründe (bzw. welche Abwägung ihrer Vor- und
Nachteile) schließlich den Ausschlag für die getroffene Entscheidung
gegeben haben, müssen die meisten passen – nicht, weil sie
nicht aufgepasst oder nicht mitgedacht haben, sondern weil
die Diskussion ganz anders abgelaufen ist. |
- Nicht Logik, sondern Gruppendynamik
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Wie emotionaler Konsens zustande kommt |
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Sachdiskussionen beginnen üblicherweise damit, dass einer
einen Vorschlag macht und vielleicht noch eine Begründung
dafür abgibt; ein anderer kommentiert den Vorschlag zustimmend
oder kritisch, fügt ebenfalls ein paar Argumente an – bis dahin
durchaus rational. Doch je mehr Vorschläge, Einwände, Bedenken
etc. hinzukommen, desto mehr verheddert sich das Ganze. Nach
einer Weile haben sich die meisten ihre Meinung gebildet und
wiederholen nur noch in grammatikalischen Variationen die
Punkte, die für ihre eigene Meinung bzw. gegen die der anderen
Seite(n) sprechen. |
- Entwicklung einer Diskussion
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Dieses Ringen um Zustimmung hat nur noch lose mit Rationalität zu tun. Argumente werden nicht mehr benutzt, um der Wahrheit
bzw. der besten Lösung näher zu kommen, sondern um die eigene
Position durchzubringen. Inbrünstige Bekenntnisse der jeweiligen
Platzhirsche ("Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass XY die
richtige Lösung ist!") haben auf Verlauf und Ergebnis der
Diskussion oft mehr Einfluss als die logische Argumentation
von weniger angesehenen Teammitgliedern – nicht gerade rational,
wenn man bedenkt, dass die "Platzhirsche" in ihren Statements
zwar viel emotionale Energie entfaltet, aber nicht den Funken
einer rationalen Begründung geliefert haben. |
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Im weiteren Verlauf entstehen allmählich Koalitionen von Leuten, die in die gleiche
Richtung argumentieren. Meist bilden sich nach einer Weile
Mehrheiten heraus, und die Minderheiten lassen in ihrem Widerstand
allmählich nach, oder man kommt ihnen in einzelnen Punkten entgegen, um ihre Vorbehalte auszuräumen. Und irgendwann entsteht in der Gruppe das
Gefühl (!), dass man nun allmählich zu einer Entscheidung kommen müsse. Also
wird entschieden, und man einigt sich auf eine Lösung, "mit
der alle leben können", also auf einen Kompromiss. Das heißt, für die Entscheidung sind nicht so sehr die Gründe ausschlaggebend wie die Kräfteverhältnisse, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Meinung der "Platzhirsche" sowie der Teilnehmer, die man auf keinen Fall vergrätzen will. |
- Koalitionen und Mehrheiten
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Vermutlich haben Sie, während Sie dies lesen, zahlreiche
Sätze auf den Lippen, die mit "Aber" beginnen: Aber man muss
doch irgendwie zu einer Einigung kommen! Aber anders geht
es doch gar nicht! Aber man kann doch die Standpunkte wichtiger Akteure nicht einfach ignorieren! Aber was gibt es daraus denn auszusetzen,
und was ist die Alternative? |
- Was wäre die Alternative?
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Kriterium Realitätstauglichkeit |
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Natürlich ist es wichtig, zu einer Einigung zu
kommen. Allerdings ist das "Wie" in dem "Irgendwie" nicht ganz gleichgültig.
Denn die gefundene Lösung taugt ja nur dann etwas, wenn sie
sich in der Praxis bewährt. Und dafür ist ein breiter Konsens
durchaus keine Garantie: Weder ein Kompromiss noch eine Mehrheitsentscheidung noch die Durchsetzungsfähigkeit einzelner Akteure bietet die Gewähr, dass die so gefundene Lösung wirklich funktioniert. Bei Kompromissen zählt häufig weniger die Realitätstauglichkeit der Lösung zählt als deren Anschlussfähigkeit, sprich, dass alle einigermaßen damit leben können. Von daher dient auch die in vielen Unternehmen und Behörden so beliebte breite "Abstimmung" von Entscheidungen nicht deren Realitätstauglichkeit, sondern nur der Sicherung einer breiten Akzeptanz. |
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Für die Realitätstauglichkeit einer Entscheidung ist ihr rationaler
Gehalt ausschlaggebend, und den erreicht man nicht durch Dominanz,
Hartnäckigkeit und andere Gruppenprozesse. Bestmögliche Realitätstauglichkeit
ist nur durch eine nüchterne, systematische Sammlung, Bewertung
und Abwägung der Sachargumente ohne Rücksicht auf Rang, Eloquenz
und bestehende Überzeugungen zu erreichen. |
- Nüchterne Analyse der Fakten
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Trotzdem ist es nicht damit getan, emotionalen Konsens einfach
durch rationalen Konsens
zu ersetzen. Denn die Rationalität hat auch ihren Haken: Sie gewährleistet zwar Realitätsdichte,
ist aber eine sehr trockene und wenig motivierende Angelegenheit.
Nach einer sorgfältig durchgeführten rationalen Analyse weiß
man zwar so genau, wie es auf Basis der vorhandenen Informationen
überhaupt möglich ist, was die richtigen Maßnahmen sind, hat
aber keinerlei Motivation, sie auch umzusetzen. Denn, wie
Michael Löhner es treffend auf den Punkt gebracht hat: "Rationalität
erzeugt keine Energie". |
- Der Haken der Rationalität
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Nun haben wir ein Problem: Emotionaler Konsens gewährleistet
keine Praxistauglichkeit, Rationalität erzeugt keine Energie.
Was tun?
Für optimale Ergebnisse ist es notwendig, den rationalen und
den emotionalen Konsens zusammenzuführen – und zwar möglichst
so, dass sich nicht ihre jeweiligen Mängel, sondern ihre Stärken
vereinen. In der Praxis geschieht häufig das genaue Gegenteil:
Man legt sich frühzeitig und "aus dem Bauch heraus" auf Positionen
fest und missbraucht dann seinen Verstand, um Argumente für die
eingenommene Position zu finden und sie mit aller Macht durchzusetzen.
Damit verbarrikadiert man seinen Kopf gegen jedes Lernen und
lässt zugleich auch seiner Intuition keine Chance, sich weiter zu entwickeln und zu entfalten. |
- Rationalität erzeugt keine Energie
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Rationalen und emotionalen Konsens zusammenführen |
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Um die Stärken zu verbinden, sollte man zunächst seinen analytischen
Verstand benutzen. Das heißt, Sie sollten sich gemeinsam mit Ihrem Team bemühen, so
rational wie möglich die beste Entscheidung herauszuarbeiten.
(Mögliche Methoden hierfür sind unter dem Stichwort Rationaler
Konsens erläutert.) Wenn sie gefunden ist (und erst dann!!),
kann man sich daran machen, die getroffene Wahl mit Energie,
also mit Emotionen zu hinterlegen. Und wie geht das? |
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Beginnen Sie damit, dass Sie sich und Ihre Kollegen fragen,
was Ihre Intuition zu der analytisch getroffenen Entscheidung sagt. Wenn Sie
feststellen, dass die gefundene Lösung für alle Beteiligten
auch intuitiv überzeugend und "rund" ist, haben Sie nicht
nur eine wichtige Querprüfung vorgenommen, sondern auch ein
erstes Stück Energie mobilisiert. Wenn dagegen auch nur einzelner
Beteiligter "Bauchschmerzen" gegenüber der gefundenen Lösung
hat, dann lohnt es sich unbedingt, diesen Vorbehalten sorgsam
nachzugehen – und zwar nicht durch Überreden, also mit dem Ziel, ihm
sein Unbehagen "auszureden", sondern explorativ, um es zu ergründen
und zu verstehen. Gehen Sie dabei nach der eisernen Regel:
Wenn Ratio und Intuition nicht im Einklang stehen, dann stimmt etwas nicht. Dann besteht weiterer Klärungsbedarf. |
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Das erfordert ein Stück Geduld und Selbstdisziplin. Denn
wenn Sie selbst mit der Entscheidung ein gutes Gefühl haben,
werden Sie überhaupt keine Lust mehr haben, sie noch einmal
in Frage zu stellen. Es lohnt sich trotzdem. Entweder löst
sich das Unbehagen Ihres (oder Ihrer) Kollegen in dem Maße
auf, wie es klarer formuliert werden kann – oder aber es verstärkt
sich. Im ersteren Fall entsteht zusätzliche Energie, weil
die Betreffenden dann auch mit dem Herzen Ja zu der Entscheidung
sagen können, sodass sie die Gruppe emotional nicht mehr "bremsen".
Im zweiten Fall treten neue Aspekte zutage, die bei der bisherigen Entscheidung
nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dann sollte die rationale
Analyse noch einmal aufgenommen und vertieft werden, indem
man prüft, welche Bedeutung und Tragweite diese zusätzlichen
Aspekte haben.
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Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass in solchen Fällen immer
die Intuition recht
hat – obwohl ich im Zweifelsfall ihr den Vorzug geben würde.
Wie im Beitrag über Intuition erläutert, kommt es gar nicht so selten vor, dass sich die
Intuition durch eine genauere Analyse der Fakten und Zusammenhänge
verändert. Deshalb sollte man sich auf die Intuition erst
nach Ausschöpfen aller Möglichkeiten des Verstandes verlassen,
und nicht von Anfang an, wie es gerne von manchen Menschen
praktiziert wird, die hoffen, sich auf diese Weise die Anstrengung des Denkens zu ersparen. |
- Abgleich von Verstand und Gefühl
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Weitere Energie für die getroffene Entscheidung können Sie
mobilisieren, indem Sie sich den Nutzen der Entscheidung vergegenwärtigen
und mit Ihren Mitarbeitern und Kollegen die Frage diskutieren,
ob und aus welchen Gründen dieser Nutzen die Anstrengungen
und Mühen wert ist, die zu seiner Erreichung erforderlich
sein werden. Und schließlich ist eine der wirksamsten, schon
seit der Antike bekannten Methoden, sich selbst zu begeistern,
dass man sich zur Aufgabe stellt, anderen die gefundene Lösung
zu "verkaufen". |
- Mobilisierung von Energie
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- Wir unterstützen Sie gern!
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© 2002 Winfried Berner / letzte Revision 7.11.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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