Stellenbesetzungen: Die Phase der Lähmung möglichst kurz halten |
|
Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
|
Wer Angst
um seinen Job hat oder im Unklaren über seine berufliche Zukunft ist, der bringt nicht die volle Leistung: Ein Großteil seiner Energie
geht zwangsläufig in die ständige Beobachtung der Entwicklungen,
in Absicherungsaktivitäten und in das Nachdenken über berufliche Alternativen.
Dies wird zum Problem, wenn bei Fusionen oder Umstrukturierungen
ein aufwändiges Stellenbesetzungsverfahren durchgeführt wird, das
auf möglichst faire und objektive Weise die beste Person für die
jeweilige Aufgabe bestimmen soll. So etwas kann das Unternehmen
für mehrere Monate lähmen, was das Risiko der Abwanderung
guter Mitarbeiter birgt und das Unternehmen überdies im Markt hochgradig
angreifbar macht. |
|
|
Das Vorgehen bei der Stellenbesetzung ist weitgehend von der Fusionsstrategie
geprägt. Jede Fusionsstrategie zieht von ihrer inneren Logik her
fast zwangsläufig ein bestimmtes Verfahren bei der Besetzung der
Führungspositionen nach sich:
- Bei der Strategie "Eingliederung" werden in aller
Regel auch die Führungspositionen ohne lange Diskussion top-down
besetzt.
- Die Strategie "Best of Both Worlds" legt, wenn sie
ernst gemeint ist, ein aufwändiges Auswahlverfahren nahe, bei dem
alle Kandidaten unabhängig von ihrem Herkunftsunternehmen nach einer
einheitlichen Prozedur beurteilt werden, worauf nach transparenten
Regeln die Stellenbesetzungen erfolgen.
- Die Pseudo-Strategie "Konfliktvermeidung" führt
auch und gerade bei der Stellenbesetzung zur Vermeidung unangenehmer
Entscheidungen: Wenn Abteilungen und Bereiche einfach nebeneinander
stehen bleiben, gilt dies natürlich auch für die entsprechenden
Führungspositionen. Also behalten erst einmal alle (oder doch die allermeisten) ihren Job. In die Freude darüber mischt sich allerdings meist die Vorahnung, dass dies eigentlich nicht das letzte Wort gewesen sein kann.
|
Zusammenhang mit
Fusions-
strategie |
|
|
So autoritär das Top-down-Stellenbesetzungsverfahren bei der Eingliederung
auch ist, es hat einen großen Vorteil: Es geht schnell und ist definitiv. Das
heißt, die Aufregung ist kurz; danach herrschen klare Verhältnisse.
Dies ist, selbst wenn es dabei zu Fehlentscheidungen und Ungerechtigkeiten
kommt, ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber Verfahren,
die präziser, gerechter und partnerschaftlicher sind, aber deutlich länger dauern. Denn durch die schnelle Klärung wird
das neue Unternehmen rasch handlungsfähig; es erspart sich die Lähmung
durch die lang anhaltende Ungewissheit, die mit einem langwierigen Auswahlprozess verbunden ist. Wichtig ist, dass die neuen
Strukturen sofort in Kraft gesetzt werden, sodass dem Unternehmen
und den Mitarbeitern ein lähmendes und potenziell destruktives Nebeneinander
von alter und neuer Welt erspart bleibt. |
Eingliederung: Schnell
klare Verhältnisse |
|
Der Preis für das schnelle Wiedererlangen der Handlungsfähigkeit
besteht darin, dass mit den Personen, die bei der Stellenbesetzung
auf der Strecke bleiben, auch viel Know-how und manche Stärken des
eingegliederten Unternehmens verloren gehen. Dass von
ihrem alten Unternehmen kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, ist
nicht nur für dessen Mitarbeiter schmerzlich, sondern es heißt auch,
dass die Chance zum gegenseitigen Lernen entfällt. Das vereinfacht
zwar manches und erspart viele Konflikte und zeitraubende Diskussionen;
dafür entschwinden auch viele der Konzepte, Prozesse und Methoden, in
denen das übernommene Unternehmen besser war, ins Nirwana. Die Enttäuschung
darüber, dass ihr "Familiensilber" in derartiger Weise plattgemacht wird, kann zur Abwanderung
von Mitarbeitern und Managern führen, die von diesen Konzepten und
Methoden fest überzeugt sind, weil sie sie selbst mit entwickelt
oder im Laufe der Zeit immer weiter verbessert haben. Und das sind
normalerweise nicht die schlechtesten Leute. |
Verlust von Personen
und Know-how |
|
"Best of Both Worlds" in der Praxis |
|
Der mühseligste Weg der Stellenbesetzung steht den Unternehmen
und ihren Führungskräften bevor, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Fusionsstrategie
"Best of Both Worlds" ernsthaft in die Praxis umzusetzen. Denn dieses Programm verpflichtet
sie geradezu, auch bei der Besetzung der Führungspositionen mit
größter Sorgfalt sicherzustellen, dass tatsächlich die Besten aus beiden Welten ausgewählt
werden. Was bei allem Charme in der Praxis einen ganzen Rattenschwanz von Problemen
aufwirft. |
|
Das erste große Problem entfaltet sich um die Frage: Wie findet man eigentlich heraus, was "die Besten" sind? Falls die fusionierenden Unternehmen unterschiedliche Strategien, Geschäftsmodelle und Managementphilosophien hatten – was ja so gut wie immer der Fall ist –, haben sie fast zwangsläufig auch unterschiedliche Maßstäbe dafür, was "die Besten" sind. Es gibt also keinen gemeinsamen Maßstab, und man kann auch nicht einfach die Maßstäbe eines der beiden Unternehmen verwenden, ohne das andere zu benachteiligen und vor den Kopf zu stoßen. Streng genommen müsste man also, bevor man sich an die Arbeit machen kann, erst einmal gemeinsame Maßstäbe für die Beurteilung und Leistungsprognose von Führungskräften erstellen. Und damit dies nicht rein willkürlich ist, müsste man diese Kriterien an der Strategie des neuen, fusionierten Unternehmens ausrichten. Beides ist natürlich unter dem Zeitdruck einer Integration nicht sonderlich realistisch. |
Keine gemeinsamen Maßstäbe
|
|
Dies ist die Stunde der Groß- und Einzelhändler von
Auswahlverfahren. Zahlreiche HR-Berater und Headhunter bieten Assessment Center, Management Audits und andere Methoden an, die es angeblich
mit begrenztem Aufwand möglich machen, die Qualität der Führungskräfte
treffsicher zu bestimmen. Das Problem ist nur, dass
jedes standardisierte Verfahren zwangsläufig genau die Dinge wegkürzt,
die das Besondere der jeweiligen Funktion ausmachen. Einen Controller,
einen Vertriebsmann und einen Werksleiter an den gleichen Kriterien
zu messen, ist im Grund grober Unfug. |
Auswahl-
verfahren und ihre Tücken |
|
Doch damit nicht genug. Die nächste schwierige Frage lautet: Wie
sollen die Leistungen der Vergangenheit gegenüber dem Abschneiden
in dem Auswahlprozess gewichtet werden? Ist es wirklich fair, die
Performance in einer mehr oder weniger künstlichen Test- oder Interviewsituation
gleich hoch oder sogar höher zu gewichten als die Führungsarbeit, die jemand
in 5, 10 oder 20 Jahren geleistet hat? |
Bewertung erbrachter
Leistungen |
|
Falls die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen angemessen
berücksichtigt werden sollen, steht man sofort vor dem nächsten
Problem: Wie kann eine halbwegs vergleichbare Bewertung der Vergangenheit
erreicht werden, wo doch die beiden Firmen nicht nur unterschiedliche
Beurteilungssysteme hatten, sondern auch völlig unterschiedliche
Erfolgsmaßstäbe und Anspruchsniveaus? Und wie aussagekräftig sind
Leistungen der Vergangenheit überhaupt, wo es doch eigentlich nicht um die Leistung der Vergangenheit geht, sondern um die Vorhersage
künftiger Leistungen, die unter veränderten Rahmenbedingungen stattfinden werden? |
Mangel an vergleichbaren Daten |
|
Zwar ist es möglich, auf diese und andere Fragen vernünftigen Antworten
zu finden (siehe unten). Aber es ist diffizil und vor allem zeitraubend.
Und was noch schlimmer ist: Wenn das System schließlich fertig ist,
ist es mit großer Wahrscheinlichkeit so kompliziert, dass es nur
noch Insider durchschauen – was unweigerlich Misstrauen und heftige
Kritik hervorruft. Objektive Gerechtigkeit und wahrgenommene Gerechtigkeit
gehen leider nicht unbedingt Hand in Hand. |
Zeitraubender Weg
zur Gerechtigkeit |
|
Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem neuen Buch "Systemische Post-Merger-Integration – Dem Culture Clash zuvorkommen und Unternehmenskulturen wirklich integrieren" (Schäffer-Poeschel 2017). Es gibt Ihnen eine systematische, leicht verständliche Einführung in das Gesamtthema und zeigt, wo die Fallstricke bei der Integration von Unternehmen liegen und worauf Sie Ihr Augenmerk richten sollten, um Ihre Integration zum Erfolg zu führen.
Mehr Informationen über das Buch "Systemische Post-Merger-Integration"
|
Buch
"Systemische Post-Merger-Integration"
|
|
Drei bis fünf Monate Lähmung |
|
Sehen wir uns einmal an, was es konkret bedeutet, wenn in einem
mittelgroßen Konzern über die Besetzung von drei bis vier Führungsebenen
entschieden werden muss. Nehmen wir dazu an, man habe sich klugerweise
entschieden, im Auswahlverfahren jeweils zwei Führungsebenen zusammenzufassen,
so dass insgesamt nur zwei Auswahlrunden erforderlich sind. Die
grundsätzliche Verständigung auf das Verfahren einschließlich der
Auswahl externer Berater,
die es begleiten, wird etwa 4 – 8 Wochen dauern, die Kommunikation
und die Beantwortung von Fragen noch einmal 2 Wochen. Parallel dazu
können Vorarbeiten stattfinden, die – einschließlich der Schulung
der Interviewer / Assessoren – insgesamt rund 4 Wochen in Anspruch
nehmen. Die Durchführung dauert pro Ebene 2 – 3 Wochen, die Kommunikation
der Ergebnisse noch mal eine Woche. |
|
Die zweite Runde kann erst stattfinden, wenn die oberen Führungspositionen
besetzt sind, denn diese Ebenen sollten ja am Auswahlverfahren für
ihre künftigen Mitarbeiter mitwirken: Sowohl aus Gründen der Akzeptanz als auch wegen der schlichten Menge der Kandidaten, die zu bewältigen ist. Dafür wiederum müssen sie geschult
werden. Wenn wir für die zweite Runde noch einmal 4 – 8 Wochen veranschlagen,
kommen wir in Summe auf 15 bis 23 Wochen, also 3 – 5 Monate. Diese
Zeitspanne ist für die Berater, die den Auswahlprozess begleiten
und daran verdienen, mit Sicherheit leichter zu ertragen als für
die betroffenen Führungskräfte und deren Mitarbeiter. |
|
Man muss sich keine Illusionen manchen: In diesen Monaten wird
im Unternehmen nicht viel laufen. Das Tagesgeschäft wird "mit halber
Kraft voraus" gehen, doch das Unternehmen wird weder zeitnah auf
Marktentwicklungen reagieren, noch wird es Initiativen entfalten,
die im Markt Akzente setzen. In dieser Phase sind fusionierende
Unternehmen extrem angreifbar durch klug eingefädelte Attacken von
Wettbewerbern, gleich ob sie auf wichtige Kunden zielen oder auf
die Abwerbung von Führungskräften. Auch die Integrationsarbeit selbst
wird an vielen Stellen von der offenen Führungsfrage erschwert.
Denn wen soll man zum Beispiel zu Abstimmungsgesprächen über die
Bereinigung des Produktportfolios oder die IT-Integration einladen,
wenn noch nicht feststeht, welcher der beiden heutigen Chefs für die jeweiligen Funktionen künftig
verantwortlich sein wird? Beide Kandidaten? Keinen von beiden? Deren
Chef? Der hat keine Zeit: Er steckt im Auswahlverfahren für seine nachgeordnete Ebene. |
|
Dazu kommt, dass solch ein Auswahlverfahren zwar vielleicht recht, aber nicht billig
ist. Wenn der Prozess professionell von qualifizierten externen
Berater
begleitet werden soll, und anders ist er kaum durchführbar, müssen
alleine dafür Kosten von mehreren Hunderttausend Euro veranschlagt
werden. Dazu kommt die interne Zeitbindung für Vorbereitung, Durchführung
und Nachbereitung des Auswahlverfahrens, zuzüglich des erheblichen
Zeitaufwands für offizielle und vor allem inoffizielle Kommunikation.
Zwar kann man sich damit trösten, dass es sich dabei um "Ehda-Kosten"
handele (weil die Leute ja eh da sind), aber bei einer ehrlichen
Betrachtung wird man doch ganz erhebliche Opportunitätskosten einräumen
müssen, weil die Leute in der gleichen Zeit ja auch "etwas Vernünftiges"
hätten tun können. |
|
Zu allem Überfluss ist der hohe Aufwand keine Garantie dafür, dass
der Prozess fair abläuft. Da im Normalfall jedes Ursprungsunternehmen
einen Teil der Interviewer bzw. Assessoren stellt, genügt eine Absprache
oder auch nur ein stillschweigender Konsens einer der beiden Seiten,
um die Ergebnisse einseitig zu verzerren. Und jede obere Führungskraft, die an der Besetzung ihrer nachgeordneten Ebenen mitwirkt, kennt die eine Hälfte der Kandidaten deutlich besser als die andere – und wird bei der Auswahl im Zweifelsfall auf Nummer Sicher gehen. Wenn der Prozess durch
ein angesehenes Beratungsunternehmen begleitet wird, macht dies
Verfälschungen schwieriger, aber nicht unmöglich. |
Keine Garantie für
Fairness |
|
Das Verfahren einfach und transparent halten |
|
Viele Gründe sprechen also dafür, ein so aufwändiges und am Ende
doch unbefriedigendes Stellenbesetzungsverfahren nach Möglichkeit
zu vermeiden. Zu groß ist die Gefahr, dass das, was sich am Anfang
so fair und überzeugend anhört, in breiter Enttäuschung und Frustration
endetendet – und vor allem zu einer unendlichen und unendlich zeitraubenden Geschichte wird, die das Unternehmen viel zu lange von seinem eigentlichen Geschäft abhält. Doch das geht nicht immer. Manchmal lässt einfach die Konstellation
der Fusion oder deren politische Rahmenbedingungen keinen anderen
Weg zu. In diesem Fall muss man in den sauren Apfel beißen
– sollte aber dann aber aktiv dafür sorgen, dessen Säure, so gut es
geht, zu mildern. Dafür muss es darum gehen, das Verfahren einfach
zu machen, es zu beschleunigen und es so transparent wie möglich
zu halten. |
Wenn es unbedingt sein
muss |
|
Das Verfahren einfach und transparent zu halten, heißt in erster
Linie, nicht zu viele Elemente aufzunehmen und auf schwer durchschaubare
Methoden (wie z.B.
Tests und Assessment Center) zu verzichten. Zwar ist der prognostische
Wert professionell durchgeführter Assessment Center höher als der
von Interviews, aber das Vorgehen und seine Auswertung sind für
die Betroffenen unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen weniger
transparent; sie lösen daher mehr Ängste
und Zweifel aus. Um die Aussagekraft der Interviews zu erhöhen,
ist es sinnvoll, gemeinsame Kriterien zu definieren, die Gespräche
als strukturierte Interviews durchzuführen und Fallstudien ("Critical Incidents") aus dem
jeweiligen Arbeitsgebiet einzubauen. |
|
Im Grunde gibt es nur zwei Wege, bei den Interviews für nachvollziehbare
Fairness zu sorgen: Eine paritätische Zusammensetzung der Interviewer
oder die Delegation der Aufgabe an Externe, etwa in Form eines Management Audit (oder Management Appraisals) durch eine seriöse und neutrale Personalberatungsfirma.
Wobei natürlich auch Mischformen möglich sind, zum Beispiel jeweils
ein Interview mit einem Manager, der aus dem einen bzw. dem anderen
Ursprungsunternehmen kommt, sowie eines mit einem Externen. |
Paritätisches Setting
oder neutrale Dritte |
|
Dieses paritätische Setting ist für die Akzeptanz des Verfahrens
sehr wichtig. Zu warnen ist deshalb vor dem Argument: "Wir sind
jetzt alle eine Firma, deshalb spielt es keine Rolle, aus welchem
Ursprungsunternehmen die Interviewer kommen!" Das mag durchaus ehrlich gemeint
sein, dennoch wäre es der falsche Weg, weil für die Betroffenen hochgradig bedrohlich. Denn für sie hieße das, dass ihr weiteres berufliches Schicksal möglicherweise in den
Händen eines Managers "der anderen Seite" liegen wird, den sie noch nie gesehen haben
und der möglicherweise seine eigenen Leute bevorzugt. So etwas werden
sie selbst dann als grob unfair empfinden, wenn sie den Prozess
"überleben". |
Noch nicht "eine Firma"
|
Was die Trennschärfe und den prognostischen Wert ("Validität") eines solchen Vorgehens betrifft, darf man sich keine Illusionen machen: Natürlich ist es absurd, in drei ein- bis zweistündigen Gesprächen
die Kompetenz, Fähigkeit und Eignung eines Managers einschätzen
zu wollen. Dies führt immer zu einer Überschätzung von rhetorischen
und analytischen Fähigkeiten gegenüber den für die Praxis so wichtigen
Merkmalen wie Stehvermögen, langfristiger Glaubwürdigkeit
und der Fähigkeit, Menschen zu entwickeln. Trotzdem ist das Verfahren
fair: Es benachteiligt beide Seiten in gleicher Weise. Die Folge:
Nicht alle Entscheidungen werden gelobt werden, aber das Vorgehen
insgesamt wird als gerecht akzeptiert. |
|
Nutzung der vorhandenen Erfahrung |
|
Sowohl die diagnostischen Mängel von Interviews als auch die Fairness
gegenüber den Betroffenen sprechen dafür, im Stellenbesetzungsverfahren
auch die Leistungen aus der Vergangenheit zu berücksichtigen. Aber
das wirft große praktische Probleme auf, denn nur in den wenigsten
Unternehmen gibt es Leistungsbeurteilungen für Führungskräfte, die
in ihren Einstufungen – was auch immer die Kriterien sein mögen
– aussagekräftig zwischen Spitzenleistern, dem Mittelfeld und der
Nachhut differenzieren. Eine nachträgliche
Leistungsbeurteilung, die eine solche Differenzierung vornimmt,
ist kaum durchführbar; sie würde zu einem Aufruhr führen und zudem
erhebliche arbeitsrechtliche Probleme aufwerfen. |
Wertung der bisherigen
Leistung |
|
Die vermutlich beste Lösung für dieses Problem ist ein "Forced
Ranking", das heißt die Einstufung aller in Rede stehenden Manager
in eine Rangreihe bzw. in drei (oder vier oder fünf) gleich große
(!) Gruppen: "(weit) überdurchschnittlich", "Mittelfeld" und "unterdurchschnittlich".
Diese Einstufung muss durch das Top-Management des Unternehmens
geschehen, zu dem der betreffende Manager bis dato gehörte. Natürlich
ist auch das nicht konfliktfrei, weil, wenn es nicht im Geheimen
geschehen soll, auf diesem Weg wird manchen Managern möglicherweise zum
ersten Mal ihre wirkliche Einschätzung durch das Top-Management
deutlich. |
|
Eine "sanftere" Alternative ist, dass jedes Unternehmen eine
bestimmte Zahl von "Jokern" für seine besten Leute setzen darf.
Also beispielsweise: Was sind unsere besten 15 oder 20 Prozent, die wir unter allen Umständen in das neue, vereinigte Unternehmen mitnehmen sollten? Doch auch dieses Verfahren hat seine Tücken: Die breite Mehrheit
wird das natürlich als Benachteiligung empfinden. Die nicht Gesetzten werden sich darin einig sein, dass hier nicht die Fähigsten gesetzt worden wären, sondern die besonderen Lieblinge des Top-Managements. Doch diesen Vorwurf kann man aushalten. |
|
Diese Einstufungen müssen dann nur noch in einem zu vereinbarenden
Gewichtungsverhältnis (z.B. 70:30 oder 50:50) mit den Ergebnissen
der Interviews saldiert werden; dann steht das rechnerische Endergebnis
fest. An einem Dilemma kann freilich auch das sauberste Verfahren nichts
ändern: Dass man in dem einem Fall zwei ausgezeichnete Kandidaten
für einen Job hat und im anderen zwei, von denen einen eigentlich
keiner überzeugt. Infolgedessen "erlauben" oder empfehlen manche Unternehmen den unterlegenen Kandidaten, sich für andere Positionen zu bewerben – was einerseits durchaus sinnvoll ist, andererseits natürlich die Komplexität erhöht und neue Betroffenheiten schafft. |
|
Damit das gesamte Stellenbesetzungsverfahren funktioniert, ist
wichtig, dass die Personalabteilung in diesen Monaten voll funktionsfähig
ist, was wiederum voraussetzt, dass dort klare Verhältnisse über
die eigene Zukunft herrschen. Zu hoffen ist, dass niemand auf die
(allzu naheliegende) Idee kam, die dortigen Synergiepotenziale sofort
nach der Fusion zu realisieren. Denn wenn die Personalabteilung
unterbesetzt, nicht eingespielt und verunsichert ist, wird sie das
erhebliche Arbeitspensum, das mit dem Stellenbesetzungsprozess auf sie zukommt, weder von der
Menge noch von der Koordination her sauber bewältigen. Und dann
droht das Auswahlverfahren im Chaos zu enden: Schlechte Kommunikation
und nicht funktionierende Abläufe verstärken den Stress bei allen
Beteiligten und führen unvermeidlich zu der Diskussion, ob es sich
bei den sich häufenden Pannen um Dilettantismus oder um böse Absicht
handele. |
Leistungsfähige
Personalabteilung erforderlich
|
|
Angespanntes Klima, hoher Kommunikationsbedarf |
|
Über die gesamte Dauer des Stellenbesetzungsverfahrens muss Ihnen
bewusst sein, dass die Betroffenen alles, was da abläuft, mit Besorgnis,
Nervosität und Misstrauen beobachten. Nehmen Sie es nicht persönlich,
wenn Ihnen dabei auch von Personen Misstrauen entgegenschlägt,
die Sie eigentlich kennen müssten und Ihnen daher vertrauen sollten.
Denn wenn es um ihren Job geht, brechen bei vielen Menschen tiefsitzende
Existenzängste auf, die sie in zuweilen fast schon paranoider Weise
misstrauisch reagieren lassen. |
|
Multipliziert man dieses Phänomen mit der Zahl der betroffenen
Führungskräfte, bekommt man ein Gefühl für das Klima, das während
dieser Monate in dem fusionierenden Unternehmen herrscht.
Diese Atmosphäre ist höchst anfällig für Spekulationen und Gerüchte,
zumal beide Seiten ständig den Verdacht haben, dass "die anderen"
doch in irgendeiner Weise bevorzugt würden oder das Verfahren zu
ihren Gunsten manipulierten. In dieser aufgeladenen Atmosphäre stellen
sich viele Manager, und zwar insbesondere die guten Leute, die Frage,
ob sie bleiben oder gehen
sollen. Und je länger die Verunsicherung dauert, desto wahrscheinlicher
ist, dass gute Leute abwandern. |
|
Wie auch immer das Verfahren am Ende aussieht, Akzeptanz findet
es nur, wenn es frühzeitig, offen und detailliert kommuniziert wird.
Ziel der Kommunikation ist nicht, dass die Betroffenen mit dem Vorgehen
einverstanden sind (obwohl das natürlich wünschenswert wäre), sondern
dass sie es verstehen und sich darauf einstellen können. Das wird
in der Regel nicht in einem Anlauf möglich sein; es ist daher sinnvoll,
nach der ersten Vorstellung des Vorgehens zusätzliche Termine für
Fragen und Antworten und bei Bedarf Einzelgespräche anzubieten.
Dabei wird es natürlich auch Einwände, Kritik und möglicherweise
sogar heftige Vorwürfe geben. |
|
Lassen Sie sich davon weder verunsichern noch beeinflussen! Machen
Sie von Anfang an deutlich, dass Sie bereit stehen, um das festgelegte
Verfahren zu erläutern, nicht aber, um es zu verhandeln. Auch wenn
Sie sich noch so sehr um Gerechtigkeit, Fairness und offene Kommunikation
bemühen, sollten Sie nicht darauf hoffen – und sich schon gar nicht
emotional davon abhängig machen -, dass dies von den Betroffenen
oder auch nur von deren Mehrzahl anerkannt und bestätigt wird. Denn
erstens haben im Zweifelsfall alle Beteiligten Angst, benachteiligt
zu werden. Zweitens werden etliche im eigenen Interesse versuchen,
mit dem Argument der Fairness bzw. der einseitigen Benachteiligung
Druck auf Sie auszuüben, um Ihre Entscheidungen im eigenen Sinne
zu beeinflussen. Je mehr man Ihnen also anmerkt, dass es Ihnen
wichtig ist, Ihr Vorgehen als fair bestätigt zu hören, desto größer
wird der Druck werden. |
Nicht verunsichern
lassen! |
|
Heftige Klagen und wilde Spekulationen, dass die Zusammenführung
und vor allem die Stellenbesetzungen nicht fair liefen, gibt es
in solchen Prozessen immer. Dies ist zum einen ein Versuch, das Management dazu zu veranlassen, mehr "Gerechtigkeit zu den eigenen
Gunsten" zu üben; zum anderen ist es nach getroffenen Entscheidungen die
naheliegende Interpretation der unterlegenen Kandidaten und ihrer Gefolgschaft.
Denn natürlich ist es Selbstwert-schonender, eine Niederlage auf
ein unfaires Verfahren zurückzuführen als darauf, dass der andere
Kandidat besser war. Deshalb tragen die Verlierer meist ihren Teil dazu
bei, die Gerüchteküche anzuheizen. |
Keine Bestätigung
erwarten |
|
Es ist schwierig, unter diesen Rahmenbedingungen persönlich eine
Linie zu finden, die nicht nur fair ist, sondern auch von der Mehrzahl
der Betroffenen als fair empfunden wird. Wenn eine Bestätigung der
Fairness überhaupt kommt, dann kommt sie in aller Regel erst nach Abschluss
des Verfahrens. Dann heißt es schon mal, und zwar auch von Managern,
die auf der Strecke geblieben sind: "Eigentlich war das so, wie
Sie es gemacht haben, schon ganz in Ordnung." Doch selbst darauf
sollten Sie nicht hoffen – das eigentliche Kriterium muss in solch
einem schwierigen Umfeld Ihre eigene Überzeugung sowie die Ihres
Management-Teams sein, das Richtige zu tun. |
Der eigenen Überzeugung
folgen
|
|
Lesetipp für Betroffene und Personalmanager:
Berner, W. (2011): Bleiben oder Gehen – Ihre persönliche Erfolgsstrategie bei Fusionen, Übernahmen oder Umstrukturierungen; redline Wirtschaft, Frankfurt
Berner, Winfried (2017): Systemische Post-Merger-Integration – Dem Culture Clash zuvorkommen und Unternehmenskulturen wirklich integrieren; Schäffer-Poeschel, Stuttgart |
|
Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
Link zum Kontaktformular
oder direkte Mail an w.berner(at)umsetzungsberatung.de
oder Telefon +49 / 9961 / 910044 |
Wir unterstützen Sie gern!
|
|
© 2002 Winfried Berner /letzte Aktualisierung 13.8.2015 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
|
|
Verwandte Themen:
Fusionsstrategie
Integrationskonzept
Synergieeffekte
Management Audit (oder: Management Appraisal)
Überlebensstrategien
|
|
|