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Rezensionen

Wachstum! – Misslungener Versuch einer Beweisführung

Paqué, Karl-Heinz (2010):

Wachstum!

Die Zukunft des globalen Kapitalismus

Hanser (München); 280 Seiten; 19,90 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 5 / 7

Rezensent: Weltwirtschaft, 22.02.2011

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Eine Enttäuschung. Die Frage, ob Wirtschaftswachstum notwendig ist und ob es möglich ist, ohne das Ökosystem zum Kollaps zu bringen, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen. Sie lohnt der Auseinandersetzung – doch dieses Buch ist keine Hilfe dabei.

An prominentem Applaus fehlt es nicht, wenn einer das Wachstum verteidigt. Altbundespräsident Roman Herzog wird auf der Cover-Rückseite mit dem apodiktischen Urteil zitiert: "Eine überzeugende Analyse: Nicht Geld und Gier, sondern Technik und Wissen, sind der Kern dessen, was Wirtschaftswachstum in der Globalisierung ausmacht. Deshalb, so Paqué, muss Wachstum ein politisches Ziel bleiben. Recht hat er." Sprachlich ist das eine sehr prägnante Aussage, gedanklich weniger. Weil Wachstum seinen Kern in Technik und Wissen hat, muss es ein politisches Ziel bleiben – was ist denn das für eine Begründung?! Ist denn automatisch alles politisch anstrebenswert, was auf Technik und Wissen basiert? Biologische und chemische Kampfstoffe basieren auf Technik und Wissen; müssen sie also "ein politisches Ziel bleiben"?

Als bekennender Wachstumsskeptiker – wie soll in einem endlichen System ein unendliches Wachstum möglich sein? – habe ich mir dieses Buch gekauft, um meine Skepsis einmal mit einer fundierten ökonomischen Analyse zu konfrontieren. Denn es bringt ja nichts, nur nach Bestätigung zu suchen: Sie vermittelt zwar ein angenehmes Gefühl, ist aber erkenntnisarm. Stattdessen soll man zu zentralen Fragen von Zeit zu Zeit die Reibung suchen. Sie erzeugt nicht nur Hitze, sondern im besten Fall auch neue Einsichten, weil die eigenen Gedanken der Konfrontation entweder standhalten oder aber einer Korrektur bedürfen.

Bei einem Buch, das, wie spätestens das Ausrufezeichen im Titel klarmacht, eine zentrale These verficht, ist es sinnvoll, besondere Aufmerksamkeit den Prämissen zu widmen. Denn aus einer falschen Prämisse folgt, wie die formale Logik lehrt, Beliebiges. Was für praktische Zwecke so viel heißt wie: Mit den abgeleiteten Schlussfolgerungen ist nichts anzufangen. Die Aufmerksamkeit muss sich daher auf zwei Fragen richten: Erstens, sind die Prämissen des Autors empirisch "wahr" oder doch zumindest plausibel? Und zweitens: Ist die Argumentation schlüssig, mit der der Autor seine Folgerungen aus der Prämisse ableitet? Ist sie logisch stringent oder ließen seine Prämissen möglicherweise auch ganz andere Schlussfolgerungen zu?

Aber da geht das Problem schon los, denn Paqué benennt seine Prämissen nicht explizit, sondern lässt sie mehr oder weniger beiläufig in den Text einfließen. Wenn man sie also überprüfen möchte, muss man sie aus dem mit Exkursen und Nebenaspekten überladenen Text erst einmal heraussuchen – und kann sich dabei nie ganz sicher sein, ob der Autor sie, so auf den Punkt gebracht, tatsächlich unterschreiben würde. Doch was bleibt dem analytischen Leser übrig?

Eine seiner Prämissen scheint zu sein: Wachstum ist notwendig, weil materieller Wohlstand die Menschen glücklich macht. Zwar muss er gleich einräumen, dass der Stand der empirischen Glücksforschung ein ganz anderer ist, nämlich "dass bis zu einem gewissen Pro-Kopf-Einkommen das Glücksgefühl mit steigendem Wohlstand deutlich zunimmt, darüber hinaus praktisch nicht mehr." (S. 18) Aber dieses Ergebnis gefällt ihm nicht, deshalb ist ihm kein Argument zu platt, um es in Frage zu stellen: "So mag ein Südkoreaner sich faktisch nicht unglücklicher fühlen als ein Schweizer mit doppelt so hohem Wohlstandsniveau. Gleichwohl würde er sich – danach befragt – zweifellos für die Zukunft das Einkommen des Schweizers wünschen." (S. 19) Aha – weil er vermutet, dass alle auf Befragen mehr haben wollen, macht die Erfüllung dieses Wunsches glücklich?! Das ist für einen Hochschulprofessor doch eine recht schlichte Argumentation. Seine Hoffnung setzt Paqué aber auf eine Glücksforschung, die "mit neuen Daten und neuen Methoden in eine ganz andere Richtung" deutet, nämlich auf "einen engen, deutlichen und stabilen Zusammenhang zwischen Wohlstand und Glücksgefühl." (S. 19) Die einzige Quelle, die er für diese "andere" Glücksforschung anführt, entpuppt sich beim Blick in das Literaturverzeichnis als ein undatiertes Arbeitspapier. Doch selbst wenn der Zusammenhang zwischen Glücksempfinden und materiellem Wohlstand enger wäre als ihn die empirische Forschung beharrlich ausweist, wäre das kein zwingendes Argument für Wachstum und erst recht kein Beweis, dass es in den Grenzen unseres endlichen Ökosystems realisierbar ist.

Eine zweite Prämisse wird explizit genannt: "Wirtschaftswachstum hilft, die Armut zu bekämpfen." (S. 34) Man beachte: Er sagt nicht, dass es notwendig sei, sondern nur, dass es hilft – formal logisch beschreibt das eine "nützliche" Bedingung, also die schwächste Kategorie. Als Beleg führt er lediglich Korrelationen an, die bekanntermaßen keinen kausalen Zusammenhang belegen: "Laut Weltbank und Vereinten Nationen ging in den Entwicklungsländern der Anteil der Menschen, die von weniger als 1,25 Dollar pro Tag leben, von 42 Prozent (1990) auf 31 Prozent (1999) und 25 Prozent (2005) zurück." (S. 34) Wie aussagekräftig dieser 16-Jahres-Vergleich angesichts des in der gleichen Zeit erfolgten Wertverlusts des Dollars ist, bleibt offen. Dass laut Paqué die Verbesserung der Lage dort am stärksten ausfiel, wo das Wirtschaftswachstum am stärksten war, lässt einen Zusammenhang vermuten, aber der könnte auch, wie bei dem legendären zwischen den Störchen und der Geburtenrate, auf die gemeinsame Abhängigkeit von einem dritten Einflussfaktor zurückgehen. Nicht nur hier argumentiert Paqué analytisch schlampig: Der Frage, ob Wirtschaftswachstum die einzige Möglichkeit ist, die Lage der Armen zu verbessern, oder ob es nur eine Möglichkeit von mehreren ist, und vielleicht nicht einmal die wirksamste, lässt er nicht offen – er lässt sie schlicht unerwähnt.

Eine dritte Prämisse ist noch schwieriger zu bestimmen, weil Paqué sie zwar mit vielen Worten umkreist, aber nie wirklich beim Namen nennt. Sie lautet wohl: Wirtschaftswachstum ist notwendig, weil in einer wettbewerbsorientierten Weltwirtschaft systemimmanent ist. Das liest sich dann etwa so: "… ein ewiges Wettrennen zwischen jenen Regionen der Weltwirtschaft, die Zentren der Wissensproduktion sind, und jenen, die wir (…) als Peripherie bezeichnen können. Das Ergebnis des Wettrennens lesen wir in der Statistik. Es heißt: globales Wachstum. Es ist nichts anderes als die ökonomische Umsetzung all des Wissens, das in der Weltwirtschaft neu entsteht oder neu zur Anwendung kommt." (S. 23) Falls das zutrifft, wäre es in der Tat ein sehr ernstzunehmendes Argument. Denn wenn Wachstum tatsächlich die automatische und zwingende Folge der Anwendung neuen Wissens wäre, wäre Wissensanwendung nicht nur eine notwendige, sondern sogar eine hinreichende Bedingung für Wachstum. Dazu aber müsste gezeigt werden, dass durch die Anwendung von Wissen zwingend ein Netto-Wachstum entsteht, dass also unweigerlich mehr hinzu kommt als dadurch substituiert wird – was Paqué weder thematisiert noch untersucht. Immerhin wäre ja auch denkbar, dass man den Produktivitätsgewinn nutzt, um mehr Freiraum für andere Aspekte des Lebens zu haben.

Stattdessen kommt er mit ökonomischen Stammtischargumenten: "Eine Welt, in der die Nachbarn schnell wachsen, zwingt auch einen selbst, wenigstens mitzuhalten. Das ist fast ein Gebot der wirtschaftlichen Selbstbehauptung, ob man das will oder nicht. Aus der Geschichte gibt es wenige, aber eindrucksvolle Beispiele für Länder und Regionen, die eine vormals starke Innovationskraft verspielten und in Friedenszeiten wirtschaftlich zurückfielen." (S. 30) Man beachte, dass zwischen den ersten beiden Sätzen und dem letzten kein logischer Zusammenhang besteht. Ja, diesen Verfall einstmals blühender Regionen hat es wohl immer wieder gegeben, auch wenn er, soweit bekannt ist, nie darauf zurückging, dass eine Region beschlossen hätte, auf Wirtschaftswachstum zu verzichten. Doch zwischen hechelnder Wachstumsjagd und Verfall könnte es ja auch noch Zwischenlösungen geben. Statt solche Möglichkeiten zu untersuchen, droht Paqué am Beispiel des frühen Norditaliens, wer nicht wächst, mit dem werde es böse enden: "Mehrere Jahrhunderte werthaltiger Handwerks- und Manufakturgeschichte (…) kamen damals zu einem Ende. Und mit ihr eine künstlerische und kulturelle Leistungskraft, wie sie Europa seit dem frühen Mittelalter nicht erlebt hatte. Was ist daran wünschenswert?" (S. 31)

Ebenso pauschal wie überheblich kritisiert Paqué "die Wachstumskritiker" – als ob das eine homogene Schule oder Sekte wäre: "Wachstumskritiker begehen deshalb einen doppelten Irrtum: Nicht nur sehen sie die Produktion durch eine Brille, die nur die steigende Menge wahrnimmt, und nicht die zunehmende Qualität und Vielfalt. Auch die Nachfrage, die der Wohlstand ermöglicht, wird verengt, und zwar auf den schnöden materiellen Konsum. Der 'gefräßige Hund' – dieses hässliche Bild ist hier angemessen." Und kurz darauf: "All dies addiert sich zu einem merkwürdigen Weltbild. Wohlgemerkt: Die meisten Wachstumskritiker sind sich dessen wahrscheinlich gar nicht bewusst. Sie machen sich überhaupt keine tieferen Gedanken, was volkswirtschaftliches Wachstum überhaupt bedeutet. Und wenn sie es täten, würden sie vielleicht selbst vor dem 'gefräßigen Hund' erschrecken und sagen: So haben wir das nicht gemeint. Die Frage bleibt dann allerdings: Wie haben sie es dann gemeint? Auf diese Frage bleiben die Wachstumskritiker die Antwort schuldig, wenn sie immer wieder gegen 'quantitatives Wachstum' zu Felde ziehen. Insofern geht die grundsätzlichste all ihrer Kritiken fehl." (S. 33)

Dabei zeigt er sich erstaunlich schlecht informiert, was den aktuellen Diskussionsstand der Wachstumskritik betrifft. Immer wieder kommt er auf die erste Studie des Club of Rome zurück, die bei Erscheinen seines Buchs immerhin 38 Jahre alt war. Das Literaturverzeichnis weist darüber hinaus noch Meinhard Miegels "Exit" aus, das eher der ökonomischen Belletristik zuzuordnen ist (siehe Rezension), aber dann wird es bereits arg dünn. Weder kennt er offenbar die neueren Arbeiten des Club of Rome noch die beiden Studien "Zukunftsfähiges Deutschland" (BUND / Misereor) noch die zahlreichen Publikationen der "Global Marshall Plan Initiative" noch die Arbeiten kritischer Ökonomen von Binswanger bis Ernst Ulrich von Weizsäcker. Das ist eine ziemlich dürftige Basis für eine Kritik der Wachstumskritik. Gerade angesichts eines langen, rund 180 Titel umfassenden Literaturverzeichnisses hinterlässt das den Eindruck, dass Paqué es an dieser Stelle gar nicht so genau wissen wollte.

Ein erstes Resümee lässt sich trotzdem schon nach dem ersten Teil des Buches ziehen: Dass nämlich (Mainstream-)Ökonomen mit einer fundamental anderen Perspektive an die Sache herangehen als Wachstumskritiker, die eine ökologische Perspektive einnehmen: Während die Ökonomen aus dem bestehenden (Wirtschafts-)System heraus argumentieren, zu dem es in ihren Augen keine Alternative gibt, nehmen die "Ökologen" die Begrenztheit unseres endlichen – und schon ziemlich zerschundenen – Ökosystems als Ausgangspunkt. Für sie muss sich das Wirtschaftssystem an dem Ökosystem orientieren und nicht umgekehrt, weil wir sonst unsere eigene Zukunft und die unserer Nachfahren aufs Spiel setzen. Wo dessen kritische Grenze liegt, ob wir sie schon überschritten oder noch ein paar Jahrzehnte Zeit haben, das weiß niemand so genau; ziemlich sicher aber ist, dass uns ein Wachstum, das seiner Natur nach exponenziell ist, unerbittlich auf diese Grenze zu und über sie hinaus treibt – auch dann, wenn man es als "intelligent" oder "qualitativ" deklariert. Mit Argumenten, die sich aus der inneren Logik des Wirtschaftssystems ableiten, sind sie nicht zu erreichen. Wer sie überzeugen will, müsste aufzeigen, dass in den Grenzen eines endlichen Ökosystems unbegrenzt oder wenigstens noch für ein paar Jahrhunderte weiteres Wachstum möglich ist. Doch dieser Frage stellt sich Paqué nicht einmal ansatzweise; ich bin nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt sieht.

Diese fundamental unterschiedlichen Perspektiven prägen auch den zweiten Teil "Grenzen des Wachstums", wo Paqué zufrieden feststellt, dass "die Vorhersage, oder genauer: das Szenario des Club of Rome" (wiederum von 1972!) nicht eingetreten ist: "Die heute geschätzte Reichweite der weltweiten Ölvorkommen ist nicht kürzer als Anfang der 1970er-Jahre." (S. 74) Über so viel Kurzfristdenken können Ökologen nur den Kopf schütteln: Was sind 38 Jahre – in einem Ökosystem, das uns idealerweise noch ein paar zehntausend Jahre ertragen soll! Immerhin setzt er sich im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen mit den Grenzen des Wachstums überhaupt auseinander, wenn auch auf einem Informationsstand, der von einer Fortbildung durchaus profitieren könnte.

Wie ein Fremdkörper wirkt das umfangreiche dritte Kapitel "Risiken der Finanzmärkte". Denn die Finanzbranche generiert ja kein eigenständiges Wachstum (ebenso wenig wie beispielsweise Personalabteilungen); sie trägt allenfalls indirekt zu Wachstum (und Blasenbildungen) bei, indem sie das nötige Kapital (bzw. zu viel davon zu billig) bereitstellt. Aber merkwürdig: Auf diesem Terrain scheint sich Paqué besser zuhause zu fühlen als bei dem Hauptthema seines Buchs. Seine Darlegungen wirken nun stringenter, sachlicher und damit auch überzeugender als auf den 110 Seiten davor. Und wer bis hier hin durchgehalten hat, wird mit einigen Erkenntnissen belohnt, die mir durchaus erwähnenswert erscheinen: "Auf die Dauer ist es nicht möglich, mit smarten Finanzprodukten Renditen zu erzielen, die weit über dem liegen, was das reale Wachstum der Weltwirtschaft rechtfertigt. Was darüber hinausgeht, ist zusätzliches Risiko, das sich in Krisen entlädt. Und jede kleinere, natürliche Krise enthält das Risiko, eine große zu werden." (S. 157)

Auch wenn diese Aussage unterstreicht, dass die Finanzmärkte für das Thema Wachstum nur ein Seitenaspekt sind, ist interessant, welches Resümee Paqué aus deren Analyse ableitet: "Aus alledem wird klar: Die Möglichkeiten, falsche Einschätzungen von Risiken in Zukunft zu vermeiden, sind überaus begrenzt. Dies liegt in der Natur der Sache: Systemische Risiken sind eben systemisch (und nicht individuell), und sie würden sich letztlich nur vernünftig abschätzen lassen, wenn das System selbst im Vorhinein mit allen Interdependenzen bekannt wäre. Gerade dies ist aber in einem globalisierten Finanzmarkt nicht der Fall, und es war auch zu früheren Zeiten nie der Fall". (S. 152) Mit anderen Worten, wir haben die Geister, die wir gerufen haben, längst nicht mehr im Griff. Es ist uns gelungen, ein System zu bauen, das selbst unsere klügsten Gelehrten nicht mehr durchschauen, geschweige denn beherrschen und steuern können. Angesichts dieses Eingeständnisses nimmt es Wunder, wie man weiter auf ein unbeherrschbares Finanzsystem bauen, auf Risikotechnologien von Atomkraft bis Gentechnik setzen und wie man sich sicher sein kann, die Belastbarkeit unseres Planeten nicht zu sprengen. Und es wird unverständlich, wie man für weiteres ungebremstes Wachstum plädieren kann.

Im vorletzten Kapitel "Der Wandel des Sozialstaats" versucht Paqué aufzuzeigen, dass Wachstum die Lösung für drei wichtige gesellschaftliche Probleme sei: Für die Finanzierung der Gesundheitskosten einer alternden Gesellschaft, für die Arbeitslosigkeit und die dafür erforderliche Behebung von Qualifikationsdefiziten und schließlich für die Rückzahlung der Staatsverschuldung: "So würde ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von nur zwei Prozent pro Jahr die Schuldenquote von fast 80 Prozent innerhalb einer Generation (30 Jahre) auf 44 Prozent senken, ein Wachstum von drei Prozent pro Jahr sogar auf nur noch 33 Prozent." (S. 204)

In der Tat würde Wachstum wohl dabei helfen, all diese Probleme in den Griff zu bekommen. (Formal logisch ebenfalls nur eine nützliche Bedingung.) Auffällig ist nur, dass Volkswirte wie Paqué immer nur vom "hinteren Ende" des Wachstums her argumentieren, also von dessen Folgen und Nutzen her, dass sie aber das "vordere Ende" entschlossen ignorieren, nämlich ob solch ein "nachhaltiges Wachstum" von real (also inflationsbereinigt!) 2 oder gar 3 Prozent über weitere 30 Jahre überhaupt möglich ist, geschweige denn auf lange Sicht. Un-bedacht bleibt dabei sowohl, ob unser Planet das überhaupt verkraften könnte, als auch, wer die verdoppelte bzw. fast verdreifachte Gütermenge konsumieren sollte. Denn die von Paqué beschworene wohltätige (relative) Schrumpfung der Schulden käme ja dadurch zustande, dass das jährlich (!) erzeugte BIP sich über die harmlos klingenden 2 bzw. 3 Prozent innerhalb von 30 Jahren auf das 1,8-Fache bzw. 2,4-Fache aufbläht. Wer soll denn das in einer schrumpfenden Gesellschaft kaufen und verbrauchen?!

Noch absurder wird das Ganze, wenn es man nicht auf 30, sondern beispielsweise auf 300 Jahre rechnet. Das ist von wirklicher Nachhaltigkeit – nämlich, dass die Menschheit auf Dauer so leben und wirtschaften könnte – immer noch weit entfernt, aber es ist wenigstens ein bisschen langfristiger als die lächerliche 30-Jahres-Perspektive, die Paqué anlegt. Bei einem scheinbar geringen durchschnittlichen Wachstum von real (!) 2 Prozent ergäbe sich in 300 Jahren eine Steigerung des BIP auf das 380-Fache, bei 3 Prozent Wachstum auf das 7.098-Fache (!!). (Nein, kein Tippfehler – Zinseszinseffekt!) Offensichtlich sprengt Paqués Erfolgsrezept schon auf mittlere Sicht jede Dimension. Zugegeben aber, dass bei einer solchen Entwicklung des BIP die Staatsschulden nicht mehr das größte Problem wären.

Man wende nicht ein, dass es illegitim sei, Paqués Argumentation durch eine solche Hochrechnung ad absurdum zu führen. Wenn er immer wieder von "nachhaltigem Wachstum" spricht, beansprucht er damit ja selbst, ein Modell des Wirtschaftens vorzustellen, das auf Dauer angelegt ist – und führt sich selbst ad absurdum, wenn es nicht einmal ein paar hundert Jahre durchzuhalten ist. Der Zinseszinseffekt, dessen Durchschlagskraft Paqué an anderer Stelle beschwört, führt dazu, dass die jährlichen Zuwachsraten (!) bei einem zweiprozentigen Wachstum schon nach knapp 200 Jahren so groß sind wie die Ausgangsbasis, von der die ersten 2 Prozent Wachstum berechnet wurden. Bei einem dreiprozentigen Wachstum ist dieser Punkt schon nach 120 Jahren erreicht – dramatisch, wie der scheinbar geringfügige Unterschied zwischen 2 und 3 Prozent auf lange Sicht zu Buche schlägt!

Die "Zukunft des Kapitalismus" hat Paqué damit verspielt – aber er versucht trotzdem noch, sie im fünften und letzten Kapitel zu beleuchten. Doch es kommt nicht mehr viel Neues – außer dem Bekenntnis, dass es kaum möglich ist, vorherzusagen, welche langfristigen Folgen die Entwicklung von der "kleinen" zur "großen Welt der Industrialisierung" für die Weltwirtschaft und deren Wachstum haben wird. Darüber zumindest scheint Konsens möglich – was die Grundfrage, wie ein "nachhaltiges Wachstum" in einem endlichen Ökosystem möglich sein soll, leider nachhaltig unbeantwortet lässt.

Schlagworte:
Wachstum, Wirtschaftswachstum, Grenzen des Wachstums, Limits to Growth, Zinseszinseffekt

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