Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Exzellenter Überblick über ganze Bandbreite von Resilienz

Zolli, Andrew; Healy, Ann Marie (2012):

Resilience

Why Things Bounce Back

Simon & Schuster (New York u.a.); 323 Seiten; 9,99 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 10

Rezensent: Winfried Berner, 21.08.2016

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Während viele Bücher über Resilienz das Thema sehr auf Teilaspekte verengen, ist dieses ausgesprochen breitbandig angelegt und ermöglicht sehr tiefe Einsichten. Dabei angenehm und kurzweilig zu lesen. Sehr empfehlenswert!

Nach Lektüre der knapp 280 Seiten – der Rest sind Anmerkungen, Quellen und Register – war ich sehr zufrieden, aber auch etwas verwirrt: Zufrieden, weil ich wirklich eine Menge gelernt und unerkannte Zusammenhänge verstanden hatte; verwirrt, weil ich nicht so recht hätte auf den Punkt bringen können, wovon genau dieses Buch eigentlich handelt und was seine zentralen "Botschaften" sind. Von Resilienz handelt es natürlich, klar – aber Resilienz in Bezug auf was? Eigentlich in Bezug auf alles, dargestellt an einer unglaublichen Bandbreite von Beispielen, von Korallenriffen über Wirtschaftsunternehmen bis zu Terrornetzwerken, die ja, auch wenn uns das überhaupt nicht gefällt, eine phänomenale Resilienz an den Tag legen.

Zentrale Botschaften recht gut versteckt

Und die zentrale Botschaft? Hier muss ich das ansonsten hervorragende Buch dafür kritisieren, dass das nicht so hundertprozentig klar wird. Mein Resümee nach dem ersten Lesen wäre wohl gewesen, dass Resilienz kein einfaches Ziel ist, das sich durch Beherzigung einiger klarer Prinzipien erreichen lässt, sondern ein komplexes, schwer greifbares und teilweise widersprüchliches Ziel, das sich jeder geradlinigen Optimierung entzieht und zuweilen sogar paradox und "tückisch" auf Optimierungsversuche reagiert, weil Verbesserungen in der einen Dimension zu Verschlechterungen in einer anderen führen können. "Resilience is, like life itself, messy, imperfect, and inefficient. But it survives." (S. 14)

Auch beim zweiten Lesen – eine Ehre, die ich nicht jedem Buch mache – erfordert es einige Disziplin, die zentralen Erkenntnisse herauszudestillieren. Wer mehr will als lehrreiche Unterhaltung, muss sich am Ende eines jeden Kapitels die Mühe machen, den Inhalt Revue passieren zu lassen und aktiv zu rekonstruieren, wofür die Beispiele eigentlich Beispiele waren und welche Prinzipien sich daraus ableiten lassen. Ansonsten hat man halt ein paar spannende Geschichten gelesen und ein paar anregende Gedanken mitbekommen, aber das Lernpotenzial des Buchs nicht wirklich ausgeschöpft.

Die Autoren hätten den Nutzen ihrer Leser noch einmal deutlich mehren können, wenn sie am Ende eines jeden Kapitels in einer Zusammenfassung herausgearbeitet hätten: "Und was lernt uns dies?"

Unerwartete Zusammenhänge

Die Einführung "The Resilience Imperative" macht am Beispiel des mexikanischen "Tortilla-Aufstands" deutlich, wie komplex die Zusammenhänge in unserer heutigen Welt sind und wie überraschend die Wechselwirkungen scheinbar unzusammenhängender Handlungsfelder: Der Preis für Maismehl explodierte nicht, weil die mexikanische Regierung grobe (oder gut bezahlte) Fehler gemacht hätte, sondern weil in den Jahren davor, nicht zuletzt infolge des Hurrikans Katrina, der Ölpreis stark angestiegen war. Damit war die Erzeugung von Agrosprit attraktiv geworden: Der Maisanbau zur Ethanolerzeugung verdrängte den zur Lebensmittelerzeugung. Ohne zu ahnen was ablief, hatten die Mexikaner am eigenen Leib die Konkurrenz zwischen Tank und Teller erfahren – und sie verloren.

Krisen machen zuweilen unerwartete Zusammenhänge zwischen Systemen sichtbar: "One hallmark of such events is that they reveal dependencies between spheres that are more often studied and discussed in isolation from one another. The story of the torrilla riots, for example, makes visible the linkages between the energy system (the oil rigs), the ecological system (Katrina), the agricultural system (the corn harvest), the global trade system (NAFTA), social factors (urbanization and poverty), and the political systems of both Mexico and the United States." (S. 4)

Hauptsache funktionsfähig bleiben

Zolli und Healy definieren Resilienz als "the capacity of a system, enterprise, or a person to maintain its core purpose and integrity in the face of dramatically changed circumstances." (S. 7) Interessant, dass hier die "Stehaufmännchen-Fähigkeit" aus dem Untertitel ("to bounce back") nicht mehr auftaucht, sondern durch eine allgemeine Funktionsfähigkeit abgelöst wird. Das liegt auch daran, dass eine Rückkehr zum Ausgangszustand oft gar nicht mehr möglich ist: "Many of these thresholds may be crossed only in one direction: Once forces have compelled you into a new circumstance, it may be impossible for you to return to your prior environment: You have entered a new normal." (S. 7)

Insofern geht es bei Resilienz eher um Anpassungsfähigkeit als um Robustheit oder Elastizität: Um die Fähigkeit, das eigene Funktionieren auch unter völlig veränderten Bedingungen aufrecht erhalten zu können: "This is what resilience researchers call preserving adaptive capacity – the ability to adapt to changed circumstances while fulfilling one's core purpose." (S. 8)

Dies kann prinzipiell auf zwei Arten erreicht werden: "By improving [the system's] ability to resist being pushed past these kinds of critical, sometimes permanently damaging thresholds, and by preserving and expanding the range of niches to which a system can healthily adapt if it is pushed past such thresholds." (S. 8)

Formen und Strategien der Resilienz

Schon in ihrer unglaublich inhaltsreichen Einführung stellen Zolli und Healy verschiedene "Patterns of Resilience" vor. Wie zum Beispiel Redundanz, engmaschige Feedback-Mechanismen, die Fähigkeit, sich dynamisch zu reorganisieren sowie, wie es auf Englisch beinahe poetisch heißt, "the ability to fail gracefully". Auf Deutsch würden wir hier wohl etwas preußischer davon sprechen, dass ein System, wenn schon, dann wenigstens auf geordnete Weise ausfällt und dabei zumindest seine Grundfunktionen aufrecht erhält. Dass also beispielsweise ein Flugzeug, wenn der Autopilot versagt, zumindest noch manuell steuerbar ist.

Ein wichtiges Element von Resilienz ist auch die Entkoppelung und Modularisierung von Teilsystemen: Je höher die Verzahnung und Verflechtung komplexer Systeme – wie des Stromnetzes oder des Weltfinanzsystems – ist, desto größer ist die Gefahr, dass eine punktuelle Störung etwa in einem länderüberspannenden Stromnetz über eine ebenso eindrucksvolle wie unerwartete Kettenreaktion à la Alexis Zorbas das gesamte System zum Kollaps bringt.

Diese Prinzipien finden wir wieder, wenn es um Menschen und soziale Gemeinschaften geht, aber es kommen einige neue hinzu. Das Wichtigste ist die kritische Rolle von Vertrauen und Zusammenarbeit, "people's ability to collaborate when it counts" (S. 15). Dabei geht es nicht um Konformität, sondern im Gegenteil um Vielfalt: "Diversity plays an enormous role in resilience and is one of its most important correlates" (S. 15). Ebenfalls sehr wichtig sind starke Gemeinschaften, die von sozialem Zusammenhalt, informellen Netzwerken und einer anpassungsfähigen Leitung (adaptive governance) geprägt sind. Und schließlich, schreiben Zolli und Healy, entdeckten sie im Zentrum resilienter Gemeinschaften sehr häufig Persönlichkeiten, die sie als "translational leaders" charakterisieren, also als Personen, die, oftmals hinter den Kulissen, Verbindungen herstellen, Perspektiven zusammenführen und dabei helfen, Lösungen zu entwickeln, die im Interesse aller Beteiligten liegen.

Das Konzept der Resilienz ermöglicht einen neuen Blick auf viele Zukunftsfragen: von der Geschäftsplanung über gesellschaftliche Entwicklungen bis zur Energieversorgung. Es besteht im Kern darin, die Möglichkeit von Rückschlägen ernst zu nehmen und die Grenzen des menschlichen Wissens und der Prognosemöglichkeiten zu akzeptieren. Trotzdem ist es mehr als eine bloß defensive Perspektive: "Instead, by encouraging adaptation, agility, cooperation, connectivity, and diversity, resilience-thinking can bring us to a different way of being in the world, and to a deeper engagement with it. Bolstering our chances of surviving the next shock is important, but it's hardly the sole benefit." (S. 16)

Robust und doch verwundbar

Im ersten Kapitel "Robust Yet Fragile" machen Zolli und Healy auf einen Zusammenhang aufmerksam, der in keinem der Resilienz-Bücher erwähnt ist, die ich bislang gelesen habe: Dass nämlich genau die Eigenschaften und Fähigkeiten, die ein System gegen die eine Art von Bedrohung resilient machen, seine Anfälligkeit für andere, neuartige Arten von Bedrohungen vergrößern können. So hat der menschliche Organismus im Laufe der Evolution eine hohe Resilienz dafür entwickelt, längere Perioden von Mangelernährung zu überstehen – aber genau die Fähigkeit, Fettvorräte anzulegen, einseitige Ernährung zu verkraften und alles Mögliche zu verdauen, macht uns heute anfällig für das bestehende Überangebot an Fett und Zucker.

Ähnlich das Internet: Mit seinem verteilten Transport kleinster Datenpakete ist es völlig resilient gegen die Ausschaltung einzelner Rechner – aber genau diese Struktur schafft Angriffsflächen für Malware und Viren, die praktisch nicht mehr auszurotten sind. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die hochgerüsteten Firewalls und Sicherheitsprogramme – auf welche Weise auch immer – ihrerseits zur Bedrohung werden. Das ist eine schlechte Nachricht weit über das Internet hinaus: Die Hoffnung, durch eine kluge Strategie "resilient gegen Alles" werden zu können, ist wohl vergeblich.

Eine weitere wesentliche Erkenntnis ist, dass es zwischen Resilienz und Effizienz einen nicht auflösbaren Konflikt gibt: Je stromlinienförmiger, "schlanker" und redundanzfreier ein System oder ein Prozess angelegt ist, desto störanfälliger ist er auch. Wo es, wie im Lean Management, im Wertschöpfungsprozess keine Zwischenläger mehr gibt, reicht ein einziger Ausfall, um die gesamte Produktion zum Stillstand zu bringen. Wenn man sich für ein Bauteil auf einen einzigen Lieferanten stützt, der dieses Teil in nur einem einzigen Werk herstellt, dann ist man so aufgeschmissen wie die japanische Industrie nach Fukushima, wenn es dort ein Feuer oder eine größere Havarie gibt.

Ökologie für Banker

Gleich ob es Korallenriffe geht, um Fischfang oder um das Weltfinanzsystem, in Krisen zeigt sich immer wieder, dass die jeweiligen Experten zwar die einzelnen Komponenten ihrer Systeme einigermaßen gut verstehen, aber so gut wie kein Wissen über – und meist auch keinen Blick für – deren versteckte Zusammenhänge und Wechselwirkungen haben. Insofern ist es mehr als eine nette Pointe, wenn Zolli und Healy einen Abschnitt mit "Ecology for Bankers" überschreiben. Sie zitieren darin George Sugihara, einen der Autoren eines gleichnamigen Artikels mit dem Satz: "Economics is not typically thought of as a global systems problem. Investment banks are famous for a brand of tunnel vision that focuses risk management at the individual firm level and ignores the difficult and costlier systems perspective. (…) Ignoring these counterparty obligations and mutual interdependencies is exactly what prevented financial institutions from seeing and appropiately pricing risk, which in turn dramatically amplified the financial crisis." (S. 40 f.)

In der Ökologie ist es gängige Praxis, Energie- und Nährstoffströme in Ökosystemen zu dokumentieren, um ihre Funktionsweise besser zu verstehen. In Anlehnung daran ließ die amerikanische Fed eine Topologie der Interbanken-Zahlungsströme erstellen: "While most banks had a small number of connections, a few hubs had thousands. At the core of the network, just sixty-six banks accounted for 75 percent of the daily value of transfers. Even more telling, the network topology revealed that twenty-five of the biggest banks were completely connected – so intertwined that a failure among any strongly suggested a failure for all, the very definition of 'too big to fail'." (S. 42)

Verschlimmert wird das Ganze noch durch das gigantische Volumen der Finanzderivate, das sich in den Portfolios der Banken befindet und das inzwischen (wieder) ein Vielfaches des Weltsozialprodukts ausmacht. Im Prinzip handelt es sich dabei um hochkomplizierte "Versicherungen" für die unterschiedlichsten Ereignisverläufe und Schadensfälle – eine Mischung von (ein bisschen) vernünftigem Risikomanagement und unzähligen (riskanten) Wetten auf unterschiedlichste Ereignisverläufe. Im Normalbetrieb mittelt sich vieles davon gegenseitig aus – aber das gilt nur, solange alle Beteiligten solvent und liquide sind.

Im Falle einer Krise entstehen jedoch unabsehbare "Counterparty Risks", denn wenn auch nur ein großer Mitspieler insolvent wird, entstehen für dessen Vertragspartner unabsehbare Zahlungsausfälle. Da aber in einer schweren Krise niemand weiß und niemand wissen kann, welche seiner Geschäftspartner noch zahlungsfähig sind, friert das gesamte Finanzsystem ein: Aus der berechtigten Angst, dass die eigenen Ansprüche von insolventen Partnern nicht mehr beglichen werden können, leistet niemand mehr Zahlungen, die er bei einem Ausfall aufrechnen könnte. Das macht verständlich, weshalb Zolli und Healy diese Derivateberge als "Financial Cluster Bombs" apostrophieren.

Frühwarnsignale und resiliente Strukturen

Laut Sugihara gibt es durchaus Frühwarnsignale für einen "System Flip", also ein Umkippen eines (noch) stabilen Systems: "One is a phenomenon called critical slowing – the tendency of a system to become unstable near its threshold point." (S. 48) Darüber hinaus erleben Systeme kurz vor der Destabilisierung häufig eine plötzliche Synchronität, so etwa die Gehirne von Epileptikern kurz vor einem Anfall oder die plötzliche Korrelation relativ unabhängiger Teilmärkte im Vorfeld der Finanzkrise. Aber wenn diese Frühwarnsignale anschlagen, ist schon fast zu spät. Notwendig wäre, im Vorfeld resilientere Strukturen aufzubauen bzw. zu bewahren.

Häufig ist es jedoch gar nicht so einfach, solche resilenten Strukturen zu erkennen, weil sie im Normalbetrieb entweder gar nicht sichtbar sind oder wie überflüssige und ineffiziente Merkwürdigkeiten wirken. Regionalwährungen wie der schweizerische WIR zum Beispiel erscheinen in ruhigen Zeiten wie eine eigensinnige, aber im Grunde entbehrliche Sonderlocke. Erst in Krisenzeiten tritt ihre Fähigkeit zutage, Konjunktureinbrüche abzupuffern und eine funktionierende Regionalwirtschaft aufrechtzuerhalten. Doch diese zweite Währung ist mit Kosten verbunden, etwa denen der Herstellung, der Aufbewahrung und des Umtauschs. Wenn also die Erinnerungen an Krisenzeiten verblasst sind, besteht die Versuchung, die "Prozesse zu vereinfachen" und diese "alten Zöpfe" abzuschneiden.

Die zentralen Erkenntnisse des ersten Kapitels fassen Zolli und Healy so zusammen: "As we've seen, the fragility and resilience of most systems begins with their structure. The complexity, concentration, and homogeneity of a system can amplify its fragility; the right kinds of simplicity, localism, and diversity can amplify its resilience. The lens of resilience suggests, for example, that what's needed is a smaller, simpler, more accountable, and more decouplable financial system, with genuinely diverse participants, that is more closely aligned with its original purpose – providing liquidity to organizations and individuals – than with its more recent one, which seemed to be engineering wealth from thin air." (S. 59f.) Davon zumindest sind wir heute wohl weiter entfernt denn je.

Was haben Terroristen und Tuberkulose gemeinsam?

Nachdem sie uns schon auf den ersten Seiten mehr fundamentale Einsichten vermittelt haben als sonst ganze Bücher, untersuchen Zolli und Healy in den folgenden Kapiteln unterschiedliche Formen und Muster von Resilienz. Im zweiten Kapitel "Sense, Scale, Swarm" wenden sie sich einer besonders unangenehmen Art von Resilienz zu, nämlich der von Terrornetzwerken und hartnäckigen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose. Deren überraschende Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie sich für ihre Gegner fast unsichtbar machen können, indem sie zeitweilig jede Aktivität einstellen.

Schwer auszuschalten sind sie auch deshalb, weil sie ohne hierarchische Strukturen auskommen und eher den Charakter eines Schwarms haben. Klassische Methoden, sie zu bekämpfen, wie etwa der Versuch, sie mit Militär bzw. Breitbandantibiotika zu attackieren, gehen daher ins Leere. Auch ist es kaum möglich, ihre Führung auszuschalten: "In a network, everyone is number three." (S. 66) Um sie wirksam zu bekämpfen, muss man sich an ihre Funktionsweise anpassen, etwa indem man in solche Netzwerke eindringt, sie ausforscht und dann sehr schnell gezielt und "schwarmartig", das heißt, an vielen Orten gleichzeitig, zuschlägt.

Derartige Resilienz würde man manch anderem Netzwerk wünschen, auf dessen Leistungsfähigkeit wir angewiesen sind, wie beispielsweise dem Stromnetz. Heute besteht es aus ungeheuer komplexen, miteinander verwobenen Strukturen, die gigantische Mengen von Strom von den erzeugenden Großkraftwerken über erhebliche Entfernungen zu den industriellen und privaten Verbrauchern pumpen. Da der allermeiste Strom noch in der Sekunde seiner Erzeugung verbraucht wird, bedarf es einer überaus reaktionsschnellen Steuerung, um einen sekundenschnellen Ausgleich zwischen Verbrauchsschwankungen und den Eigenheiten der verschiedensten Kraftwerkstypen herzustellen und dabei die Belastbarkeit jeder einzelnen Leitung einschließlich allfälliger Ausfälle und Reparaturen zu berücksichtigen.

Mit wachsender Komplexität und Vernetzung wächst das Risiko, dass lokale Störungen, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und "eingefangen" werden, über kaskadierende Kettenreaktionen zu großflächigen Netzausfällen führen. Diese Art der Stromerzeugung und -verteilung ist "robust und doch fragil". Sie könnte allmählich abgelöst werden durch ein dezentrales System, bei dem die Erzeugung nahe am Ort des Verbrauchs stattfindet, sodass das Netz primär die Funktion des "Lastenausgleichs" übernimmt. Ein solches Netz käme ohne Starkstromtrassen aus und wäre überdies resilienter, weil es im "Krisenfall" auf eine Inselstruktur zurückfallen könnte, sodass Ausfälle lokal oder regional begrenzt wären. Und es hätte wohl keine zentrale Steuerung mehr, sondern wäre ein "system of systems" (S. 85)

Die Stärke von Clustern

Wenn dezentrale Strukturen so nützlich sind, um Resilienz zu schaffen, fragen Zolli und Healy im dritten Kapitel "The Power of Clusters", warum beobachten wir dann oft das vermeintliche Gegenteil, nämlich die Zusammenballung von Strukturen? Silicon Valley, Berlin, New York, London – in vielen Fällen geht die Entwicklung offenbar eher in Richtung von Zusammenballungen als zu einer gleichmäßigen Verteilung. Ein wesentliches Element der Erklärung ist, dass die Bündelung offenbar zu einer Produktivitätssteigerung führt. Sie zitieren den Biophysiker Geoffrey West mit den Worten: "When you double the size of the city, you produce, on average, fifteen percent higher wages, fifteen percent more fancy restaurants, but also fifteen percent more AIDS cases, and fifteen percent more violent crime. Everything scales up by fifteen percent when you double the size." (S. 98)

Allerdings müssen diese Großstrukturen vital bleiben, wenn sie sich halten wollen. Sie müssen sich ständig neu erfinden, damit sie nicht zum Opfer ihres eigenen rasanten Wachstums werden. Das heißt, ihre Resilienz liegt in ihrer Fähigkeit, sich zu erneuern, und die wiederum lebt von der Vielfalt: "It's this densely packed distributed diversity that lends cities (…) their ability to innovate when one economic wave crests – it ensures there are always new groups jockeying to embrace the next wave, and different kinds of thinking and capacities are at the ready to deal with the inevitable disruptions that ensue." (S. 100)

Womit die Resilienz von Individuen zusammenhängt

Im vierten Kapitel "The Resilient Mind" wenden sich Zolli und Healy der Resilienz von Individuen zu. Und stellen dabei zunächst fest, dass die meisten Menschen da gar nicht so schlecht sind: Die Traumatisierung durch belastende Ereignisse ist entgegen der Freud'schen Lehre keineswegs zwangsläufig. Vielmehr zeigen Längsschnittuntersuchungen, dass selbst nach furchtbaren Erfahrungen maximal ein Drittel der Betroffenen eine "posttraumatische Belastungsstörung" entwickeln, während der größere Teil sie relativ schnell zu überwinden scheint. Auch die von Psychoanalytikern als unverzichtbar beschworene "Trauerarbeit" ist keineswegs die zwangsläufige Voraussetzung für eine Erholung: Vielen Menschen gelingt sie auch so, ohne dass sie irgendwann zum Opfer einer Depression werden.

Angesichts der Durchgängigkeit und Konsistenz dieser "Drittelung" über viele Studien und Belastungsfaktoren fragen Zolli und Healy, warum das so ist. Ihre Antwort klingt freilich etwas naiv: "One possible answer is that the design ensures that there is always at least a sizable minority, or even a majority, to take care of those deeply affected by trauma." (S. 127) Das wäre ohne Zweifel sehr fürsorglich von der Evolution – auch wenn es noch netter gewesen wäre, wenn sie gleich allen eine posttraumatische Belastungsstörung erspart hätte.

Plausibler ist da schon die Suche nach Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen, die mit Resilienz korrelieren. Dazu zählen – wenig überraschend – Optimismus, Zuversicht und Selbstkontrolle. Darüber hinaus führen sie eine Eigenschaft namens "Hardiness" (Widerstandsfähigkeit) auf – was ein wenig nach Tautologie klingt, auch wenn sie diese "Hardiness" an drei Grundüberzeugungen festmachen, die man vielleicht weniger mit Widerstandsfähigkeit als mit Sinngebung in Verbindung bringen würde: "(1) the belief that on can find a meaningful purpose in life, (2) the belief that one can influence one's surroundings and the outcome of events, and (3) the belief that positive and negative experiences will lead to learning and growth." (S. 128)

Weiter berichten Zolli und Healy über Belege für einen Zusammenhang von Religiosität und Resilienz. Das könnte ein Hinweis darauf sein, weshalb Religionen so verbreitet sind, obwohl ihre empirische Basis eher dünn ist und sie ihren Gläubigen zum Teil abverlangen, an Unglaubliches zu glauben: "While such beliefs may or may not be true, they may nonetheless be adaptive. That is, religious belief persists and thrives, in part, not because it necessarily guarantees persistence of one's soul in the next life, but precisely because it confers a measure of psychological resilience upon its possessors." (S. 129) Ein interessanter Gedanke, der erstaunlich gut zusammenpasst mit der obigen Operationalisierung von Widerstandsfähigkeit.

Auch ein Gefühl kultureller Identität sowie die Eingebundenheit in ein gut funktionierendes soziales Netzwerk korrelieren mit persönlicher Resilienz. Plausibel, weil dieser soziale Halt ebenfalls Widerstandsfähigkeit schafft. Darüber hinaus könnten enge soziale Beziehungen dazu beitragen, dass bestimmte objektive Belastungsfaktoren wie zum Beispiel der Verlust von Angehörigen auf subjektiver Ebene (etwas) weniger belastend sind als für sozial isolierte Menschen.

Meditation als Resilienzverstärker

Wie Zolli und Healy schreiben, gibt es auch Belege für genetische Einflüsse auf die Resilienz. Eine bestimmte Gen-Variante bedingt offenbar eine erhöhte "genetic vulnerability" (S. 131), die allerdings nur zum Tragen kommt, wenn sie durch belastende Lebensumstände "aktiviert" wird: ein typisches Beispiel für eine Anlage-Umwelt-Interaktion.

Während man aber an seiner genetischen Ausstattung nicht viel machen kann, gibt es andere Möglichkeiten, die eigene Resilienz substanziell zu erhöhen. Empirisch gut belegt ist die Wirkung einer "Achtsamkeitsmeditation" (mindfulness meditation), von der es zwei Hauptvarianten gibt, nämlich "fokussierte Aufmerksamkeit" und "offene Beobachtung". Die Methode der fokussierten Aufmerksamkeit lässt sich nutzen, um sich innerlich von Belastungsfaktoren wie zum Beispiel körperlichen Schmerzen "abzukoppeln" (detachment) – was kein Voodoo ist, sondern zu einer neurophysiologisch messbar veränderten Schmerzreaktion führt. Die offene Beobachtung eignet sich besonders zur Entspannung, Stressentlastung und für eine allgemeine "Nervenstärkung".

Eine Weiterentwicklung ist die "loving-kindness meditation", wie sie zum Beispiel von tibetanischen Mönchen praktiziert wird. Sie lässt Gedanken und Beobachtungen nicht einfach nur kommen und gehen, wie die "offene Beobachtung", sondern betrachtet die Welt mit Empathie, Liebe und Freundlichkeit. Dies führt bei erfahrenen Praktikern zu messbaren Veränderungen ihrer Gehirnaktivität, die eine Stärkung ihrer Empathie indizieren – und zwar nicht nur während der Meditation, sondern dauerhaft.

Diese Befunde sind insofern bemerkenswert, als sie zeigen, dass unser Gehirn durch Übung substanziell verändert werden kann ("neuroplasticity"). Noch erfreulicher ist, dass sich solche Veränderungen nicht erst nach jahrelanger Übung in tibetanischen Klöstern einstellen, sondern schon als Resultat eines kompakten Trainingsprogramms im Diesseits erreichbar sind. (Auch wenn die Dauerhaftigkeit solcher Effekte noch wenig erforscht ist.) Es scheint zunehmend, als seien wir unserem Schicksal nicht ausgeliefert, sondern könnten unsere Resilienz durch den gezielten Einsatz von Mentaltechniken stärken.

Kooperation, wenn es darauf ankommt

Im umfangreichen fünften Kapitel geht es um "Cooperation When It Counts". Anhand der bahnbrechenden Untersuchungen von Robert Axelrod (siehe Rezensionen) zeigen Zolli und Healy, dass bei guter Zusammenarbeit alle Beteiligten besser wegkommen als wenn jeder, wie es die Ökonomie irrationalerweise für rational zu halten beliebt, egoistisch seinen eigenen Nutzen maximiert. Denn egoistisches Handeln zu Lasten der Umgebung bringt zwar kurzfristig mehr Ertrag, führt aber zu wachsendem Misstrauen und reduziert die Zahl der Menschen, die noch zu einer Zusammenarbeit bereit sind.

Allerdings muss es eine wehrhafte Kooperation sein, die sich nicht ausbeuten lässt. Als am erfolgreichsten hat sich dabei die simple Strategie "Tit for Tat" erwiesen: Beginne kooperativ und verhalte dich dann immer so, wie sich dein Partner im vorausgegangenen Spielzug verhalten hat. Beachtenswert daran ist, dass diese Strategie die eingebaute Fähigkeit zum Verzeihen hat: Sie bestraft unkooperatives Verhalten sofort, ist aber nicht nachtragend, sondern wechselt sofort zu kooperativem Verhalten, wenn und solange der Partner sich kooperativ verhält. Solch eine wehrhafte Kooperation ist resilient und trägt zugleich zur Resilienz sozialer Systeme bei.

Allerdings müssen einige Bedingungen gegeben sein, damit sich Kooperation entfalten kann. Die wichtigste ist wohl, dass der Lohn der Mühen fair verteilt wird – was wiederum ein Mindestmaß an Transparenz voraussetzt. Wenn auch nur der Verdacht aufkommt, dass die andere Partei systematisch mehr Nutzen aus der Zusammenarbeit zieht, erlischt bei den anderen die Bereitschaft zur Kooperation ("inequity aversion", S. 163). Selbst bei Affen kann man jede Kooperationsbereitschaft zerstören, indem man dem einen als Belohnung regelmäßig eine süße Frucht gibt und dem anderen ein Stück Gurke.

Auch das Gefühl von Verbundenheit oder Zusammengehörigkeit spielt für Vertrauen und Zusammenarbeit eine Rolle. Wenn wir uns im Alltag zum Beispiel über unsere Berufs- und Firmenzugehörigkeit definieren, dann weisen wir uns damit als Angehörige unterschiedlicher "Stämme" aus – und unsere Kooperationsbereitschaft steigt oder sinkt, je nachdem, ob wir jemanden als Angehörigen unseres eigenen bzw. eines befreundeten Stammes identifizieren oder als den eines fremden oder "feindlichen". So lässt sich auch die spontane Solidarität von "Road Warriors" und anderer Leidensgenossen erklären.

Die Definition von "Wir" erweitern

Hier kommt es zu einer differenzierten Kooperationsbereitschaft ("discriminatory Tit for Tat", S. 165), die zwischen "Wir" und "Die" unterscheidet und diejenigen, die nicht dazugehören, subtil oder offen diskriminiert. Dieses Muster ist nicht nur stabil, sondern praktisch unüberwindlich: Es verstärkt sich selbst, weil die Angehörigen feindlicher Stämme fast durchweg negative Erfahrungen miteinander machen.

Die Frage, wie man Menschen dazu bewegen kann, ihre Definition von "Wir" zu erweitern – "Enlarging the Tribe", wie es Zolli und Healy nennen (S. 166) – ist heute wohl aktueller denn je. Eine empirisch bestätigte Methode dazu ist, Menschen, die sich sonst kaum begegnen, geschweige denn gegenseitig öffnen würden, in einen intensiven Austausch miteinander zu bringen. Danach ist nicht nur ihr Urteil übereinander deutlich positiver als zuvor, sondern auch das über andere Angehörige derselben Gruppe.

Noch einen Schritt weiter geht der Konfliktforscher William Ury mit der Einbeziehung der sozialen Gemeinschaft als "Third Side", wie er sie bei den Buschmännern in der Kalahari kennengelernt hat (siehe Rezension). Die spürbaren Erwartungen der "Community" an eine Verständigung und einen Ausgleich mäßigen die streitenden Parteien: "When they approach conflict, everyone gets in a circle and they all have a say. They play an enormously healing role in which they create a container. Even a destructive conflict can be gradually transformed when it is contained inside community", zitieren sie Ury (S. 168). Offenbar stärkt das Bewusstsein, demselben "Stamm" anzugehören, die Versöhnungsbereitschaft.

Einen wichtigen Beitrag zur Resilienz sozialer Systeme leistet, was Zolli und Healy "the power of lose ties" nennen (S. 186). Neben den engen Beziehungen mit Familie, Freunden und direkten Arbeitskollegen, die den Großteil unserer täglichen Kontakte ausmachen, hat jeder Mensch auch einen mehr oder weniger großen Bekanntenkreis, mit dem er nicht ständig in Verbindung steht, dem er aber ein gewisses Vertrauen entgegenbringt und der ihm auch als Informationsquelle zu Verfügung steht. Die meisten Jobs finden Menschen zum Beispiel über ihre "lose ties", und sie sind es auch, über die sich gesellschaftliche und soziale Initiativen speisen, wie Zolli und Healy am Beispiel der spontanen selbstorganisierten Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti vom Januar 2000 zeigen.

Vielfalt als Schutz vor geistiger Verengung

Dass die Resilienz von Gruppen und Organisationen maßgeblich von ihrer "Cognitive Diversity" abhängt, legen die Autoren im sechsten Kapitel dar. Homogene, eingeschworene Gruppen werden leicht zum Opfer des gefürchteten "Group-Think", das sie als eine "organizational pathology" mit folgenden Merkmalen charakterisieren: "a strong illusion of invulnerability by key decision makers; a belief in the inherent morality of the group; the stereotyping of those who do not agree with the group's perspective; and overly simplistic moral formulation that dissuades deeper rational analysis." (S. 200) Dieses Gebräu ist ein ziemlich zuverlässiges Rezept für Desaster: Überheblichkeit, Konformitätsdruck und die Tendenz, nur noch das zu sehen, was ins eigene Bild passt, garantieren einen weitgehenden Realitätsverlust.

Als Gegenmittel empfehlen Zolli und Healy, bei der Zusammensetzung von Gruppen bewusst auf kognitive Diversität zu achten. Denn die Effektivität von Teams hängt, wie Forschungen ergeben haben, ebenso von der Vielfalt der Perspektiven ab wie von den Qualitäten ihrer einzelnen Mitglieder. Forschungsteams beispielsweise, die mit unerwarteten Befunden konfrontiert sind, kommen damit wesentlich schneller und besser zurecht, wenn sie eine gewisse Heterogenität aufweisen, als wenn alle ihre Mitglieder aus demselben engen Fachgebiet kommen und sich auch sonst sehr ähnlich sind.

Allerdings darf man es mit der Diversität nicht übertreiben, denn sie hat ihren Preis: Sie kostet ein Stück Effizienz, weil mehr Diskussionen erforderlich sind als wenn alle Beteiligten unausgesprochen von demselben Grundverständnis ausgehen. Zolli und Healy sprechen von einer "multidisciplinarity tax", die zu einer "modest suboptimality of the group" führe – was freilich kein zu großer Nachteil ist, wenn man dafür "dramatically better results getting out of the inevitable jams" (S. 206) bekommt – also letztlich eine höhere Resilienz. Trotzdem darf man den Bogen nicht überspannen: So hilfreich eine gewisse Vielfalt ist, es wäre wohl nicht dienlich, wenn man Forschungsteams ein paar Mitglieder beimischte, die wissenschaftlicher Forschung generell skeptisch gegenüber stehen und ihre Erkenntnisse lieber aus der Bibel oder dem Koran ableiten möchten. Ein Basiskonsens über Ziele und Vorgehen ist erforderlich, um Teams überhaupt arbeitsfähig zu machen.

Wie Zolli und Healy am Beispiel BP zeigen, ist es unglaublich schwierig, Kulturen zu verändern, die im Group-Think gefangen sind. Wie sie berichten, gelang es bei BP mehreren CEOs nicht, die tief verwurzelte Kultur der kurzfristigen Ergebnis- und Kostenoptimierung zu Lasten der Sicherheit zu durchbrechen. Allerdings weckt ihre Schilderung den Verdacht einer gewissen Halbherzigkeit an der Unternehmensspitze, die nach aller Erfahrung der Tod jeder Kulturveränderung ist. Die unausgesprochene doppelte Botschaft war offenbar: Wir müssen unbedingt unsere Sicherheit verbessern; die Quartalszahlen dürfen darunter aber nicht leiden.

Angesichts dieser vorgelebten Ambivalenz ist vorhersehbar, wie sich die nachgeordneten Führungsebenen verhalten würden: Sie würden sich bei offiziellen Gelegenheiten wortreich zur neuen "Culture of Safety" bekennen – und zurück im Tagesgeschäft weiter Kosten und Erträge optimieren. Angesichts dieser Doppelbindung würde es auch nichts helfen, wenn BP, wie es die amerikanische Armee offenbar erfolgreich getan hat, professionelle Querdenker auszubilden, die in den operativen Einheiten die Rolle eines "freundlichen Advocatus Diaboli" einnehmen und den Konformitätsdruck so durchbrechen.

Resiliente Gemeinschaften – aus Fehlschlägen lernen

Dass man sich nicht allein auf die "Selbstheilungskräfte" verlassen darf, wenn es darum geht, gefährliche Fehlentwicklungen zu überwinden, zeigen Zolli und Healy im siebten Kapitel "Communities That Bounce Back" am Beispiel von zwei ausführlichen Fallstudien. Zunächst demonstrieren sie am Beispiel arsenverseuchter Brunnen in Bangladesch, wie es nicht geht – nämlich über den Versuch einer zentralen Steuerung mit reinen Sachinformationen.

Um den lebensgefährlichen Mangel an sauberem Trinkwasser zu beheben, der in Bangladesch zahlreiche Krankheiten und Seuchen auslöste, hatte UNICEF in den siebziger Jahren Tiefbrunnen angelegt. Dummerweise stellte sich heraus, dass viele dieser Brunnen mit Arsen belastet waren, einem geruchs- und geschmacklosen tödlichen Gift, das sich im Körper anreichert und zu einer schleichenden Vergiftung führt. Also wurden die gefährlichen Brunnen mit roter und die ungefährlichen mit grüner Farbe markiert, und die Bevölkerung wurde instruiert, das Wasser der roten Brunnen nicht mehr zu nutzen.

Zu einer durchgängigen Aufgabe der verseuchten Brunnen führte das jedoch nicht. Denn für die Frauen, die in Bangladesch für das Wasserholen zuständig sind, waren die ungefährlichen Brunnen zum Teil aus physischen oder kulturellen Gründen nicht zugänglich. Also blieben viele bei den verseuchten Brunnen, die zum Teil sogar grün "umetikettiert" wurden, oder kehrten zur Nutzung von verunreinigtem Oberflächenwasser zurück – ein Fehlschlag auf der ganzen Linie: Eine zentrale bürokratische Verhaltenslenkung ohne Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort greift offenkundig nicht.

Wirksame Gewaltprävention und -intervention

Ausgesprochen erfolgreich war dagegen ein Programm zur Beendigung von Schießereien zwischen Jugendgangs in Chicago, die phasenweise mehr als hundert Tote jährlich kosteten. Das Programm namens CeaseFire setzte nicht auf Repression, sondern auf Dialog, Betreuung und eine schrittweise Kulturveränderung durch Streetworker, die teilweise selbst aus der Szene kamen.

Je besser sie die Subkultur verstanden, desto klarer wurde, dass die häufig eskalierenden Schießereien weniger aus der Aggressivität oder dem Rachedurst der Beteiligten resultierten als aus den ungeschriebenen Gesetzen der Szene: Wenn ein Gangmitglied erschossen worden war, waren seine Freunde und Verwandten verpflichtet, es zu rächen, und sie hätten in ihrer Community das Gesicht verloren, wenn sie dies nicht getan hätten. Deshalb zogen sie oft zu Schießereien los, ohne es wirklich zu wollen, und waren nur allzu bereit, sich von angesehenen Streetworkern davon abbringen zu lassen. Das gab ihnen die Legitimation, ohne Gesichtsverlust aus der Spirale der Gewalt auszusteigen: "I would have done it if Frank hadn't talked me down." (S. 235)

Aus der Erkenntnis, dass sich gelegentliche Ausbrüche von Gewalt in dieser Szene nicht verhindern lassen, wohl aber deren Eskalation, hat CeaseFire ein dreistufiges Programm entwickelt: "First, interrupt the contagion of violence. Second, change the thinking of the most at-risk transmitters. Third, change the norms of the community as a whole." (S. 227) Das erfordert eine hohe Präsenz und Vernetzung in der Szene, denn um Schritt 1 in die Tat umsetzen zu können, muss CeaseFire nach einer Schießerei innerhalb weniger Stunden wissen, wer die zur Revanche Verpflichteten sind, und mit ihnen in intensivem Kontakt sein, um die Eskalation zu unterbinden. Sie erreichen damit zwar kein Ende des Mordens, aber einen Rückgang der Zahl der Getöteten um bis zu zwei Dritteln.

Dieses Kapitel ist ein Beispiel für das, was ich eingangs bemängelt habe: Die zentralen Botschaften des Buchs gehen zuweilen in der Fülle der Details unter. Wenn man nach Lektüre des siebten Kapitels, wie es ja naheliegt, einfach mit dem achten weitermacht, wird man die Resilienz-Prinzipien hinter den spannenden Stories oft nicht erkennen. Um den vollen Nutzen zu erzielen, muss man die Disziplin aufbringen, den Lesefluss zu unterbrechen und sich zu fragen: Verseuchtes Trinkwasser, CeaseFire, Jugendgangs – und was hat das mit Resilienz zu tun? Dann wird einem sehr wohl bewusst: Ach so, es geht darum, wie Gemeinschaften existenzielle Gefahren bewältigen oder ihnen zumindest die Spitze nehmen können. Und was ist das verallgemeinerbare Prinzip dabei? Aha, es geht darum, dass man die innere Logik des Problems verstanden haben muss, um wirksam intervenieren zu können.

Die Schlüsselrolle "übersetzender" Führer

Oft hängt es an einzelnen Personen, ob Gemeinschaften Resilienz entwickeln, schreiben Zolli und Healy im achten Kapitel "The Translational Leader". Das Adjektiv "translational" (übersetzend) ist sinnvoll gewählt, denn diese Personen entsprechen im Allgemeinen nicht dem Bild, das man sich von "starken Führern" wie CEOs oder Spitzenpolitikern macht. Sie können sehr wohl charismatisch sein, vor allem aber sind sie exzellente, visionäre Netzwerker, die intensive Kontakte zu den verschiedensten Akteuren und Interessengruppen haben, zwischen ihnen "dolmetschen" und sie für Ideen und Konzepte zum übergeordneten Nutzen ihrer jeweiligen Gemeinschaft gewinnen.

Sie führen nicht top-down, sondern sozusagen "aus der Mitte", "seemlessly working up and down and across various organizational hierarchies, connecting with groups who might otherwise be excluded, and translating between constituencies. The authority of these translational leaders was not rooted solely in their formal status but in their informal authority and cultural standing." (S. 240)

Im Grunde betreiben diese übersetzenden Führer klassische Organisationsentwicklung – was einer von ihnen, den die Autoren in einer ausführlichen Fallstudie über die mikronesische Insel Palau vorstellen, so beschreibt: "Other people offer solutions, while I offer dialogues. When I work with people, we discuss and we discuss and I let them think and then we discuss some more. I provide assistance to guide them in their thinking, but there is no end to the process. There is no set goal." (S. 254)

Was solche Führer tun, ist, ein immer dichteres soziales Netzwerk zu weben, das die verschiedenen Gruppen und Subkulturen ihrer jeweiligen Gemeinschaft miteinander verflicht. Nachdem sie in einer ersten Phase gute Gesprächsbeziehungen zu verschiedenen Gruppierungen aufgebaut haben, bringen sie sie in der nächsten Phase in direkte Verbindung, sie "begin to close the triangles in their networks" (S. 256). "At this point the translational leader must quickly change from being a direct to an indirect leader, guiding the emergence of new network weavers throughout the community." (S. 257) Mit anderen Worten, solche "translational leaders" müssen recht uneitle Menschen sein, die sich, frei von dem Geltungsbedürfnis, dass alles nur über sie laufen darf, in den Dienst ihrer Sache stellen. Erst dadurch entwickelt das Netzwerk eine Stabilität und Robustheit, die unabhängig von einzelnen Personen ist.

Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass in solchen Gemeinschaften eitel Sonnenschein und paradiesische Harmonie herrscht. Natürlich gibt es dort weiterhin Streit, Interessenkonflikte und Opposition. Entscheidend ist, dass ihre Führer sich immer wieder darum bemühen, die Anliegen unterschiedlicher Gruppierungen aufzunehmen und auf sinnvolle Weise zusammenzuführen: Letztlich genau jene Erweiterung der Definition des "Wir", von der oben die Rede war.

Aufbruch zu mehr Resilienz

Im neunten und letzten Kapitel "Bringing Resilience Home" versuchen Zolli und Healy ein Resümee. Sie machen klar, dass es kein Patentrezept für Resilienz gibt und nicht einmal eine eindeutige Richtung, an der man sich orientieren könnte. Auch nach mehr als spannenden und lehrreichen 250 Seiten bleibt Resilienz ein Stück verwirrend, ungreifbar und unberechenbar. Aber das ist kein Mangel des Buchs, sondern ein Merkmal seines Gegenstands: Resilienz muss fast unvermeidlich ebenso unberechenbar, vielfältig und kontextspezifisch sein wie die Ereignisse und Entwicklungen, die sie herausfordern.

Auch wenn es kein Patentrezept gibt, wissen wir doch einiges darüber, in welche Richtungen wir besser nicht gehen sollten, weil sie die Verletzlichkeit und Störanfälligkeit von Systemen erhöhen. Dazu zählen auch viele Dinge, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten teils bewusst vorangetrieben, teils ungewollt entstanden sind, wie extreme Effizienz-Optimierungen, Monokulturen jedweder Art, zu hohe Komplexität und Verflechtung, Erstarrungen und Verkrustungen, gesellschaftliche Lagerbildung und Polarisierung …

Zolli und Healy halten Früherkennung und Prävention sehr wohl für möglich: "While there's no single recipe for every circumstance, every journey toward greater resilience begins with continuous, inclusive, and honest efforts to seek out fragilities, thresholds, and feedback loops in a system – grasping its holistic nature, identifying its potential sources of vulnerability, determining the directionality of its feedback loops, mapping its critical thresholds, and understanding, as best we can, the consequences of breaching them. Doing so calls us to greater mindfulness – assessment, without judgement, of the world as it truely is." (S. 260)

Doch erstaunlich wenige Unternehmen, Organisationen und Gemeinschaften besitzen irgendwelche Mechanismen, um auf breiter Basis vorausschauend darüber nachzudenken, wo ihre wunden Punkte liegen und welche äußeren Entwicklungen sie aus der Bahn werfen könnten. Dabei geht es nicht nur um Risikomanagement, sondern auch um Innovationschancen, bis hin zu der Möglichkeit, neue Geschäftsfelder zu entdecken, die bestehenden oder neuen Kunden mehr Resilienz ermöglichen.

Allerdings gibt es einfach wegen der prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft Grenzen der Vorbereitung. Zolli und Healy machen sich deshalb ein Prinzip zu eigen, das von dem Futurologen Alvin Toffler und dem Management-Vordenker Henry Mintzberg popularisiert wurde, nämlich das der "Adhocratie": Des schnellen und improvisierten Reagierens auf Situationen, wie sie sich entwickeln. Dazu wiederum können "übersetzende Führer" maßgeblich beitragen: Indem sie die Leute über die Grenzen bestehender Strukturen hinaus zusammenbringen und sie dabei unterstützen, gemeinsam sinnvolle Antworten auf die Fragen zu finden, die sich ad hoc gerade stellen.

Schlagworte:
Resilienz, Krisenfestigkeit, Robustheit, Erholungsfähigkeit, Regenerationsfähigkeit, Stehaufmännchen

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