Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Altbewährte Anleitung zum besseren Schreiben

Reiners, Ludwig (1963):

Stilfibel

Der sichere Weg zum guten Deutsch

dtv – Beck (München), 10. Aufl. 1970, 226.-250.Tsd.; 265 Seiten (vergriffen)


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 27.11.2017

Jetzt bei Amazon.de bestellen

Schon einer unserer Deutschlehrer hat uns vor vielen hundert Jahren diese Stilfibel anemp-fohlen, doch wirklich zu schätzen habe ich sie – vielleicht deshalb – erst sehr viel später gelernt. Erstaunlicherweise ist sie auch heute noch aktuell.

Ja, die "Stilfibel" von Ludwig Reiners erinnert mich an (Gott sei Dank) längst vergangene Schulzeiten. Wir hatten in neun Gymnasialjahren zwar acht verschiedene Deutschlehrer, aber eines haben sie uns alle miteinander jedenfalls nicht beigebracht: Deutsch. Wir haben Besinnungsaufsätze geschrieben, Gedichte interpretiert und anderen Unfug getrieben, doch systematische Methoden, wie man klar, ansprechend und überzeugend redet und schreibt, standen offenbar nicht auf dem Lehrplan. Und wenn ich den ungelenken Schreibstil vieler Führungskräfte und Akademiker sehe, scheint das anderswo kaum besser zu sein.

Nach einem halben Jahrhundert noch überraschend aktuell

Umso erstaunter bin ich beim Wiederlesen dieses schon 1963 erstmals erschienenes dtv-Taschenbuchs – eines von denen mit der abblätternden Umschlagslaminierung –, wie genau ich mich beim Schreiben an (die meisten) seine(r) Regeln halte – und wie oft sie mit dem hochgeschätzten Wolf Schneider übereinstimmt, an dessen Empfehlungen ich mich vorrangig zu orientieren glaub(t)e.

Reiners' altgediente Stilfibel ist, dem Stil der Zeit entsprechend, sicherlich "dozierender" und hüftsteifer als Schneiders amüsanter, zuweilen auch polternder oder polemischer Plauderton. Doch ist erstaunlich, welche kaum veränderte Gültigkeit und intuitiv einleuchtende "Richtigkeit" seine Stilregeln auch nach heute, nach mehr als einem halben Jahrhundert, noch haben. (Und wie wenig sie leider den vorherrschenden Schreibsil beeinflusst haben.)

Dass man "den Reiners" auch heute noch mit Gewinn lesen und nutzen kann, kann eigentlich nur bedeuten, dass er damals, 1963, seiner Zeit voraus war. Denn unsere Sprache hat sich ja weiterentwickelt: Die Zeiten sind schneller, ungeduldiger, kurzatmiger geworden, und das spiegelt sich auch in unseren Erwartungen an gesprochene und geschriebene Texte.

Reiners propagiert kein gewundenes, steifes und überkorrektes Deutsch, wie es in den sechziger Jahren gängig war ("haben Ihr Geschätztes erhalten"), sondern eine für die damalige Zeit wohl ausgesprochen lockere, wiewohl gepflegte Sprache, gewissermaßen einen gehobenen Plauderton. Mir ist keine Regel aufgefallen, bei der mein Sprachgefühl sagen würde: Das kann man heute so nicht mehr machen.

Wie alt das Buch wirklich ist, wird schlagartig klar, wenn man über die Schlussformeln in Briefen liest: "Man schließt je nach dem Grad der Verbundenheit: Mit vorzüglicher Hochachtung, Hochach-tungsvoll, Mit den besten Empfehlungen, Mit herzlichen Grüßen, Herzlichst. Vor den Namen setzt man Ihr aufrichtig ergebener, Ihr sehr ergebener oder Ihr." (S. 210) Immerhin fügt Reiners auch damals schon an: "Alle diese Wendungen sind Formeln, die ihren ursprünglichen Sinn eingebüßt haben." (a.a.O.)

Heute ist daraus MfG, VG oder sogar LG geworden – was ich in seiner gedankenlosen Schreibfaulheit zumindest unhöflich, wenn nicht gar respektlos finde. Aber vielleicht ist das auch nur ein Zeichen dafür, dass ich alt werde.

Von Verboten über Regeln zu Empfehlungen

Reiners' Stilfibel besteht aus drei Teilen, und sie spannen einen Bogen von ziemlich apodiktischen Anweisungen bis zu freundlichen Empfehlungen. Die "erste Stufe" umfasst zwanzig Verbote: Dinge, die stilistisch gar nicht gehen. In der zweiten Stufe folgen zwanzig "Stilregeln": Grundsätze, an die man sich normalerweise halten sollte, von denen man in begründeten Fällen aber auch abweichen kann. In der dritten Stufe schließlich folgen zwanzig "Stilratschläge", die eher den Charakter von Empfehlungen haben.

Dass seine Hinweise von Stufe zu Stufe weniger streng werden, liegt freilich auch daran, dass es gar nicht anders geht. Wenn man die gröbsten Fehler hinter sich gelassen hat, kommt man immer mehr auf ein Feld, in dem man nur noch die Richtung angeben kann, nicht aber mehr spezifische Ge- und Verbote: "Wähle das treffende Wort" (S. 67) bleibt zwangsläufig eine ungenauere Vorgabe als "Vermeide das Wort 'derselbe'" (S. 26). Je weiter man mit der Kultivierung des Stils voranschreitet, desto mehr sind sowohl der Autor als auch seine Leser darauf angewiesen, ihr Sprachgefühl zu kultivieren und sich darauf zu beschränken, das Gemeinte an Beispielen zu illustrieren, weil es sich nicht in strikte Anweisungen fassen lässt.

Zwar könnte man natürlich Anweisungen à la "Vermeide Stilbrüche" formulieren, doch helfen würde das nichts, denn sie sind ohne Konkretisierung weder versteh- noch vollziehbar. Ein Stück konkreter sind auch der mittleren Stufe Regeln wie "Meide Modewörter" (S. 78) oder "Baut kurze Sätze" (S. 93). Doch schon sie verlangen mehr als ein mechanisches Befolgen, sie erfordern ein eigenes Urteil – nicht nur zu der Frage, was "kurz" bedeutet und was Modewörter sind, sondern auch, wo die aufgeführten Regeln an Grenzen stoßen und deshalb besser nicht blind exekutiert werden sollten.

Wenn aus lauter kurzen Sätzen beispielsweise ein hektischer Stakkato-Stil wird, dann steht man als Autor vor der Frage, ob man diese Wirkung haben möchte oder nicht. Falls nicht, täte man gut daran, Reiners' Regel nicht oder nur abgeschwächt für sich zu übernehmen. Tatsächlich bin ich auf der Grundlage einer Empfehlung von Wolf Schneider wieder von (zu vielen) kurzen Sätzen abgegangen, zugunsten einer Mischung von längeren und kürzeren Sätzen.

Das illustriert genau den Punkt: Je weiter das Buch fortschreitet, desto mehr wandeln sich "Verbote" in "Ratschläge", die man nicht mehr einfach befolgen sollte, sondern mit denen man sich auseinandersetzen und seine eigene Stellungnahme finden muss.

Nach wie vor empfehlenswert

Das hat auch Auswirkungen auf die Art, wie man diese Stilfibel lesen sollte: Sicher nicht in einem Rutsch, sondern eher in kleineren Portionen, die genug Raum zum Nachdenken und Verarbeiten lassen. Zwar kann man manche Passagen kursorisch lesen, zumal wenn sie Grundsätze abhandeln, die einem schon in Fleisch und Blut übergegangen sind. Doch bei all den Hinweisen, mit denen man noch nicht (oder nicht mehr) vertraut ist, sollte man sich Zeit lassen, um sie portionsweise zu "resorbieren". Dann zieht man wohl den größten Nutzen aus diesem nach wie vor aktuellen Klassiker.

Wer es frischer, lebendiger und emotionaler mag als der doch recht nüchterne Reiners, greife zu den Büchern von Wolf Schneider, etwa zu "Deutsch für Profis", "Deutsch fürs Leben", "Wörter machen Leute" oder "Gewönne doch der Konjunktiv". (Auch wenn sie einige Redundanz aufweisen, die einem spätestens beim dritten Buch manchmal auf die Nerven geht.)

Schlagworte:
Deutsch, Stilistik, Schreiben, Stilkunde

Plagiate dieser Website werden automatisiert erfasst und verfolgt.