Die Umsetzungsberatung

Rezensionen

Lebensregeln zum Überdenken, nicht zum blinden Befolgen

Peterson, Jordan B. (2018):

12 Rules for Life

An Antidote to Chaos

Random House Canada (Toronto); 411 Seiten; 12,89


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 7

Rezensent: Winfried Berner, 21.06.2019

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Auch wenn Peterson von manchen als Stichwortgeber der neuen Rechten attackiert wird, finde ich sein Buch klug und anregend. Manches sehe ich anders, aber Peterson sucht ernsthaft und mit großer Sorgfalt nach der "Wahrheit", ohne Scheu anzuecken.

Welch eine Alterskarriere! Peterson ist klinischer Psychologe und Professor an der Universität Toronto. Der Klappentext haut ziemlich auf den Putz: "Jordan B. Peterson has taught mythology to lawyers, doctors and business people, consulted for the UN Secretary General, helped his clinical clients manage depression, obsessive-compulsive disorder, anxiety and schizophrenia, served as an adviser to senior partners of major law firms, and lectured extensively in North America and Europe …"

Vor allem aber ist er in den letzten Jahren zu einem YouTube- und Social Media-Star geworden, auch weil er linken, und feministischen Kritikerinnen (und Kritikern) genügend Reibungsfläche bietet, um deren heftigen Gegenwind als Thermik für seinen Aufstieg zu nutzen.

Dieses Buch entstand, wie er einleitend schreibt, aus seinen Beiträgen zu einem (in Kanada) populären Internetforum, die eine überraschend hohe, ja geradezu überwältigende Resonanz fanden. Wie der Zuspruch zeigt, scheint er mit seinen Thesen einen Nerv zu treffen. Und was vielleicht nicht ihm, aber seiner Popularität ebenfalls hilft, ist, dass sich viele "linke" und/oder feministische Kritikerinnen wutentbrannt auf ihn stürzen, um ihn zu zerlegen – was nach meinem nicht repräsentativen Eindruck zuweilen, aber eher selten gelingt.

Ein selten zwiespältiger Eindruck

Es passiert mir nur selten, dass ich am Ende eines Buchs nicht weiß, was ich davon halten soll. Deshalb beginne ich meine Besprechung damit, sowohl das Einerseits als auch das Andererseits in Worte zu fassen.

Also: Einerseits verdanke ich Jordan B. Peterson und seinem Buch eine ganze Reihe wertvoller Anregungen (einige davon beschreibe ich im Folgenden ausführlicher). Das ist schon mal ein gewichtiger Punkt – was will man mehr von einem Buch? Weiter erlebe ich Peterson als sehr ehrlich, um Klarheit und Präzision bemüht, (fast) bedingungslos auf der Suche nach der Wahrheit. Er verkörpert wirklich seine "Rule 10: Be Precise in Your Speech". Und er schert sich dabei relativ wenig um gesellschaftliche Sprachregelungen und den "Zeitgeist".

Aber es gibt auch ein großes Andererseits. Der aufgeklärte Leser steht immer wieder fassungslos vor Passagen, die schiere Glaubensbekenntnisses sind, welche im Brustton des Besitzes höheren Wissens vorgetragen werden: "The idea that hell exists in some metaphysical manner is not only ancient, and pervasive; it's true. Hell is eternal. It has always existed. It exists now. It's the most barren, hopeless and malevolent subdivision of the underworld of chaos, where disappointment and resentful people forever dwell." (S. 220)

Ewige Wahrheiten?

Das wird so apodiktisch in den Raum gestellt, dass es geradezu die Gegenfrage herausfordert: Woher weißt du das? Und welche nachprüfbaren Belege hast du dafür? Peterson hat sich sehr intensiv mit der Bibel und anderen mythischen Erzählungen befasst; allerdings sind seine Kenntnisse über Religionen jenseits der jüdisch-christlichen offenbar begrenzt. Doch obwohl er weiß und einräumt, dass diese Geschichten menschliche Autoren haben und vielfach redigiert wurden, haben sie in seinen Augen den Charakter ewiger Wahrheiten.

Sein Argument: Diese Geschichten wurden so oft ab- und umgeschrieben, dass sie kein überflüssiges Wort enthalten. Doch aus der Prämisse, dass diese Geschichten oft ab- und umgeschrieben wurden, folgt daraus keineswegs, dass sie kein überflüssiges oder falsches Wort enthalten und die Essenz der Erfahrung unzähliger Generationen widerspiegeln. Theoretisch könnte es ja sein, dass die letzten Redakteure sehr eigenwillige Aussagen eingebracht haben, die keineswegs die verdichtete Erfahrung vieler Generationen widerspiegeln.

Erst recht folgt aus dieser Entstehungsgeschichte nicht, dass alle oder auch nur die meisten dieser Aussagen ewige Wahrheiten sind. Im besten Fall spiegeln sie die Lebenserfahrungen und Lebensregeln früher Ackerbauern und nomadisch lebender Hirtenvölker wider, deren universelle Gültigkeit selbst dann fraglich ist, wenn ihre Gültigkeit für die damalige Lebenswelt im Nahen Osten sehr hoch gewesen sein sollte.

Und schon gar nicht ist erwiesen oder auch nur beweisbar, dass Petersons Interpretation der alten Texte die alleinig richtige sei. Dennoch geht er mit seinem "Wissen" genauso um, wie er es dem von ihm verabscheuten "Totalitarismus" vorwirft, nämlich dogmatisch: "That is what totalitarian means: Everything that needs to be discovered has been discovered." (S. 218)

Im Habitus eines alttestamentarischen Predigers und Propheten

Über weite Strecken liest sich Peterson wie ein alttestamentarischer Prophet: Er baut ungeheure Dramen auf, predigt Sünde und Leid, warnt mit eindringlichen Worten vor furchtbaren Unheil und noch schrecklicherem Leid und ruft zur Umkehr auf, solange noch Zeit dafür ist. Apokalyptische Formulierungen wie "Life is suffering" und "Things fall apart" wiederholen sich vielfach.

Dieser Eindruck des Predigers oder Propheten verstärkt sich, wenn man parallel zur Lektüre das von Peterson selbst eingesprochene Hörbuch (auf 13 CDs) hört: Seine angespannte, ständig überhöhte Stimmlage und seine heisere, oft beinahe brechende Stimme vermitteln das Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Apokalypse. Das wirkt nicht bloß warnend, sondern bedrängend und bedrohlich – und entfaltet eine beachtliche suggestive Kraft.

Doch nachdem ich etwas Abstand gewonnen hatte, habe ich mich mehr als einmal gefragt, wo denn die Apokalypse ist, die er an die Wand malt. Denn er fürchtet nicht etwa Klimakollaps, Umweltzerstörung und Artensterben – die hält er eher für eine Erfindung menschenhassender Umweltschützer –, sondern "das Chaos", dem wir als "Antidote to Chaos" (so der Untertitel) dringend und sozusagen mit letzter Kraft wieder unser Streben nach einer auf alten Werten und Traditionen beruhenden Ordnung entgegenstellen müssten.

Das wären genügend Gründe, das Buch auf die Seite zu legen und den vielen Seiten via Altpapiersammlung eine neue Chance zu geben, wenn, ja wenn Peterson nicht eine ganze Reihe bedenkenswerter Dinge zu sagen hätte. Trotz dieser und mancher anderer Einwände und trotz wiederkehrenden Unbehagens ist meine Empfehlung daher: Wenn Sie die Fragestellung, wie man ein gutes Leben führen kann und soll, grundsätzlich interessiert, dann muten Sie sich dieses Buch und/oder Hörbuch samt seiner Eigenheiten zu: Es ist die Zumutungen und das gelegentliche Kopfschütteln wert.

Trotzdem die Auseinandersetzung wert

Das lässt sich schon erahnen, wenn man nur die Überschriften der "12 Rules for Life" liest, die Peterson natürlich Punkt für Punkt mit Bedacht und großer Sorgfalt formuliert hat:

  • "Rule 1 – Stand up straight with your shoulders back.
  • Rule 2 – Treat yourself like someone you are responsible for helping.
  • Rule 3 – Make friends with people who want the best for you.
  • Rule 4 – Compare yourself to who you were yesterday, not to who someone else is today.
  • Rule 5 – Do not let your children do anything that makes you dislike them.
  • Rule 6 – Set your house in perfect order before you criticize the world.
  • Rule 7 – Pursue what is meaningful (not what is expedient).
  • Rule 8 – Tell the truth – or, at least, don't lie.
  • Rule 9 – Assume that the person you are listening to might know something you don't.
  • Rule 10 – Be precise in your speech.
  • Rule 11 – Do not bother the children when they are skateboarding.
  • Rule 12 – Pet a cat when you encounter one on the street."

Dass Leser über manche dieser Regeln etwas irritiert sein werden und mit anderen nichts so Rechtes anzufangen wissen, das ist bei Peterson, dessen darf man sich sicher sein, einerseits Kalkül – und andererseits ist es ihm egal. So oder so ist es stimmig mit seinem Denken: Formuliere als erstes klar, sauber und unabgeschwächt, was deine Aussage ist – erklären und vermitteln kannst du sie hinterher. (Was im Grunde bereits eine durchaus lernens- und beherzigenswerte Lektion ist.)

Wie soll und muss man Kinder "sozialisieren"?

Irritiert hat mich zum Beispiel die Rule 5. Wenn man seine Kinder daran hindert, Dinge zu tun, deretwegen man sie nicht mögen würde, macht man sich damit nicht zum "Maß aller Dinge" und zwingt sie dazu, sich an die eigenen Wertmaßstäbe anzupassen, als ob sie von absoluter Gültigkeit werden? Doch, tut man – aber für Peterson ist das das kleinere Übel: Besser, Kinder sollen und müssen nach seiner Auffassung früh lernen, sich sozialverträglich zu verhalten, als sie ecken später ständig an und werden zu Außenseitern.

Natürlich kann man sich hier fragen, ob die Anpassung an die Maßstäbe der Eltern einerseits und grenzenlose Freiheit mit der Folge eines egozentrisches Außenseitertum und die einzigen Alternativen sind, die für den Umgang mit Kindern zur Verfügung stehen. Aber der dahinter stehende Gedanke, dass Kinder einer "Sozialisation" bedürfen, um von einem asozialen und egozentrischen Wesen zu einem umgänglichen und prosozialen Mitmenschen zu werden, ist zwar gegen den Zeitgeist, aber dennoch eine Überlegung wert.

Denn das derzeit vorherrschende Denkmodell, dass das edle Naturwesen Kind erst durch Gesellschaft, Erziehung und Sozialisation verdorben werde und daher von deren Anpassungszwängen möglichst verschont und beschützt werden müsse, ist zumindest anfechtbar. Vielleicht ist die zentrale Herausforderung von Kindheit und Jugend ja doch nicht bloß, dass eigene wahre Selbst zu entdecken und zu verwirklichen, sondern sich in die Spielregeln der jeweiligen Gesellschaft einzufügen und sich zu leistungsfähigen und leistungswilligen Mitmenschen heranzuwachsen.

Schlüssige Leitgedanken für Erziehung und Disziplin

Wenn man bedenkt, in welchem Ausmaß der Lebenserfolg von Menschen von einer gelungenen Sozialisation abhängt, dann finde ich Petersons These durchaus überzeugend und Weg-weisend: "Parents have a duty to act as proxies for the real world – merciful proxies, caring proxies – but proxies nonetheless." (S. 143) Durchaus überzeugend finde ich auch seine anderen "disciplinary principles": "1: limit the rules. Principle 2: Use minimal necessary force. (…) 3: parents should come in pairs." (S. 142)

Seine Begründung ist schwer von der Hand zu weisen: "Raising young is demanding and exhausting. Because of this, it's easy for a parent to make a mistake." (a.a.O.) Kinder zu erziehen, schafft man leichter zusammen mit einer/m Partner/in, die/der sowohl als Unterstützung als auch als Korrektiv wirkt. Als viertes Prinzip nennt er: "Parents should understand their own capacity to be harsh, vengeful, arrogant, resentful, angry and deceitful. Very few people set out, consciously, to do a terrible job as father or mother, but bad parenting happens all the time." (a.a.O.) Auch das finde ich buchstäblich als wegweisend und würde es gern auf der Stelle auf Erzieher, Lehrer und Führungskräfte aller Art erweitern.

Ich muss zugeben, dass ich selbst lange der Meinung war, Kinder seien prinzipiell gut und sozial und würden sich, wenn man sie nur ließe und ihnen die richtigen Anregungen und Impulse gebe, ganz von allein zu guten, beitragsbereiten und prosozialen Erwachsenen entwickeln. Umgekehrt habe ich lange geglaubt habe, wenn sich Jugendliche zu aggressiven, antisozialen und gewalttätigen Menschen entwickelten, sei das eher die Folge von schädlichen Einflüssen der Umgebung und schlechten Lebenserfahrungen als der Mangel an einer hinreichend festen und klaren Erziehung, die ihnen hätte helfen sollen, mit ihrem Egoismus und einer mitgebrachten destruktiven Aggressivität konstruktiv umzugehen.

Doch ich kann und will immer weniger verleugnen, dass schon kleine Kinder aggressiv, destruktiv und völlig asozial sein können und dass wohl fast alle Menschen destruktive Impulse kennen, die nicht aus schlechten Erfahrungen erwachsen zu sein scheinen, sondern aus tiefsten Inneren kommen. Wissenschaftlich entscheiden lässt sich die Frage kaum, sodass wir darauf angewiesen sind, nach besten Wissen und Gewissen zu urteilen. Dabei ist es dezidiert nicht hilfreich, wenn andere Sichtweisen durch pädagogische Recht-Haber oder die öffentliche Meinung als falsch, reaktionär oder "biologistisch" oder umgekehrt als naiv und illusionär abqualifiziert werden.

Wille zur Selbstbehauptung

Um den Rahmen nicht zu sprengen, gehe ich nicht auf alle zwölf Lebensregeln von Jordan Petersen ein. Doch ein Hinweis muss sein: Gerade bei denen, die auf den ersten Blick etwas banal oder oberflächlich klingen, steht oft mehr dahinter als man auf Anhieb sieht: "Stand up straight with your shoulders back" beispielsweise ist weit mehr als die altväterliche Aufforderung: Halte dich gerade!

Vielmehr hat für Petersen die (innere und äußere) Haltung, mit der wir unserer sozialen Umwelt begegnen, viel damit zu tun, wie wir behandelt werden: "Often, people are bullied because they won't fight back. (…) If you can bite, you generally don't have to. When skillfully integrated, the ability to respond with aggression and violence decreases rather than increases the probability that actual aggression will become necessary." (S. 23f.)

Petersens Grundüberzeugung (die er in späteren Kapiteln etwas relativiert) ist dabei, dass das Verhältnis zwischen Artgenossen generell und zwischen Menschen im Besonderen stark von Konkurrenz und dem Streben nach Dominanz geprägt ist. Und zwar deshalb, weil ein höherer Platz in der Dominanzhierarchie sowohl für die eigene Lebensqualität und Lebenserwartung entscheidend ist als auch für die Attraktivität für Geschlechtspartner und damit für die Chance, die eigenen Gene weiterzugeben.

Das ist ein etwas einseitiges Bild über das Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation, aber völlig falsch ist es nicht. Und wenn es um Lebensregeln geht, wäre es sicher der größere Fehler, die Tatsache zu verleugnen, dass es zwischen Menschen auch Konkurrenz gibt und damit die Notwendigkeit, sich durchzusetzen und sich gegen Übergriffe zu behaupten. Hinzufügen würde ich lediglich, dass dies nur der defensive Part ist, während es zu den befriedigendsten Dingen überhaupt im Leben gehört, mit anderen Menschen gut und erfolgreich für ein lohnendes Ziel zusammenzuarbeiten.

Gut für sich selbst sorgen

Ähnlich viel steckt hinter der scheinbar banalen zweiten Regel: "Treat yourself like someone you are responsible for helping." Peterson knüpft dafür an der paradoxen Feststellung an, dass viele Menschen ziemlich nachlässig bei der Einnahme von Medikamenten sind, selbst wenn sie sich damit – wie etwa bei Antibiotika oder nach Organtransplantationen – in größte Gefahr bringen. Dagegen halten sie sich bei ihren Haustieren sehr sorgfältig an die ärztlichen Verordnungen. Ihre mangelnde Compliance kann also nicht damit zu erklären sein, dass sie generell etwas nachlässig wären oder die Bedeutung einer regelmäßigen Medikation nicht verstünden.

Für Peterson erklärt sich dieser befremdliche Widerspruch mit einem gestörten Verhältnis der betreffenden Menschen zu sich selbst: Während sie bei ihrem "unschuldigen Tier" alles täten, um dessen Gesundheit wiederherzustellen, ließen sie sich selbst diese Sorgfalt nicht zukommen, weil sie fänden, sie seien es nicht wert. Das ist natürlich eine krasse Schlussfolgerung – aber es ist nicht ganz einfach, eine andere Erklärung für diesen offensichtlichen Widerspruch zu finden.

Deshalb mahnt er dazu, sich selbst mehr Respekt entgegenzubringen und anständig mit sich selbst umzugehen: "It is not virtuous to be victimized by a bully, even if that bully is oneself." (S. 59) Peterson empfiehlt daher, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie das eigene Leben aussehen würde, wenn man sorgfältig für sich selbst und seine Bedürfnisse sorgte.

Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, es sich so leicht wie möglich zu machen: "To treat yourself as if you were someone you are responsible for helping is, instead, to consider what would be truly good for you. This is not 'what you want'. It is also not 'what would make you happy'." (S. 62) Das verlangt, nicht den bequemsten Weg zu gehen, sondern den, der einen in seiner Entwicklung weiterbringt – insofern berührt es sich mit seiner Regel 7: "Pursue what is meaningful (not what is expedient)."

Peterson geht seinen ganz eigenen Weg

Doch diese verkürzte Zusammenfassung bringt zwar (hoffentlich) die zentralen Botschaften herüber, aber in keiner Weise Petersons Duktus und Erzählweise. Auf dem Weg zu den gerade referierten Empfehlungen etwa kommt er an dem Buch Genesis im Alten Testament vorbei, an Ordnung und Chaos, an der Selektion von Männern durch Frauen, am Garten Eden und der Schlange ("The snake inhabits each of our souls", S. 46), an einem Gedicht von T. S. Eliot, daran, wie man mit Schutzbefohlenen umgehen soll ("It is far better to render Beings in your care competent than to protect them", S. 47), an Gut und Böse ("Only man will inflict suffering for the sake of suffering. That is the best definition of evil I have been able to formulate", S. 54), am freien Willen und an manchem anderen.

Das macht es fast unmöglich, durch eine Zusammenfassung der Kernbotschaften einen wirklichen Eindruck von diesem Buch zu vermitteln. Um etwa zu einem wertschätzenderen Umgang mit sich selbst zu mahnen, hätte er etwa anknüpfen können an Erkenntnisse, wonach mehr als drei Viertel aller unserer Selbstgespräche negativ getönt sind. Oder an den bemerkenswerten Satz des renommierten Psychologen Martin Seligman: "Von niemandem auf der Welt würden wir uns jene destruktive Kritik und die ständigen Vorhaltungen gefallen lassen, mit denen wir uns selbst tagtäglich in unseren Selbstgesprächen malträtieren."

Doch Peterson geht, wie ich zu illustrieren versucht habe, einen ganz anderen, seinen ganz eigenen Weg. Und es ist nicht ganz einfach, ihm zu folgen. Dutzende Male habe ich mich beim Lesen gefragt, wo ich jetzt eigentlich gerade bin und in welchem Zusammenhang das steht, was er gerade sagt, und längst nicht immer habe ich es verstanden. Beim Anhören seiner CDs fällt das weniger auf: Im mündlichen Vortrag stolpert man anscheinend weniger über Gedankensprünge – oder man wundert sich weniger, wenn man den Faden verloren hat, weil man für einen Moment an einem Gedanken hängengeblieben ist.

… manchmal auch Irrweg

Logisch kann man Petersons Argumentationslinien kaum nennen, rhetorisch trifft es besser, lässt aber sehr unterschiedliche Interpretationen offen. Damit zwingt er diejenigen, die ihm nicht in blindem Glauben folgen wollen, geradezu zur kritischen Überprüfung jedes seiner Gedanken, Argumente. Und da sind nicht nur, wie in den obigen Zitaten, unglaublich eindrucksvolle und kluge Gedanken, sondern auch welche, bei denen ich außerstande bin, auch nur zu ahnen, was sie vielleicht bedeuten könnten und auf welcher Grundlage dieses vorgebliche Wissen beruht: "In the domain of order, things behave as God intended." (S. 36)

Und es finden sich immer wieder auch haarsträubende Aussagen: "We remain eternally nostalgic for the innocence of our childhood, the divine, unconscious Being of the animal, and the untouched cathedral-like old-growth forest. We find respite such things. We worship them, even if we are self-proclaimed atheistic environmentalists of the most anti-human sort." (S. 56, Hervorhebung von mir)

Vor allem wenn es um bzw. gegen Linke, Atheisten, Sozialisten / Kommunisten, "Nihilisten" und Umweltschützer geht, vergisst er sich immer wieder und verliert in wütenden Beschimpfungen jeden Maßstab, jede Proportion und jeden Anstand. Wie etwa, wenn er Linken pauschal unterstellt, sie seien weniger von ihrem Mitgefühl für die Armen getrieben als von ihrem Neid und Hass auf die Reichen. Würde er behaupten, dass es solche "Linken" gibt, könnte man ihm kaum widersprechen. Aber gilt das für alle ohne Ausnahme? Oder auch nur für die allermeisten?

Mit solchen haltlosen Pauschalisierungen schadet er sich selbst und seiner Glaubwürdigkeit. Wenn irgendwelche Pöbler gegen "selbsternannte Umweltschützer" polemisieren, kann man das achselzuckend dem zuordnen, was der Verhaltensforscher Konrad Lorenz dereinst als "Anhassen" bezeichnet hat. Aber was soll etwa das "selbsternannt"? Wie wird man denn zum Umweltschützer, wenn nicht durch die persönliche Entscheidung, auf diesem Feld aktiv zu werden? Durch staatliche Akkreditierung?

Petersons Regel 10 lautet: "Be precise in your speech." An diesem Maßstab muss er sich auch selbst messen. Und gerade weil er ihr über weite Strecken in so akribischer Weise gerecht wird, dass es zwar zuweilen mühsam, aber auch wirklich lohnend ist, ihn zu lesen, tun dieses unkontrollierte Ausrasten beinahe körperlich weh. Doch wer Peterson kennenlernen und sich durch seine Gedanken und Erzählungen anregen lassen will, muss das aushalten. Wie sagt er doch selbst? "Life is suffering."

Doppeltes Sprachproblem

Das Buch ist auf Englisch durchaus anspruchsvoll zu lesen, sowohl was die zum Teil weittragenden Satzkonstruktionen als auch, was den Wortschatz betrifft. Das ist teils eine Nebenwirkung von Petersons Bemühen um sprachliche Präzision, aber auch seines Hangs, sprachliche Dramen zu inszenieren und immer wieder komplexe Bezüge zum Alten Testament und anderen archaischen und nach seiner Meinung archetypischen Mythen herzustellen.

Eine deutsche Ausgabe ist seit Ende 2018 verfügbar, unter dem einfallsreichen Titel "12 Rules for Life". Aus dem präzisen, wenn auch etwas dramatischen Untertitel "An Antidote to Chaos" (ein Gegenmittel gegen das Chaos) wurde dabei in nichtssagender Geschwätzigkeit "Ordnung und Struktur in einer chaotischer Welt"; angefügt wurde der ein- bzw. aufdringliche Zusatz "Dieses Buch verändert Ihr Leben".

Wer über den Kauf der deutschen Ausgabe nachdenkt, sollte zuvor einen Blick auf die Amazon-Leserrezensionen werfen: Sie üben zum Teil heftige (und, wie mir scheint, begründete) Kritik an der Übersetzung. Sie scheint, wie es die Beispiele nahelegen, mit Petersons akribischen Bemühen um sprachliche Präzision ziemlich rüde umgesprungen zu sein und seinen Text nicht nur frei (was bei Peterson schon heikel ist), sondern ziemlich derb ins Deutsche übertragen zu haben.

Schlagworte:
Lebensgestaltung, Lebensregeln, Persönlichkeitsentwicklung, Soziale Beziehungen, Lebensphilosophie

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