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Schmalspur-Psychologie mit brachialer Anwendung

Lawson, Emily; Price, Colin (2003):

The Psychology of Change Management



McKinsey Quarterly; 2003 Number 2 (Organization); 7 S. www.mckinseyquarterly.com (Online-Version)


Nutzen / Lesbarkeit: 4 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 27.02.2005

Obwohl der Titel weit mehr verspricht als ein 6½-seitiger Artikel halten kann, liefert er einige bedenkenswerte Anregungen speziell zum Thema Kulturveränderung. Erschreckend jedoch, wie McKinsey diese Prinzipien offenbar in der Praxis anwendet.

Einführend unterscheiden die beiden Londoner McKinsey-Berater Emily Lawson und Colin Price drei Ebenen (levels) von Veränderung: Die erste und harmloseste macht überhaupt keine Veränderungen im Denken und Handeln der Mitarbeiter erforderlich – so etwa der Verkauf von randständigen Geschäftsfeldern und die Konzentration auf das Kerngeschäft. Etwas anspruchsvoller die zweite: Sie verlangt den Mitarbeitern Anpassungen ab, die im Rahmen der bisherigen Denkschienen liegen – wie etwa das Bemühen um weitere Kostensenkungen oder Ausschussreduzierung. Die dritte und schwierigste fordert den Mitarbeitern grundlegende Einstellungs- und Verhaltensänderungen ab, besteht also letztlich in einer Kulturveränderung.

Für diese dritte und schwierigste Stufe, so die beiden Autoren, hat die Psychologie Hilfen anzubieten, allerdings nur bei geballtem Einsatz ihrer Erkenntnisse: "Linking all of the major discoveries together in programs to improve performance has brought about startling changes in the behavior of employees–-changes rooted in new mind-sets. Performance-improvement programs that apply all of these ideas in combination can be just as chaotic and hard to lead as those that don't. But they have a stronger chance of effecting long-term changes in business practices and thus of sustaining better outcomes." (S. 1)

Diese "major discoveries" sind nach ihrer Einschätzung:

1. A Purpose to Believe In. Darin stützen sie sich auf Leon Festingers 1957 (!) publizierte, aber nach wie vor gültige Theorie der kognitiven Dissonanz, nach der Menschen "a deep-seated need to eliminate cognitive dissonance by changing either their actions or their beliefs" haben. Ihre Schlussfolgerung daraus ist "that if people believe in [an organization's] overall purpose, they will be happy to change their individual behavior to serve that purpose" (S. 2). Wenn es nur so einfach wäre – schließlich kann man die kognitive Konsonanz auch leichter haben, nämlich indem man sich von Zielen distanziert, die einem allzu große Zumutungen abverlangen.

2. Reinforcement Systems. Hier setzen Lawson und Price ihre Reise in die Psychologiegeschichte bis zu B. F. Skinner und der Konditionierung (um 1920) fort. Dennoch ist ihre Feststellung ebenso richtig wie selten beachtet: "Reporting structures, management and operational processes, and measurement procedures–-setting targets, measuring performance, and granting financial and nonfinancial rewards–-must be consistent with the behavior that people are asked to embrace." (S. 2) Eines der häufigsten Hindernisse für Kulturveränderung ist in der Tat, dass die Mitarbeiter bescheuert wären, wenn sie sich so verhielten, wie es von ihnen gefordert wird.

3. The Skills Required for Change. "Many change programs make the error of exhorting employees to behave differently without teaching them how to adapt general instructions to their individual situation." (S. 2) So richtig diese Feststellung ist, so fraglich erscheint mir, ob dies primär ein Problem des "Adult Learning" ist, auf das sie in diesem Abschnitt zu sprechen kommen. Zwar ist sicherlich richtig, dass Erwachsene (genau wie auch Kinder) "can't learn merely by listening to instructions; they must also absorb the new information, use it experimentally, and integrate it with their existing knowledge." (S. 2f.) Doch der Schritt, neue Ideen und Konzepte auf Abteilungen und Personen herunterzubrechen, ist keineswegs nur ein didaktisches Problem, sondern vor allem ein inhaltliches. Vor dem Lehren kommt das Klären – zum Beispiel: Was heißt "Kundenorientierung" eigentlich für die Arbeitsvorbereitung oder für die Buchhaltung?

4. Consistent Role Models. Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Abschnitt (der sich ausgerechnet auf einen Kinderarzt, nämlich den in den USA sehr populären Dr. Benjamin Spock beruft) ist: "People model their behavior on 'significant others': those they see in positions of influence." (S. 3) Diese "Significant Others" müssen keineswegs immer die Vorgesetzten sein – möglicherweise sind es auch ein Vertrauensmann der Gewerkschaft, der erfolgreichste Verkäufer oder andere interne Vorbilder und Meinungsführer. Daraus folgt nebenbei auch, dass das in Deutschland vielbeschworene "Vorleben" durch die Vorgesetzten keineswegs jene elementare Rolle hat, die ihm oft beigemessen wird: "Role modeling by individuals must therefore be confirmed by the groups that surround them if it is to have a permanent or deep influence." (S. 3)

Auch wenn gegen diese vier Punkte vom Grundsatz her nichts einzuwenden ist, wirken sie doch ein wenig mager – soll das wirklich schon alles gewesen sein, was die Psychologie aus Sicht von McKinsey zum Change Management beizutragen hat?! Das erweckt eher den Eindruck, als habe da jemand, dessen Psychologie-Studium schon etwas länger zurückliegt, seine spärlichen Erinnerungsreste zusammengeklaubt und daraus ein CEO-fähiges Amalgam gebraut.

Die praktische Anwendung dieser vier Grundsätze demonstrieren die beiden McK-Berater anhand der Fallstudie einer europäischen Großbank mit über 30.000 Beschäftigten. Aus dem "Purpose to believe in" wird so eine vom CEO entwickelte "story that would make sense to all of the bank's employees, top to bottom, and would persuade them to change their behavior in line with the new principles." (S. 3) Zusammen mit seinen Executive Directors entwickelte er die "Story" weiter. "Each of them in turn developed a chapter of the story relevant to his or her direct reports; the human-resources director, for example, explained how she would improve the system for identifying potential highfliers and redraw their career paths so they would spend less time in low-impact jobs." (S. 4)

Wie rabiat McKinsey auch unter der Flagge der Psychologie vorgeht, lässt der Abschnitt "Reinforcing Systems" erahnen: "The most dramatic structural change at the bank was eliminating 20 percent of its managerial jobs. The hypothesis, later proved correct, was that doing so would remove a swath of useless activity, without any falloff in performance. All of the bank's managerial jobs were terminated, and managers were invited to apply for the remaining 80 percent." (S. 4) Angesichts dieses Vorgehens muss man sich schon fragen, wozu es denn der Psychologie bedarf, wenn das Handeln in seinem Kern vom rücksichtslosen Ausspielen der eigenen Machtmittel geprägt ist. Sämtliche Führungskräfte zu kündigen und sie dann zur Bewerbung für die verbliebenen Jobs "einzuladen", heißt, ihnen auf geradezu höhnische Weise vorzuführen, wer die Macht im Unternehmen hat, und die derart Gedemütigten auch noch zu zwingen, unter Verlust ihrer Selbstachtung gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich für ihren eigenen Job neu zu bewerben. Was meinen diese Nachfolger des legendären Dr. Eisenbart eigentlich, welche Folgen solche Rosskuren für die Loyalität der Führungskräfte, für ihre Innovationsfähigkeit und für ihre gesamte Einstellung zum Unternehmen haben?

Da passt es ins Bild, dass auch die "Skills for Change" mit Entlassungen beginnen: "There was more drama to come. After four months of developing the new strategy with the ten directors, the CEO realized that only five of them were committed to change and equipped to see it through. To ensure that his bank had the right skills to change its practices and culture, he replaced the other five with new directors, three of them outsiders." (S. 4) Zwar ist sicherlich richtig, dass die Durchsetzung kultureller Veränderungen auch das Auswechseln von Top Managern erfordern kann – rätselhaft bleibt aber, was dies mit der Psychologie des Fähigkeitserwerbs von Erwachsenen zu tun haben soll. Auch bei dem, was danach noch folgt, ist die Verbindung zu den eingangs erläuterten psychologischen Prinzipien nur mit größter Mühe herstellbar. Bleibt die Frage, wofür es gut sein soll, das brachiale Durchsetzen von Veränderungen mit ein bisschen Schmalspur-Psychologie zu verbrämen.

Schlagworte:
Change Management, Psychologie, Kulturveränderung

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