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Meisterhafte Einführung in die Soziobiologie

Wickler, Wolfgang; Seibt, Uta (1977):

Das Prinzip Eigennutz

Ursachen und Konsequenzen sozialen Verhaltens

Piper (München) 1981; 373 S. (derzeit vergriffen, aber antiquarisch ganz gut verfügbar)


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 21.07.2005

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Zwei führende Wissenschaftler bieten eine höchst kompetente und dennoch lesbare Einführung in die Soziobiologie, ein relativ neues Forschungsgebiet, das den wohl besten Schlüssel zum Verständnis der inneren Logik des Tierverhaltens bietet.

"Das Prinzip Eigennutz" ist nicht etwa, wie der Titel suggerieren könnte, eine zeitgenössische Kampfschrift, die dem um sich greifenden Neoliberalismus einen biologisch-ideologischen Überbau liefert. Vielmehr handelt es sich um eine mittlerweile fast 30 Jahre alte, sehr sorgfältige und seriöse, dennoch lesbar geschriebene Monographie über das damals noch sehr junge Forschungsgebiet der Soziobiologie. Es stammt aus der Feder von zwei führenden Wissenschaftlern: Wolfgang Wickler war Schüler und Nachfolger von Konrad Lorenz am Max-Plack-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen, Uta Seibt seine langjährige wissenschaftliche Assistentin.

Der Titel nimmt Bezug auf den zentralen Gedanken, in dem sich die Soziobiologie von der älteren Verhaltensforschung abhebt: Dass nämlich das Verhalten von Tieren samt sämtlicher angeborenen und erlernten Verhaltensprogramme nicht etwa der Erhaltung der Art dient, sondern der möglichst erfolgreichen Weitergabe des eigenen Erbguts an die nachfolgenden Generationen. Was natürlich ein Gedanke ist, der sich ideologisch missbrauchen lässt. Dass er dennoch richtig ist, zeigt eine simple Überlegung: Der Anteil eines Gens am bestehenden Genpool einer Art hängt zum einen davon ab, wie viele Träger dieses Gens es in der vorausgegangenen Generation gab, zum anderen davon, wie erfolgreich seine Träger bei der Weitergabe ihrer Gene waren. Verschiebungen der "Marktanteile" kommen ausschließlich durch Unterschiede in der Erfolgsquote der Genträger zustande. Man braucht dafür also keine inhärente "Motivation" von Genen (à la "Das egoistische Gen") oder Genträgern anzunehmen – das Prinzip gilt auch so. Allerdings würde die Motivation und Geschicklichkeit von Individuen dann eine Rolle helfen, wenn sie sich positiv auf die Erfolgswahrscheinlichkeit der Genweitergabe auswirkt. Welche Strategien es in diesem Zusammenhang gibt, was ihre Logik ist und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen, davon handelt dieses Buch.

Es ist in neun große Kapitel gegliedert, von denen sich nur das letzte und mit Abstand kürzeste auf netto acht Seiten mit der "Suche nach Parallelen beim Menschen" befasst. Wer also nur etwas über "den Menschen" bzw. über sich selbst erfahren will, möge besser seine Finger von diesem Buch lassen. Wer hingegen neugierig darauf ist, "was die (lebende) Welt im Innersten zusammenhält" und welche Faktoren die Entwicklung und Veränderung des Lebens vorantreiben, für den dürfte sich die Lektüre auch heute noch lohnen – jedenfalls dann, wenn ihm über den vielen Beispielen von Löwen, Teichmolchen, Blattschneiderameisen, Buntbarschen und anderem Getier nicht langweilig wird.

Im ersten Kapitel führen Wickler und Seibt in ihre Fragestellung ein und spüren dabei deren historischen Wurzeln nach. Erstaunlich (und auch wieder nicht), wie lange der Versuch, Ähnlichkeiten zwischen tierischem und menschlichem Verhalten zu erklären, in die Geschichte zurückreicht. Im zweiten Kapitel rekapitulieren sie kurz die Evolutionstheorie, die das theoretische Fundament von Verhaltensforschung und Soziobiologie bildet. Darin distanzieren sie sich deutlich von dem Sozialdarwinismus: "Wir werden in diesem Buch zeigen, wie sehr man solche Ansichten in der Soziologie korrigieren muss, wenn man wirklich konsequent die Ergebnisse der Evolutionsforschung auswertet und nicht nach Belieben Teile davon weglässt. Dennoch kann man dabei aber leicht einen alten Trugschluss begehen und das, was in der Natur normalerweise geschieht, dem gleichsetzen, was der Mensch anstreben soll. (...) Die Begründung, der Mensch habe keine Aussichten, Zustände herzustellen, die seiner Natur nicht entsprechen, übersieht, dass der Mensch durch Vernunft und Technik Ziele erreichen und Zustände verwirklichen kann, die rein biologisch für die natürliche Selektion unerreichbar sind. Dann aber ist es unklug, sich nur an den Ergebnissen der natürlichen Selektion zu orientieren, um zu beurteilen, was für Menschen gut und passend ist." (S. 48 f.)

Dass die Selektion keineswegs den Charakter eines "totalen Kriegs im Tierreich" hat, zeigen Wickler und Seibt ausgerechnet am Beispiel der innerartlichen Aggression. Dabei knüpfen sie an eine Beobachtung von Konrad Lorenz an: "Je gefährliche Waffen-Organe eine Tierart trägt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie im Kampf mit Artgenossen eingesetzt werden." (S. 52) Stattdessen kommt es in solchen Fällen bevorzugt zu sogenannten "Kommentkämpfen", die unblutig und ohne Beschädigung ausgetragen werden. Um dies zu erklären, muss man kein Prinzip der "Arterhaltung" annehmen, das der individuellen Selektion übergeordnet wäre: Wie Wickler und Seibt anhand eines ebenso einfachen wie überzeugenden Rechenmodells zeigen, lässt sich die Strategie, Beschädigungskämpfe zu vermeiden, mühelos aus dem Prinzip der individuellen Selektion erklären. Denn wer im Beschädigungskampf gewinnt, hat natürlich deutlich bessere Chancen, seine Gene weiterzugeben – wer aber schwer beschädigt wird, erleidet ein (möglicherweise dauerhaftes) Handicap, das den möglichen Vorteil überwiegt. (Das bestätigt das schwäbische Prinzip: "Lieber zehn Minuten lang feig als ein Leben lang tot!") Andererseit hätte in einer Population reiner Kommentkämpfer ein einzelner Beschädigungskämpfer nur Vorteile und keinerlei Risiko. Daher entstehen sogenannte "evolutionsstabile Mischstrategien": Die Zahl der Beschädigungskämpfer steigt an bis zu jenem Grenzwert, an dem die Chancen und Risiken beider Strategien sich ausgleichen.

Eines der faszinierenden Themen in der Soziobiologie ist für mich das der Verwandtschaft, der sich das dritte Kapitel widmet. Die gegenseitige Unterstützung innerhalb eines Familienclans, den man bei vielen Tierarten findet, macht biologisch absolut Sinn – nicht nur als Geschäft auf Gegenseitigkeit, sondern auch bei asymmetrischen Leistungsströmen, weil die Nachkommen von Verwandten ja auch Träger der eigenen Gene sind, und zwar umso mehr, je enger die Verwandtschaft ist. Das gleiche gilt für die "Adoption" verwaister Kinder von Geschwistern. Aber auch die Abschottung von Clans hat ihre Logik, weil sie verhindert, dass sich "Trittbrettfahrer" mehr Unterstützung erschleichen als sie zurückzahlen können. Aus der genetischen Verwandtschaft ergibt sich auch, dass es für Individuen in schwierigen Zeiten zuweilen sinnvoller ist, auf eigenen Nachwuchs zu verzichten und stattdessen die Kinder von Geschwistern zu unterstützen. Dies gilt genau dann, wenn die Überlebens-Wahrscheinlichkeit eigener Kinder weniger als 50 Prozent von der der Nichten und Neffen wäre. So liefert die Mathematik der Verwandtschaft schlüssige Erklärungen für viele Verhaltensmuster, die ohne diesen Hintergrund unlogisch, bizarr oder sogar völlig widersinnig scheinen.

Dass auch eine Kooperation von nicht verwandten Individuen soziobiologisch sinnvoll sein kann, erläutert Kapitel IV "Die Gegenseitigkeit". Beispiele sind Warnrufe (mit denen Individuen die Aufmerksamkeit eines Feinds auf sich ziehen, aber dennoch im Schnitt ihr eigenes Überleben effektiv sichern), Koalitionen auf Gegenseitigkeit, Symbiosen, aber auch die Kooperation der Geschlechter. Wie Wickler und Seibt mit zahlreichen Beispielen illustrieren, zeigt aber gerade dieser Fall, wie vertrackt die Interessenlage bei der Zusammenarbeit von Partnern ist, die kein originäres Interesse an den Genen der jeweils anderen Seite verbindet, sondern "nur" das Interesse am Erfolg der gemeinsamen Nachfahren. Themen der weiteren Kapitel sind "Die Verständigung", "Die Organisation des Verhaltens und "Die Bindung". Auch in diesen Kapiteln gelingt es Wickler und Seibt meisterhaft, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Um die zentralen Erkenntnisse der Soziobiologie zu vermitteln, berichten sie ausführlich über Forschungsstudien, die es dem Leser ermöglichen, die Aussagen nachzuvollziehen, statt sie einfach glauben zu müssen. Wo nötig, muten sie dem Leser dabei auch Rechenmodelle zu, die untermauern, dass die zentralen Aussagen nicht nur plausibel, sondern auch rechnerisch schlüssig sind.

Das macht das Buch anspruchsvoll, aber auch besonders lohnend. Gewiss keine leichte Kost, die man mal eben vor dem Einschlafen unkonzentriert durchblättert, aber eine, die dem interessierten Leser eine trotz der 370 Seiten kompakte und hochkonzentrierte Einführung in ein Fachgebiet ermöglicht, das ebenso wie Goethe und Brecht zur gehobenen Allgemeinbildung zählt. Wobei ich sowohl im Nutzen als auch in der Lesbarkeit noch einen Punkt mehr vergeben hätte, wenn Wickler und Seibt von Zeit zu Zeit die aus ihrer Sicht zentralen Erkenntnisse komprimiert zusammengefasst hätten. Aber auch ohne dieses I-Tüpfelchen halte ich dieses Buch für ein unterschätztes Meisterwerk.

Schlagworte:
Soziobiologie, Verhaltensforschung, Einführung

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