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Ermutigung – eine der wichtigsten Führungsfähigkeiten überhaupt

Dinkmeyer, Don; Dreikurs, Rudolf (2004):

Ermutigung als Lernhilfe

Originaltitel: Encouraging Children to Learn: The Encouragement Process (1963)

Klett-Cotta (Stuttgart) 1970, 2004; 224 S.; 16,00 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 30.01.2006

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Die Fähigkeit, Menschen (und Organisationen) zu ermutigen, zählt zu den wichtigsten Führungsfähigkeiten überhaupt. Doch wer eine Einführung in die Ermutigung sucht, muss trotz der Überfülle an Führungsbelletristik auf Erziehungsratgeber ausweichen.

Das Thema Ermutigung ist ein bestürzendes Beispiel dafür, wie uns wertvolles Wissen, welches die Menschheit bereits erworben hatte, durch den Gang der Zeiten wieder verloren zu gehen droht. (Insofern ist die Lage hier ähnlich wie der klassischen Dialektik, für deren Wiederbelebung Rupert Lay und seine Schüler seit Jahrzehnten kämpfen.) Der Grund dafür ist keineswegs, dass dieses Wissen durch neuere, bessere Erkenntnisse überholt wurde – vielmehr wurde es durch den Mainstream der Psychologie bzw. der Führungslehre an den Rand gedrängt, obwohl es Gedanken und Handlungsempfehlungen bietet, die weit über das übliche oberflächliche Geplapper über die Bedeutung von Lob und Anerkennung hinausgehen. (Im pädagogischen Bereich ist das ein bisschen anderes: Zumindest das bekannte STEP Elterntraining und die STEP Elterhandbücher bauen auf diesen Erkenntnissen auf. Dennoch ist es ein Unglück für viele Kinder, Eltern und letzten Endes für unsere Gesellschaft, dass das Konzept und die Methoden der Ermutigung viel zu wenig bekannt sind.)

Das Konzept der Ermutigung geht insofern weit über "Loben und Anerkennen" hinaus, als es weder auf Konditionierung setzt noch auf das bloße Vermitteln positiver Gefühle ("Heute schon gelobt?"). Ermutigung setzt vielmehr am Selbstbild der Adressaten an und zielt darauf, sie zu anzuregen, neuen Mut auf Gebieten zu fassen, auf denen sie eigentlich schon aufgegeben hatten. Denn nach dem Verständnis der Individualpsychologie gibt es keine faulen, verstockten oder aufsässigen Kinder, sondern nur entmutigte. Die gleichen Kinder (oder auch Erwachsenen), die vordergründig abgrundtief faul zu sein scheinen, nehmen auf anderen Gebieten, die ihnen mehr liegen, freiwillig große Anstrengungen auf sich – von einem durchgängigen Charakterzug "Faulheit" kann also überhaupt keine Rede sein. Faulheit ist letzten Endes nichts anderes als die Verweigerung von Aufgaben, die mit negativen Erwartungen befrachtet sind: Wer als Resultat seiner Anstrengungen nur eine (erneute) Niederlage erwartet, für den ist es nur allzu naheliegend, es gar nicht erst zu versuchen. So betrachtet, entpuppt sich Faulheit als der resignierte Versuch, das angeknackste Selbstwertgefühl vor weiteren schmerzlichen Misserfolgen zu verschonen. In ähnlicher Weise erklärt die Individualpsychologie aufsässiges, aggressives und störendes Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen: Sie haben das Selbstvertrauen verloren (oder nie entwickelt), sich ihren Platz in der Gemeinschaft durch beitragendes Verhalten und positive Leistungen sichern zu können, und versuchen deshalb, sich durch negatives Verhalten wenigstens einen Platz als Störenfried und Nervensäge zu erzwingen.

Ermutigung kann nur gelingen, wenn sich Eltern und Erzieher mit solchen Kindern und Jugendlichen nicht in einen Machtkampf verstricken (in dem sie, wie Dreikurs und Loren Grey in ihrem Buch "Kinder lernen aus den Folgen" zeigen, ohnehin schlechte Karten haben). Der Versuch, sie mit Sanktionen auf den Pfad der Tugend zu zwingen, scheitert schon daran, dass Kinder und Jugendliche erstaunlich unempfindlich gegen Strafen sind und diese "mit Gleichmut ertragen" – und dann so weitermachen wie bisher. Ermutigung heißt, sie dazu zu motivieren, sich ihren Lebensaufgaben zu stellen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und sie zur schrittweisen Überwindung ihres negativen Selbstbilds anzuregen. Denn nur wer ein positives Selbstbild besitzt, kann sich auch vorstellen, sich durch einen positiven Beitrag zum Ganzen einen anerkannten Platz in der Gemeinschaft zu erwerben. Wie kläglich wirken im Vergleich zu einer solchen Betrachtung die "Motivations"-Empfehlungen vieler Führungsratgeber!

Obwohl dieses Buch zuerst 1963 in den USA erschienen ist, liegen seine eigentlichen Wurzeln im "alten Europa". Zwar ist Don Dinkmeyer Amerikaner und gehört der "Chicagoer Schule" der Individualpsychologie an, doch sein Koautor und Lehrer, der Psychiater Rudolf Dreikurs (1897 – 1972), war Wiener und ein direkter Schüler Alfred Adlers, des Begründers der Individualpsychologie. Dreikurs, dessen Buch "Grundbegriffe der Individualpsychologie" von den Nazis verbrannt wurde, emigrierte in die USA und trug maßgeblich dazu bei, die Individualpsychologie jenseits des Atlantiks bekannt zu machen. Heute hat sie dort mehr Einfluss als bei uns und wird in unterschiedlichen Verpackungen – zum Beispiel in Form von Dinkmeyers STEP-Elterntrainings – zu uns reimportiert.

Das Buch gliedert sich in zehn Kapitel. Die beiden ersten befassen sich mit der Entwicklung der Persönlichkeit und speziell mit der Entwicklung des Kindes; sie vermitteln auf gut 30 Seiten eine knappe Einführung in die individualpsychologische Theorie. Ihre zentrale Aussage ist, dass die Entwicklung der Persönlichkeit weder eine weitgehend passive Konditionierung durch die Umwelt ist noch die Ausformung einer genetisch vorbestimmten Struktur, sondern das Ergebnis der Schlussfolgerungen und Entscheidungen, die ein Kind selbst aus seinen frühen Lebenserfahrungen ableitet. Das ist ein revolutionärer Gedanke: Danach wird Persönlichkeit nicht geformt, sondern das Kind formt seine Persönlichkeit selbst, und zwar als Antwort auf die Herausforderungen, die das Leben ihm stellt, und auf der Suche nach seinen Platz in der Gemeinschaft. Je nachdem, wie mutig oder mutlos es mit diesen Herausforderungen umgeht, entwickelt es seinen Charakter – und sein Leben – in völlig unterschiedliche Richtungen.

"Entmutigung und Mutlosigkeit", von denen das dritte Kapitel handelt, bewirken, dass ein Mensch sich nicht mehr zutraut, durch sein Wesen, seine Fähigkeiten und seinen aktiven Beitrag einen anerkannten, vollwertigen Platz in der Gemeinschaft zu erringen. Deshalb weichen entmutigte Kinder (und Erwachsene) auf aggressive, regressive oder sonstwie defizitäre Strategien aus, gemäß dem bitteren, aber treffenden Satz: "Lieber eine Tracht Prügel als überhaupt keine menschliche Zuwendung!" So dient störendes Verhalten oft dazu, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; Aggressivität verschafft Macht und ein Gefühl von Überlegenheit; Vandalismus kann eine Form von Rache und Vergeltung sein; jugendliche Kriminalität heißt, sich trotzig gegen die Gemeinschaft zu stellen. Wichtig ist: Die Individualpsychologie entschuldigt Fehlverhalten nicht; sie ist im Gegenteil die psychologische Schule, die die Verantwortung am klarsten bei den handelnden Personen lässt. Aber sie liefert mit dem Konzept der Entmutigung eine schlüssige Erklärung – und zugleich einen wertvollen Hinweis zu dessen Korrektur.

Genau darum geht es dann auch in den verbleibenden Kapiteln: Das vierte, "Grundsätze der Ermutigung", gibt eine Einführung; es folgt die "Ermutigung auf speziellen Gebieten" sowie "Die Förderung sozialer Fähigkeiten durch Ermutigung". Daran schließen sich "Altersgemäße Ermutigungsmethoden" an, die zwischen Grundschul- und Mittelstufenalter differenzieren. Wichtig auch das Kapitel über die "Ermutigung in der Gruppe", denn es sind keineswegs nur Lehrer, Erzieher und Vorgesetzte, die ermutigen können; eine wesentliche Rolle hat dabei auch die soziale Gemeinschaft. Schließlich geht es um "Probleme im Ermutigungsprozess", und den Abschluss bildet ein Kapitel mit zahlreichen kurzen Fallstudien.

Aber muss man um ein im Grunde so einfaches Thema wirklich so viele Worte verlieren? Ja, das muss man – nicht, um das Konzept zu verstehen, das eigentlich nicht so kompliziert ist, sondern vor allem, um seine praktische Umsetzung ansatzweise zu begreifen. Denn auch wenn sie "eigentlich" nicht so schwierig ist, ist sie doch alles andere als trivial. Die beiden größten Hürden sind wohl, dass sie voll gegen unsere antrainierten Reflexe des Korrigierens und Erzwingens läuft – und dass die meisten Menschen hier wenig wirkliche Vorbilder erlebt haben. Ein außergewöhnliches Glück, wenn man, wie ich, einmal Gelegenheit hatte, über längere Zeit mit einem "großen Ermutiger" zusammenzuarbeiten!

Leider ist das Konzept der Ermutigung weniger leicht auf Erwachsene zu übertragen als etwa das des "Lernens aus den Folgen" (Dreikurs / Grey). Denn bei Erwachsenen ist der Lebensstil, also ihre Einstellung zu sich selbst und zu den Mitmenschen, schon sehr viel stärker verfestigt. So ist es wirklich Knochenarbeit, einen Erwachsenen dazu zu ermutigen, beispielsweise seine Resignation gegenüber der Mathematik, seiner technischen (Un)Fähigkeit oder seiner (Un)Musikalität wenigstens probehalber in Frage zu stellen. Andererseits wäre der Bedarf für ein "professionelles Ermutigungs-Management" gerade in der Wirtschaft riesig, denn wir haben es nicht nur vielerorts mit entmutigten Individuen zu tun, sondern allzu oft auch mit entmutigten Unternehmen, und dies in einem insgesamt entmutigten Land. Doch solange wir auf den Bestseller "Encouraging Leadership" warten, ist "Ermutigung als Lernhilfe" zumindest ein ausgezeichneter Notbehelf, der überdies kostenlos einen beträchtlichen Nutzen für das Privatleben mitliefert.

Schlagworte:
Ermutigung, Mut, Entmutigung, Mutlosigkeit, Erziehung, Führung

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