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Lebenswerte Alternativen zur Kultur des größtmöglichen Schadens

Quinn, Daniel (1999):

Beyond Civilization

Humanity's Next Great Adventure

Three Rivers Press (New York); 202 S.; 11,50 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 7

Rezensent: Winfried Berner, 29.07.2006

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Als Alternative zu unserer heutigen Lebensform schlägt Quinn einen "New Tribalism" vor: Zusammenschlüsse von Menschen, die mit einem gemeinsamen Geschäftsmodell ihren Lebensunterhalt verdienen – arbeitsteilig, aber ohne hierarchische Strukturen.

In seinen vorausgegangenen Büchern "Ishmael", "My Ishmael" und "The Story of B" hat Daniel Quinn einige schwerwiegende Fragen aufgeworfen. Er hat herausgearbeitet, dass der Lebensentwurf unserer Zivilisation nicht evolutionsstabil und damit zum Scheitern verurteilt ist. Die Weltbevölkerung verdoppelt sich in immer kürzeren Abständen, und wir sind dabei, einen immer höheren Anteil der Biomasse dieses Planeten in "Humanmasse" sowie in Nahrung für Menschen – das heißt in werdende Humanmasse – zu verwandeln, zu Lasten (fast) aller anderen Arten, die wir in unserer Expansion schlicht über die Klippe drängen. "Kein Platz für wilde Tiere?", hatte Bernhard Grzimek vor beinahe einem halben Jahrhundert gefragt. Trotz aller halbherzigen Bemühungen um Artenschutz ist die Antwort, wenn wir ehrlich sind, kein klares Nein.

Doch Quinns Bücher haben sehr klar gemacht, dass wir mit unserer "culture of maximum damage" nicht nur unzählige andere Arten in ihrer Existenz bedrohen, sondern auch und zuvorderst uns selber. Quinn sieht den ökologischen Kollaps vermutlich zu nahe ("a few decades, a century at most", S. 7), doch wenn aufstrebende Staaten wie China, Indien und Korea ihren Ressourcenverbrauch auch nur annähernd in gleichem Tempo steigern wie in den letzten Jahren, wenn die Armutsmigration aus Afrika, Asien und Südosteuropa sich in gleicher Weise fortsetzt, wenn zahlreiche Länder der Welt den gleichen Lebensstandard erreichen wie wir hier im wohlhabenden Westen, dann wird es schneller, als wir heute noch glauben, verdammt eng. Und wir können im Voraus nicht wissen, wann wir den "Point of no return" überschritten haben (oder ob wir ihn vielleicht schon überschritten haben).

Das Problem bei solchen Analysen ist, dass sie zwar Leidensdruck schaffen, aber nicht unbedingt eine Perspektive eröffnen. Auch bei Quinns vorausgegangenen Büchern "Ishmael" und "The Story of B" war das Problem, dass er keine wirkliche Antwort auf die Frage geben konnte, wie ein Ausweg aus dieser bedrohlichen Entwicklung aussehen könnte. Und wenn auch eine Frage nicht ungültig wird, bloß weil es uns an Antworten mangelt, so bewirkt doch der Mangel an Antworten, dass die meisten Menschen die Frage wegschieben, weil sie den entstandenen Leidensdruck auf die Dauer nicht ertragen können oder wollen. Was zwar fatal ist, aber menschlich.

Gerade deshalb ist es sehr erfreulich, dass Daniel Quinn mit "Beyond Civilization" einen beherzten Anlauf macht, mögliche Alternativen zu unserer fatalen Lebensform zu entwerfen. Dieses Buch ist eine anregende, gut lesbare Mischung aus Gedanken, die seine früheren Ausführungen weiterführen, inhaltlichen Vertiefungen und Antworten auf Fragen und Einwände, die ihm seit der Veröffentlichung von "Ishmael" offenbar reichlich begegnet sind. Vermutlich muss man einige von Quinns vorausgegangenen Büchern gelesen haben, um die Fragen in ihrer vollen Tragweite verstehen will, die Quinn in "Beyond Civilization" zu beantworten versucht – am besten wohl "Ishmael" (oder "My Ishmael") und "The Story of B". Damit grenzt sich der Leserkreis leider auf "Quinn-Fans" ein. Aus diesem Grunde stufe ich auch die Lesbarkeit dieses Buchs nur mit "7" ein, obwohl sie für alle, die einige der Vorläufer gelesen haben, schon deshalb optimal ist, weil die Unterkapitel der Struktur von FAQ's folgen und jeweils maximal eine Seite lang sind.

Im ersten Teil "Closing In on the Problem" fasst Quinn noch einmal zusammen, worum es ihm eigentlich geht, nämlich um nichts Geringeres als "saving the world as a human habitat" (S. 6). Nach seiner Überzeugung helfen dafür keine "Programme", die unseren Weg ins Verderben lediglich aufzuhalten versuchen: "they only make bad things less bad." (S. 18) Wie viele Ökologen vertritt er die Ansicht, dass nicht die Welt der Rettung bedarf – sie würde auch nach dem Kollaps des Ökosystems weiter bestehen, und das Gleiche gilt auch für das Ökosystem als solches. Was der Rettung bedarf, sind lediglich Lebensbedingungen auf der Welt, unter denen der Mensch fortbestehen kann.

Nach seiner Überzeugung brauchen wir dafür eine neue Vision von der Rolle des Menschen auf der Erde, die anstelle unserer bisherigen, zunehmend existenzbedrohenden Lebensweise tritt. Das Problem ist nur: "No paradigm is ever able to imagine the next one. It's almost impossible for one paradigm to imagine that there will even be a next one. (...) If they'd been able to describe the Renaissance in the fourteenth century, it would have been the Renaissance." (S. 20) Glücklicherweise stimmt Quinn an dieser Stelle nicht in das ermüdende Geplapper über Paradigmenwechsel ein, mit dem uns die New Age-Bewegung genervt hat, sondern empfiehlt als Weg der Veränderung bescheiden und pragmatisch: "One meme at a time." (S. 21) Der Begriff "Meme", der auf Richard Dawkins zurückgeht, ist dabei eine Analogie zu dem Begriff Gen und steht für die Codierung unserer Kultur in unserem individuellen und kollektiven Gedächtnis: "Briefly, memes are to cultures what genes are for bodies." (S. 21) Beginnen sollten wir dabei, so rät er uns, mit den potenziell tödlichen Memen: "They were at work, turning us into the rulers of the world, but their deadlines didn't become evident until this century, when they began turning us into the devastators of the world." (S. 25)

Im zweiten Teil "Closing In on the Process" stellt Quinn zunächst in Anlehnung an Dawkins fest, dass wir, die stolzen Menschen und Herrscher der Welt, nichts weiter sind als "temporary homes for the genes we received from our parents" (S. 29). "In the same way, we're the disposable vehicles in which our memes are riding to immortality." (S. 30) Als die zwei zentralen Meme unserer Zivilisation macht er dabei zum einen das Prinzip aus: "Growing all your own food is the best way to live." (S. 33; zum anderen den expansiven Leitsatz: "Ours is the one RIGHT way for people to live and everyone should live like us." (S. 49) Wie wichtig dieses zweite Mem für unsere Kultur ist, arbeitet er am Beispiel diverser mittelamerikanischer Kulturen – Mayas, Olmeken, Hohokan, Azteken, Inkas usw. – heraus, die zwar alle das erste Mem teilten, die agrarische Lebensform aber nach Darstellung Quinns nach einigen Jahrhunderten wieder aufgaben und keinerlei missionarische Ambitionen entwickelten. Ihnen "fehlte" offenkundig jenes Mem, das unsere Zivilisation dazu veranlasst hatz, die ganze Welt mit unserer Form des Wirtschaftens zu beglücken und diese Lebensform um jeden Preis aufrechtzuerhalten: "Possessing this meme, we made ourselves cultural missionaires to the world, and, lacking this meme, the Mayas, the Olmecs, and the others did not." (S. 49)

Wer die Sorge hat, dass Quinn hier etwas zu weit reichende Schlüsse aus seiner Datenbasis zieht, den könnte folgendes Gedankenspiel überzeugen: Hätte Columbus, wie ursprünglich erhofft, mit seiner Atlantik-Überquerung einen Seeweg nach Indien erschlossen, dann hätten die Europäer ihn sicher freudig genutzt, um ihren Handel mit dem Orient auszubauen, aber sie wären kaum auf die Idee gekommen, die Asiaten zu vertreiben und Asien für sich zu erobern. Da sie aber auf der anderen Seite des Atlantik nur "unzivilisierte Wilde" vorfanden, betrachteten sie es als ihre heilige Pflicht, dieses herrenlose Land in ihren Besitz zu nehmen und ihm das Heil der Zivilisation zu bringen: "When a farmer clears a field and puts it to the plow, he doesn't think of himself as taking this field away from all the wildlife that makes its how there. He isn't stealing it, he's putting it to the use God intended from the beginning." (S. 50) Macht euch die Erde untertan ...

Da wir uns dank des zweiten Mems keine Alternative zu unserer Zivilisation vorstellen können, bleibt uns nach Quinns Worten seit den Zeiten der Pharaonen nichts anderes übrig als fortzufahren, Pyramiden zu bauen: "No special control is needed to make people into pyramid buiders–-if he see themselves as having no choice but to build pyramids. They'll build whatever they're told to build, whether it's pyramids, parking garages, or computer programs. Karl Marx recognized that workers without a choice are workers in chains. But his idea of breaking the chains was for us to depose the pharaohs and then buid the pyramids for ourselves, as if building pyramids is something we just can't stop doing, we love it so much." (S. 52)

Dem setzt Quinn zwei kühne Sätze entgegen, die das Programm für das weitere Buch bilden: "But we can still walk away from the pyramids." (S. 53) Denn: "Something BETTER than civilization is waiting for us. Something much better–-unless you're one of those rare individuals who just loves dragging stones." (S. 53) "Walking Away from the Pyramid" ist denn auch der dritte Teil überschrieben. Nun wird es spannend: Das ist nun der Punkt, an dem sich zweigen muss, ob Daniel Quinn tatsächlich eine lebenswerte Alternative zu unserer Zivilisation aufzuzeigen weiß.

Nach meiner Bewertung gelingt es Quinn in der Tat, mit dem von ihm propagierten "New Tribalism" zumindest einen ersten Schritt weg von den "Pyramiden" zu machen. Er unterscheidet dabei zwischen "Lifestyle (or way of life)", also der Art und Weise, wie eine Gruppe ihren Lebensunterhalt bestreitet (zum Beispiel Jagen und Sammeln) oder Ackerbau), und "Social Organization", das heißt der Organisationsform, in der sie dies tut. Sein besonderes Augenmerk gilt der Organisationsform. Denn während es abwegig wäre, dass wir bei der heutigen Bevölkerungsdichte unser Leben als Jäger und Sammler zu bestreiten wie unsere Vorfahren vor hunderttausend oder einer Million Jahren, kann uns deren Organisationsstruktur nach Quinns Auffassung durchaus als Modell dienen – immerhin sei es eine Lebensform, die sich über Jahrmillionen als evolutionsstabil herausgebildet hat: "Tribal life is not in fact perfect, idyllic, noble, or wunderful, but whereever it's found intact, it's found to be working well (...) with the result that the members of the tribe are not generally enraged, rebellious, desperate, stressed-out borderline psychotics being torn apart by crime, hatred and violence. (...) The tribal life doesn't turn people into saints; it enables ordinary people to make a living together with a minimum of stress year after year, generation after generation." (S. 61)

Dieser Gedanke ist weit weniger naiv und weniger leicht von der Hand zu weisen als es scheinen mag. Denn auch soziale Organisationsformen unterliegen der Evolution, und was sich nicht bewährt, verschwindet: "Humans may have tried many other social organizations in those three or four million years, but if so, none of them survived." (S. 62) Vorgeschichtliche Befunde zeigen ja in der Tat, dass solche Experimente immer wieder stattgefunden haben: "Not one of their experiments survived–-but tribalism did. And that's what natural selection is all about." (S. 62) Durchaus denkbar, dass das auch unseren hierarchischen Organisationsstrukturen blüht – vielleicht sogar, weil sie zu erfolgreich waren und genau dadurch die Erde unbewohnbar gemacht haben, ähnlich wie manche aggressive Virenstämme, die ihren Wirt binnen kurzer Zeit töten, und damit auch ihre Lebensgrundlage. Es ist daher gar nicht so absurd, über Organisations- und Lebensformen nachzudenken, die ökonomisch etwas weniger erfolgreich sind, aber dafür eine Zukunft haben und den Beteiligten "nebenbei" vielleicht sogar noch etwas mehr Lebensfreude ermöglichen.

Die vorgeschichtlichen Stammesgesellschaften waren ethnisch strukturiert: Mitglied wurde man durch Geburt oder eventuell durch Heirat. Was Quinn vorschwebt, sind hingegen freiwillige Zusammenschlüsse zum Zwecke des gemeinsamen Broterwerbs. In ihrem Mittelpunkt steht nicht, wie bei Kommunen oder Sekten, eine gemeinsame Weltanschauung oder Vision des Zusammenlebens, sondern sehr pragmatisch ein Geschäftsmodell, das allen Beteiligten den Lebensunterhalt ermöglicht – wie zum Beispiel bei einem Zirkus: "A tribe is a coalition of people working together as equals to make a living." (S. 65) Aufnahmekriterium ist demgemäß nicht die inbrünstige Überzeugung von einer bestimmten Lehre, Überzeugung oder Philosophie, sondern die Fähigkeit, einen Beitrag zum jeweiligen Geschäft zu leisten, der mindestens so groß ist, dass sie den Neuankömmling ernährt.

Aber weshalb sollten sich Menschen zu solchen "Stämmen" zusammenschließen? Quinns Antwort ist glasklar: Nicht, um all die wunderbaren Dinge aufzugeben, die ihnen unsere Zivilisation beschert, sondern um etwas zu bekommen, was ihnen die Zivilisation offenbar nicht geben kann: "Very precious things like security, hope, lightheartedness, and freedom from anxiety, fear, and guilt." (S. 86) Denn: "The tribal life and no other is the gift of natural selection to humanity. It is to humanity what pack life is to wolves, pod life is to whales, and hive life is to bees. After three or four million years of human evolution, it alone emerged as the social organization that works for people." People like the tribal organization because it works equally well for all members." (S. 82)

Rein ökonomisch kann das unter Umständen ein ebenso schlechtes Geschäft gegenüber einer gut bezahlten Festanstellung sein wie das Betreiben eines Bauernhofs, doch: "Spending more will certainly get you more, but it won't necessarily get you more of what you want." (S. 89) Zum Beleg zitiert Quinn einen Gedanken des Anthropologen Marshall Sahlins: "The World's most primitive people have few possessions, but the are not poor. Poverty is not a certain small amount of goods, nor is it just a relation between means and ends; above all it is a relation between people. Poverty is a social status. As such it is the invention of civilization." (S. 87)

Wenn man bedenkt, in welch absurder Situation wir mittlerweile mit unserer Zivilisation sind: Ökonomisch sind wir so reich wie noch zuvor nie eine Gesellschaft in der Geschichte; eine sinkende Zahl von Menschen arbeitet wie die Verrückten, während eine wachsende Zahl schlicht nicht mehr benötigt wird, um all unsere Reichtümer zu produzieren; das setzt eine gigantische Umverteilungsmaschinerie in Gang, die zwangsläufig ihre eigenen Ungerechtigkeiten sowohl innerhalb der einzelnen Staaten als auch international und vor allem im Verhältnis von reichen und armen Länderns schafft. Und bei alledem handeln wir im Beruf und vor allem im Management und bei dessen Beratung, als hätten wir kein einziges Wort von dem verstanden, was wir in unseren Zeitungen über Rohstoffverbrauch, Klimaveränderungen und Artensterben lesen. All dies bedenkend, scheint es mir keine so absurde Idee, dass sowohl diejenigen, die nicht mehr gebraucht werden, als auch diejenigen, die sich nicht mehr gebrauchen lassen wollen, über Alternativen nachdenken.

Den Rest des Buchs verbringt Quinn damit, diesen "New Tribalism" zu erläutern, zu detaillieren, zu verteidigen und gegen scheinbar ähnliche Konzepte abzugrenzen. Auch wenn man nicht jeder seiner Aussagen zustimmen wird (und muss), lohne sich das zu lesen. Gleich ob er in Teil 5 "The Tribe of the Crow", den "Stamm der Wohnsitzlosen" vorstellt und darüber nachsinnt, wie man Obdachlosigkeit als Lebensform ermöglichen könnte, statt sie zu bekämpfen, oder ob er in Teil 6 "The New Tribal Revolution" ausruft und sie als eine "Revolution ohne Erhebung" präsentiert, weil ihre Revolutionäre niemanden bezwingen, sondern sich einfach nur dem "Pyramidenbau" entziehen wollen, gleich ob er in Teil 3 erläutert, wie wir uns "Toward the New Tribalism" bewegen können oder was unter "Beyond Civilization" real zu verstehen ist: Seine Gedanken mögen zuweilen befremdlich, bizarr oder gar ärgerlich sein, aber sie liefern eine Menge "Food for Thought". Und das ist vielleicht mehr wert als fertige Konzepte, die man nur akzeptieren oder verwerfen kann. Denn dass wir etwas ändern müssen an unserer Art zu leben, ist von Jahr zu Jahr weniger von der Hand zu weisen. Daniel Quinn liefert wertvolle Denk¬anstöße, in welche Richtung es gehen könnte.

Schlagworte:
Ökologie, Lebensformen, Zukunft

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