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Ausgezeichnete Didaktik der Verhaltensökologie

Lamprecht, Jörg; Langlet, Jürgen; Schröder, Eckhart (2002):

Verhaltensbiologie im Unterricht

Neue Ergebnisse, neue Konzepte – Band 1: Verhaltensökologie

Aulis Deubner (Köln); 114 S.; 21,00 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 22.03.2007

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Eine gedanklich wie sprachlich sehr klare, gut strukturierte und didaktisch gut aufbereitete Einführung in die Verhaltensökologie – jenes Teilgebiet der Verhaltensbiologie, das sich mit der Evolution von Verhalten sowie dessen Zweck und Nutzen befass

Darf man als gestandener Business Professionell ein Schulbuch rezensieren? Bleibende Schäden wird es wohl nicht anrichten – außer vielleicht beim Image. Andererseits sollten gute Schulbücher den Vorteil einer guten didaktischen Aufbereitung der Materie haben, und ich will nicht recht einsehen, warum dieser Vorteil, so er denn gegeben ist, ausschließlich Schülern und Lehrern zugute kommen sollte. Zudem hat das Buch eine Besonderheit, die es von normalen Schul- bzw. Didaktik-Büchern abhebt: Es stammt aus der Feder von führenden deutschen Verhaltensbiologen: Der verstorbene Jörg Lamprecht (1941 – 2000) war Präsident der Ethologischen Gesellschaft, und seine Koautoren haben das von ihm initiierte und begonnene Werk im Auftrag der Ethologischen Gesellschaft zu Ende geführt. Lamprechts Anliegen war es dabei, "ein aktuelles Konzept für den Verhaltensbiologie-Unterricht an Schulen zu erarbeiten. Der Anlass war die Unsicherheit vieler Lehrender über die Richtigkeit und Aktualität der bisherigen Inhalte." (S. 9)

Auf diesem Fachgebiet, das zu Zeiten der Nobelpreisträger Konrad Lorenz, Niko Tinbergen und Karl von Frisch ganz einfach Verhaltensforschung (oder Ethologie) hieß, herrscht im öffentlichen Bewusstsein eine gewisse Verwirrung, die sich auch, aber nicht nur in der Bezeichnung der Disziplin niederschlägt. Die frühere Bezeichnung Ethologie haben die Nachfolger von Lorenz & Co. aufgegeben, weil ihr "innerhalb der Biologie und auch in der Öffentlichkeit der Beigeschmack von vorwissenschaftlich und inhaltlich überholt" anhaftet (S. 9). Auch von vielen Denk- und Forschungsansätzen der Gründerväter haben sie sich verabschiedet: "So spielen ursprünglich zentrale Begriffe wie Trieb, aktionsspezifische Energie, Erbkoordination, doppelte Quantifizierung und Modellvorstellungen wie das 'psychohydraulische Modell' oder die 'hierarchische Ordnung der Instinkte' seit vielen Jahren keine Rolle mehr." (S. 7) Die gebräuchlichste Bezeichnung ist heute Verhaltensbiologie. Mit dem Begriff "Verhaltensökologie" bezeichnen die Autoren jenes Teilgebiet der Verhaltensbiologie, das sich mit dem Überlebenswert von Verhaltensweisen befasst. [In einem Band 2 "Verhaltensontogenese und Verhaltensmechanismen" wird von denselben Autoren das komplementäre Teilgebiet der Verhaltensbiologie vorgestellt. Diese beiden Erklärungsansätze für tierisches (und menschliches) Verhalten stehen nicht im Gegensatz, sondern nähern sich demselben Phänomen aus zwei verschiedenen Blickrichtungen: Während die Verhaltensökologie nach dem biologischen Zweck des Verhaltens fragt, also letztlich nach seinem Überlebenswert, geht es bei Verhaltensontogenese und Verhaltensmechanismen um die biologischen Ursachen des Verhaltens. Für diese zwei Blickrichtungen wird auch das Begriffspaar "ultimate" (= zweckgerichtete = finale) vs. proximate (= kausale) Erklärung des Verhaltens verwendet.]

Wie ordnet sich in diese Begriffssystematik die Soziobiologie ein? Ursprünglich war dies ein alternativer Forschungsansatz, der in Konkurrenz zur klassischen Verhaltensforschung trat. Während Konrad Lorenz und Kollegen der Überzeugung waren, dass angeborene und erworbene Verhaltensmuster der Erhaltung der Art dienten, vertraten Edward O. Wilson, Richard Dawkins, aber auch Lorenz' MPI-Kollegen Wolfgang Wickler und Uta Seibt die Gegenposition, dass die Evolution nicht an der Art, sondern ausschließlich am Individuum ansetze, und dass der Zweck des Verhaltens daher nicht sei, das Überleben der Art zu sichern, sondern ausschließlich der Weitergabe der eigenen Gene an die nachfolgenden Generationen – und zwar selbst dann, wenn dies zu Lasten der Art ginge. Am radikalsten war da wahrscheinlich Dawkins, der die Gene als die eigentlichen Treiber der Evolution ansah, welche die Individuen als zeitlich befristete Vehikel auf dem Weg in ihre Zukunft nutzten – ein durchaus schockierender Gedanke, der aber plausibel wird, wenn man sieht, dass Individuen in Konfliktfällen durchaus geneigt scheinen, ihr persönliches Überleben für das Leben ihrer Kinder oder Enkel zu opfern: aus Sicht der Interessenlage des Individuums kein "rationales" Verhalten, aus Perspektive der Gene aber sehr wohl. Die Diskussion ist mittlerweile zugunsten der Theorie der Soziobiologie entschieden; die Disziplin selbst ist als Teilgebiet in der Verhaltensökologie aufgegangen: "Die Soziobiologie ist ein Teil der Evolutionsbiologie und widmet sich besonders der biologischen Funktion von Verhaltensweisen, die auf Artgenossen gerichtet sind. Die Verhaltensökologie fragt allgemeiner, welche Faktoren aus der belebten oder unbelebten Umwelt als Selektionsdrücke auf Verhaltensmerkmale wirken. Es ist schwierig und wenig ergiebig, die beiden Gebiete auseinander halten zu wollen; beide werden heute in der Regel unter der Bezeichnung Verhaltensökologie (engl. behavioural ecology) zusammengefasst." (S. 42)

Die "Verhaltensbiologie im Unterricht" umfasst nur 114 Seiten, von denen 11 für Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Einleitung abgehen und weitere 7 für Glossar und Literaturverzeichnis. Das erscheint etwas knapp für solch ein umfassendes Thema, doch dank des zweispaltig bedruckten A4-Formats entspricht der reale Umfang, umgerechnet auf normales Buchformat, mindestens der doppelten Seitenzahl. Das ist Raum genug für eine erste Einführung, auch wenn manche wissenschaftlichen Einführungen locker den zwei- bis vierfachen Umfang erreichen (wie zum Beispiel das leider vergriffene Lehrbuch "Verhaltensökologie" von Krebs und Davies mit 484 Seiten).

Die Einführung gliedert sich in zwei große Teile. Der erste ist überschrieben "Phänomene, Ziele und Methoden der Verhaltensbiologie"; sein Anliegen ist vor allem, die Prinzipien sauberen wissenschaftlichen Arbeitens auf diesem Gebiet zu vermitteln. Entsprechend lauten die vier Unterkapitel: "Beobachten statt Interpretieren", "Fragen und Erklärungen", "Quantitative Verhaltensregistrierung" und "Beschreibung von komplexen Verhaltensweisen: Soziale Strukturen und Organisationsformen".

Der zweite Hauptteil ist etwas vage "Die Angepasstheit des Verhaltens" überschrieben. Nach einer Einführung zum Aufgabengebiet und der Geschichte der Verhaltensökologie werden darin acht zentrale Denkmodelle, Erkenntnisse und gesicherte Theorien dieses Fachgebiets sehr klar und prägnant herausgearbeitet:
1. "Die Grundlagen der biologischen Evolutionstheorie
2. Das Prinzip der Optimalität
3. Der Konflikt zwischen den Geschlechtern
4. Arterhaltung oder Individualvorteil?
5. Verwandtenförderung (Verwandtenselektion, kin selection)
6. Frequenzabhängige Selektion
7. Kooperation
8. Die Verrechnung von Fitnesskomponenten über die Zeit"

In den Kapiteln wird der Dreischritt "Fachinformation – Materialien – Lösungsvorschläge" eingehalten. Das heißt, der Lehrer kann sich erst selbst sachkundig machen, dann findet er Materialien, die er – meist auf ein oder zwei Seiten kopierfähig aufbereitet – als Arbeitsmaterial verteilen kann, und schließlich werden Musterlösungen für die gestellten Aufgaben angeboten. (Was man schon etwas verwöhnend finden kann: Dem Lehrer wird bei der Erarbeitung um Aufbereitung jede eigene Anstrengung abgenommen. Aber was tut man nicht alles, um sein Fachgebiet wieder im Unterricht zu etablieren ...)

Danach endet das Buch etwas abrupt: Kein Resümee, kein Fazit, kein Ausblick, lediglich ein Glossar und ein Literaturverzeichnis. Vielleicht ist das eine Spätfolge von Lamprechts frühem Tod und des mangelnden Muts seiner Nachfolger, einen "Knopf" an die Sache zu machen; vielleicht ist es aber auch Ausdruck des derzeitigen Standes der Disziplin. Denn Verhaltensökologie und Soziobiologie haben zwar elementare Fragen aufgeworfen und durchaus auch schlüssige Antworten gefunden, aber bei der Frage: "Und was folgt daraus?" werden traditionell alle Beteiligten nervös, vor allem wenn es die Anwendung dieses Gedankenguts auf den Menschen geht. Trotzdem hätte ich ein Kapitel gut gefunden, das sich mit der Anwendung und dem praktischen Nutzen der Verhaltensbiologie befasst – denn es ist ja nicht so, dass es die nicht gäbe. Des weiteren muss man wohl, wenn man mit pubertierenden Jugendlichen Themen wie Sexualität, Geschlechterrollen und Elterninvestments behandelt, davon ausgehen, dass das einige Gedanken auslöst, die sich nicht auf Fische und Vögel beschränken. Da ist es in meinen Augen gekniffen, sich diesen Gedanken zu entziehen und so zu tun, als würde man nur über "objektive Wissenschaft" reden. Zumindest aber sollte eine zweite Auflage, die dem Buch insgesamt sehr zu wünschen ist, mit einem Nachwort ausgestattet werden, welches erklärt, dass uns die Verhaltensökologie zwar eine Menge helfen kann, um tierisches und menschliches Verhalten zu verstehen, dass sie uns aber nicht sagen kann, wie wir als Menschen leben sollen. Denn dieser normative Missbrauch ist wohl der Hauptgrund für die Imageprobleme des Fachs.

Insgesamt dank der klaren Struktur und der guten Aufbereitung ist dies ein ausgesprochen nutzbringendes Buch, auch für Leser, die es nicht in Unterricht umsetzen wollen. Als ausgesprochen unpraktisch erweist sich hingegen die Spiralheftung: Die Rückseite des Covers löste sich bei meinem Exemplar schon gleich zu Anfang, weil sie offenbar in der falschen Reihenfolge eingesetzt worden war. Und bei mehrfachem Auf- und Zuklappen des Buchs beginnen die Seiten, sich auszuhängen, was weder schön aussieht noch der Haltbarkeit des Buches zuträglich sein dürfte.

Schlagworte:
Verhaltensbiologie, Verhaltensökologie, Verhaltensforschung, Soziobiologie

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