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Schlüsselwerk über lernende Organisation und Systemdenken

Senge, Peter M. (2011):

Die fünfte Disziplin

Kunst und Praxis der lernenden Organisation

Schäffer Poeschel (Stuttgart) 1996, 11. völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011; 500 Seiten; 39,95 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 8 / 7

Rezensent: Winfried Berner, 30.01.2012

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Zentrales Werk zu den Themen Lernende Organisation und Systemdenken. Pflichtlektüre nicht nur für Change Manager; ausgesprochen empfehlenswert auch für Führungskräfte, Projektmanager und insbesondere für Top Manager.

Mit der "fünften Disziplin" ist, um das Rätsel gleich aufzulösen, das Systemdenken gemeint. Natürlich hätte man das Buch demgemäß auch einfach "Systemdenken" nennen können, aber "The Fifth Discipline" klingt geheimnisvoller, suggeriert höhere Weihen und ist damit sicher verkaufsfördernder. Überhaupt ist Peter Senge, Senior Lecturer of Behavior and Policy Science an der Sloan School of Management am MIT, ein guter Marketer. Vieles, was er in diesem Buch darlegt, ist nicht wirklich neu und war es auch vor 20 Jahren, als die erste Auflage der "Fifth Discipline", nicht. (Was Senge allerdings auch nirgendwo in Anspruch nimmt.) Aber er bereitet diese Gedanken in einer Weise auf, die eingängig und gut lesbar ist – was man ja nicht von allen Lehrbüchern der Systemtheorie und Systemwissenschaften sagen kann. Und er führt sie mit einigen anderen Gedanken zu den fünf Disziplinen zusammen, die nach seinem Verständnis eine lernende Organisation konstituieren.

Systemdenken definiert Senge als eine "integrative Disziplin, die alles miteinander verknüpft und sie (?) zu einer ganzheitlichen Theorie und Praxis zusammenfügt." (S. 23) Das klingt etwas wolkig, aber Senges Sinn steht ganz und gar nicht nach ganzheitlichem Geschwurbel, das sich die Sorgfalt im Detail durch die Beschwörung multipler systemischer Wechselwirkungen zu ersparen sucht. Sein Anliegen ist ausgesprochen handfest; er will sichtbar machen, wie Systeme das Handeln ihrer Akteure beeinflussen und sie häufig auch in Sackgassen führen, weil sie zu "Gefangenen des Systems" werden. Weit mehr als obige Definition lassen folgende Sätze seinen Denkansatz erkennen: "Innerhalb von ein und demselben System erzeugen alle Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, tendenziell die gleichen Ergebnisse." Und: "Durch eine wirklich tiefe und andere Betrachtungsweise gelangt man allmählich zu der Erkenntnis, dass das System sein Verhalten selbst verursacht." (S. 57)

Was er damit meint, illustriert er mit der ausführlichen Darstellung einer Systemsimulation, dem "Bierspiel", das er in seinen Seminaren verwendet, um die Wirkung von Systemen auf menschliches Handeln erlebbar zu machen. Wie die Teilnehmer am eigenen Leib erfahren, reichen schon geringe Schwankungen im "Input" – in diesem Fall konkret, bei der Biernachfrage –, um das System in heftige Schwingungen zu versetzen und es an den Rand des Zusammenbruchs (oder darüber hinaus) zu bringen. Bei den Akteuren, die alle miteinander glauben, erstens frei und zweitens vernünftig zu handeln, dominieren alsbald Gefühle von Ohnmacht, Frustration und Wut über die "Idioten" in anderen Teilen des Systems; sie sehen nicht, wie sie durch die Struktur des Systems dazu verleitet werden, selbst einen maßgeblichen Beitrag zur Aufschaukelung des Chaos' zu leisten. Dies zu erkennen, die Struktur und Dynamik des Systems zu verstehen und dadurch neue, ungeahnte Gestaltungschancen zu gewinnen, ist ein zentrales Anliegen dieses Buchs. Und seinen Beitrag dazu kann man nicht hoch genug einschätzen.

Dem Systemdenken als "Eckpfeiler der lernenden Organisation" ist denn auch der gesamte zweite Teil des Buchs gewidmet. Unter den "Gesetzen der fünften Disziplin" finden sich etliche, die schon als Überschriften Aphorismus-Qualität haben (und deshalb auch gleich in unsere Zitate-Datenbank aufgenommen wurden): "Die Lösungen von gestern sind die Probleme von heute", "Der bequemste Ausweg erweist sich zumeist als Drehtür", "Die Therapie kann schlimmer sein als die Krankheit" oder auch "Wer einen Elefanten in zwei Hälften teilt, bekommt nicht zwei kleine Elefanten". Doch auch jenseits des Aphoristischen enthält dieser Teil viele wertvolle Hinweise – wie etwa die Unterscheidung zweier ganz unterschiedlicher Typen von Komplexität: Während man Detailkomplexität durch ein "zergliederndes" Vorgehen in den Griff bekommen kann, ist es aussichtslos, dynamischer Komplexität auf diese Weise Herr zu werden. Senge fordert deshalb ein grundsätzliches Umdenken: "Die Wahrnehmung von Wechselbeziehungen statt linearer Ursache-Wirkung-Ketten und die Wahrnehmung von Veränderungsprozessen statt von Momentaufnahmen" (S. 91).

"Strukturen, die uns nicht bewusst sind, halten uns gefangen", betont Senge immer wieder (S. 113, 177). Deshalb stellt er die wichtigsten "System-Archetypen" vor, womit Systemstrukturen gemeint sind, die so oder so ähnlich an den unterschiedlichsten Stellen und Zusammenhängen wiederkehren – in meinen Augen ein sehr wertvoller Gedanke, auch wenn ich die gewählte grafische Darstellung der Systemstrukturen nicht wirklich überzeugend finde. (Eine vollständige Liste dieser Systemarchetypen enthält der Anhang 2.)

Aber was sind die vier anderen Disziplinen, die es ja wohl geben muss, wenn Senge die fünfte beschreibt? Ihnen ist Teil III des Buches "Die Kerndisziplinen" gewidmet, und es handelt sich dabei um "Personal Mastery", "Mentale Modelle", eine "gemeinsame Vision" sowie um "Team-Lernen". Jede von ihnen ist in einem eigenen ausführlichen Kapitel erläutert, und mich hat beim Lesen immer wieder beeindruckt, wie sehr diese Konzepte mit dem übereinstimmen, was ich selber aus 20 Jahren Change Management gelernt habe, auch wenn ich zum Teil ganz andere Worte dafür verwende. Ist diese Konvergenz ein Zeichen dafür, dass wir der "wissenschaftlichen Wahrheit" näher kommen? Oder nur Zeitgeist – das, was eben zur Zeit so gedacht und geredet wird, oder, mit Susan Blackmore gesprochen, die aktuelle Rangliste der derzeit erfolgreichsten Meme?

Neu hinzugekommen in der vorliegenden Überarbeitung ist der vierte Teil "Erfahrungen und Überlegungen aus der Praxis", in dem Senge 20 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage eine Zwischenbilanz der inzwischen eingetretenen Entwicklungen und Erfahrungen zieht. Dieser Teil hinterließ bei mir einen zwiespältigen Eindruck: So spannend und wichtig dieser Teil an und für sich ist, er leidet darunter, dass es Senge nur teilweise gelingt, den Leser in die gesammelten Erfahrungen mit hinein zu nehmen. Er berichtet beeindruckt und begeistert von zahlreichen Anwendungsfällen, beschreibt erzielte Resultate, lässt Protagonisten mit markanten Zitaten zu Wort kommen – und dennoch bleibt das Allermeiste Erfahrung aus zweiter Hand, die man glauben muss, weil man sie mangels ausreichend konkreter und detaillierter Darstellung der Projekte nicht wirklich nachvollziehen kann. Das heißt keineswegs, dass man aus diesem Teil nichts lernen kann, aber die Erkenntnisse bleiben oft oberflächlicher und gehen nicht so unter die Haut wie in den "älteren Teilen" des Buchs.

Am meisten beeindruckt haben mich in diesem Teil die Kapitel "Strategien" (zur Verwirklichung einer lernenden Organisation), "Die neue Form der Führung" (im Original "The Leaders' New Work) und "Systembürger". Das Kapitel "Strategien" stellt Ansatzpunkte vor wie "Lernen und Arbeit integrieren", "Bikulturell werden" (im Sinne von: Über der eigenen Weiterentwicklung die Anschlussfähigkeit zu der bestehenden Unternehmenskultur nicht zu verlieren), "Aufbau lernender Gemeinschaften" und "Lernende Infrastrukturen entwickeln". Die "neue Aufgabe der Führung" besteht vor allem darin, die Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich organisationales Lernen entfalten kann, einschließlich des Entwerfens und Formens der Leitideen, an denen sich die gemeinsame Arbeit ausrichtet. Dabei geht es nicht um den Feinschliff an Formulierungen, sondern um ihre Orientierungswirkung, wie er einen sehr gescheiten Satz von Robert Fritz verdeutlicht: "Es kommt nicht darauf an, was eine Vision ist, sondern was sie bewirkt." (S. 379)

Mit dem Kapitel "Systembürger" überschreitet Senge die Grenzen der reinen Innensicht von Organisationen und schaut auf das, was sie in ihrem sozialen und ökologischen Umfeld bewirken, sowie darauf, was sie zu dessen Entwicklung beitragen können: "Alle Organisationen bewegen sich innerhalb größerer Systeme – in Wirtschaftsbereichen, in sozialen Gemeinschaften und in größeren lebenden Systemen. Es wäre daher unlogisch anzunehmen, dass Unternehmen erfolgreich sein können, wenn sich nicht auch die Branche, zu der sie gehören, die Gesellschaft insgesamt und die natürlichen Systeme, von denen sie abhängen, gedeihlich entwickeln." (S. 396)

Obwohl ich mich sehr freue, solch eine Aussage in einem einflussreichen Fachbuch zu lesen, muss ich doch darauf aufmerksam machen, dass die hier behauptete Logik nicht trägt. Schließlich gibt es sowohl in der Biologie als auch in der Ökonomie überaus erfolgreiche parasitäre Lebensformen. (Wobei im evolutionsbiologischen Sinne kluge Parasiten im eigenen Interesse sehr darauf achten, ihren Wirt nicht zu vernichten.) Der eigentliche Knackpunkt scheint mir zu sein, ob es in dem offenen, engagierten und authentischen Klima einer lernenden Organisation noch möglich ist, eine ausreichende Akzeptanz für parasitäre Geschäftsmodelle zu bekommen, also etwa für solche, die auf ökologischem Raubbau, der Ausbeutung sozial schwacher und/oder der Sozialisierung externaler Kosten basieren. Daran hat Senge aufgrund seiner Erfahrungen deutliche Zweifel, und ich hoffe, dass er Recht hat.

Dieses Kapitel wie auch das anschließende "Grenzen" ist wohl ein Vorgeschmack auf Senges neuestes Buch "Die notwendige Revolution – Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen" (2011), auf das man danach sehr gespannt sein darf. Der abschließende fünfte Teil "Coda" führt diesen integrativen Blick auf "Das unteilbare Ganze" auf eine emotionale, durchaus anrührende Weise fort und rundet ihn ab. Im Mittelpunkt der vier Seiten steht eine ausführliche Schilderung des Astronauten Rusty Schweickart, wie er die Erde beim Blick aus dem Weltall erlebt hat. Das lässt einen spüren, wie absurd sich manches, was wir hier unten aufführen, aus dieser integralen Perspektive ausnimmt – und wie sehr wir alle miteinander auf Gedeih und Verderb auf die Funktionsfähigkeit dieses einzigen Ökosystems, das uns in den endlosen Weiten des Universums zu Verfügung steht, angewiesen sind.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt die Übersetzung. Vom Sprachfluss her lässt sie nur selten das Bedürfnis nach dem Original aufkommen, aber immer wieder stolpert man über Formulierungen, bei denen man sich fragt, ob der Autor das wirklich so gemeint haben kann – bzw. was er überhaupt meint. So auf Seite 94: "In diesem Zusammenhang bedeutet ein 'positives Feedback', dass wir Lob und Zuspruch erhalten, und ein 'negatives', dass wir uns ärgern." Wie bitte – negatives Feedback bedeutet, dass wir uns ärgern? Kann es sein, dass Peter Senge, der ansonsten in seinem Denken ziemlich klar und in seiner Sprache präzise ist, eine solch schräge Aussage macht? Nein, keineswegs – im Original lautet der Satz: "… 'positive feedback' means encouraging remarks, and 'negative feedback' means bad news." (The Fifth Discipline 2006, S. 74) Das ist auch etwas flapsig, aber, im Gegensatz zur Übersetzung, keineswegs offensichtlicher Blödsinn.

Noch schlimmer hat es den Sinn in einem zentralen Abschnitt erwischt, in dem es um das Verbreiten von Visionen geht. Senge unterscheidet hier drei unterschiedliche Stufen des Engagements, nämlich "Enrollment, Commitment, and Compliance". Dabei ist "Enrollment" für ihn die höchste, aus tiefer innerer Überzeugung entspringende Stufe und Compliance die schwächste. Maren Klostermann und Hans Freundl machen daraus "Teilnehmerschaft, Engagement und Einwilligung" (S. 238). Man hätte "Enrollment" als Identifikation übersetzen können, aber daraus das blasse "Teilnehmerschaft" zu machen, ist nicht nur unscharf, sondern es entstellt den Sinn, mit der Folge, dass der ganze für Senges Argumentation zentrale Abschnitt unklar bleibt. Ähnlich ist es mit "Einwilligung" für "Compliance" – "Mitziehen" oder "(bloßes) Mitmachen" hätte den Sinn wohl besser getroffen. Nichts gegen eine freie Übersetzung, wenn sie den Sinn trifft; sehr viel aber gegen eine nachlässige: Wenn man bei einer Übersetzung mehr als zehnmal im Original nachschlagen muss, um fragwürdige oder verwirrende Aussagen zu entschlüsseln, dann ist das eindeutig zu viel.

Auch die Tatsache, dass im ersten Kapitel einige Fußnoten zwar angezeigt sind, aber in den Anmerkungen fehlen, unterstreicht den Eindruck, dass die Übersetzung wohl unter (zu) großem Zeitdruck entstanden ist und dass manche Rohentwürfe nicht mehr ausreichend überarbeitet wurden. Darunter leidet bedauerlicherweise nicht nur das Lesevergnügen; an einigen Stellen sind zentrale Gedanken nur noch wie hinter dicken Schlieren zu erahnen. Noch im ersten Viertel des Buches habe ich mir daher das amerikanische Original gekauft und war mehrfach froh, es zur Hand zu haben – und stellenweise versucht, dort weiterzulesen. Daher Abzug von einem Punkt für den Nutzen und zwei für die Lesbarkeit – aber dennoch eine Top-Empfehlung!

Schlagworte:
Lernende Organisation, Systemdenken, Ganzheitlichkeit, Komplexität, Führung, Change Management, Kulturveränderung

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