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Unbewusste Veränderungshindernisse verstehen und angehen

Kegan, Robert; Lahey, Lisa Laskow (2009):

Immunity to Change

How to Overcome It and Unlock the Potential in Yourself and Your Organization

Harvard Business Review Books (Harvard); 340 Seiten; 25,99 Euro 1422117367


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 06.11.2017

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Kein Buch über Change Management, eher eines über Persönlichkeits- und Teamentwicklung – aber eines der besten, das ich seit Längerem in der Hand hatte. Keine neue Mode, sondern ein Vordringen zu den wirklichen Veränderungshindernissen.

Der wirkliche Grund, weshalb Menschen, Teams und Organisationen sich nicht verändern, ist, wie ich immer wieder betont und geschrieben habe, nicht, dass sie die Veränderung nicht ernsthaft genug wollten, sondern dass sie nicht bereits sind, den Preis dafür zu bezahlen. So richtig das nach meiner Überzeugung weiterhin ist, vermutlich habe ich dabei zu wenig bedacht und berücksichtigt, dass dieser Preis nicht immer offensichtlich und leicht zu erkennen ist.

Konkurrierende Ziele

Nur im allereinfachsten Fall besteht dieser Preis einfach aus einer Geldsumme, die man sich eben irgendwie verdienen oder sonstwie beschaffen muss, wenn mein sein Traumhaus, -auto oder sonstigen Konsumwunsch erfüllen möchte. Und er besteht auch nicht immer bloß aus dem Verzicht auf klar erkennbare kurzfristige Vorteile oder kontraproduktive Angewohnheiten, der einem vielleicht schwer fallen mag, aber gerade deshalb die unbestechliche Auskunft darüber liefert, wie wichtig einem die angestrebte Veränderung wirklich ist.

Vielmehr steht dem Wunsch nach einer Veränderung, wie Robert Kegan und Lisa Laskow Lahey in diesem Buch ebenso detailliert wie überzeugend erklären, zuweilen ein anderes wichtiges Bedürfnis entgegen, das uns in vielen Fällen gar nicht voll bewusst ist: Wir ahnen nur vage, dass die heiß ersehnte Veränderung an anderer Stelle einen Preis hätte, den wir nicht bezahlen wollen. Sie sprechen hier von "competing commitments" (S. 35), die sich gegenseitig blockieren. In solchen Fällen stehen wir sozusagen mit dem einen Bein auf dem Gas und mit dem anderen auf der Bremse – und solange sich an diesem Patt der Intentionen nichts ändert, ändert sich trotz des möglicherweise hohen Energieaufwands (und Geräuschpegels) auch an dem Ergebnis nichts.

Gleich zu Beginn ihrer Einführung bringen der Harvard-Professor Robert Kegan und Lisa Laskow Lahey, Associate Director der Harvard Change Leadership Group, ein ebenso drastisches wie einprägsames Beispiel, wie Competing Commitments uns davon abhalten können, das dringend Notwendige zu tun:

"If heart doctors tell their seriously at-risk heart patients they will literally die if they do not make changes to their personal lives – diet, exercise, smoking – still only one in seven is actually able to make the changes. One in seven! And we can safely assume that the other six wanted to live, see more sonsets, watch their grandchildren grow up. They didn't lack a sense of urgency. Their incentive for change couldn't be greater. The doctors made sure they knew what they just needed to do. Still, they couldn't do it." (S. 1)

Ihre Schlussfolgerung:

"As with the heart patients, the change challenges today's leaders and their subordinates face are not, for the most part, a problem of will. The problem is the inability to close the gap between what we genuinely, even passionately, want and what we are actually able to to. Closing this gap is a central learning problem of the twenty-first century." (S. 2)

Nun bin ich prinzipiell skeptisch, wenn jemand behauptet, dass uns irgendwelche geheimnisvollen unbewussten Kräfte hinderten, zu tun, was wir "eigentlich" wirklich wollen. Aber damit ist der Denkansatz von Kegan und Lahey klar, und man darf gespannt darauf sein, wie sie die Competing Commitments greifbar machen. Leider verfolgen sie ihr wunderbares Beispiel nicht weiter, sondern nutzen es nur als "Schocker", um die "Immunity to Change" zu illustrieren, und lassen es fallen, sobald es diesen Zweck erfüllt hat. Dabei wäre es überaus spannend gewesen zu erfahren, welche Competing Commitments für 85 Prozent der Betroffenen wichtiger sind als ihr eigenes (Über-)Leben – aber auch, wie die verbleibenden 15 Prozent es schafften, ihre Lebensweise zu ändern.

Weiterentwicklung statt bloßer Kompetenzanpassung

Wir alle lernen heutzutage ständig dazu, schon weil uns angesichts der Veränderungen unseres Umfelds gar nichts anderes übrig bleibt. Die meisten von uns lernen – relativ schnell –, mit neuen technischen Geräten, Arbeitsprozessen und Strukturen umzugehen: Wir müssen ja, also geht es. Aber bei all diesen Veränderungen bleiben wir doch in unserer Persönlichkeit und unserem "Lebensstil", wie es die Individualpsychologie nennt, ziemlich konstant: Wir bleiben, wer wir sind, auch wenn wir uns an veränderte Bedingungen anpassen. Was auch so viel heißt wie: Wir entwickeln uns trotz allen Lernens als Persönlichkeit kaum weiter.

Paradox: Wir lernen ständig dazu, verändern uns aber dennoch kaum. Kegan und Lahey sind nicht die ersten, die sich mit diesem Widerspruch auseinandersetzen. Schon 1991 hat der Harvard-Professor Chris Argyris, der viel mit McKinsey gearbeitet haben soll, beklagt, dass auch und gerade die "Überflieger" einerseits ungeheuer lernbereit und lernfähig sind, andererseits kaum willens und in der Lage, ihre eigenen Annahmen über sich selbst und andere Menschen zu hinterfragen (was er dmals als "Double-loop learning" bezeichnete).

Auch im Change Management ist dieses Phänomen zu beobachten: Die Leute sind verrückt nach Tools, Technikern und Methoden, aber die allermeisten weigern sich hartnäckig, zur Kenntnis zu nehmen, dass ihr Erfolg nicht von der Größe ihres Methodenrepertoires abhängt, sondern primär von der Qualität ihrer Wahrnehmung und ihrem sozialen Mut. Diese Verweigerung erspart es ihnen, sich mit sich selbst auseinandersetzen – und hält so zugleich ihren Erfolg in einem überschaubaren Rahmen.

Drei Plateaus der mentalen Komplexität

Um diese persönliche Weiterentwicklung zu beschreiben, führen Kegan und Lahey im ersten Kapitel "Reconceiving the Challenge of Change" ein Modell ein, das "Three Plateaus of Mental Complexity" unterscheidet (S. 16), nämlich "the socialized mind", "the self-authoring mind" und "the self-transforming mind". Der "socialized mind" ihres Modells ist stark von den Denkmustern, Normen und Werten seiner Umgebung geprägt und hochgradig an sie angepasst; er "seeks direction" und ist ein "faithful follower" (S. 16).

Anders der "self-authoring mind": Er denkt eigenständig, entwickelt seine eigenen Vorstellungen und verfolgt seine eigene Agenda – was allerdings auch bedeutet, dass er die Welt, ohne sich dessen bewusst zu sein, ausschließlich durch seinen selbstkonstruierten Filter betrachtet. Der "self-transforming mind" schließlich filtert zwar auch, aber er ist sich dessen bewusst und kann sich damit auseinandersetzen. Damit ist er nicht mehr Gefangener seiner Filter, sondern deren selbstbestimmter Nutzer. Er kann seine Filter auch wechseln oder modifizieren, wenn ihm das notwendig erscheint. Und natürlich ist es keine Frage, dass diese dritte und höchste Stufe für Kegan und Lahey die anstrebenswerte ist.

Dennoch ist das ein recht holzschnittartiges Modell, und auch wenn sich die Autoren dabei auf eigene und fremde Forschungen berufen, scheint mir sowohl seine Erklärungskraft als auch die empirische Beweislage etwas mager. Charakteristisch, dass die vertikale Achse "(Mental) Complexity" in ihren Grafiken ohne Skalierung auskommen muss. Sie beschreiben zwar vage ein Interviewverfahren, mit dem sie die "Messung" der mentalen Komplexität vornehmen, sagen aber nichts über dessen Objektivität, Reliabilität und Validität. Stattdessen betonen sie: "Most people find the interview a highly engaging experience." (S. 23) Was für ein Messverfahren, mit Verlaub, bestenfalls ein Randkriterium ist.

Aber wie auch immer, wir haben damit ein Denkmodell, das erkennen lässt, welche Art von Persönlichkeitsentwicklung die Autoren anstreben: Menschen sollen lernen, ihre persönlichen Filter zu erkennen, zu reflektieren und bei Bedarf zu modifizieren. Das erfordert ein anderes Lernen als bloß das Absorbieren von Lerninhalten: Nicht bloß ein mehr oder weniger technisches "Hinzulernen", sondern eine Art des Lernens, die sie etwas irreführend "adaptiv" nennen.

Konkurrierende Ziele und dahinter stehende Annahmen erkennen

In den folgenden beiden Kapiteln erklären Kegan und Lahey die von ihnen entwickelte Methodik, mit der sie Individuen und Teams helfen, ihre "Immunity to Change" zu überwinden. Als erstes ist natürlich das Veränderungsziel ("Commitment / Improvement Goal") festzulegen – vorzugsweise ein Ziel, mit dem man sich schon lange herumschlägt, ohne so recht voranzukommen.

Die Autoren empfehlen – was ich für eine hervorragende Idee halte –, dieses Veränderungsziel nicht im Alleingang festzulegen, sondern es mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kollegen rückzukoppeln, und am besten auch – "what we might call a 720-degree feedback" (S. 65) – mit seinem privaten Umfeld. Das sorgt nicht nur für einen wertvollen sozialen Abgleich, sondern steigert auch das eigene Commitment: Das Ziel wird so, wie es ein Team nannte, zu dem "One Big Thing", an dem das jeweilige Teammitglied arbeitet.

Der nächste Schritt liegt auf der Hand, nämlich, Verhaltensweisen zusammenzutragen, die man stattdessen an den Tag legt ("Doing / doing not instead / behaviors that work against the goals", S. 34) – und zwar möglichst umfassend und vollständig. Daraus sollen in einem dritten Schritt die "Hidden competing commitments" abgeleitet werden (S. 36).

Ein wichtiger Zwischenschritt für das Herausarbeiten der Competing Commitments ist die "Worry Box". In sie sollen alle Sorgen und Befürchtungen eingetragen werden, die einem in den Sinn kommen für den Fall, dass man auf die gegenläufigen Verhaltensweisen verzichten würde. Dieser Zwischenschritt scheint mir ausgesprochen nützlich, denn für jedes gegenläufige Verhalten muss es ja ein Motiv geben: Eben eine Sorge oder Befürchtung, die uns davon abhält, so zu handeln, wie es "eigentlich" unseren Intentionen entspricht. Je besser man diese Sorgen und Befürchtungen erkennt, desto leichter sollte es sein, dahinter seine konkurrierenden Ziele zu erkennen.

Der vierte und vorläufig letzte Schritt ist, die "Big Assumptions" hinter den Competing Commitments zu erkennen. Denn sämtliche gegenläufigen Verhaltensweisen basieren auf einer (oder mehreren) stillschweigenden Annahme(n), die besagen, dass eine Verbesserung bei dem jeweiligen Veränderungsziel zwangsläufig mit schmerzhaften Abstrichen den konkurrierenden Zielen verbunden sei. Was nach den Worten von Kegan und Lahey in der Regel nicht völlig falsch ist, aber auch nicht völlig richtig.

Die Big Assumptions experimentell auf die Probe stellen

Damit ist die Diagnose abgeschlossen – und nun? Hier haben die Autoren einen weiteren originellen – und vermutlich befreienden – Vorschlag: Statt der naheliegenden Empfehlung, nun endlich über den eigenen Schatten zu springen und sich von den erkannten Competing Commitments zu verabschieden, empfehlen Kegan und Lahey ein beinahe spielerisches Vorgehen, nämlich gezielte und kontrollierte Experimente.

Ausdrücklich raten sie von Kraftakten ebenso ab wie von der ungeduldigen Hoffnung, nun endlich den großen Durchbruch zu schaffen. Stattdessen empfehlen sie, einfach mal etwas auszuprobieren, was man bislang nie versucht hat, etwa vorübergehend auf eine bestimmte gegenläufige Verhaltensweise zu verzichten. Beispielsweise könnte man in einer Situation, in der man dies ohne große Risiken bzw. Befürchtungen tun kann, einfach mal anders agieren und schauen, was dann passiert.

Falls sich die "Big Assumption" als richtig erweisen sollte, könnte man schnell zu seinen bisherigen Verhaltensmustern zurückkehren. In vielen Fällen aber wird solch ein Experiment die Erfahrung erbringen, dass die befürchtete Katastrophe oder das erwartete Ungemach nicht eintritt. In diesen Fällen kann man die bisherige "Big Assumption" so modifizieren, wie es den gemachten Erfahrungen entspricht. Und wenn man den Autoren Glauben schenken darf, reichen diese neu gewonnenen Erkenntnisse in den allermeisten Fällen, um die bestehende Pattsituation aufzulösen und die gewünschte Veränderung in Gang zu bringen.

Vermutlich ist es gerade dieses experimentelle, explorative, beinahe spielerische Vorgehen, das den entscheidenden Fortschritt bringt: Man entscheidet sich ohne "Kaufverpflichtung", sozusagen kostenlos und unverbindlich, einmal etwas anders zu machen als sonst – nicht um es mit eiserner Entschlossenheit bis ans Ende seiner Tage durchzuhalten, sondern nur, um es einmal auszuprobieren und neugierig zu beobachten, was dann passiert: Wie die Umgebung darauf reagiert, aber auch, wie die eigenen inneren Reaktionen sind. Und wenn man es ausprobiert und ausgewertet hat, hat man anstelle seiner "Big Assumption" neue Erkenntnisse und kann auf dieser Basis entscheiden, wie man weiter vorgeht.

Eine Bereicherung für "Veränderer" jeglicher Art

Das sind die wesentlichen Inhalte. Der Rest des Buchs besteht aus diversen Fallbeispielen und (sehr) detaillierten Fallstudien (Part II "Overcoming the Immunity to Change in Organizations, Individuals, and Teams") und einer ausführlichen Anleitung zur Anwendung der Methodik auf die eigene Person (Part III "Over to You: Diagnosing and Overcoming Immunities to Change in Yourself and Your Organization"). Beides ist durchaus nützlich, weil es hilft, mit der Methodik und ihrer Anwendung vertrauter zu werden, aber man kann es auch selektiv lesen, zumal es nicht frei von Redundanzen ist.

Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch für alle, die sich mit Veränderungen auf individueller und Teamebene und, mit gewissen Abstrichen, auch mit Veränderungen in Organisationen befassen. Sein Nutzen liegt vor allem darin, dass es sich Veränderungshindernisse ausleuchtet, die nicht auf der Ebene klassischer "Widerstände" liegen, sondern in widerstreitenden persönlichen Zielen, und eine Methodik anbietet, mit der man sie verstehen und überwinden kann.

Schlagworte:
Personalentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung, Teamentwicklung, Veränderungshindernisse, Competing Commitments, Konkurrierende Ziele, Gegenläufige Ziele, Unbewusstes

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