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Keine neuen Erkenntnisse über den Kollaps von Systemen

Bardi, Ugo (2017):

Der Seneca-Effekt

Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können

Oekom (München); 312 Seiten; 25 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 5 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 16.09.2018

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Das Buch kreist darum, das, was Bardi den „Seneca-Effekt“ nennt, nämlich einen langsamen Aufstieg, gefolgt von einem raschen Kollaps, an Beispielen als universelle Gesetzmäßigkeit nachzuweisen. Zu nennenswerten Erkenntnissen führt das leider nicht.

Seinen Titel verdankt dieses Buch einer Feststellung des antiken Römers Lucius Annaeas Seneca (-4 – 65), in dem der sein eigenes, von Kaiser Nero erzwungenes Karriere- und Lebensende resümiert: „Das Wachstum schreitet langsam voran, während der Weg zum Ruin schnell verläuft“ (S. 13) Diese asymmetrische Funktion von langsamem Wachstum und schnellem Fall zeichnet nach der Überzeugung des Florenzer Chemieprofessors Ugo Bardi generell den Kollaps komplexer Systeme aus.

Doch sein Buch, obwohl von den Ko-Präsidenten des Club of Rome akkreditiert, bietet wenig neue Einsichten. Es wiederholt viel aus anderen Veröffentlichungen Bekanntes, ist aber im Wesentlichen darum bemüht, die asymmetrische Funktion des „Seneca-Effekts“ bei allen möglichen Zusammenbrüchen komplexer Systeme nachzuweisen, was mal besser, mal schlechter gelingt.

Im letzten Kapitel gibt Bardi ein Resümee, das in gewisser Weise charakteristisch für das Buch ist: „Das ist die Quintessenz des ‚Seneca-Effekts‘: Systeme neigen dazu, Potenziale mit höchstmöglicher Geschwindigkeit zu zerstreuen. Wenn das System einen Weg findet zu kollabieren, wird es das tun – auch mit der Folge des (Seneca-)Ruins.“ (S. 275)

Ich muss ehrlich sagen: Als Conclusio eines 300-Seiten-Buchs überzeugt mich das nicht – ich finde es etwas dünn. Ähnliches gilt, wenn er kurz davor betont: „Kollaps ist eine Eigenschaft und kein Defekt des Systems.“ (S. 267) Das erinnert an den kessen Spruch der Software-Industrie: „It’s not a bug it’s a feature.“ Aber ist es wirklich eine Erkenntnis, die diesen Namen verdient?

Bei genauerem Nachdenken stellt sich die Frage, ob das überhaupt ein Unterschied ist – und welchen Unterschied es macht, wenn man Teil eines Systems ist oder von einem Systemkollaps betroffen ist. Wenn man zum Beispiel bei Nacht und Nebel irgendwo gestrandet ist, weil der Bahn- oder Flugverkehr zusammengebrochen ist, tröstet es da, zu wissen, dass dies „eine Eigenschaft und kein Defekt des Systems“ ist? Hilft es etwas? Hat es irgendeinen theoretischen oder praktischen Nutzen? Da bin ich skeptisch.

Kurz vor Schluss zitiert Bardi Donella Meadows‘ „Leverage Points: Places to Intervene in a System“, in denen sie zwölf Strategien zur Einflussnahme auf Systeme in aufsteigender Reihenfolge aufführt. Dem stellt er auf der letzten Seite seine drei Regeln gegenüber:

  1. „Wirken Sie auf die Ventile des Systems ein, um Schwankungen und Instabilitäten zu vermeiden.
  2. Schaffen Sie Bestände, um den Durchfluss (flow) zu erhalten.
  3. Zwingen Sie das System niemals, etwas zu tun, das es nicht tun will.“ (S. 277)

Vergleicht man diese ziemlich vagen Aussagen mit der scharfsinnigen Präzision der zwölf Strategien von Donella Meadows, dann liegt die Schlussfolgerung ziemlich nahe: Wer mehr über die Funktionsweise und mögliche Zusammenbrüche komplexer Systeme erfahren will, greife besser zu Donella Meadows‘ „Thinking in Systems“, deren deutsche Übersetzung im gleichen Verlag vorliegt (siehe Rezension https://www.umsetzungsberatung.de/service/read.php?rubrik=&nr=374).

Schlagworte:
Systemtheorie, Systemdenken, Systemdynamik, Systemkollaps, Ökologie

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