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Mit Maß und Vernunft zur finanziellen Sicherheit

Housel, Morgan (2020):

Psychology of Money

Timeless Lessons on Wealth, Greed, and Happiness

Harriman House (Petersfield); 242 Seiten; 18,45 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 10

Rezensent: Winfried Berner, 13.04.2021

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Ein ungewöhnlicher Finanzratgeber, der nicht auf clevere Investmentstrategien setzt, sondern auf vernünftiges Verhalten mit dem Ziel finanzieller Sicherheit. Dazu zählt auch, unter seinen Verhältnissen zu leben und keine zu großen Risiken einzugehen.

Ich weiß nicht mehr, wie ich auf Morgan Housel gekommen bin, aber seit ich ihn kenne, bin ich ein ausgesprochen treuer Leser seiner in hoher Frequenz erscheinenden Artikel. Denn er geht nicht die ausgetretenen Pfade, sondern denkt sehr eigenständig und vermittelt immer wieder überraschende Einsichten. Wer Lust auf "Aha-Erlebnisse" hat, kommt bei ihm auf eine ungewöhnlich hohe Trefferquote. Daher habe ich auch sein neues Buch "The Psychology of Money" unmittelbar nach Erscheinen bestellt – und kann hiermit feststellen: Die Lektüre hat sich gelohnt.

Morgan Housel war Kolumnist beim Wall Street Journal und bei "The Motley Fool", einer vor allem in den USA populären, ziemlich unorthodoxen Geldanlage-Website. Heute ist Partner bei "Collaborative Fund", einer Venture Capital-Firma, die sich auf die Finanzierung gesellschaftlich nützlicher Technik-Startups konzentriert.

Frische und erfrischende Perspektiven

Housel ist kein Behavioral Economist, obwohl er mit diesem Denkansatz natürlich vertraut ist und seine Erkenntnisse nutzt. Sein Ansatz zielt breiter und bezieht Aspekte der Lebensphilosophie und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung ein. Er will Anleger nicht zu möglichst hohen Renditen verhelfen, sondern sie dazu anleiten, ihre Prioritäten zu reflektieren und statt bloßer Gewinnmaximierung die Entscheidungen treffen zu treffen, die am besten zu ihrer Persönlichkeit und ihren Lebenszielen passen.

Programmatisch ist ein Satz seiner Einleitung:

"How you behave is more important than what you know." (S. 4)

Dementsprechend geht es Housel weniger um das kognitive Ziel, schlaue Konzepte für besonders erfolgversprechende Anlagestrategien zu vermitteln, sondern darum, das eigene Verhalten im Umgang mit Geld zu reflektieren, Risiken zu erkennen, sich über die eigenen Ziele klar zu werden und sein Handeln entsprechend auszurichten.

Sein Untertitel weist die Richtung: "Timeless Lessons on Wealth, Greed, and Happiness". Die Unterscheidung dieser drei Begriffe macht klar: Housel teilt nicht die Überzeugung, möglichst rasch möglichst viel Geld anzuhäufen, würde glücklich machen. Um nicht zum Opfer der eigenen Gier zu werden, ist ihm vielmehr wichtig, sich darüber klar zu werden, worauf es einem wirklich ankommt im Leben – gemäß dem Merksatz von Warren Buffett: Es ist idiotisch, etwas aufs Spiel zu setzen, was man braucht, um etwas zu gewinnen, was man nicht braucht. (Allein dieser Satz, ernst genug genommen, hätte vermutlich schon vielen Leuten viel Stress ersparen können.)

 

Beispielhafte Gedanken

Das Buch umfasst 20 kurze, eingängig geschriebene Kapitel sowie ein "Postscript: A Brief History of Why the U.S. Consumer Thinks the Way They Do". Der Versuch, ein prägnant geschriebenes Buch zusammenzufassen, läuft Gefahr, dass sich die Länge der Zusammenfassung der des Buchs annähert. Daher beschränke ich mich hier auf einige Beispiele und zentrale Gedanken, die mir besonders charakteristisch für Housels Ansatz erscheinen.

Ausgesprochen sympathisch ist mir die Prämisse, mit dem Housel an menschliches Verhalten herangeht – kein Wunder, deckt sie sich doch exakt mit meinem Ansatz, Unternehmenskultur und generell das Verhalten von Menschen innerhalb und außerhalb von Unternehmen zu verstehen.

Den zentralen Gedanken dahinter bringt die Überschrift des ersten Kapitels zum Ausdruck:

"No One's Crazy": "Every financial decision a person makes, makes sense to them in that moment." (S. 18)

"At that idea – 'What you are doing seems crazy but I kind of understand why you're doing it.' – uncovers the root of many of our financial decisions." (S. 19)

Meine Formulierung dafür lautet: Menschen verhalten sich immer sinnvoll, um unter den gegebenen Umständen ihre Ziele zu erreichen – vor dem Hintergrund ihres Welt- und Menschenbildes und ihres Modells der Realität.

Unterschiedliche Ziele und Zeithorizonte

Das klingt unspektakulär, steht aber im völligen Kontrast zur gängigen Betrachtungsweise. Wenn etwa wieder einmal irgendwo eine Blase geplatzt ist, ist die typische Reaktion allgemeines Kopfschütteln: Wie konnten die Leute so verrückt sein, in einen derart überteuerten Markt noch Geld zu investieren?! Und die gängige Erklärung lautet dann Gier und "FOMO" ("fear of missing out").

Doch diese Erklärung ist wohlfeil und erklärt im Grunde gar nichts. Deshalb führt sie auch nicht zu besseren Prognosen und schon gar nicht zu der Fähigkeit, Blasen künftig früher zu erkennen. (Wie wir im Augenblick gerade wieder einmal live beobachten können.) Zieht man hingegen den Grundsatz heran, dass jeder seine Entscheidung, als er sie traf, für sinnvoll hielt, muss man eine Antwort auf die Frage finden, aus welchen nachvollziehbaren (!) Gründen vielen Menschen das Investieren in einen hoch bewerteten Markt sinnvoll erscheinen konnte. Eine plausible Erklärung sind für Housel unterschiedliche Ziele und Zeithorizonte:

"When investors have different goals and time horizons – and they do so in every asset class – prices that look ridiculous to one person can make sense to another, because the factors those investors pay attention to are different." (S. 169)

Ein Day-Trader beispielsweise macht keine diskontierte Cash-Flow-Analyse, sondern schaut auf das Momentum, das er wahrnimmt oder wahrzunehmen meint: Für ihn ist die Investition sinnvoll, unabhängig vom absoluten Preis, wenn das Momentum, sprich, die extrapolierte Bewegungslinie, nach oben zu zeigen scheint. Und wenn eine größere Zahl von Day-Tradern das ähnlich sieht, steigt der Preis trotz der "überhöhten" Bewertung, einfach weil die Nachfrage das Angebot übersteigt. Was wiederum neue Interessenten anlockt.

Andere ziehen vielleicht aus ganz anderen Motiven mit – etwa, weil sie als professionelle gewerbliche Anlageberater wissen, dass sie ein höheres persönliches Risiko haben, wenn sie ihren Kunden zu früh zum Ausstieg raten, als wenn sie auch in einem sehr hoch bewerteten Markt weiter Kaufempfehlungen abgeben, bis die Anlagen ihrer Kunden zusammen mit allen anderen abstürzen. Das ist dann natürlich dumm gelaufen; da es aber allen anderen auch so gegangen ist, kann man ihnen keinen Vorwurf machen.

Eine wichtige Lehre aus dieser Erkenntnis ist: Bevor man auf irgendwelche Empfehlungen hört, sollte man sehr sorgfältig prüfen, ob die Empfehlungsgeber das gleiche Spiel spielen wie man selber oder ein ganz anderes. Dann fällt einem möglicherweise auch auf, dass die allermeisten Anlage"berater" nicht von der Wertentwicklung leben, sondern von der Verkaufsprovision. Und die ist unabhängig von der Wertentwicklung.

Risiko und Glück sind schwer zu unterscheiden

Ebenso erhellend und überzeugend ist, was Housel über "Luck and Risk" sagt. Hier befindet er sich in großem Einklang mit den sehr klugen Gedanken zum Thema Risiko, die der renommierte Howard Marks in seinem Buch "The Most Important Thing" vorgestellt hat. Wie etwa, dass es selbst im Nachhinein kaum möglich ist, zu bestimmen, wie riskant Entscheidungen waren und in welchem Ausmaß ihr Ergebnis von Glück bzw. Pech versus klugen oder falschen Überlegungen bestimmt waren. Denn aus dem Ergebnis lässt sich das nicht ableiten: Wenn es das Glück will, können auch sehr unvorsichtige Entscheidungen sensationell erfolgreich sein – und wenn man Pech hat, können auch sehr gescheite Überlegungen völlig in die Hose gehen. Oder, in Housels Worten:

"If you give luck and risk their proper respect, you realize that when judging people's financial success – both your own and others' – it's never as good or as bad as it seems." (S. 28)

"Everything worth pursuing has less than 100% odds of succeeding, and risk is just what happens when you end up on the unfortunate side of that equation." (S. 29) "Risk and luck are doppelgangers." (S. 32)

Deshalb hält er es auch für gefährlich, sich an den Biografien erfolgreicher Menschen zu orientieren: Allzu leicht verwechselt man dabei zufällige Muster mit systematischen Erfolgsfaktoren. Und je mehr für ihren Erfolg auch das Glück und/oder die besonderen Umstände eine Rolle gespielt haben, desto weniger lässt sich von ihrem Vorbild lernen und auf die eigene Situation übertragen. Im schlimmsten Fall würde man so ein abergläubisches Verhalten entwickeln, indem man Zufallsmuster statt der wirklichen Erfolgsfaktoren übernimmt oder nachahmt.

Wohlhabend werden versus wohlhabend bleiben

Ebenfalls einen sehr klugen Gedanken finde ich, dass wohlhabend werden und wohlhabend bleiben zwei Paar Stiefel sind. Um zu Geld zu kommen, muss man nur einmal voll auf die richtige Karte setzen, sei es aus Klugheit oder aus Glück. Um wohlhabend zu bleiben, darf man das gewonnene Vermögen nicht wieder verlieren, und das heißt, man darf keine Fehlentscheidungen treffen. Mit anderen Worten, hierfür gilt Charly Mungers "Rule no. 1: Don't lose."

"There are a million ways to get wealthy, and plenty of books how to do so. But there is only one way to stay wealthy: some combination of frugality and paranoia." (S. 57)

Das ist sicher zugespitzt, doch da eine einzige Fehlentscheidung ausreichen kann, um ein Vermögen auszulöschen, ist tatsächlich Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Und eines der größten Risiken ist Gier, sprich das Gefühl, dass es nie genug ist. Hier kommt die Sparsamkeit ins Spiel, oder anders ausgedrückt, ein ausgeprägtes Gespür dafür, wann es genug ist.

Das kann nur gelingen, wenn man sich bewusst dem Automatismus verweigert, dass die eigenen Ansprüche mit dem eigenen Einkommen mitwachsen. Sonst läuft man einem "Moving Target" hinterher – und zwar einem, das sich ständig von einem fortbewegt. Ausgesprochen gefährlich ist deswegen auch der soziale Vergleich. Denn man vergleicht sich natürlich immer mit denen, die noch mehr haben, nicht mit denen, die mit weniger auskommen (müssen).

Wie sinnlos und fehlgeleitet der soziale Vergleich ist, illustriert Housel sehr plakativ in dem "Man-in-the-Car Paradox" (S. 91ff.): Viele kaufen sich ein tolles Auto, weil sie meinen, dass dann alle schwer beeindruckt wären von ihnen als dem tollen Kerl, der in diesem tollen Wagen sitzt. Sehen sie aber ein tolles Auto, schauen sie keineswegs bewundernd auf den Kerl, der darinnen sitzt, sondern stellen sich vor, wie toll es wäre, wenn sie selbst auf dem Fahrersitz säßen.

"No one is impressed with your possessions as much as you are." (S. 91)

"You will desire less if you care less about what others think of you." (S. 106)

Wenn es einem daher um Beliebtheit gehe, meint Housel trocken, solle man lieber freundlich und bescheiden sein. Deutlich preisgünstiger ist es allemal.

Worum es wirklich geht

Ein Gespür dafür zu haben, wann es genug ist, ist auch deshalb wichtig, weil das wirkliche Ziel der meisten Menschen gar nicht Reichtum ist, sondern finanzielle Sicherheit. Sobald man daher ein gewisses Niveau erreicht hat, ist es daher wichtiger, das Erreichte nicht zu gefährden, als noch mehr zu gewinnen: Risikobewusstsein wird wichtiger als Chancenbewusstsein. (Wie erstaunlich, das von einem Amerikaner zu lesen und nicht von einem Deutschen! Aber es entspricht genau dem, was Daniel Kahneman und Amos Tversky über das typische Risikoverhalten von Menschen gesagt haben, die einen Besitzstand zu verteidigen haben: Wir sind nicht risikoscheu, sondern verlustscheu.)

Deshalb empfiehlt Housel auch, optimistisch in Bezug auf die Zukunft zu sein, aber sehr vorsichtig auf dem Weg dorthin. Beispielsweise könne man ruhig für die Zukunft planen, aber der wichtigste Teil eines jeden Plans sei, für den Fall vorbereitet zu sein, dass es nicht nach Plan geht. Nicht der erwartungsgemäße Verlauf, sondern die Ausreißer bestimmen die Geschichte und unser Schicksal.

Der größte Nutzen, den Geld aus Housels Sicht bietet, ist, Herr seiner Zeit zu sein, statt sie um des bloßen Lebensunterhalts willen für Aktivitäten aufwenden zu müssen, die einen nicht interessieren und keinen Spaß machen. Um diese Freiheit zu gewinnen und zu erhalten, lohnt sich eine gewisse Sparsamkeit. Die persönliche Sparquote definiert Housel sehr hübsch als die Differenz zwischen dem eigenen Ego und dem eigenen Einkommen.

"Controlling your time is the highest dividend money pays." (S. 89)

"Learning to be happy with less money creates a gap between what you have and what you want – similar to the gap you get from growing your paycheck, but easier and more in your control." (S. 105)

Weil es so viel Zeit in Anspruch nehmen kann, lohnt es sich auch, sich zu überlegen, wie viel Zeit und Kraft man tagtäglich (oder zumindest mehrmals im Jahr) in Fragen der Geldanlage investieren möchte:

"There is little correlation between investment effort and investment results. The reason is because the world is driven by tails – a few variables account for the majority of returns. No matter how hard you try at investing you won't do well if you miss the two or three things that move the needle in your strategy." (S. 219f.)

So bleiben bekanntlich die allermeisten aktiv gemanagten Fonds spätestens nach Abzug der Kosten hinter dem Marktdurchschnitt zurück. Und von den wenigen, die den Markt schlagen, liegen in der nächsten Periode die allermeisten hinter dem Markt. Wenn man den Durchschnitt mit wenig Aufwand haben kann, warum dann großen Aufwand betreiben, um mehr herauszuholen?

Späteres Bedauern minimieren

Statt perfekte Rationalität anzustreben, rät Housel, solle man sich besser das bescheidenere Ziel setzen, sich in seinem Umgang mit Geld einigermaßen vernünftig zu verhalten. Nicht alles, was nach einem rationalen Kalkül sinnvoll wäre, ließe einen auch ruhig schlafen. Vor allem wenn es darum geht, Durststrecken durchzuhalten, sollte man sich und seine Leidensfähigkeit nicht überfordern.

"What's often overlooked in finance is that something can be technically true can be contextually nonsense." (S. 117)

"Good decisions aren't always rational." (S. 217)

Denn wenn man seine rational wohlbegründete Strategie nicht durchhält, sondern nach massiven Verlusten die Nerven verliert und aussteigt, wird die rationale Strategie zum Desaster. Darum empfiehlt er in Anlehnung an den Nobelpreisträger Henry Markowitz, seine Anlageverhalten nicht primär darauf auszulegen, die Erträge zu maximieren, sondern vor allem darauf, späteres Bedauern zu minimieren.

Dafür ist wichtig zu erkennen und zu akzeptieren, dass alle Entscheidungen ihren Preis haben. Der von Aktienanlagen zum Beispiel ist Volatilität. Wie Housel feststellt, ist etwa der Dow Jones von 1950 bis 2019 jährlich um beachtliche 11 Prozent gestiegen – aber den weit überwiegenden Teil dieser Zeit lag er mehr als 5 Prozent unter seinem letzten Allzeithoch. Für Einzelaktien ist die Volatilität noch höher, erst recht für Nicht-Standardwerte.

Diese Frustration und Verunsicherung muss man aushalten, wenn man über viele Jahre 11 Prozent einstreichen will. Wer damit nicht leben kann oder will, sollte seine Finger von Aktien lassen. Housel hat jedoch einen verblüffenden Lösungsvorschlag für dieses Problem: Er empfiehlt, die Volatilität nicht als eine Strafe für zu riskantes Investieren zu betrachten, sondern als eine Art Gebühr. Und sich davon zu überzeugen, dass der Ertrag diese Gebühr wert ist.

Auf Überraschungen eingerichtet sein

Mit Schwankungen leben zu können, ist umso wichtiger, als die Welt – und damit auch die Welt des Geldes – voller Überraschungen ist. Ständig passieren Dinge, die noch nie zuvor passiert sind, deshalb taugt die Geschichte nur begrenzt als Lehrmeister. Das Einzige, was man aus Überraschungen lernen kann, so meint er in Anlehnung an Daniel Kahneman, ist, dass das Leben voller Überraschungen ist.

"The most important economic events of the future – things that will move the needle the most – are things that history gives us little or no guidance about. They will be unprecedented events." (S. 128)

Das klingt dramatisierend, aber ich empfinde es nicht so. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Wir hatten noch nie eine Weltwirtschaft, in der die Erwerbsbevölkerung fast aller Industriestaaten schrumpft. Zugleich hatten wir noch nie eine Situation, in der die Volkswirtschaften gezwungen ist, auf massive ökologische Veränderungen – wie Klimawandel und Artensterben – zu reagieren, in der sie also nicht mehr die Freiheit hat, sich fast beliebig so zu entfalten, wie es für die Wirtschaft optimal ist.

Wäre es in einer solchen Situation nicht naiv, anzunehmen, dass die Entwicklung im Wesentlichen so weitergehen wird wie bisher und dass wir uns trotzdem an der Vergangenheit orientieren können?

Angesichts dieser prinzipiellen Ungewissheit der Zukunft ist es essenziell, in seiner Strategie ausreichend Spielraum für Irrtümer einzuplanen sowie eine Rücklage für Unvorhergesehenes aufzubauen. Beider Ziel ist letztlich, eine genaue Vorhersage unnötig zu machen.

"The danger is that rational optimism most of the time masks the odds of ruin some of the time.

You have to survive to succeed." (S. 143)

Auf veränderte Ziele und Prioritäten reagieren

Eine weitere Schwierigkeiten beim Planen der Zukunft ist, dass wir Menschen nicht unbedingt die besten Prognostiker unserer eigenen zukünftigen Wünsche und Bedürfnisse sind. (Was, nebenbei gesagt, auch ein Problem zum Beispiel bei Vorsorgevollmachten und ähnlichem ist.)

Dagegen lässt sich nicht viel machen, außer, die getroffenen Weichenstellungen regelmäßig darauf zu überprüfen, ob sie noch dem aktuellen Stand der eigenen Vorstellungen entsprechen. Housel empfiehlt außerdem, bei Weichenstellungen die Extreme zu meiden und eher in den mittleren Bereich zu zielen – ein Aufruf zum maßvollen Handeln, der historisch gewiss viele Vorbilder hat, für unsere Zeit aber eher ungewöhnlich ist.

Wichtig ist, als Tatsache zu akzeptieren, dass sich unsere Werte und Prioritäten ändern können, und nicht an Dingen festzuhalten, bloß weil wir schon so viel in sie investiert haben. Denn sonst würden wir der sogenannten "Sunk Cost Fallacy" zum Opfer fallen. Aber die investierte Zeit und das Geld sind so oder so weg, gleich was wir tun:

"Sunk Costs – anchoring decisions to past efforts that can't be refunded – are a devil in a world where people change over time. They make our future selves prisoners to our past, different selves." (S. 154)

Die Mikro- in die Makroperspektive eingeordnet

Das Buch endet mit einem "Postscript: A Brief History of Why the U.S. Consumer Thinks the Way They Do". Und auch das ist "typisch Housel": Auf wenigen – 18 – Seiten zeigt er hier, wie wenig selbstverständlich und "alternativlos" die heute (nicht nur in den USA) vorherrschende Einstellung zu Geld und seiner Verteilung ist, und in welchem Ausmaß sie in Wirklichkeit zeitgebunden und ständigen Veränderungen ausgesetzt ist.

Die amerikanische Variante des Wirtschaftswunders bestand primär darin, dass es gelang, die Millionen amerikanischen Soldaten, die aus dem Zweiten Weltkrieg heimkehrten, durch einen gewaltigen Konsum- und Kreditboom mit Arbeit und einem guten Einkommen zu versorgen.

Jobs brachten Einkommen, das Einkommen wurde ausgegeben und mit Krediten gehebelt, und die vehemente Nachfrage übersetzte sich in gut bezahlte Jobs: Der Boom nährte sich selbst uns sorgte für ungekannten Wohlstand.

Im Gegensatz zu späteren Jahren waren die Einkommenszuwächse im untersten Drittel der Gesellschaft dabei höher als in den oberen – was volkswirtschaftlich insofern von Vorteil ist, als Geringverdiener einen viel höheren Anteil ihres Einkommens sofort wieder ausgeben, was wiederum die Konjunktur stärkt. Auch die Minderheiten nahmen an der positiven Entwicklung teil.

"Gains are shared more equally than ever before. The defining characteristic of economics in the 1950s was that the country got rich by making the poor less poor." (S. 227)

"Debt rose tremendously. But so did incomes, so the impact wasn't a big deal." (S. 229)

Doch nach der Rezession Mitte der siebziger Jahre und unter den "Reagonomics" öffnete sich die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter. Die "New Economy" von Ronald Reagan und Margaret Thatcher, von der später auch Bill Clinton schwärmte, hatte mehr Verlierer als Gewinner:

"The bigger thing that's happened since the early 1980s: The economy works better for some people than others. Success isn't as meritocratic as it used to be and, when success is granted, it's rewarded with higher gains than in previous years." (S. 236f.)

Erklärung für die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft

Das ist in Housels Augen auch der Treiber der Polarisierung, die wir heute (nicht nur) in den USA erleben: Die Leute stellen fest, dass sie nicht (mehr) in der Welt leben, die man ihnen in Aussicht gestellt hat und in der sie es mit harter Arbeit zu Wohlstand bringen können, dass sie stattdessen trotz aller Anstrengungen immer weniger über die Runden kommen. Und sie fühlen sich betrogen.

Nachdem sie das etliche Jahre zähneknirschend und mit dem Gefühl des persönlichen Versagens hingenommen haben, rebellieren sie nun und wenden sich gegen das betrügerische System sowie gegen diejenigen, die es in ihren Augen repräsentieren.

Dieses Postskriptum zeigt, dass der Verfasser die Makroperspektive ebenso beherrscht wie die persönliche Sicht eines kleinen oder mittelgroßen Anlegers. Und dass er dazu wirklich etwas Substanzielles zu sagen hat.

Das ist schon meisterhaft: Auf 18 Seiten erklärt er mal eben, als bloße Zugabe zu einem ganz anderen Thema, die aktuelle konservative Rebellion (nicht nur) in den USA. Und er erklärt sie besser und plausibler als so manche soziologische Monografie.

Der Slogan "Make America Great Again" bekommt so auf einmal einen neuen und völlig anderen Sinn. Hinter dem breitbeinigen Patriotismus schimmert die nackte Angst hervor, endgültig unter die Räder zu kommen. Und der Durst nach Rache an den Schuldigen für die eigene Misere.

Hervorragende Basis für ein Überdenken des eigenen Verhältnisses zu Geld

Aber auch unabhängig von dieser Zugabe kann ich "The Psychology of Money" nur nachdrücklich empfehlen, besonders für alle, die gern mal etwas grundlegender über Geldfragen nachdenken wollen. Geld ist in unserer Welt einfach zu wichtig, um es vornehm ignorieren zu können, außer man hat reich geerbt und/oder ein wohldotiertes Dienstverhältnis als höherer Beamter. Aber gerade deshalb muss man aufpassen, dass man Geld nicht zum bestimmenden Thema des eigenen Lebens und Denkens werden lässt.

Für solch einen Reflexionsprozess ist Morgan Housel ein hervorragender Sparringspartner, weil er das Thema zwar wichtig, aber nicht zu wichtig nimmt. Im Gegensatz zu vielen anderen einschlägigen Publikationen geht er nicht von der stillschweigenden Prämisse aus, dass es bei Geldfragen allein darum geht, mit begrenztem Risiko möglichst viel zu verdienen.

Er betrachtet Geld nicht als Selbstzweck, sondern stellt es in den Dienst der Lebensgestaltung – und kommt damit zwangsläufig bei der Frage an, was einem wirklich wichtig ist im Leben und welchen Beitrag Geld dazu leisten kann. Dass er dabei, wie etwa mit dem "Man-in-the-Car Paradox", die tieferen psychologischen Ziele hinter dem Vorzeigekonsum sichtbar macht und die dahinter stehenden Annahmen und Hoffnungen ins Wanken bringt, ist "typisch Housel" und macht seine Gedanken besonders relevant und wertvoll.

Unter dem Strich daher eine klare und nachdrückliche Empfehlung: Wer sich darauf einlässt und es zur Reflexion seiner Lebensprioritäten nutzt, dem kann "The Psychology of Money" (die es inzwischen auch auf Deutsch gibt) ersparen, jahrelang in die falsche Richtung zu laufen, bevor man irgendwann bemerkt, dass es vielleicht doch nicht das höchste Ziel des eigenen Lebens war, möglichst viel zu konsumieren und/oder am Ende seines Lebens auf einem möglichst großen Geldsack zu sitzen.

Für diejenigen, die Morgan Housels Veröffentlichungen regelmäßig verfolgen wollen, hier die Adresse seines Blogs: https://www.collaborativefund.com/blog/

Schlagworte:
Geldanlage, Finanzen, Sparsamkeit, Unglück, Gier, Finanzielle Sicherheit, Finanzielle Unabhängigkeit

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