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Hervorragendes Arbeitsbuch zum Burnout

Burisch, Manfred (2015):

Dr. Burischs Burnout-Kur für alle Fälle

Anleitung für ein gesundes Leben

Springer (Berlin, Heidelberg); 157 Seiten; 19,99 Euro


Nutzen / Lesbarkeit: 10 / 9

Rezensent: Winfried Berner, 04.01.2022

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Sehr gut lesbares, fundiertes, praxisorientiertes und kompaktes Buch, das ich vorbehaltslos empfehlen kann – auch Lesern, die unsicher sind, was sie von dem vermeintlichen Modethema Burnout halten sollen und wollen. Nach der Lektüre wissen sie mehr

Bücher über Burnout gibt es wie Sand am Meer – offenbar drängt es viele, dazu etwas zu sagen, auch wenn manche das besser für sich behalten hätten. Zum Glück machen es heute die Leseproben im Internet leicht, auszusortieren, was man sich ersparen möchte.

Trotz seiner weit überdurchschnittlichen Qualität wird dieses Buch in den "Charts" nur unter ferner liefen geführt. Deshalb habe ich es nur durch eine indirekte Empfehlung meiner Hamburger Kollegin Aggi Heinz entdeckt: Sie hat bei Prof. Burisch studiert und erwähnte, dass er sich intensiv mit Burnout befasst habe. Das veranlasste mich zu einer gezielten Recherche – so bin ich auf seine "Burnout-Kur für alle Fälle" gestoßen. (Der Titel lässt bereits erahnen, dass Burisch einen speziellen Humor hat.)

Das Buch hätte eine bessere Platzierung verdient, denn es ist das Beste, was ich bislang zu diesem Thema gefunden habe. Auf 150 Seiten vermittelt der Autor auf gut lesbare Weise einen fundierten und praxisnahen Überblick über das Themenfeld, das er etwas neckisch in vier bzw. drei Teile gliedert (der erste ist nur eine knappe Vorschau und zählt mit seinen netto anderthalb Seiten nicht wirklich):

  1. Burnout-Eingangshalle (2 S.)
  2. Burnout-Besucher-Pavillon (46 S.)
  3. Burnout-Forschungs-und-Entwicklungslabor (94 S.)
  4. Burnout-Notfallambulanz (10 S.)

Ich nenne den Seitenumfang, weil er zeigt, dass der klare Schwerpunkt des Buchs auf den beiden mittleren Teilen liegt. Es richtet sich damit an allgemein Interessierte sowie Betroffene mit einem beginnenden bis mittleren Burnout. Die "Notfallambulanz" am Ende des Buchs bringt kaum Fachinformationen, sie ist in erster Linie ein Wegweiser für wirkliche Krisen, die nicht mehr mit Hausmitteln zu bewältigen sind. Sie erläutert, wie und wo man sich Hilfe hohen kann, versucht aber vernünftiger- und verantwortungsvollerweise gar nicht erst, zur Selbsthilfe anzuleiten und damit professionelle Hilfe zu ersetzen.

Ja, Burnout gibt es wirklich, und nein, es ist keine Depression

Ich gebe gerne zu, dass mich das Thema Burnout bislang nicht sonderlich interessiert hat: Erst die Vorbereitung eines Workshops bringt mich dazu, mich damit zu befassen. Klar, wenn man beruflich in vielen Firmen ein- und ausgeht, begegnet einem das Thema immer wieder, und es fällt auf, dass in manchen Firmen sehr viel darüber geredet wird, in anderen kaum oder gar nicht.

Das muss nicht notwendigerweise ein Hinweis auf unterschiedliche Prävalenz sein, es könnte auch nur Ausdruck unterschiedlicher Kulturen sein: Mancherorts wird das Thema tabuisiert, anderenorts dramatisiert und wieder anderswo heroisiert. Ich erinnere mich an eine Großbank, in der geraunt wurde, der Druck in der Zentrale sei so hoch, dass dort regelmäßig obere Führungskräfte mit einem Burnout "herausgetragen" wurden. (Vermutlich mit einer Rauchsäule über dem Bauch.)

Das macht schon eine Schwierigkeit des Themas Burnout deutlich: Anders als bei Arbeitsunfällen in der Fabrik gibt es auf die Frage, was genau ein Fall von Burnout ist und wie viele es davon gibt, keine glasklare Antwort. Sowohl Firmen als auch Betroffene gehen ganz unterschiedlich damit um; viele sind bestrebt, das Thema unter der Decke zu halten, weil sie – wohl nicht ganz zu Unrecht – glauben, dass es ihrem Ruf nicht gut täte. Infolgedessen gibt es auch keine belastbaren Zahlen, sondern nur mehr oder weniger seriöse, allzu oft interessengeleitete Schätzungen mit einer großen Streubreite.

Deshalb wirft Burisch auch im Eingangsbereich des Besucher-Pavillons die Frage auf: "Burnout – gibt's das wirklich?" Auch wenn man ahnt, wie sie Antwort eines Burnout-Forschers lauten wird, ist die Frage nicht überflüssig, und sie begegnet einem auch in Firmen – und speziell in Geschäftsleitungen – immer wieder. Eine offizielle ICD-Diagnose ist Burnout (bislang) tatsächlich nicht, was die Abrechnung seiner Behandlung über Krankenkassen erheblich erschwert.

Andererseits ergibt es auch keinen rechten Sinn, ein Leiden für ungültig zu erklären, weil es bislang keine eigene Startnummer im internationalen Diagnoseschlüssel zugewiesen bekommen hat. Es führt nur zu Ausweichdiagnosen, die die Behandlung einer real existierenden, aber offiziell nicht vorgesehenen Befindlichkeitsstörung bzw. deren Abrechnung ermöglichen sollen. Was wiederum zur Folge hat, dass es auch keine brauchbaren Zahlen über die Häufigkeit behandlungsbedürftiger Burnouts gibt.

Eine naheliegende Ausweichdiagnose ist Depression. Mit ihr hat Burnout tatsächlich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten, wie Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Sinnverlust. Burisch betont jedoch, dass Burnout trotzdem keine verkappte Depression ist. Von ihr unterscheidet er sich vielmehr dadurch, dass ihm die für Depressionen so charakteristische Antriebsarmut fehlt. Im Gegensatz zu Depressiven, die sich rasch überfordert fühlen und nach Schonung verlangen, wollen "Ausbrenner", wie Burisch sie nennt, etwas tun. Deshalb kann man sie auch schlecht in der gleichen Gruppe behandeln.

  • "Ausbrenner haben prinzipiell lösbare Probleme, die mit etwas Einfühlung stets nachvollziehbar sind. Depressive leiden an Unabänderlichem; kleinste Anlässe können bei ihnen zu unverhältnismäßig starken Reaktionen führen.
  • Ausbrenner kämpfen oder haben zumindest gekämpft; sie sind nicht nur niedergeschlagen und erschöpft, sondern auch wütend. Depressive haben nichts, wogegen sie kämpfen könnten.
  • Ausbrenner überschätzen ihre Kräfte und geben erst spät auf. Depressive resignieren vor Anforderungen, die dem Außenstehenden zumutbar erscheinen." (S. 10)

Symptome und Ursachen

Diese Abgrenzung liefert bereits deutliche Hinweise, was Burnout (nicht) ist: Keine generelles Gefühl von Sinn- oder Wertlosigkeit, eher der Zustand, sich heillos festgefahren zu haben und aus eigener Kraft aus dem Schlamassel nicht mehr herauszukommen. Viele häufig genannte Merkmale von Burnout sind Symptome dieses Festgefahrenseins; sie tragen wenig dazu bei, das Wesen von Burnout und seine Ursachen zu verstehen, auch wenn sie bei der Diagnose helfen:

  • "Müdigkeit
  • Gestörter oder unruhiger Schlaf
  • Reizbarkeit
  • gesunkene Fähigkeit, Druck und Unsicherheit zu bewältigen
  • emotionale Labilität
  • Grübeleien
  • Gefühl von Gehetztheit
  • Konzentrationsprobleme und/oder Vergesslichkeit." (S. 11)

Diese acht Kriterien liegen der "holländischen Definition" von Burnout zugrunde, die in den Niederlanden als Ersatz für den fehlenden ICD-Schlüssel dienen. Doch Burisch nennt weitere nach seiner Erfahrung ebenfalls typische Symptome:

  • "Unfähigkeit abzuschalten
  • Sozialer Rückzug (von privaten und/oder beruflichen Partnern)
  • Abflauendes Interesse an Anderen, Gleichgültigkeit
  • Motivationsabbau
  • Widerwillen gegen die eigene Arbeit
  • Verbitterung (Gefühl, zu kurz zu kommen)
  • diffuse Ängste
  • innere Unruhe
  • unspezifische Schmerzen
  • andere psychosomatische Beschwerden" (S. 13)

Burisch räumt selbst ein, dass diese Symptomlisten erstens ein eher diffuses Bild abgeben und zweitens – mit Ausnahme der Reizbarkeit – wenig zur Abgrenzung gegenüber der Depression beitragen. "Die Abgrenzung geschieht vielmehr über die Ursache: Stressoren nicht mehr bewältigen zu können, die einem über den Kopf gewachsen sind." (S. 13)

Anhaltender massiver und unausweichlicher Stress

Generell lässt sich sagen: "Burnout ist eine Stressfolge" (S. 24) – wobei es schon ein massiver, anhaltender und unausweichlicher Stress sein muss, wie er beispielsweise von einer Aufgabe ausgeht, der man sich (qualitativ oder quantitativ) nicht gewachsen fühlt, der man sich aber auch nicht oder nur um einen hohen Preis entziehen kann. So entsteht ein Gefühl von Hilflosigkeit, das im Laufe der Zeit in Hoffnungslosigkeit umschlagen kann – was dann für einen ausgewachsenen Burnout reichen sollte.

In seinem fast gleichzeitig (2014) in fünfter Auflage erschienenen Lehrbuch "Das Burnout-Syndrom" bezeichnet Burisch das – sogar im Untertitel – als "Theorie der inneren Erschöpfung" – ein Erklärungsmodell, auf das er im vorliegenden populärwissenschaftlichen Buch erstaunlicherweise nicht zurückgreift. Er wird dafür Gründe haben, aber er nennt sie hier nicht – was ich bedauere, denn ich finde innere Erschöpfung eigentlich ein recht überzeugendes Erklärungsmodell für Burnout.

"Im Prinzip kann alles, was uns gründlich gegen den Strich geht, sich aber nicht leicht abstellen lässt, einen Burnout-Prozess auslösen. Die Stressforschung spricht dann von mangelnder Person-Umwelt-Passung (person-environment fit)." (S. 30)

Das heißt zugleich auch, dass Burnout keineswegs nur im Beruf entstehen kann, sondern auch privaten Umfeld (man denke an pflegende Angehörige) sowie – kaum erforscht – auch im ehrenamtlichen Engagement. Dort vielleicht sogar noch besser, weil man ja mit vollem Herzen dabei ist und sich daher leicht übernimmt. (Was wiederum in ähnlicher Weise gelten sollte, wenn man in seinem Beruf "Überzeugungstäter" ist.)

Auslöser und Ursachenfaktoren

Wer ist "schuld" an einem Burnout? Die Firma? Die Vorgesetzten und Kollegen? Die Rolle oder Aufgabe? Die Betroffenen selbst? Wie es sich für ein anständiges sozialwissenschaftliches Problem gehört, hängt alles mit allem zusammen. All diese Faktoren können zur Entstehung eines Burnouts beitragen, und sie können sich in munterer Wechselwirkungen gegenseitig verstärken. Wie sie sich auch gegenseitig mildern und entschärfen können. Eine Chefin, die den Druck noch verstärkt, wirkt logischerweise anders als eine, die Rückhalt gibt. Und ein ermutigendes Umfeld wirkt anders als ein entmutigendes.

Trotzdem spielen die eigene Persönlichkeit und die eigenen Denkmuster eine Schlüsselrolle – zum Glück, muss man hinzufügen, denn sonst könnten die Betroffenen selbst nichts an ihrem Schicksal ändern, sondern nur darauf hoffen, dass ihr Umfeld endlich ein Einsehen haben wird.

"Es sind nicht die objektiven Umstände der Arbeit und des Lebens, die Burnout auslösen. Vielmehr das, was sich als subjektive Abbildung in unserem Inneren niederschlägt. Die Abbildung ist zwar im Allgemeinen nicht völlig unabhängig vom Abgebildeten. Aber auch nicht identisch; die Landkarte ist nicht die Landschaft." (S. 47)

Die eigene Rolle sowie die Umgebung lassen sich in der Regel nur begrenzt beeinflussen, jedenfalls solange man sich nicht zu einem vollständigen Wechsel entschließt. Und selbst dann nimmt man seine Persönlichkeit und seine Denkmuster mit. Grund genug also, in erster Linie hier anzusetzen – wenn auch mit dem Wissen, dass sie nicht der einzige Einflussfaktor sind.

In Anlehnung an den Transaktionsanalytiker Taibi Kahler nennt Burisch fünf "klassische Antreiber", mit denen viele Menschen die Wirkung äußerer Gegebenheiten verstärken und sich so selbst stressen:

  • "Sei perfekt!"
  • "Streng dich an!"
  • "Beeil dich!"
  • "Sei stark!"
  • "Mach's den anderen recht!" (S. 40)

Auch unsere Erwartungen an unsere Arbeit und unser Umfeld spielen eine zentrale Rolle – gleich ob sie uns überhaupt klar sind oder nicht. Kritisch ist es, wenn die Bilanz von Geben und Nehmen dauerhaft nicht stimmt oder wir uns gar eklatant ungerecht behandelt fühlen. Termin- und Leistungsdruck stressen ebenfalls, desgleichen detailliert vorgeschriebene Arbeitsabläufe – am wirksamsten in der Kombination von hoher Verantwortung und geringem Entscheidungsspielraum. Entlastend wirkt dagegen gegenseitige Unterstützung.

Neun unterschiedliche Quellen von Schwierigkeiten

Den dritten Teil des Buchs eröffnet Burisch mit der Metapher von einem Radler oder einer Radlerin, die auf ihrer Fahrt mit neun unterschiedlichen Quellen von Schwierigkeiten konfrontiert kann:

  1. "Fehlende Zielklarheit
  2. Schwacher Energieschub
  3. Täglicher Ärger
  4. Last von anderen
  5. Schwachstellen
  6. Innere Bremse
  7. Ansprüche an sich selbst
  8. Gefahren und Hindernisse
  9. Mangel an Belohnungen" (S. 56)

Diese neun Felder kann man als Heuristik nutzen, sowohl für sich selbst als auch in Beratungsgesprächen, um herauszufinden, wo im konkreten Fall die zentrale(n) Schwierigkeit(en) liegen. Und genau das tut Burisch im weiteren Verlauf auch: Er geht die neun Felder Punkt für Punkt durch und erläutert, was es mit ihnen auf sich hat. Ich greife hier einige Gedanken heraus, die mir besonders wichtig scheinen.

Für Vorhaben, die einen Sinn für uns haben und uns wirklich am Herzen liegen, haben wir auch genügend Energie. Falls wir für ein bestimmtes Ziel also dauerhaft nicht die nötige Energie aufbringen, kann das auch daran liegen, dass es nicht wirklich unser Ziel ist: Vielleicht ist es eines, das man uns aufgedrückt hat oder das wir akzeptiert haben, weil es irgendwie plausibel oder unabweisbar klang – das aber trotzdem nie unsere eigenes Ziel geworden sind.

Ausgesprochen einprägenswert finde ich deshalb Burischs Merksatz, auch wenn er etymologisch etwas gewagt ist: "Ziele müssen ziehen." (S. 62) (Und wenn sie das nicht tun, sind es keine, jedenfalls keine geeigneten.)

Was man sich alles in den Rucksack packt packen lässt

Ebenfalls ein ergiebiges Thema sind Lasten, die einem andere in den Rucksack gepackt haben – bzw. die man sich von ihnen einpacken ließ. Das können ausgesprochene oder unausgesprochene Erwartungen der eigenen Eltern sein, denen man immer noch hinterherrennt, aber auch Wünsche, Erwartungen, Forderungen von Vorgesetzten, Kunden, Kolleginnen oder Mitarbeitern, die die eigenen Aufgaben zusätzlich erschweren und verkomplizieren, à la: "Aber bringen Sie das bitte geräuschlos über die Bühne!" Oder: "Na gut, wenn Sie meinen – aber es darf nicht zu einer Zusatzbelastung führen."

Hier ist nützlich, sich bewusst zu machen: Erwartungen kommen von anderen, aber Erwartungsdruck ist, was man sich selbst macht. Das beginnt damit, dass man sich alle möglichen Schuhe anzieht, die einem hingehalten werden, statt überzogene oder unangemessene Erwartungen höflich, aber klar zurückzuweisen. (Und im Zweifelsfall lieber klar als höflich.) Bei unausgesprochenen Erwartungen ist zusätzlich die Frage spannend: Sind das überhaupt die Erwartungen des anderen – oder sind es bloß Erwartungen, von denen ich felsenfest überzeugt bin, dass er sie hat?

Manche Menschen haben auch das Talent, sich den Rucksack selbst vollzupacken, indem sie sämtliche Lasten der Welt auf ihre eigenen Schultern nehmen. Sobald ihnen jemand ein Problem schildert, fühlen sie sich dafür verantwortlich, es zu lösen – erst recht dann, wenn es dem oder der Betreffenden sichtlich schlecht geht mit ihrer Lage. Ihnen kann es helfen, "distanzierte Anteilnahme" zu lernen (S. 94).

Lose verwandt damit sind die "inneren Bremsen", mit denen man sich selbst das Leben schwermacht. Auch sie können die Spätfolge persönlicher Altlasten sein, wie etwa die längst verinnerlichte Stimme einer früheren Lehrerin oder eines Elternteils: "Du bist da zu blöd dafür!" Oder das Gefühl, immer nett sein und gute Miene zu bösen Spielchen machen zu müssen. Oder die Einhaltung vermeintlicher Grenzen oder Regeln, deren Gültigkeit wir einfach unterstellen, statt zu hinterfragen.

Hohe Ansprüche an sich selbst

Überzogene Ansprüche an sich selbst – einschließlich der oben aufgeführten Antreiber – zählen ebenfalls zu den selbstauferlegten Handicaps. Sie äußern sich zum Beispiel in einer Verachtung für "Versager" und "Loser". Es lohnt sich, einmal für sich zu klären, wer man denn sein und was für Resultate man vorweisen müsste, um mit sich selbst vollständig zufrieden sein zu können. (Und ohne sofort in den Reflex "Zufriedenheit ist Stillstand, und Stillstand ist Rückschritt" zu verfallen.)

Wer seinen Lieblingsantreiber erkannt hat, kann ihn mit einer dezidierten selbst ausgestellten Erlaubnis kontern – etwa den Antreiber "Sei perfekt!" mit der Erlaubnis: "Auch ich darf und werde Fehler machen! Und um Perfektion bemühe ich mich nur noch dort, wo sich der Aufwand wirklich lohnt!"

Diese selbsterteilte Erlaubnis muss man freilich auch verteidigen können, wenn Vorgesetzte, Kolleginnen oder auch Familienangehörige die eigenen Treiber geschickt gegen einen ausspielen, um sie in die eigenen Dienste zu stellen. Deshalb empfiehlt Burisch hierfür einen "Sprechzettel", sprich, sich für den Fall des Falles eine gute Antwort zurechtzulegen. Außerdem rät er, man solle sich einen Plan zurechtlegen, wie man kritische Situationen rechtzeitig erkennt und nicht immer wieder in die gleiche selbstgebastelte Falle geht.

Eines Gegenmittels bedarf es auch gegen die verheerende Tendenz, sich selbst nur dann zu akzeptieren, wenn man alles richtig gemacht hat. Wer sich mit Individualpsychologie und speziell mit Ermutigung befasst hat, für den klingt Burischs "Lossprechung" allerdings sehr zögerlich und unsicher:

"Selbst wenn ich nie den Zustand der Vollkommenheit erreiche: Ich bin im Grunde O.K. (…) Ich bin im Prinzip bei aller Unvollkommenheit, die nun mal menschlich-allzumenschlich ist, mit mir einverstanden, so wie ich bin." (S 122)

Mutig und unvollkommen seinen bestmöglichen Beitrag leisten

Wer die Kunst der Ermutigung bei dem vor wenigen Tagen, am 22. Dezember 2021, im Alter von knapp 90 Jahren verstorbenen Individualpsychologen Theo Schoenaker gelernt hat, der würde das wohl etwas beherzter formulieren. In den Worten des Meisters: "So, wie ich bin, bin ich gut genug. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin gut genug." Und er würde wahrscheinlich gleich einen weiteren Leitsatz hinzufügen: "Ich bin nicht auf der Welt, um der Beste zu sein, sondern um mutig und unvollkommen mein Bestes zu geben."

Dieses Hinlenken zur Gemeinschaft und weg von der allzu engen Fokussierung auf die eigene Person ist ein Aspekt, der bei Burisch etwas zu kurz kommt. Das gilt selbst, wenn er rät, "die eigene Gelassenheit zu kultivieren. Irgendwie werde ich schon mit allem fertigwerden …" (S. 128) Auch hier ist implizit von einem Einzelkämpfer (oder einer Einzelkämpferin) die Rede – was zu Psychologen und Therapeutinnen ja auch passt.

Paradoxerweise kommt die Gemeinschaft aber ausgerechnet über den "Hunger nach Belohnungen" (S. 129) durch die Hintertür wieder herein, wenn auch nur in der Rolle des Publikums bzw. der beeindruckten Punktrichter, die die Notenkärtchen hochhalten (sollen). Aber der erwartungsvolle Blick auf den Applaus der Umgebung bewirkt natürlich, wie Burisch zurecht feststellt, "immer die Gefahr der Abhängigkeit von außen" (S. 135) Sein Lösungsvorschlag: "Am allerwichtigsten ist aber, sich Streicheleinheiten selber geben zu können." (a.a.O.) Womit man hier auch hier der heroische Einzelkämpfer wäre. (Könnte es sein, dass hier der Antreiber "Sei stark!" hervorlugt?)

Eine Alternative könnte sein, zu tun, was man nach eigenem besten Wissen und Gewissen für richtig hält, um das übergeordnete Ganze voranzubringen – und keine andere Belohnung zu erwarten als das Bewusstsein, dass man dafür – ganz im Sinne von Schoenaker – mutig und unvollkommen sein Bestes gegeben hat. Wenn das von der Umgebung wahrgenommen und anerkannt wird, kann, darf und wird einen das natürlich freuen, aber man ist davon nicht abhängig, weil man weiß, dass man seinen Beitrag geleistet hat, und ein Stück weit beobachten kann, wie er sich auswirkt.

Sich selbst auf die Schliche kommen

Auf jeden Fall nützlich ist aber die Empfehlung Burischs, die diesen Hauptteil des Buchs abschließt, "sich selbst auf die Schliche zu kommen" (S. 139). Ein Weg dorthin kann nach seiner Erfahrung sein, eine Autobiographie zu schreiben – nicht für andere und schon gar nicht für die Öffentlichkeit, weil sonst unweigerlich der Aspekt der Selbst-Darstellung ins Spiel kommt, sondern ausschließlich für sich selbst. Und daher im festen Bemühen, ehrlich mit sich selbst zu sein. Mit einer langen Liste von biographischen Fragen regt er das Nachdenken über die eigene Lebensgeschichte an.

Eine Ableitung daraus kann eine "innere Visitenkarte" sein. Sie kann man bei geeigneter Gelegenheit auch nutzen, um sich interessierten Gesprächspartnern mit ein oder zwei prägnanten Sätzen über die eigene Persönlichkeit vorzustellen. Vor allem aber dient sie dazu, die Essenz dieser Autobiographie – Individualpsychologen würden sagen, den eigenen Lebensstil – prägnant auf den Punkt zu bringen.

Resümee: Insgesamt ein sehr gut lesbares, fundiertes, praxisorientiertes und vor allem hinreichend kompaktes Buch, das ich vorbehaltslos empfehlen kann – auch Lesern, die nicht so recht wissen, was sie von dem vermeintlichen "Modethema" Burnout halten sollen und wollen. Danach hat man auf jeden Fall einen guten Überblick, und zwar aus der Feder von jemandem, der den Stand der Forschung wirklich kennt (und selbst dazu beigetragen hat).

Wer danach tiefer einsteigen möchte, kann mit Burischs Fachbuch "Das Burnout-Syndrom – Theorie der inneren Erschöpfung" weitermachen, muss sich dort aber auf eine etwas anstrengendere Lektüre gefasst manchen.

Schlagworte:
Burnout, Burnout-Prävention, Depression, Stressmanagement, Erwartungen, Überlastung, Überarbeitung, Hoffnungslosigkeit

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