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Die unterschätzte Kunst der Ermutigung

Blumenthal, Marianne; Blumenthal, Erik (1998):

Die Kunst der Ermutigung

Befreiung der besten Qualitäten in sich und anderen

Horizonte (Stuttgart); 2. Aufl. 1998; 127 S.; derzeit vergriffen


Nutzen / Lesbarkeit: 9 / 8

Rezensent: Winfried Berner, 26.12.2004

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Wer sich von dem etwas altväterlichen Stil nicht abschrecken lässt, kann diesem Büchlein eine Menge wertvoller Impulse in Sachen Ent- und Ermutigung entnehmen, die zur Reflexion des eigenen Denkens und Handelns im Privatleben wie im Beruf anregen.

Das Büchlein beginnt mit einem langen Zitat, dessen erste Sätze seine Programmatik sind: "Da wir in einer Entmutigungsgesellschaft leben, ist es heute dringend geworden, die Kunst der Ermutigung zu erlernen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, die so perfekt, wenn auch unbewusst trainierten Entmutigungsmethoden zu ent-lernen. (...) Ich kann nur ermutigen, wenn ich an die betreffende Person glaube, wie sie ist, mit all ihren Fehlern und Schwächen. Ich kann unmöglich ermutigen, wenn ich nur an sie glaube, wie sie sein könnte oder sollte. Dem anderen zu sagen, wie er sein soll, was er tun oder nicht tun soll, wie er sich verhalten oder ändern sollte, ist die sicherste Methode, ihn zu entmutigen ..." (S. 7)

Das Zitat ist nicht namentlich gekennzeichnet, könnte aber von dem Individualpsychologen Rudolf Dreikurs stammen, bei dem Erik Blumenthal, der 2004 im Alter von knapp 90 Jahren verstorben ist, seine Lehranalyse gemacht hat. Marianne und Erik Blumenthal sind bzw. waren individualpsychologische Therapeuten, Lehranalytiker und zugleich Mitglieder der Baha'i-Religion. Und so stammen auch etliche Gedanken und Zitate in dem kleinen, gut lesbaren Buch aus dem Gedankengut dieser (mir bis dato unbekannten) Religion.

Wenn Psychologie und Religion vermengt werden, bin ich prinzipiell äußerst skeptisch, einfach weil der Wahrheitsanspruch von Religionen ein fundamental anderer ist als der einer empirischen Disziplin. In theologisch-psychologischen Amalgamen lässt sich oft kaum noch unterscheiden, welche Empfehlungen empirisch untermauert und welche auf religiöse Überzeugung begründet sind – was zuweilen den Beigeschmack bewusster Manipulation hat, gerade bei Ratgebern zur Lebenführung, Erziehung und Partnerschaft. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass psychologische Aussagen immer auch weltanschauliche Überzeugungen einschließen – jedenfalls dann, wenn sie sich auf die Praxis beziehen und bloß nackte Forschungsbefunde referieren. Überdies stelle ich erstaunt fest, dass sich die Wertewelt der Baha'i-Religion erstaunlich gut mit zentralen Konzepten der Individualpsychologie zu vertragen scheint – etwa mit dem individualpsychologischen Postulat der Gleichwertigkeit aller Menschen oder der unauflösbaren Zugehörigkeit des Einzelnen zur Gemeinschaft.

Dennoch ignoriere ich hier die theologischen Aussagen des Buchs und beschränke ich mich ausschließlich auf die psychologischen und praktischen Anregungen, die es in reichem Maße bietet. Das erste Kapitel "Was ist Entmutigung?" besteht im Wesentlichen aus einer umfangreichen Fallstudie, welche die "Entmutigungskarriere" eines Mannes beschreibt, aber auch seinen emotionalen Turn¬around, der durch die Ermutigung von Freunden wie auch durch Selbstermutigung zustandekam. (Erik Blumenthals Lebensdaten nach darf man vermuten, dass sie autobiographische Züge trägt.) Im zweiten Kapitel "Was ist Mut?" systematisieren die Blumenthals dann und bieten zunächst eine sehr prägnante Definition von Mut: "Individualpsychologisch ausgedrückt ist Mut Selbstvertrauen unter Belastung." (S. 27) Am Ende des Kapitels variieren sie: "Mut ist der Glaube an sich selbst" (S. 36) – im Gegensatz zur Angst, mit der sich das dritte Kapitel befasst: Sie ist "der Glaube daran, dass ich es nicht schaffe, der Glaube, dass das Leben gefährlich ist, der Glaube, dass andere Menschen feindlich seien, und der Glaube, dass ich für dieses Leben nicht genügend ausgerüstet sei." (S. 35)

Ein zentraler Gedanke: "Jedes normale Kind (...) wird mit genügend Mut geboren, um seinen Aufgaben gerecht werden zu können: Wachsen, Lernen, den Körper weiterentwickeln, bewusster werden, sich der Gemeinschaft anzupassen, die Ichhaftigkeit verkleinern, sich Gott zuwenden, Lieben lernen usw." (S. 29) Wenn das stimmt, und dafür spricht vieles, dann muss es einen massiven Prozess der Entmutigung geben, der nicht nur auf Individuen wirkt, sondern das unglaubliche Maß an Mutlosigkeit und Verweigerung in den meisten westlichen Gesellschaften auslöst. Eine zentrale Rolle hierbei spielen Elternhaus und Schule: früher durch eine autoritäre und überharte Erziehung, heute durch Verwöhnung, Laisser-faire und zuweilen übertriebenen elterlichen Ehrgeiz. Natürlich machen Eltern und Lehrer das nicht aus Bösartigkeit, sondern aufgrund eigener Entmutigung. Dennoch wirkt das Vorleben eines entmutigten Lebensstils – von Ängstlichkeit und Feindseligkeit über schlechte Ehen und soziale Isolierung bis hin zu gemeinschaftsschädigendem Verhalten – nachhaltig entmutigend auf die Kinder. (Nach individualpsychologischem Verständnis ist das Verweigern der Mitverantwortung für die Gemeinschaft, gleich ob es sich um Unkollegialität, Umweltzerstörung oder Steuerhinterziehung handelt, ebenfalls Ausdruck von Entmutigung.)

Im vierten Kapitel stellen die Blumenthals Alfred Adlers Individualpsychologie als "Ermutigungspsychologie" vor und machen mit einigen ihrer zentralen Aussagen vertraut. Dabei wird deutlich, dass Ermutigung keinesfalls mit gefälligen oder gar schmeichelhaften Aussagen gleichzusetzen ist – es können im Gegenteil auch ziemlich anstrengende und unangenehme Feststellungen sein: "Dass wir unser Tun zum großen Teil selbst entschieden haben, kann von vielen noch akzeptiert werden. Wenn wir aber erkennen sollen, dass wir auch unsere Gefühle, Emotionen, Aggressionen, Affekte und Wutausbrüche, Kurzschlusshandlungen und Süchte selbst entschieden haben sollen, dann hört bei vielen unserer Zeitgenossen die Verständniswilligkeit auf." (S. 38) Denn das durchkreuzt sämtliche Ausreden und Alibis – und wirkt gerade dadurch letztlich ermutigend. Ähnliches gilt für "die Feststellung, dass es das sogenannte Unbewusste als selbständige Kraft in uns nicht gibt. 'Unbewusst' sollte nur als Eigenschaftswort verwendet werden. Es ist meine Entscheidung, ob ich etwas erkennen und verstehen will oder es lieber unbewusst lasse." (S. 48) Andererseits gilt die zentrale Ermutigung, welche die Individualpsychologie zu bieten hat, tatsächlich ohne unser Zutun: Dass alle Menschen gleichwertig sind (nicht "gleich"!) und dass wir kraft unserer Geburt zur Gemeinschaft zugehörig sind (und infolgedessen auch nicht um die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ringen müssen, wie viele Menschen aufgrund ihres Gefühls von Minderwertigkeit irrtümlich glauben).

In den folgenden Kapiteln arbeiten Marianne und Erik Blumenthal anhand zahlreicher Fallbeispiele heraus, wie die "Ermutigung des Partners", die "Ermutigung des Kindes", die "Selbstermutigung" und schließlich der "Ermutigung in der Gemeinschaft" konkret aussehen können. Auch wenn manche Beispiele und Aussagen etwas altmodisch wirken, bieten diese Kapitel mehr als genügend Anregungen. Entscheidend ist letztlich nicht, dass man alles gläubig übernimmt, sondern dass man die Impulse aufgreift, um über andere und sich selbst nachzudenken. All dies nötigt sie mir größten Respekt vor dem Lebensweg dieses Ehepaars ab: Der Mann noch in der Kaiserzeit geboren und zunächst zu einem "autoritären Knochen" herangewachsen, die Frau unter belastenden Umständen aufgewachsen und als Jugendliche aus dem heutigen Polen vertrieben – und doch haben es nach der Schilderung von Zeitzeugen beide geschafft, nicht nur über Ermutigung zu schreiben, sondern auch durch ihre Arbeit und ihr Vorbild andere nachhaltig zu ermutigen.

Der Anhang enthält "Einige Kernsätze zur Ermutigung des Partners", "... zur Ermutigung von Kindern" sowie "... zur Selbstermutigung", die ich zum Teil erstaunlich klar und kraftvoll finde. Einige Beispiele:

  • "Stelle deinen Partner über dich, ohne dich unter ihm zu fühlen."
  • "Erwarte nie den ersten Schritt vom Partner, sondern tue ihn selbst."
  • "An das Kind glauben, wie es ist, nicht, wie es sein sollte oder könnte."
  • "Die Tat, nicht das Sein des Kindes anerkennen."
  • "Jede Schwierigkeit ist eine Möglichkeit zur Selbstentwicklung."
  • "Eine Liste der [eigenen] guten Seiten und Möglichkeiten aufstellen.
  • "Andere zu ermutigen ermutigt auch mich."

Zwar ist in dem ganzen Büchlein nicht von Führung und gar von Change Management die Rede, jedenfalls nicht mit diesen Worten. Doch es bedarf nur einer geringen Anstrengung, seine zentralen Gedanken auf die betriebliche Praxis zu übertragen – probieren Sie es an den gerade wiedergegebenen Kernsätzen aus! Wer sich diese Mühe zumutet, kann aus diesem "Die Kunst der Ermutigung" mehr für seinen Beruf und seine Karriere lernen als aus den allermeisten Führungs- und Karriereratgebern.


Schlagworte:
Psychologie, Führung, Ermutigung, Entmutigung, Mut, Angst

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