Die Umsetzungsberatung

Lexikon des Change Management

Sprachbarrieren: Wenn Sie Englisch als Firmensprache einführen

 

Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung

 

So banal es ist: Ohne eine gemeinsame Sprache kann man nicht zusammenarbeiten. Deren Fehlen wird rasch zum Problem, wenn Unternehmen grenzüberschreitend fusionieren oder internationale Märkte erschließen wollen. Denn, wie es ein Kollege ebenso hübsch wie pauschal formuliert hat, "der Ausländer spricht einfach nicht genug Deutsch". Und, was die Sache noch schlimmer macht, der Deutsche nicht genug ausländisch, besonders der ältere nicht.

  • Ohne gemein-same Sprache geht nichts
  • Sobald ein Unternehmen die Grenzen des deutschen Sprachraums überschreitet, bleibt ihm kaum eine andere Wahl als Englisch zur Firmensprache zu machen. Mit Deutsch, wie es einige Großunternehmen in der Vergangenheit praktiziert haben, schränkt man die Zahl der in Frage kommenden ausländischen Manager sehr stark ein. Das mag bei den polyglotten Holländern, Schweden und Ungarn noch funktionieren, doch schon vor dem Überschreiten des Ärmelkanals wird die Zahl der Kandidaten sehr übersichtlich, und jenseits des Atlantik kann man getrost alle Hoffnung fahren lassen, deutschsprachige Führungskräfte rekrutieren zu können. Öfter als einem lieb sein kann, stünde man sonst bei Stellenbesetzungen vor der fatalen Alternative, entweder einen schwächeren Kandidaten mit brauchbaren Deutschkenntnissen einzustellen oder den besseren, der kein oder kaum Deutsch spricht.

  • Keine Alternative zu Englisch
  • Natürlich kann man sich damit behelfen, die Schlüsselpositionen in den ausländischen Niederlassungen mit deutschen bzw. deutschsprachigen "ExPats" (Expatriates = Entsandten der Zentrale) zu besetzen. Und für eine Übergangsphase ist das beim Erschließen neuer Märkte wahrscheinlich sogar ein sinnvoller Weg. Doch auf die Dauer hat es seinen Preis, wenn man den "Eingeborenen" ihre Karrieregrenzen so deutlich vor Augen führt: Dann werden viele gute Leute entweder gar nicht unterschreiben oder nach ein paar Jahren wieder weg sein. Außerdem ist es in vielen Auslandsmärkten ein Handicap, wenn ein Unternehmen gegenüber Markt und Gesellschaft nicht durch Einheimische repräsentiert wird.

  • Deutsch hat seinen Preis
  • Also denn: Englisch ist Firmensprache – what's the problem?!

    Naja – um ehrlich zu sein: Das Englisch ist das Problem.

     

    Die hohe Hürde, ausländisch zu reden

     

    Wer von Kindesbeinen an mit Englisch als Zweitsprache aufgewachsen ist oder ein paar Schul- oder Studienjahre im Ausland verbracht hat, der kann sich kaum vorstellen, wie hoch die Hürde "Englisch als Firmensprache" für viele Mitarbeiter ist – übrigens auch auf höheren Hierarchieebenen. Viele haben Englisch noch von der Schule her in schlechter, wenn auch verblasster Erinnerung. Wobei dummerweise nicht nur die schlechten Erinnerungen verblasst sind, sondern auch alle anderen ...

  • Kärgliche Reste des Schulenglisch
  • Und so wird die Teilnahme an englischsprachigen Meetings für sie zur Qual: Die Anstrengung, die "Native Speaker" zu verstehen, das hassenswert gute Englisch mancher Kollegen und ihr demonstratives Vorführen von Vokabeln und Idioms, das peinliche Radebrechen mancher anderer Kollegen, die Angst, sich zu blamieren oder "etwas Unmögliches" zu sagen, der Frust, mit seinen Diskussionsbeiträgen immer einen Tick zu spät dran zu sein, die oft vergebliche Suche nach den richtigen Worten, die Fragezeichen in den Augen der anderen Teilnehmer, ihr Bemühen um Geduld, wenn man doch einmal etwas zu sagen versucht, die Qual, seine Gedanken nicht richtig artikulieren zu können ...

  • Die Nöte der Ungeübten
  • Und so fällt ihnen ein Stein von der Zunge, wenn sie in der Pause endlich wieder "normal" reden dürfen. Eilfertig betonen sie dann, dass man sich in seiner Muttersprache eben doch sehr viel präziser ausdrücken und vor allem die Nuancen besser rüberbringen könne. Was zwar stimmt, das Problem aber verharmlost. Denn bei Licht besehen wäre es schon ein großer Fortschritt, wenn bloß die Nuancen verloren gingen. Wer immer erst darüber nachdenkt, wie er es formulieren könnte und ob er es überhaupt sagen soll, der sagt in vielen Fällen gar nichts. Was zur Folge hat, dass eben nicht nur die Nuancen verloren gehen, sondern fast alles, was er beizutragen hätte.

  • Sprache als Barriere
  • Zu hohe Anforderungen an sich selbst

     

    In dieser Sprachnot werfen sich manche in die Schlacht und kämpfen: Melden sich zu Wort, ringen um Begriffe und Formulierungen – und schaffen es auf diese Weise tatsächlich, ihre wichtigsten Gedanken mitzuteilen. Ganz nebenbei verbessert sich auf diese Weise allmählich auch ihr Englisch – nicht auf ein Niveau, mit dem sie Shakespeare einschüchtern könnten, aber doch weit genug, dass sie sich mit ihren ausländischen Kollegen über alles Wesentliche verständigen können. Was ja der eigentlichen Funktion von Sprache schon ziemlich nahe kommt.

  • "Learning by Fighting"
  • Leider ist dieses Rezept nicht übertragbar. Der Sprung über die Sprachbarriere gelingt nicht allen aus eigener Kraft: Viele vermeiden englischsprachige Meetings, wo es geht, sitzen, wenn es denn sein muss, schweigend und leidend dabei und äußern sich nur, wenn sie direkt angesprochen werden. Oder wenn ihnen der Kragen platzt – wobei sie dann rasch ins Deutsche verfallen. Dieses Vermeidungsverhalten verhindert natürlich auch, dass sich ein bisschen mehr Geläufigkeit aufbauen kann. Diese "Totalverweigerer" sind in der realen Gefahr, gegenüber ihren gewandteren (oder mutigeren) Kollegen zurückzufallen und zu einem enttäuschten und verbitterten Hort der alten Welt im Unternehmen zu werden.

  • Vermeidungs-
    verhalten
  • Das wäre nicht nur für die Betroffenen selbst tragisch, sondern auch für das Unternehmen. Denn diese "Englisch-Verweigerer" sind im Allgemeinen nicht die schlechtesten Leute: Oft handelt es sich dabei um eher introvertierte Fach- und Führungskräfte mittleren und höheren Alters, oft (aber nicht ausschließlich) um Techniker und Ingenieure. Sehr häufig sind darunter Menschen, die hohe Maßstäbe an ihre Arbeit stellen – und sich, was das Englisch betrifft, genau mit diesen hohen Ansprüchen an selbst in eine Sackgasse manövrieren. Denn im Gegensatz zu den "Kämpfern" sind sie nicht damit zufrieden, dass man ihre Kernaussagen versteht, sondern möchten, wenn sie sich schon äußern, ihre Gedanken auch in korrektem Englisch vortragen, um "sich nicht lächerlich machen". Wobei die Formulierung viel über ihre Ängste verrät.

  • Gute Fachleute
  • Je höher jedoch der Maßstab, den man an sich legt, desto größer ist aber nicht nur die Gefahr des Scheiterns, sondern auch die Wahrscheinlichkeit des Verweigerns. Wer keine Chance sieht, den eigenen Vorgaben gerecht zu werden, für den liegt es angesichts der absehbaren Niederlage nahe, zu resignieren und gar nicht mehr anzutreten. Überhöhte Maßstäbe sind ein effektives Selbstentmutigungsprogramm: Wenn vorhersehbar ist, dass das Ergebnis nicht "gut genug" sein wird, kann man es auch gleich bleiben lassen.

  • Selbst-entmutigung
  • Fatales Entgegenkommen

     

    Um ihren verdienten Mitarbeitern diese Quälerei zu ersparen, lassen viele Top-Manager Fünfe gerade sein und dulden, dass trotz offizieller Firmensprache Englisch in international zusammengesetzten Meetings Deutsch gesprochen wird. Unter Umständen ist dabei auch ein Stück Machtpolitik im Spiel, denn natürlich beeinflusst die Sprache, die gesprochen wird, auch die Kräfteverhältnisse zwischen den Parteien, was bei internationalen Firmenzusammenschlüssen die Gewichte durchaus verschieben kann. Entsprechend schnell entstehen Spekulationen, die in diese Richtung gehen.

  • Deutsch trotz Englisch?
  • Doch was immer die Gründe und Hintergründe sind: In aller Regel ist ein solches Vorgehen ein fataler Fehler. Denn es sperrt alle, die kein Deutsch sprechen, aus dem Diskussions- und Entscheidungsprozess aus. Auch wenn die Betroffenen meist gute Miene zu dem üblen Spiel machen, man muss sich nur in ihre Haut versetzen, um die Auswirkungen nachvollziehen zu können: Sie sind um die halbe Welt angereist, nur um zu erleben, dass sie an den Meetings, derentwegen sie kamen, zwar physisch, aber nicht wirklich teilnehmen dürfen. Eine bruchstückhafte und nachträgliche Übersetzung gleicht diese "sprachliche Aussperrung" nicht aus.

  • Faktische Aussperrung der Ausländer
  • Spätestens wenn sich diese frustrierende Erfahrung ein zweites und ein drittes Mal wiederholt, vermuten selbst die Gutwilligsten, dass der politische Wind sich gedreht hat und ihnen ab sofort ins Gesicht bläst. Und sie fragen sich, ob sie in dieser Firma noch eine Zukunft haben. Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten: Eher früher als später ziehen sie die Konsequenzen und sehen sich nach beruflichen Alternativen um. Was sehr rasch zur Folge haben kann, dass einem mitten in der Integrationsphase wichtige Stützen des Auslandsgeschäfts wegbrechen.

  • ... führt zu deren Abwanderung
  • An dieser Stelle kann jemand hitzig einwenden, dass es den Deutschen, die nicht genug Englisch sprechen, doch auch nicht anders ginge. Der Einwand ist nicht völlig unberechtigt, übersieht aber, dass es hier nicht um Gerechtigkeit geht, sondern um Zweckmäßigkeit. Es gibt genügend Deutsche (Schweizer, Österreicher ...), die brauchbar Englisch sprechen, aber nicht genügend Amerikaner, Engländer, Franzosen, Japaner, Chinesen, die ausreichend Deutsch sprechen. Jede Strategie muss sich aber an dem zentralen Engpass orientieren. Deshalb kommt man, so ungerecht es die Betroffenen finden mögen, an Englisch als internationaler Firmensprache nicht vorbei. (Hätten sich die USA vor vielen Jahren für Deutsch entschieden, wäre das vielleicht anders – allerdings würden wir unsere Muttersprache dann, genau wie heute die Engländer, kaum noch wieder erkennen. Aber das ist Schnee von gestern.)

  • Keine Alternative zu Englisch
  • Den Übergang forcieren und unterstützen

     

    Mit der Umstellung der Firmensprache zu warten, bis alle gut genug Englisch sprechen, ist der falsche Weg; es ähnelt dem Prinzip: "Ich gehe erst ins Wasser, wenn ich schwimmen kann." Dieser Fall wird, wenn man die Zügel locker lässt, niemals eintreten. Für das Top-Management stellt sich die Frage anders: Wie kann man den Übergang möglichst rasch schaffen, ohne jene verdienten Mitarbeiter und Führungskräfte, die nicht genügend Englisch sprechen, zu überfordern und mittelfristig in die innere Emigration zu treiben?

  • Schnellst-
    mögliche Umstellung
  • Dies ist am ehesten durch die Verbindung von zwei Maßnahmen zu erreichen, die sich an dem bewährten Prinzip "Fordern und Fördern" orientieren: Zum einen durch die klare und unerbittliche Ansage, dass Englisch ab sofort (und nicht erst nach einer Übergangszeit!) die alleinige Firmensprache für internationale Meetings wie auch für Mitteilungen von übergeordnetem Interesse ist. Was zur Konsequenz hat, dass alle, die ihre Position halten oder es noch zu etwas bringen wollen, sofort – und ohne Verschleppung! – ihr Englisch auf ein Niveau bringen müssen, dass sie damit verhandlungssicher sind. Nur eine solche klare Ansage löst den Handlungsdruck aus, der erforderlich ist, damit wirklich etwas geschieht, statt dass bloß gute Vorsätze für die Zukunft gefasst werden.

  • Englisch konsequent fordern
  • Die andere Voraussetzung ist eine großzügige und ermutigende Unterstützung des erforderlichen Lernprozesses. Denn gerade wenn man möglichst viele von den alten Haudegen (und Verweigerern) auf dem Weg in die Zukunft mitnehmen möchte, darf man nicht bloß Druck machen, sondern muss auch in Unterstützung investieren. Nach unserer Erfahrung sollte man dabei weniger auf teuren Einzelunterricht setzen – auch für die obersten Führungsebenen nicht! – als auf professionelle Gruppentrainings, die nicht Vokabeln und Grammatik trainieren, sondern Hemmschwellen ab- und Geläufigkeit aufbauen. Solche Trainings werden zum Beispiel von meinen Kollegen Paul Smith Associates angeboten. Sie zielen darauf ab, dass die Teilnehmer innerhalb einer Woche "auf Englisch laufen lernen", das heißt aktiv und mit Selbstvertrauen an der englischsprachigen Kommunikation teilnehmen. Wenn diese "Eintrittsbarriere" übersprungen ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sich ab dann, genau wie die "Kämpfer", aus eigener Kraft weiter entwickeln.

  • ... und fördern

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