Fusionsstrategie: "Merger of Equals", Übernahme oder was sonst? |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Nirgendwo wird bei Fusionen so hemmungslos
gelogen wie bei der Frage nach der Integrationsstrategie. Spätestens
seit der großen ABB-Fusion Anfang der neunziger Jahre ist es Mode geworden,
Übernahmen als "Merger of Equals" zu tarnen, also als Fusion unter
Gleichen. Entsprechend wird dann auch behauptet, man wolle
"das Beste aus beiden Welten" ("Best of Both Worlds") zur Grundlage
der gemeinsamen Zukunft machen. Und natürlich soll bei der Besetzung
der Führungspositionen "nicht die Herkunft, sondern einzig und allein
die Leistung" zählen – fast zu schön, um wahr zu sein. Und häufig bestätigt sich denn auch die alte Regel: "Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, dann ist es zu schön, um wahr zu sein." |
Das Märchen vom "Merger
of Equals" |
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In vielen Fällen gibt es neben der offiziell verkündeten Integrationsstrategie oft
noch eine inoffizielle, aber reale. Erstere hat eher mit Marketing
zu tun, das heißt damit, wovon man vermutet, dass es bei Mitarbeitern,
Führungskräften und Öffentlichkeit am besten ankommt; letzteres
ist das eigentliche Konzept, wie man die Fusion zum Erfolg führen
und versprochenen Synergien realisieren will. Je größer die Diskrepanz
zwischen verkündetem und realem Vorgehen jedoch ist, desto mehr
wird sie zur Zeitbombe, denn desto mehr gehen die hohen Erwartungen im Laufe der Zeit in tiefe Enttäuschung über, und desto mehr untergräbt sie auf mittlere
Sicht die Glaubwürdigkeit
der Geschäftsleitung und damit die Loyalität
der Mitarbeiter. |
Offizielles und reales
Konzept |
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Zwei mögliche Fusionsstrategien |
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Prinzipiell gibt es zwei Strategien, wie man zwei (oder mehrere)
Unternehmen zusammenführen kann, sowie zahlreiche Mischformen: |
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"Best of Both Worlds" heißt, man strebt an,
die Stärken der beiden Ausgangsfirmen zu vereinen: die besten Leute,
die besten Produkte, die besten Prozesse und Systeme. Das bedeutet praktisch:
Wo immer es für eine Funktion mehrere Alternativen gibt, gleich
ob beim Personal, bei Produkten oder bei den Systemen, soll die bessere bzw. beste übernommen werden. Das
macht es freilich erforderlich, jeweils in einem sorgfältigen Auswahlprozess
zu bestimmen, auf welchen Feldern das übernehmende und auf welchen
das übernommene Unternehmen besser aufgestellt ist. Die logische Folge ist zum Beispiel ein komplexer und zeitaufwändiger Stellenbesetzungsprozess.
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- Eingliederung heißt, dass
das übernommene Unternehmen in das übernehmende "einpasst" wird
(selten auch umgekehrt). Das heißt praktisch, man nimmt das entweder das eigene Unternehmen oder das insgesamt
besser funktionierende (oder größere) und reichert es
lediglich um die besten Leute, die besten Systeme und die besten
Produkte aus dem anderen Unternehmen an. Die Strukturen, Systeme
und Personen des Übernehmers gelten dabei als gesetzt; Veränderungen
werden nur dort vorgenommen, wo das übernommene Unternehmen klare
Vorteile aufzuweisen hat.
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"Best of Both Worlds" – das klingt sehr logisch und fair: Die Stärken
der beiden Ursprungsunternehmen werden zu einem neuen, nahezu optimalen
Ganzen zusammengeführt. Es lässt zugleich erwarten, dass für die Zukunftschancen
von Menschen, Ideen und Produkten nicht die Machtverhältnisse entscheidend
sind, sondern ihre Qualität. Insbesondere für Mitarbeiter und Führungskräfte
des übernommenen Unternehmens ist dies tröstlich, gibt es ihnen
doch Hoffnung – und hilft, ihren Glauben an die Gerechtigkeit der
Welt zu wahren. Und so wird dieses Fusionskonzept denn auch häufig
verkündet und von allen Beteiligten positiv aufgenommen. |
"Best of Both Worlds" weckt Hoffnungen |
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Der Pferdefuß dieses sympathischen Ansatzes ist die Zeit. Wenn
"Best of Both Worlds" konsequent realisiert werden soll, erfordert
dies ziemlich aufwändige Auswahl- und Entscheidungsprozesse. Denn
um herauszufinden, was das Beste aus beiden Welten ist, bedarf es
für jedes Themenfeld, für das eine Wahl getroffen werden muss, erstens
klarer Kriterien, zweitens der Entwicklung eines (möglichst objektiven)
Bewertungsverfahrens, drittens dessen saubere Durchführung. All
dies dauert. |
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Hoher Aufwand für "Merger of Equals" |
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Schon das Entwickeln der Kriterien ist eine zeitraubende Angelegenheit,
denn natürlich haben die beiden Seiten da unterschiedliche Vorstellungen
– nicht nur aufgrund von Eigeninteressen,
sondern eben auch, weil unterschiedliche "Philosophien" bzw. Geschäftsmodelle aufeinander
treffen, die sich aus den unterschiedlichen Traditionen und Kulturen
der fusionierenden Unternehmen ergeben. Dazu kommt
der Zeitbedarf für die Auswahl- und Entscheidungsverfahren. Gleich
ob es um Stellenbesetzungen
geht oder die Auswahl der IT-Systeme, wenn man solche Prozesse fair und mit der
nötigen Sorgfalt durchführen will, gehen leicht ein paar Monate
ins Land. In dieser Zeit ist das Unternehmen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und damit hochgradig verwundbar für für clevere Wettbewerber, die diese Phase der Ablenkung für gezielte Attacken auf Kunden und Leistungsträger nutzen. |
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Das trifft den Integrationsprozess an seinen beiden empfindlichsten
Punkten: der Zeit und der Kapazität der Entscheider. Der hohe Aufwand kostet nicht nur Zeit und Motivation, sondern auch Mitarbeiter und Kunden.
Bei der Fusionsstrategie "Best of Both Worlds" besteht die Gefahr, das Unternehmen für mehrere Monate lahmzulegen – und zugleich
einen Entscheidungsstau vor dem Vorstandsbüro zu produzieren. Da Schnelligkeit
aber einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren für eine Fusion ist,
sind langwierige Entscheidungsprozesse mehr als ein Schönheitsfehler.
Nach allen vorliegenden Befunden empfiehlt es sich, bei der Abwägung
zwischen Schnelligkeit und Gerechtigkeit im Zweifelsfall der Schnelligkeit
der Vorzug zu geben. Zumal eine Gerechtigkeit, die mit einer langen, quälenden Phase der existenziellen Unsicherheit erkauft werden muss, auch keine voll befriedigende Sache ist. |
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Andererseits hat auch die sehr viel schnellere Strategie "Eingliederung"
ihre Schwachpunkte. Erstens verliert man sehr viel Kompetenz und
Know-how, wenn man ganze Bereiche "über die Klinge springen lässt",
zweitens ist die Integration der übernommenen Unternehmensteile
damit noch längst nicht gelungen. Vielmehr drohen nach der Eingliederung
heftige Abstoßungsreaktionen,
und zwar nicht so sehr von den Mitarbeitern des übernommenen Unternehmens,
als von den eigenen Leuten. Die kulturelle Integration ist mit der formellen noch lange nicht erreicht; sie muss durch zusätzliche Maßnahmen und Programme erst herbeigeführt werden. |
Nachteile einer reinen
Eingliederung |
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Erfahrene Fusionsmanager streben daher oftmals eine Mischform aus
beiden Integrationsstrategien an, häufig mit der Strategie "Eingliederung"
als Grundkonzept und "Best of Both Worlds" dort, wo diese Form der
Optimierung erheblichen Zusatznutzen verspricht. |
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Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem neuen Buch "Systemische Post-Merger-Integration – Dem Culture Clash zuvorkommen und Unternehmenskulturen wirklich integrieren" (Schäffer-Poeschel 2017). Es gibt Ihnen eine systematische, leicht verständliche Einführung in das Gesamtthema und zeigt, wo die Fallstricke bei der Integration von Unternehmen liegen und worauf Sie Ihr Augenmerk richten sollten, um Ihre Integration zum Erfolg zu führen.
Mehr Informationen über das Buch "Systemische Post-Merger-Integration"
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Buchhinweis "Systemische Post-Merger-Integration"
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"Synthese" oder Konfliktvermeidung |
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Die dritte mögliche Integrationsstrategie könnte man vornehm Synthese
nennen; etwas weniger höflich müsste man von Konfliktvermeidung sprechen. Sie ergibt sich, wenn das Top-Management versucht, "möglichst
wenig Unruhe zu erzeugen" und deshalb keine unangenehmen Entscheidungen
zu treffen. In solchen Fällen bleiben Strukturen und Personen beider
Seiten weitgehend bestehen; sie werden schlicht addiert bzw. nebeneinander
gestellt; auch die Aufgaben- und Kompetenzverteilung wird nicht
so richtig angefasst. In Reinform kommt das kaum vor, weil man manche Funktionen wie zum Beispiel die Bilanzierung in der
Praxis schlecht doppeln kann. Doch beginnt die Konfliktvermeidung
oftmals schon mit einer Doppelspitze und setzt sich dann über den
Fortbestand der meisten Stabsabteilungen fort. (Die auf diese Weise
leicht eine zweistellige Zahl erreichen können.) |
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Konfliktvermeidung ist so ziemlich das schlimmste, was man bei einer Fusion
machen kann. Denn die Vermeidung von Konflikten, die sich nicht
vermeiden lassen, schlägt alsbald in ihr genaues Gegenteil um: in einen
langen, aufreibenden Nervenkrieg. Was anfangs nach einer sehr sympathischen und menschlichen
Lösung aussieht, wird zur Tortur ohne Ende. Denn nach dem Abflauen
der ersten Erleichterung wird allen klar, dass eine "Fusion ohne
Synergien" nicht das letzte Wort sein kann. Infolgedessen kehrt
auch keine Ruhe ein – im Gegenteil: statt konstruktiv zusammenzuarbeiten,
belauern sich die Mitarbeiter und Abteilungen gegenseitig und werfen
einander Knüppel zwischen die Beine. |
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Daraus entwickelt sich in den Monaten und Jahren danach ein destruktiver
Dauerkonflikt, der alle Merkmale eines "kalten Konflikts" hat. Darin hat jeder
Manager und jede Abteilung – nicht aus Bösartigkeit, sondern aus
blanker Existenzangst!
– vor allem das Ziel, sich selbst in eine möglichst günstige
Ausgangsposition für die ausstehende Entscheidung zu bringen und
die Konkurrenten möglichst schlecht aussehen zu lassen, idealerweise
ihre Überflüssigkeit zu beweisen. Bei diesen Dauer-Scharmützeln verlieren die betroffenen
Bereiche Markt und Wettbewerb völlig aus den Augen und werden damit hochgradig verwundbar; unter riesigen
internen Reibungsverlusten wartet alles wie gelähmt auf die "Nacht der langen Messer". |
Destruktiver Dauerkonflikt |
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Das ist nicht nur schlecht für das Ernten von Synergien
und damit für den Aktienkurs, sondern
auch eine Katastrophe für Funktionsfähigkeit und Betriebsklima des
neu entstehenden Unternehmens. Ein solchermaßen gelähmtes Unternehmen
ist das ideale Objekt für Angriffe von Wettbewerbern wie auch für
eine feindliche
Übernahme. |
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Offizielle und inoffizielle Fusionsstrategie |
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Sehr viele Mitarbeiter und Führungskräfte wissen mittlerweile,
dass nicht überall, wo "Merger of Equals" draufsteht, auch "Merger
of Equals" drin ist. Sie werden daher vermuten oder zumindest für
möglich halten, dass es neben der offiziell verlautbarten auch eine
inoffizielle Fusionsstrategie gibt. Deshalb werden sie sehr aufmerksam
zuhören, wenn Mitglieder des Top-Managements über die konkrete Vorgehensweise
bei Systementscheidungen und Stellenbesetzungen sprechen. Dabei
werden sich die wenigsten von wohlklingenden Worten à la "Best of
Both Worlds" blenden lassen, sondern (im günstigeren Fall!) hartnäckig
nachfragen, was das konkret heißt, im ungünstigeren spekulieren.
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Vor allem aber werden sie den Gang der Ereignisse sehr genau beobachten
– und die Worte der Geschäftsleitung an den Taten messen. Was die Sache noch schlimmer macht, dass in dieser Situation natürlich die Gerüchteküche brodelt und dass das Top-Management damit unweigerlich in der Defensive ist, ganz abgesehen davon, dass es viele Gerüchte, die sich auf angeblich unfaire Entscheidungen zu einzelnen Personen beziehen, wegen der Vertraulichkeit von Personalangelegenheiten gar nicht richtigstellen kann. |
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Selbst für die am Integrationsprozess Beteiligten ist zuweilen
nicht völlig klar, welche Fusionsstrategie das Top-Management wirklich
verfolgt. Wenn aber der Verdacht aufkommt, dass es neben der offiziellen
Fusionsstrategie noch eine wirkliche gibt, kann dies zu einer Quelle
von enormen Reibungsverlusten für den Integrationsprozess werden. Wenn selbst diejenigen,
die eigentlich die Treiber der Integration sein müssten, von Zweifeln
und Misstrauen geplagt sind, dann höhlt dies schleichend den gesamten
Integrationsprozess aus; dann kann man sich allenfalls noch auf
die (relative) Neutralität der externen Berater
verlassen, falls an der Integration welche beteiligt sind. |
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Für das Top-Management sollte das eine Warnung sein, hier nicht
mit gezinkten Karten zu spielen. Denn damit würde es die Loyalität
der Mitarbeiter aufs Spiel setzen, auf deren Unterstützung und
Engagement es für den Erfolg der Integration angewiesen sind.
Vertrauen
und Glaubwürdigkeit,
das an dieser Stelle verloren gegangen ist, ist kaum noch zurückzugewinnen: Wenn sich jemand bei einer so zentralen Frage getäuscht
und hintergangen fühlt, wird er den betreffenden Personen zumindest
innerlich – und früher oder später auch äußerlich – die Gefolgschaft kündigen. |
Gefahr tiefer Enttäuschung |
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Das Problem ist allerdings: Sie werden auch bei größtem Bemühen kaum vermeiden
können, dass es zwischen dem, was Sie irgendwann gesagt haben, und dem, was
hinterher geschieht, zu Diskrepanzen kommt. Denn bei einem so komplexen
Vorhaben kommt es immer wieder vor, dass sich die Dinge anders
entwickeln als ursprünglich geplant. Dass zum Beispiel auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite Fakten entstanden
sind, die Sie nicht ignorieren können. Oder dass sich die Strategie "Best
of Both Worlds" nicht, wie ursprünglich gedacht, realisieren lässt,
ohne sämtliche Zeitplanungen zu sprengen. Oder dass politische Kräfte
– sei es aus diversen "Fürstentümern" oder aus dem Kapitalmarkt – stärkeren Einfluss nehmen als Sie erwartet hatten. |
Die normative Kraft
des Faktischen |
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Wie die Mitarbeiter und Führungskräfte auf solche Diskrepanzen
reagieren, hängt wesentlich davon ab, wie sehr sie Ihnen vertrauen.
Wobei die Tendenz zum Misstrauen um so größer sein wird, (1) je
größer die subjektiv empfundene Bedrohlichkeit
ist, (2) je schlechter die Erfahrungen sind, die sie in der Vergangenheit
mit Ihnen gemacht haben und (3) je weniger Sie offen über die kritischen
Punkte kommunizieren. Der einzige von diesen Punkten, den Sie kurzfristig
beeinflussen können, ist die Kommunikation.
Deshalb sollten Sie trotz allen Drucks, der auf Ihnen lastet, nicht
nur offen für Kritik sein, sondern kritische Punkte offen von sich
aus ansprechen – insbesondere gegenüber Ihren engsten Mitstreitern,
auf deren Vertrauen und Loyalität
Sie angewiesen sind. |
Vertrauen oder Misstrauen |
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
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© 2002 Winfried Berner / letzte Revision 24.9.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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