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Betriebsvereinbarung: Ein Vertrag zwischen Arbeitgeber und Belegschaft
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Viele Absprachen, die im Alltag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
getroffen werden, regeln Einzelfälle: die Zustimmung zu einer Einstellung
oder Versetzung, die Behandlung einer Mitarbeiterbeschwerde, die
Festlegung einer Betriebsruhe zwischen Weihnachten und Neujahr ...
Es gibt aber auch Fragen, wo mal der Betriebsrat, mal der Arbeitgeber,
mal alle beide Wert darauf legen, zu einer Regelung zu kommen, die
über den Einzelfall hinaus allgemeine Gültigkeit hat. In
solchen Fällen können sie entweder eine informelle "Regelungsabsprache" treffen oder eine Betriebsvereinbarung (BV) abschließen.
Bei den so genannten "harten Mitbestimmungsrechten"
kann der Betriebsrat den Abschluss einer Betriebsvereinbarung sogar erzwingen.
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Über den Einzelfall hinaus
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Eine Betriebsvereinbarung ist ein Vertrag zwischen dem Arbeitgeber
und der Belegschaft, vertreten durch den Betriebsrat.
Er bindet nicht nur die Unterzeichner persönlich, sondern, ob es ihnen gefällt
oder nicht, auch die von ihnen vertretenen Parteien – im Falle des
Arbeitgebers also auch die (heutigen und künftigen) Eigentümer bzw.
den Mutterkonzern; im Falle des Betriebsrats auch die Mitarbeiter,
die den Betriebsrat nicht gewählt haben, und selbst die, die zum
Zeitpunkt der Unterschrift dem Betrieb noch gar nicht angehört haben.
Alles andere wäre auch unpraktikabel, selbst wenn dies radikalen
Vorstellungen von der Freiheit des Individuums zuwiderläuft. Das
geht so weit, dass Mitarbeiter auf Rechte, die ihnen aufgrund einer
Betriebsvereinbarung zustehen, nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat
verzichten können: "Werden Arbeitnehmern durch die Betriebsvereinbarung
Rechte eingeräumt, so ist ein Verzicht auf sie nur mit Zustimmung
des Betriebsrats zulässig." (§ 77 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz)
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Freiwillige und erzwingbare Betriebsvereinbarungen
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Wie andere Verträge auch, werden Betriebsvereinbarungen zwischen
den Parteien ausgehandelt. Nach §
77 Abs. 2 BetrVG sind sie schriftlich niederzulegen und von beiden
Seiten zu unterzeichnen. Falls die Schriftform oder auch nur die
Unterschriften fehlen, ist die Betriebsvereinbarung (noch) nicht gültig;
sie hat dann lediglich den Charakter einer sogenannten "Regelungsabsprache". So lange sich Arbeitgeber und Betriebsrat einig sind,
erfüllt solch eine Absprache den gleichen Zweck wie eine Betriebsvereinbarung. Doch können Regelungsabsprachen
jederzeit widerrufen werden; aus ihnen lassen sich keine einklagbaren
Ansprüche ableiten.
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Spannend wird es, falls sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht
einigen können. Bei den sogenannten "weichen Mitbestimmungsrechten" kommt dann
eben keine Betriebsvereinbarung zustande; der Verhandlungsgegenstand
bleibt ungeregelt. Bei den "harten Mitbestimmungsrechten" haben
beide Seiten die Möglichkeit, das Scheitern der Verhandlungen zu
erklären und die Einigungsstelle
anzurufen. Harte Mitbestimmungsrechte liegen bei all den Mitbestimmungsthemen vor, bei denen
im Gesetz die Klausel steht: "Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt
die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat." Das entscheidende
Merkmal der Einigungsstelle ist,
dass sie einen neutralen Vorsitzenden hat. Der hat sich im ersten Abstimmungsgang der Stimme zu enthalten; im zweiten
gibt seine Stimme den Ausschlag (§ 76 BetrVG), wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat bis zuletzt nicht einigen können oder wollen.
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Einigung oder Einigungsstelle
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Freiwillige Betriebsvereinbarungen können sich auf jedes beliebige
Thema beziehen, zu denen Arbeitgeber und/oder Betriebsrat einen
Regelungsbedarf sehen – allerdings nur innerhalb des von Gesetzen und Tarifverträgen
gesteckten Rahmens. Zu Tarifverträgen macht § 77 Abs. 3 BetrVG ausdrücklich
den Vorbehalt: "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen,
die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt
werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.
Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender
Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt."
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Freiwillige Betriebs-
vereinbarungen
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Dagegen ist die Liste der über die Einigungsstelle
erzwingbaren Betriebsvereinbarungen vom Gesetzgeber verbindlich
und – vorbehaltlich eventueller Gesetzesänderungen – abschließend festgelegt.
Im Kontext von Veränderungsprozessen können insbesondere folgende
Mitbestimmungstatbestände relevant
sein:
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Erzwingbare Betriebs-
vereinbarungen
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Behandlung von Beschwerden von Mitarbeitern
(§ 85 Abs. 2 BetrVG)
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Fragen der Ordnung des Betriebs und
des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb (§ 87 Abs. 1 Nr.
1 BetrVG)
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Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage (§ 87 Abs. 1 Nr. 2); Vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3) |
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IT-Systeme: Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6)
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Fragen der betrieblichen Lohngestaltung,
insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und
die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden
sowie deren Änderung (§ 87 Abs. 1 Nr. 10)
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Festlegung der Akkord- und Prämiensätze und
vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte, einschließlich
der Geldfaktoren (§ 87 Abs. 1 Nr. 11)
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Grundsätze über das betriebliche Vorschlagswesen
(§ 87 Abs. 1 Nr. 12)
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Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit
(§ 87 Abs. 1 Nr. 13)
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Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs
oder der Arbeitsumgebung, die gesicherten arbeitswissenschaftlichen
Erkenntnissen widersprechen (§ 91 BetrVG)
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Personalfragebogen, Arbeitsverträge, Beurteilungsgrundsätze
(§ 94 BetrVG)
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Teilnehmer betrieblicher Bildungsmaßnahmen
(§ 98 Abs. 3 BetrVG)
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Sozialplan bei
Betriebsänderungen (§
112 BetrVG) und Personalabbau
(§ 112a BetrVG). |
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Sonstige Spielregeln
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Damit die Beschäftigten sich mit dem Inhalt von Betriebsvereinbarungen
vertraut machen können, hat der Arbeitgeber sie "an geeigneter Stelle
im Betrieb auszulegen" (§ 77 Abs. 2 BetrVG). Dies ist nach
herrschender Meinung jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer
Betriebsvereinbarung, sondern lediglich eine Ordnungsvorschrift
im Rahmen der Umsetzung.
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Die Geltungsdauer von Betriebsvereinbarungen ist, wie bei anderen
Verträgen auch, abhängig davon, was vereinbart wurde: Sie können
befristet, aber auch unbefristet sein. Manche gelten ihrer Natur
nach nur für eine akute Problemstellung, wie etwa ein Sozialplan;
solche Vereinbarungen können aber bei Bedarf auf spätere vergleichbare
Situationen übertragen oder erweitert werden. Den Normalfall (von
dem aber jederzeit
durch eine anderslautende Vereinbarung
abgewichen werden kann) definiert § 77 Abs. 5:
"Betriebsvereinbarungen können, soweit nichts anderes vereinbart
ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden." Wie jeder andere
Vertrag kann auch eine Betriebsvereinbarung durch einen Aufhebungsvertrag
beendet werden.
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Aber was gilt, wenn eine Betriebsvereinbarung ausgelaufen ist oder
gekündigt wurde? Dazu legt § 77 Abs. 6 fest: "Nach Ablauf einer
Betriebsvereinbarung gelten ihre Regelungen in Angelegenheiten,
in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber
und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere
Abmachung ersetzt werden." Das ist ein bisschen kompliziert formuliert
und heißt im Klartext: Freiwillige Betriebsvereinbarungen laufen
am Stichtag aus; danach gilt die allgemeine Rechtslage. Dagegen gelten erzwingbare
Betriebsvereinbarungen auch nach der Kündigung oder dem Auslaufen
so lange weiter, bis eine neue Vereinbarung getroffen wurde (Nachwirkung).
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Prinzipiell ist es auch möglich, Betriebsvereinbarungen "auf Vorrat" abzuschließen, also vorbeugend für
den Fall, dass ein bestimmter Mitbestimmungstatbestand eintreten
sollte. Zwar macht es natürlich keinen Sinn, dies für
sämtliche Entwicklungen zu tun, die hypothetisch eintreten
könnten – von der Insolvenz über Fusionen bis hin zu Erfolgsbeteiligungen im Falle einer außergewöhnlich
guten Ertragslage. Doch kann es sehr wohl sinnvoll sein, eine "Vorrats-Betriebsvereinbarung"
für den Fall abzuschließen, dass zum Beispiel im Zuge einer bevorstehenden
Umstrukturierung oder
der Einführung eines IT-Systems bestimmte "personelle
Einzelmaßnahmen" erforderlich werden sollten, wie etwa Versetzungen,
Qualifizierungsmaßnahmen oder auch betriebsbedingte Kündigungen.
Der Vorteil einer solchen Vorarbeit ist, dass man ohne Zeitdruck verhandeln kann und dann für
den Fall des Falles gewappnet ist. Was die Verhandlungen allerdings
erschwert, ist, dass sich die weder die Kosten noch die sonstigen
Folgen genau abschätzen lassen. Und dass der Betriebsrat in
solchen Fällen oft den Verdacht hat, der Arbeitgeber wisse
bereits mehr über die bevorstehenden Veränderungen, als er zu erkennen gibt, und wolle die Vorratsverhandlung nutzen, um ihn über den Tisch zu ziehen.
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Vorrats-
Betriebs-
vereinbarungen
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2003 - 2005 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 5.10.2016 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen.
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