Die Umsetzungsberatung

Arbeitsrecht und Mitbestimmung

Mitbestimmung: Wo der Betriebsrat im Change Management mitzureden hat

 

Change Management berührt an vielen Stellen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Diese Rechte muss man kennen, erstens um sich keine blutige Nase zu holen, zweitens um zu wissen, wo das Management, wenn es möchte, alleine entscheiden kann und wo eine Einigung mit dem Betriebsrat herbeigeführt werden muss. Es macht wenig Sinn, wenn Management und Berater versuchen, sich über die geltende Rechtslage hinwegzusetzen – damit riskiert man nur einen Krach mit dem Betriebsrat, eine einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts bzw. eine Bauchlandung in der Einigungsstelle. Und natürlich wirft es auch immer ein schräges Licht auf die Geschäftsleitung, wenn sie geltendes Recht missachtet.

  • Die Rechtslage kennen
  • Übersicht über mitbestimmungspflichtige Veränderungsmaßnahmen

     

    Dass Change Management an vielen Stellen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach dem deutschen Betriebsverfassungsrecht berührt, daran führt kein Weg vorbei. Hier die wichtigsten Beispiele:

    Ablaufoptimierung, Reengineering, Restrukturierungen: §§ 90 f. BetrVG: "Planung 1. von Neu-, Um- und Erweiterungsbauten (...), 2. von technischen Anlagen, 3. von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen oder 4. der Arbeitsplätze".

    Anreizsysteme / Incentives: § 87 (1) Nr. 10 BetrVG: "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung" und Nr. 11: "Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarer leistungsbezogener Entgelte".

    Arbeitszeitflexibilisierung: § 87 (1) Nr. 2 BetrVG: "Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage"; Nr. 3: "Vorübergehende Verkürzungen oder Verlängerungen der betriebsüblichen Arbeitszeit".

    Beurteilungssysteme, Management dar Mitarbeiterqualität: § 94 BetrVG: "Personalfragebogen und Beurteilungsgrundsätze".

    Grundlegende Veränderungen generell: §§ 111 f. BetrVG: Interessenausgleich und Sozialplan bei Betriebsänderungen.

    Einführung von IT-Systemen, Implementierung von Standard-Software wie SAP: § 87 (1) Nr. 6 BetrVG: "Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen." Damit sind keinesfalls, wie man glauben könnte, nur Zeiterfassungssysteme gemeint; vielmehr betrifft das jede Software, die zum Beispiel in ihren Log-Dateien erfasst, wer Daten eingegeben oder Änderungen vorgenommen hat. Im Lehrbuch Betriebsverfassungsrecht von Gerhard Etzel (Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht) heißt es dazu: "Ob eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer bestimmt ist, hängt nicht von einer entsprechenden Absicht des Arbeitgebers ab. Entscheidend ist vielmehr, ob die technische Einrichtung objektiv und unmittelbar zur Überwachung von Arbeitnehmern geeignet ist, wobei es auch genügt, wenn auf Grund der Einrichtung unmittelbar Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung solcher Arbeitnehmer gezogen werden können, die nicht die mit der Einrichtung versehenen Maschinen bedienen." (Etzel 1995, S. 271)

    Management der Mitarbeiterqualität, Personalauswahl, Management Development, Nachwuchsförderung, Sozialauswahl: § 95 BetrVG: "Auswahlrichtlinien für Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen".

    Personalabbau, Turnaround, Kostensenkungsprogramme, Fusion / Übernahme: § 112a BetrVG: Erzwingbarer Sozialplan bei Personalabbau.

    Planung von Veränderungsvorhaben jedweder Art: §§ 106 ff. BetrVG: Umfassende Unterrichtung des Betriebsrats bzw. Wirtschaftsausschusses in wirtschaftlichen Angelegenheiten, "insbesondere
    1. die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens; (...)
    4. Rationalisierungsvorhaben;
    5. Fabrikations- und Arbeitsmethoden, insbesondere die Einführung neuer Arbeitsmethoden;
    6. die Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder Betriebsteilen;
    7. die Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen;
    8. der Zusammenschluss oder die Spaltung von Unternehmen oder Betrieben;
    9. die Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks sowie
    10. sonstige Veränderungen und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können".

    Programme zur Verbesserung der Kundenorientierung; Einführung von Spielregeln der Zusammenarbeit: § 87 (1) Nr. 1 BetrVG: "Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb".

    Schulungen und Qualifizierungskampagnen jeder Art, Management der Mitarbeiterqualität: § 98 BetrVG: "Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen".

    Veränderte Anforderungen / veränderter Personalbedarf infolge einer strategischen Weiterentwicklung oder Neuausrichtung: § 98 BetrVG: "Personalplanung".

  • Wichtige Beispiele
  • Das sind ohne Zweifel weit reichende Mitbestimmungsrechte – kaum ein größeres Veränderungsvorhaben, das sich innerhalb der deutschen Staatsgrenzen abspielt, dürfte daher völlig mitbestimmungsfrei sein. Doch ist es schlichte Zeitverschwendung, mit der Rechtslage zu hadern. Sie sind Bestandteil unserer Rechtsordnung, die selbstverständlich auch im Change Management gilt. Professionalität heißt an dieser Stelle, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen – gleich ob sie einem gefallen oder nicht. Es macht erstens wenig Sinn und zweitens einen denkbar schlechten Eindruck, wenn Management oder Berater versuchen, sich über die bestehende Rechtslage hinwegzusetzen. Und drittens kann sich der Arbeitgeber damit ein Bußgeld nach § 121 BetrVG einhandeln.

  • Geltende Recht
  • "Weiche" und "harte" Mitbestimmungstatbestände

     

    Im Juristenjargon wird zwischen sogenannten "harten" und "weichen" Mitbestimmungsrechten unterschieden. Von "weichen Rechten" spricht man dann, wenn der Betriebsrat nur ein Informations-, Anhörungs- oder Beratungsrecht hat (z.B. §§ 74 und 106). Dann muss der Arbeitgeber ihn zwar rechtzeitig und umfassend informieren, seine Stellungnahme anhören und/oder sich mit ihm beraten, kann aber anschließend selbst entscheiden, ob und welche Schlüsse er aus den Argumenten des Betriebsrats ableitet. "Harte" Mitbestimmungsrechte hingegen bedeuten, dass der Arbeitgeber, bevor (!!) er mit der Umsetzung beginnen darf, eine Übereinkunft mit dem Betriebsrat erzielen muss bzw., falls das scheitert, die Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzen lassen muss.

  • Anhörung
    oder harte Mitbestimmung?
  • Harte Mitbestimmungsrechte erkennt man daran, dass in den betreffenden Paragraphen des Betriebsverfassungsgesetzes die stereotype Formulierung steht: "Kommt eine Einigung (...) nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat." Dazu zählen zum Beispiel oben genannten §§ 87 (Ordnung des Betriebes), 91 (Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung), 94 (Personalfragebogen, Beurteilungsgrundsätze), 95 (Auswahlrichtlinien), 98 (betriebliche Bildungsmaßnahmen), 112 (Betriebsänderungen) und 112a (Personalabbau). In den meisten dieser Fälle kann der Betriebsrat hier den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erzwingen.

  • Wink mit der Einigungsstelle
  • In all diesen Fällen hat der Betriebsrat nicht nur erheblichen Einfluss darauf, wie die Regelung am Ende aussieht, sondern er kann den Arbeitgeber auch durch die Ausdehnung der Verhandlungsdauer "quälen" und so unter Druck setzen. Der Arbeitgeber hat dann oft nur die Wahl, entweder eine schnelle Vereinbarung mit Zugeständnissen zu erkaufen oder durch eine unnachgiebige Position erhebliche Verzögerungen in Kauf zu nehmen – und letzten Endes doch nicht zu wissen, was in der Einigungsstelle herauskommen wird. Schon aus diesem Grund ist dringend zu empfehlen, den Betriebsrat frühzeitig zu informieren und schnellstmöglich Verhandlungen mit ihm aufzunehmen, sobald die wesentlichen Eckdaten des Vorhabens feststehen. Wer damit zu spät beginnt, setzt weniger den Betriebsrat unter Druck als sich selbst. Unter Umständen ist es sogar sinnvoll, für kritische Fälle eine sogenannte "Vorrats-Betriebsvereinbarung" abzuschließen.

  • Erheblicher Einfluss
  • Grundkenntnisse sind für Change Manager unerlässlich

     

    Generell sollte sich jeder, der für ein Veränderungshaben verantwortlich ist, schon ganz zu Beginn im Betriebsverfassungsgesetz über die Rechtslage informieren. Auch für Nichtjuristen lohnt es sich, eine aktuelle Ausgabe der "Arbeitsgesetze" (dtv) zur Hand zu haben. Denn die Rechtslage steckt den Rahmen für Verhandlungen ab: Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich nach Möglichkeit einigen möchte oder ob man sich von Gesetzes wegen einigen muss. Insbesondere dann, wenn man weiß, dass man im Falle einer Nichteinigung etliche Wochen oder Monate Zeit verliert, bis eine Einigungsstelle eingerichtet ist und deren Spruch vorliegt, welcher am Ende – aber unter Umständen nach erst mehreren Verhandlungsrunden – eine direkte Einigung mit dem Betriebsrat ersetzt.

  • Blick ins Gesetz lohnt immer
  • Für die Projektverantwortlichen ist ausgesprochen nützlich, grob darüber Bescheid zu wissen, wo bei Change-Projekten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats berührt sind oder sein könnten. Trotzdem ist rein formal sowohl für die offizielle Information des Betriebsrats über Projektergebnisse als auch für die Mitbestimmungsverhandlungen ausschließlich "der Arbeitgeber" verantwortlich, das heißt praktisch, die Geschäftsleitung oder deren Beauftragte, also etwa der Arbeitsdirektor oder der Personalchef. In Großunternehmen gibt es oft eine eigene Stelle, die für Mitbestimmungsfragen zuständig ist. Das Projektteam, gleich wie es sich zusammensetzt, hat hier keinerlei Befugnisse und sollte sich auch, um Chaos zu vermeiden, hüten, von sich aus tätig zu werden. Vielmehr sollte es frühzeitig mit den verantwortlichen Stellen Kontakt aufnehmen, falls bei seiner Arbeit mitbestimmungspflichtige Themen angesprochen sein könnten – erstens um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen im Bilde sind und sich nicht erst nach Verabschiedung der Lösungsvorschläge in die Thematik einarbeiten müssen, zweitens um den Betriebsrat frühzeitig informieren und ein geeignetes Vorgehen festlegen bzw. mit ihm absprechen zu können.

  • Juristische Vorbereitung
  • Bitte beachten Sie: Die Informationen auf dieser Website dienen lediglich einer ersten groben Orientierung über die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen bei betrieblichen Veränderungsprozessen in Deutschland. Sie können und sollen weder die Rechtslage erschöpfend darstellen noch den Rat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht ersetzen. Deshalb wird ausdrücklich davon abgeraten, allein auf dieser Grundlage das Vorgehen für eine konkrete Situation festzulegen. Diese Seiten wurden mit Sorgfalt und im Bemühen um Aktualität erstellt; jegliche Haftung ist jedoch ausdrücklich ausgeschlossen.

     

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