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Fragebogen: Nicht Fragen sammeln, sondern von der Auswertung her
denken |
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Viele Mitarbeiterbefragungen
und Kundenbefragungen
liefern Ergebnisse, mit denen kaum etwas anzufangen ist – und mit
denen infolgedessen auch kaum etwas angefangen wird. Die Wurzel des Problems
liegt meist im Mangel einer klaren Konzeption. Dies schlägt sich in einem
Fragebogen nieder, der meistens entweder von irgendwoher geklaut
oder nach dem Motto: "Was könnten wir denn noch fragen?" von einer
Arbeitsgruppe zusammengebastelt wurde. Doch auch zugekaufte Fragebögen
sind nicht die Lösung. |
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Der Start einer Mitarbeiter- oder Kundenbefragung ist oft von einer gewissen
Euphorie gespeist, die auch die Erstellung des Fragebogens trägt.
Irgendwer schleppt von irgendwoher eine Vorlage an, zu dem die
Projektgruppe assoziativ weitere Fragen addiert, bis jemand findet,
dass man nun aufhören müsse, weil der Fragebogen sonst zu umfangreich
würde. Der Entwurf wird dem zuständigen Mitglied der Geschäftsleitung
vorlegt, das möglicherweise noch ein paar Fragen streicht oder ergänzt.
Dann ist der Fragebogen fertig und kann verteilt werden. Und alle
träumen begeistert von den sensationellen Erkenntnissen, zu denen
die Befragung führen wird. |
"Was könnten wir
noch fragen?" |
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Katzenjammer bei der Auswertung |
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Der Katzenjammer kommt bei der Auswertung. Dann steht die Projektgruppe
ratlos vor den Datenbergen und fragt sich kleinlaut: Was machen
wir nun mit dem ganzen Zeug? Was bedeutet all diese Zahlen überhaupt?
Sind diese unzähligen Zahlenwerte, von denen die meisten ziemlich eng um den Mittelwert pendeln,
eigentlich "gut" oder "schlecht"? Ist zum Beispiel 3,4 bei dieser Frage in Ordnung oder signalisiert es Handlungsbedarf? Welche Schlussfolgerungen
lassen sich überhaupt daraus ableiten? Später bei der Auswertung wird meist
noch ein weiteres Problem sichtbar: Man stellt schmerzlich fest,
dass trotz der Datenflut wichtige Informationen fehlen, und fragt
sich mit schlechtem Gewissen: Warum haben wir das bloß nicht gefragt? |
Viele Daten, wenig Erkenntnis
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Die Ergebnisse der Befragung werden dann noch auf ein paar Veranstaltungen
hin und her gewendet; dann leitet man, um etwas getan zu haben,
halbherzig ein paar Maßnahmen ab, die zwar nicht verkehrt sind,
auf die man aber genauso gut auch ohne die Befragung hätte kommen
können, wie zum Beispiel eine Intensivierung des Führungstrainings oder "On-Boarding-Workshops" für neue Mitarbeiter. Nach
einiger Zeit wächst Gras über die Befragung, und alle Beteiligten
sind froh, dass niemand mehr insistierende Fragen nach ihrem wirklichen
Nutzen und ihren Lerneffekten stellt. |
Beliebigkeit der Maßnahmen |
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Die Sackgasse standardisierter Fragebögen |
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Die perfekte Lösung für dieses Problem versprechen die Anbieter
standardisierter Fragebögen bzw. kompletter
Mitarbeiterbefragung.
Zum Teil sind das spezialisierte Beratungsfirmen, zum Teil auch Universitätsinstitute,
was der Sache auch noch einen wissenschaftlichen Anstrich gibt.
Doch das beliebte Verkaufsargument, dass Sie damit ein Benchmarking zu anderen Unternehmen (oder einer meist nicht
näher spezifizierten Norm) erhielten, steht bei genauerer Betrachtung
auf schwachen Füßen. Denn was nützen Ihnen die präzisesten Vergleichszahlen,
wenn sie sich auf Themen beziehen, die für Ihr Unternehmen in seiner
jetzigen Situation von zweitrangiger Bedeutung sind, wenn umgekehrt
zentrale Fragen nicht beleuchtet wurden? |
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Natürlich ist es immer interessant, sich mit anderen zu vergleichen.
Einen wirklichen Nutzen bringt der Vergleich aber nur dann, wenn
er sich auf Aspekte bezieht, die für Ihren Geschäftserfolg wesentlich
sind. Das ist bei standardisierten Fragebögen so gut wie ausgeschlossen,
auch wenn sie aus Universitäten kommen: So weit ist die Wissenschaft
einfach noch nicht, dass sie präzise die für alle Unternehmen erfolgsentscheidenden
kulturellen Faktoren herausdestillieren könnte. Ob es je dorthin
kommen wird, ist fraglich (und noch fraglicher ist, ob die daraus
entstehenden Fragebögen rein physisch noch tragbar wären). |
Erfolgsfaktoren Ihres
Unternehmens |
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Der Preis eines standardisierten Fragebogens, gleich ob zugekauft
oder geklaut, ist, dass alles, was das Besondere Ihres Unternehmens
ausmacht, zuverlässig durchs Raster fällt: spezifische Problematiken,
die Verarbeitung der jüngsten Vergangenheit, besondere Fragestellungen,
die sich entweder aus Marktentwicklungen oder aus internen Konstellationen
ergeben. Gerade wenn Sie die Mitarbeiterbefragungen
als Startimpuls für einen Veränderungsprozess nutzen wollen, kommt
es aber entscheidend darauf an, dass die gestellten Fragen genau
diese Thematik präzise ausleuchten. |
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Zahlreiche Fallbeispiele zu den unterschiedlichsten Typen von Change-Projekten finden Sie in meinem Buch "Change! – 20 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung" (Schäffer-Poeschel, 2. erweiterte Auflage 2015). Es vermittelt Ihnen einen breiten Überblick über die unterschiedlichsten Arten von Veränderungsprozessen und zeigt Ihnen, worauf es jeweils ankommt, um Ihre Change-Vorhaben zum Erfolg zu führen.
Mehr Informationen über das Buch "Change! – 20 Fallstudien"
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So kommen Sie zu einem optimalen Fragebogen |
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Wenn Sie sich also auf das fokussieren wollen, was für Ihr Unternehmen
in seiner gegenwärtigen Situation wirklich wichtig ist, und erst recht, wenn
Sie die Befragung als dramaturgisches
Mittel im Change Management einsetzen wollen, dann führt kein
Weg daran vorbei, den Fragebogen selbst zu entwickeln. Falls Sie
die dafür erforderlichen Erfahrung und Kompetenz nicht im eigenen
Haus haben, können Sie dafür auf fachkundige Beratung
zurückgreifen. Aber die Grundregeln sind leicht zu verstehen. |
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Der entscheidende Trick ist, den Fragebogen "von hinten her"
zu konzipieren, also von der Auswertung und der Art der abzuleitenden
Schlussfolgerungen her. Die Schlüsselfragen dafür lauten: |
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Auf welchen Gebieten sehen Sie Handlungsbedarf
im Unternehmen? |
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Welche Hypothesen wollen Sie überprüfen? Zu
welchen Fragestellungen benötigen Sie Daten, damit Sie sich
hinterher für die Weiterarbeit auf solidem Grund bewegen? |
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Was wollen und müssen Sie dazu von der befragten
Zielgruppe wirklich wissen? Welche Fragen sind dafür erforderlich? |
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Auf welche Themenfelder wollen Sie die Aufmerksamkeit
der Mitarbeiter und Führungskräfte lenken? Welche Fragenkomplexe
eignen sich dafür?
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Eine bewährte praktische Methode, um konsequent von der Auswertung zu denen, ist, parallel zum Entwickeln des Fragebogens eine Leer-Präsentation der Auswertung zu erstellen. Natürlich fehlen Ihnen dazu noch die Inhalte, aber das ist kein Hindernis, um die Struktur der Ergebnispräsentation zu erstellen und die logische Abfolge der Aussagen zu umreißen. Es ist dann mehr eine Geschmacksfrage, ob Sie in dieser Leer-Präsentation bereits kühne Hypothesen formulieren ("Alle außer dem Vertrieb finden unsere Firma kundenorientiert") oder ob Sie die Inhalte nur formal beschreiben ("Gegenüberstellung Kundenorientierung Sicht Vertrieb vs. Sonstige"). Sie müssen keine Sorge haben, mit frechen Hypothesen das Ergebnis zu verfälschen: Die Mitarbeiter werden Ihnen schon nicht den Gefallen tun, nur aus Nettigkeit so zu antworten, wie Sie es vermuten. |
Leer-Präsentation erstellen
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Ein solches Vorgehen ist anstrengender als ein Brainstorming, in dem jeder nach Herzenslust Fragen in den Raum wirft, weil es von Anfang an mehr Logik und Systematik verlangt.
Doch es hat den großen Nutzen, dass aus dem planlosen Fragen-Sammeln
ein fokussiertes und zielgerichtetes Vorgehen wird. Was nicht
nur den Vorteil hat, dass hinterher die Auswertung leichter geht,
sondern auch, dass sie zu konkreten, greifbaren Schlussfolgerungen
führt. |
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Wenn Sie so vorgehen, geht Ihre Befragung weit über die übliche Meinungs-
oder Befindlichkeitsforschung hinaus; die Mitarbeiterbefragung
oder Kundenbefragung (und somit
auch Ihr Fragebogen) wird zum Instrument der strategischen Unternehmensführung.
Ihre Funktion ist dann, eine breite Diskussion auszulösen ("Synchronisation"),
den Mitarbeitern bestehenden Handlungsbedarf deutlich machen und
damit den Anstoß zu einem Veränderungsprozess zu geben. |
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Unbarmherziger Härtetest |
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Um sicher zu sein, dass Sie die richtigen Fragen gestellt haben,
machen Sie folgenden Test: Nehmen Sie an, die Antworten lägen Ihnen
bereits vor, schreiben Sie vielleicht sogar Ihre Schätzwerte für
die Ergebnisse hinter die Fragen. Was könnten Sie aus diesen Befunden
erkennen? Welche Schlussfolgerungen ließen sich ableiten? |
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Streichen Sie unbarmherzig alle Fragen, aus denen entweder keine
Erkenntnisse abgeleitet werden können oder die die Aufmerksamkeit
der Befragten in die falsche Richtung lenken. Nehmen Sie bei Bedarf
zusätzliche Fragen auf, deren Beantwortung Sie benötigen, damit
Sie hinterher klare Aussagen machen können. Dieser Zwischenschritt
reduziert das Risiko, dass Sie erst der Auswertung die unangenehme
Entdeckung machen, für die Weiterarbeit wesentliche Aspekte nicht
ausreichend beleuchtet zu haben. Halten Sie sich dabei an die alte Theaterregel: "Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen." |
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Dann kann der Feinschliff folgen. Im Abschnitt "Handwerkliche
Tipps" lesen Sie, welche technischen Dinge Sie bei der Erstellung
des Fragebogens beachten sollten. |
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
Link zum Kontaktformular
oder Telefon +49 / 9961 / 910044 |
Wir unterstützen Sie gern!
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© 2001 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 24.8.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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