Vorerfahrungen: Selbstvertrauen oder Altlasten? |
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Auch wenn es Berater und neue Geschäftsführer manchmal gerne anders
hätten: In Veränderungsprozessen gibt es keine Stunde
Null. Jedes Projekt beginnt genau dort, wo die vorausgegangenen
aufgehört haben. Je nachdem, ob die Vorerfahrungen gut oder schlecht waren, startet Ihr neues Projekt entweder mit Rückenwind oder
mit Blei in den Schuhen. Denn ob frühere Projekte erfolgreich
abgeschlossen wurden oder ob Sie einige Monate nach ihrem groß
inszenierten Auftakt in aller Stille beerdigt wurden, das prägt
natürlich die Erwartungen aller Beteiligten sowohl der
Belegschaft als auch des Projektteams als auch des Managements. |
Bedeutung
der
Vorgeschichte |
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Deshalb tun Sie im Vorfeld eines Veränderungsvorhabens gut daran, offen zum Thema zu machen, was ohnehin
jeder Insider unausgesprochen im Kopf hat:
- Welche Vorerfahrungen hat Ihr Unternehmen mit Veränderungen?
Waren bisherige Veränderungsvorhaben überwiegend erfolgreich oder sind sie zumeist
gescheitert?
- Falls letzteres: Wie sind die letzten Projekte in Ihrem Hause gestorben?
Fuhren sie mit großem Knall gegen die Wand oder ließ
man sie sanft einschlafen, sodass irgendwann niemand mehr über
sie sprach?
- Welche Erwartungen verbinden die Mitarbeiter daher
vermutlich mit dem neuen Projekt und wie gedenken Sie als Auftraggeber oder designierter Projektleiter, mit diesen Erwartungen umzugehen?
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Vorerfahrungen prägen die Erwartungen
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Es gibt Unternehmen, in denen, ohne dass groß darüber gesprochen wird, eine absolute und zweifelsfreie Sicherheit
herrscht, dass auch das neue Veränderungsvorhaben erfolgreich
umgesetzt werden wird (und in denen daher kaum verstanden wird, weshalb man überhaupt
über Change Management reden muss). Und es gibt andere, die
ähnlich zweifelsfrei davon überzeugt sind, dass aus den
Ankündigungen und großspurig verkündeten Neuanfängen ohnehin nichts werden wird. Solche Organisationen reagieren mit einer
schwer behebbaren Mischung aus Ablehnung, Depression und Zynismus auf
jedes neue Veränderungsvorhaben. |
Der "Mutpegel"
Ihres
Unternehmens |
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Entsprechend unterschiedlich fallen die Reaktionen auf die Ankündigung eines neuen Change-Projekts aus:
- Aufbruchsstimmung ("Also gut, packen wir's an!")
- Abwarten ("Mal sehen, was daraus wird!")
- Desinteresse, Achselzucken ("Angekündigt wird viel!")
- Genervtes Abwinken ("Die schwätzen doch eh bloß!")
- Unruhe ("Möglicherweise meinen sie es ja ernst!")
- Misstrauen und latente Panik ("Was da wohl wieder für eine Schweinerei dahinter steckt?!")
- Fatalismus ("Am Ende läuft sowieso alles auf Personalabbau hinaus!").
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Ein äußerst lehrreiches Beispiel habe ich vor Jahren
bei einem großen Elektronikkonzern erlebt, als wir vor der
Führungsmannschaft einer Sparte für unser Beratungsprojekt
warben. Die Reaktion der rund 60 Teilnehmer war äußerst
verhalten; ihre wichtigste Frage schien unausgesprochen zu sein:
Wie lange dauert es denn noch? Bis sich ein Abteilungsleiter meiner
erbarmte und unter dem beifälligen Nicken seiner Kollegen erklärte:
"Wissen Sie, Herr Berner, wir verstehen ja, dass Sie hier für
dieses Projekt werben müssen. Aber verstehen Sie bitte auch
uns: Das hier ist für uns Projekt Nr. 76. Davor war Projekt
Nr. 75, und so wie wir unseren Vorstand kennen, wird in Bälde
Projekt Nr. 77 folgen. Also, solange Sie uns nicht davon überzeugen,
dass dies Projekt Nr. 1 ist, haben Sie bitte Verständnis, wenn
wir hier keinen großen Enthusiasmus entwickeln!" |
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Auch wenn es nicht
ganz einfach war, darauf eine gute Antwort zu geben, war dies eine extrem wertvolle Aussage, weil sie die diffuse und kaum interpretierbare Passivität der Führungskräfte in Sprache übersetzte. Deutlicher
als dieser Abteilungsleiter kann man nicht ausdrücken, dass man aufgrund der Vorerfahrungen keinerlei
Hoffnung mit neuen Projekten verbindet. Das machte das dumpfe, apathische Klima der Versammlung nicht nur verständlich, sondern geradezu logisch: Wenn die Führungsmannschaft ihren Vorstand so wahrnahm, wie sollte sie sich dann für ein neu ausgerufenes Change-Projekt engagieren, geschweige denn, begeistern?! |
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Zahlreiche Fallbeispiele zu den unterschiedlichsten Typen von Change-Projekten finden Sie in meinem Buch "Change! – 20 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung" (Schäffer-Poeschel, 2. erweiterte Auflage 2015). Es vermittelt Ihnen einen breiten Überblick über die unterschiedlichsten Arten von Veränderungsprozessen und zeigt Ihnen, worauf es jeweils ankommt, um Ihre Change-Vorhaben zum Erfolg zu führen.
Mehr Informationen über das Buch "Change! – 20 Fallstudien"
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Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit |
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All diese Überlegungen münden am Ende in zwei Schlüsselfragen:
die nach der Veränderungsbereitschaft und die nach der
Veränderungsfähigkeit Ihres Unternehmens. |
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Obwohl das zwei grundverschiedene Dinge sind, sind sie in der Praxis
gar nicht so leicht zu unterscheiden. Denn mangelnde Veränderungsfähigkeit
geht sehr häufig mit geringer Veränderungsbereitschaft
einher: Eine Organisation, die weiß oder ahnt, dass sie große
Probleme damit haben wird, Veränderungen zu bewältigen,
neigt dazu, die Notwendigkeit von Veränderungen zu ignorieren
oder zu leugnen. Sie wird Probleme erst dann zur Kenntnis nehmen,
wenn sie unabweisbar und brennend geworden sind. Dann jedoch werden
sie unversehens zur Krise: Die Führungskräfte und Mitarbeiter
erstarren vor Angst, weil sie eine Katastrophe auf sich zukommen sehen und
sich ihr gegenüber komplett hilflos fühlen. |
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Die Unterscheidung ist wichtig, weil die Handlungskonsequenzen
völlig unterschiedlich sind. Solange (nur) die Veränderungsbereitschaft gering ist, haben Sie vor allem ein Kommunikationsproblem: Ihre
Führungskräfte und Mitarbeiter werden erst dann bereits
sein, die Veränderungen mitzugehen und mitzutragen, wenn Sie sie davon überzeugt
haben, dass tatsächlich dringender Handlungsbedarf besteht.
Wie Sie das erreichen können, lesen Sie im Abschnitt Handlungsdruck: "Establishing A Sense of Urgency" – aber wie? |
Geringe
Veränderungs-
bereitschaft |
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Wenn das Problem hingegen in mangelnder Veränderungsfähigkeit liegt, nützt Ihnen die beste Kommunikation nichts dann
bleiben Ihnen im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie
suchen die Unterstützung externer Berater,
und/oder Sie bauen die Veränderungsfähigkeit Schritt für
Schritt auf, indem Sie mit kleineren Projekten beginnen, für
deren erfolgreichen Verlauf sorgen, und sich dann allmählich
größeren Vorhaben zuwenden. Falls Sie dafür genügend
Zeit haben. |
Mangelnde
Veränderungs-
fähigkeit |
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Fördern von Veränderungsbereitschaft und Ermutigung des Unternehmens |
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Falls Sie den internen Weg gehen wollen, bauen Sie am besten eine
kleine interne Elitegruppe auf, die Sie mit besonderen Aufgaben
betrauen und ihnen dafür die besondere Aufmerksamkeit und Rückendeckung
der Geschäftsleitung zu sichern. Von entscheidender Bedeutung
ist dabei, dass die ersten Projekte erfolgreich verlaufen. Denn
bei einem Misserfolg wird nicht nur Ihre Elite, sondern das ganze
Unternehmen noch mutloser werden als es ohnehin schon ist. Deshalb
wählen Sie die Aufgabe so, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit
innerhalb weniger Monate erfolgreich zu bewältigen ist, und
geben dem Projektteam bei Bedarf Rückendeckung, fordern ihm
aber auch gute Leistungen und hohen Einsatz ab! |
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Wichtig ist aber, diese interne Elitegruppe nicht in eine Gegenposition zum Rest des Unternehmens zu bringen, indem sie sich als etwas Besseres fühlt als "diese mutlosen Dödel". Denn nur wenn diese Elite als Teil der Mannschaft wahrgenommen wird, bekommt sie die erforderliche Unterstützung von den Mitarbeitern und Führungskräften, nur dann gönnt man ihnen einen Erfolg, und nur dann wird ihr Erfolg zur Ermutigung für das gesamte Unternehmen. Fühlen sie sich dagegen als etwas Besseres und treten entsprechend auf, werden sie für alle Übrigen schnell zum Feindbild, und man will dann nicht mehr ihren Erfolg, sondern will sie im Gegenteil scheitern sehen. |
Keinen Gegensatz entstehen lassen
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Deshalb ist der Begriff Elite gefährlich, auch wenn ich ihn hier verwende, um die besondere Rolle dieser Gruppe deutlich zu machen, und sollte nicht zu deren Kennzeichnung verwendet werden. Um keine Gegenposition entstehen zu lassen, sollte sich diese Gruppe auch nicht nur aus "jungen Wilden" zusammensetzen, sondern auch erfahrene Mitarbeiter und Führungskräfte einschließen – natürlich insbesondere solche, die ein Stück mutiger und veränderungswilliger sind als der Durchschnitt. |
Bunt gemischte Zusammensetzung
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Auch sollte diese "Elite" keine geschlossene Truppe sein, sondern schrittweise erweitert werden: Wann immer ein solches Team ein Vorhaben zum Erfolg geführt hat, kommen andere hinzu, die auch gerne Teil des Erfolges sein würden. Sie gilt es zu erkennen, einzuladen und zu integrieren, damit aus einer kleinen Elite schrittweise ein immer mutigeres und damit auch veränderungsfähigeres Unternehmen wird. |
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
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oder direkte Mail an w.berner(at)umsetzungsberatung.de
oder Telefon +49 / 9961 / 910044
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Wir unterstützen Sie gern!
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© 2005 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 31.8.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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Diagnose,
Teil 1: Bestimmung
des Veränderungsbedarfs |
Diagnose,
Teil 2: Vorerfahrungen / Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit |
Diagnose,
Teil 3: Typologie von Veränderungsprozessen

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