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Machtquellen: Position, Persönlichkeit und Beziehungen |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Wie kommt es überhaupt dazu, dass der eine mehr Macht hat als
der andere? Woraus leitet sich Macht ab? Die sprichwörtlichen "Gewehrläufe"
(Marx) oder "Bataillone" (Napoleon) sind ja in Wirtschaft und Verwaltung weniger
gebräuchlich. Dennoch lässt sich das Bild übertragen: Macht ergibt
sich aus der Glaubwürdigkeit von Drohungen oder Verheißungen. Aber nicht nur. |
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Wer andere zu etwas zwingen – oder "nötigen" – möchte will, muss erstens dazu in der Lage
sein, ihnen ernstliche Nachteile (oder Vorteile) zuzufügen,
ohne dass die andere Seite mit einer glaubhaften Gegendrohung dagegenhalten
kann, und er muss zweitens als ein Mensch angesehen werden, der
dies gegebenenfalls auch tun wird. Denn wenn man jemanden die nötige
Härte nicht zutraut, nützt ihm die theoretische Möglichkeit, Sanktionen zu setzen,
wenig – dies ist das machtpolitische Handicap von gutmütigen und
harmoniebedürftigen Menschen. |
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Positionsmacht und ihre Grenzen |
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Bei genauerer Betrachtung gibt es drei Quellen von Macht: (1) die
hierarchische Position, (2) Netzwerke / Beziehungen und (3) Persönlichkeit.
Die Positionsmacht ist am einfachsten zu durchschauen: Vorgesetzte
besitzen Macht – auch Weisungsbefugnis genannt – "kraft Amtes", das heißt, sie haben durch ihre hierarchische Position, und damit unabhängig von ihrer Qualifikation
und Persönlichkeit, gegenüber den Mitarbeitern bestimmte Möglichkeiten
der Einflussnahme und des (verdeckten oder offenen) Zwangs, die
die Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten nicht haben. |
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Das Wort "Zwang" klingt in diesem Zusammenhang (viel zu) martialisch. Natürlich würden im betrieblichen Alltag nur sehr trampelige Vorgesetzte mit offenen Drohungen arbeiten: "Wenn Sie diese Aufgaben nicht bis Dienstag erledigt haben, dann ..." Denn die hierarchische Über- bzw. Unterordnung ist ja allen Beteiligten auch so bekannt; die Weisungsbefugnis schwingt ständig im Hintergrund mit. Also wäre es unnötig brüskierend, darauf extra hinzuweisen. Stattdessen reicht es in aller Regel, dass die Vorgesetzte eine höfliche Bitte äußert: "Könnten Sie bitte diese Aufgabe übernehmen? Und schaffen Sie das bis zum Dienstag?"
Auch ohne Verweis auf den Arbeitsvertrag ist den allermeisten Mitarbeitern auch so klar, dass sie eine derartige "Bitte" kaum ablehnen können. Allenfalls können sie noch ein bisschen darüber verhandeln, ob Donnerstag oder Mittwoch vielleicht auch reichen würde. Nur bei (tatsächlicher oder empfundener) Überlastung können Mitarbeiter der Chefin mitteilen, dass sie das nicht schaffen, und sie bitten, die Aufgabe an jemanden anderen zu delegieren – letztlich liegt es aber im Ermessen der Vorgesetzten, ob sie sich darauf einlässt. |
... schwingt im Hintergrund mit |
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Allerdings heißt "Weisungsbefugnis" durchaus nicht, dass Macht nur von oben
nach unten verläuft und dass Mitarbeiter gegenüber ihren Vorgesetzten
machtlos oder gar ohnmächtig wären. Denn Vorgesetzte sind ihrerseits von ihren Mitarbeitern abhängig. Denn sie werden ja von ihren Chefs ihrerseits an ihren Zielen gemessen und sind für deren Erfüllung auf ihre Mitarbeiter angewiesen. Es gibt also wechselseitige Abhängigkeiten, die eben auch bewirken, dass auch die Mitarbeiter ein gewisses "Sanktionspotenzial" gegenüber ihren Vorgesetzten haben.
Wenn Mitarbeiter "schwierig sind",
nicht verlässlich "funktionieren", bei empfundenem Stress sofort krank werden oder "immer gleich zum Betriebsrat
laufen", hat die Vorgesetzte ein Problem. (Wobei sich diese Gegenmacht
interessanterweise nicht aus dem Arbeitsvertrag ergibt, sondern
aus der – persönlichkeitsbedingten – Bereitschaft der Mitarbeiter,
sich den Forderungen der Vorgesetzten in gewissem Umfang zu widersetzen. Und natürlich aus
der – ebenfalls persönlichkeitsbedingten – Schwierigkeit der Vorgesetzten,
sich dagegen durchzusetzen.) |
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Viele Mitarbeiter spüren das "instinktiv" und spielen diese Karte
lustvoll und zielsicher aus: Sie sind launisch, unberechenbar, ungeschickt,
hilflos, anstrengend – alles Verhaltensmuster, die den Vorgesetzten
"zwingen", Dinge zu tun, die er/sie/es sonst nicht getan hätte und
eigentlich auch nicht tun wollte, gleich ob es darum geht, Arbeiten
selbst zu erledigen, strenger zu kontrollieren oder was auch immer.
Diese Art der Machtausübung nennt man die "Macht der Schwäche",
und viele Menschen, vor allem aber Männer tun sich schwerer, ihr
zu widerstehen als aggressivem Druck.
Da hat sich etwas mit der
Macht von Hierarchie und Status: Mancher Vorgesetze wäre wohl froh,
wenn ihm "seine" Mitarbeiter zumindest gewisse Mitspracherechte
zugestehen würden. |
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Machtquelle Persönlichkeit |
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Damit sind wir bei der Machtquelle Persönlichkeit, der wir oben schon einmal kurz begegnet sind: Sie besteht unter anderem
darin, dass die anderen einem zutrauen, angekündigte oder unangekündigte
Sanktionen tatsächlich zu setzen – also beispielsweise Führungskräfte zu konfrontieren,
die ein Projekt nicht ausreichend unterstützen, einen ständigen Quertreiber zu feuern oder einen tapferen Projektleiter zu befördern. |
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Eine wichtige Rolle spielt auch das persönliche Auftreten. Was
aber keineswegs mit autoritärem Gebaren gleichzusetzen ist,
sondern in erster Linie mit Entschiedenheit, Festigkeit und einer
gewissen Konfliktbereitschaft. Es gibt keinen typisches Auftreten
der Macht – die persönlichen Stile mächtiger Wirtschaftsführer sind
sehr unterschiedlich; sie reichen vordergründig von extremer Dominanz über ein nüchtern-analytisches Auftreten oder Primadonnen-Gehabe bis hin zu unauffälligem
Charme. Was sie aber alle gemeinsam haben, ist
die Bereitschaft, sehr schnell und ohne Vorwarnung Entscheidungen
zu treffen, die negative (oder positive) Konsequenzen für andere
haben. |
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Auftreten allein macht keine Macht. Manche, die besonders markig
auftreten, aber Konflikte dann doch nicht durchstehen, werden hinter ihrem Rücken zuweilen als "Operettentenöre"
oder "Heldenmaskenträger" verhöhnt. Denn wie so oft, so zählen am Ende auch hier nicht
die Worte, sondern die Taten. Insbesondere dann, wenn sie nicht
den Charakter einer Beweisführung ("Seht mal, wie entschlossen ich
bin!") haben, sondern der erkennbare Ausdruck einer von innen kommenden
Entschiedenheit sind. |
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Machtquelle Netzwerk / Beziehungen |
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Der Machtfaktor Netzwerk / Beziehungen schließlich ist das Bindeglied
zwischen Position und Persönlichkeit. Er bezieht sich darauf, wie
weit die eigene Einflusssphäre reicht – ob man ein isolierter Einzelkämpfer
ist oder bei Bedarf zahlreiche Verbündete mobilisieren und auf die
Unterstützung von Kollegen, Vorgesetzten und anderen direkt oder
indirekt Beteiligten zählen kann. Dabei geht es nicht nur die Frage,
wie groß die eigene "Hausmacht" ist (also die Zahl und Macht der
Leute, die einem mit großer Wahrscheinlichkeit folgen werden), sondern
auch um die Fähigkeit, Koalitionen zu schmieden und Mehrheiten zusammenzuführen. |
Unterstützung durch
andere
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Denn in der Wirtschaft geht es zwar so gut wie nie um formale Stimmenmehrheiten;
für viele Entscheidungen spielt aber eine wichtige Rolle,
wie die Stimmung bei den "Fürsten" ist. Ob eine
Idee realisiert wird, hängt daher auch ohne formale Abstimmung stark
davon ab, mit wie viel Engagement die einen für sie kämpfen und
auf wie viel Widerstand
sie bei den anderen trifft. Kluge Top-Manager wissen, wie sehr sie spätestens bei der Umsetzung ihrer Entscheidungen darauf angewiesen sind, dass einflussreiche Mitstreiter den eingeschlagenen Weg "mittragen", sprich, die Entscheidung in dem Sinne umsetzen, wie sie gemeint ist, und sie nicht im Zuge der Umsetzung umkehren oder in ihr Gegenteil verwandeln. |
Auf "Mittragen" angewiesen |
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Der Machtfaktor Netzwerk / Beziehungen hat Berührungen mit den zuvor erwähnten
Machtquellen, geht aber über sie hinaus. Mit der hierarchischen Position
hängt er insofern zusammen, als die Frage, wer einem Unterstützung
gewährt, natürlich auch davon abhängt, wie einflussreich die eigene
Position ist und welchen Nutzen man potenziellen Unterstützern in Zukunft bringen kann.
Mit der Persönlichkeit hängt er zusammen, weil eine große Rolle spielt, inwieweit man der betreffenden Person vertraut,
aber auch, was man ihr zutraut.
Und dennoch geht es über beide hinaus,
denn zusätzlich hat großes Gewicht, wie viel ein Mensch in seinem
bisherigen Leben in den Aufbau von Beziehungsnetzwerken investiert
hat, welches Ansehen er sich aufgebaut, ob es Leute gibt, die sich
ihm – aus welchen Gründen auch immer – verpflichtet fühlen, und
vor allem, wie viele Hoffnungen, Erwartungen und Befürchtungen andere
mit ihm verbinden. |
Die Ernte der Beziehungs-investitionen
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Wenn wir in einer Sache, die uns weiter nicht interessiert, von jemanden um Unterstützung gebeten werden, der hohes Ansehen genießt, dann werden wir ihn wahrscheinlich unterstützen: Erstens, weil wir dann auch zu diesem Erfolg beigetragen haben und damit "auf der richtigen Seite stehen", zweitens weil es ja sein könnte, dass wir irgendwann einmal seine Unterstützung brauchen, und wir seine Unterstützung vermutlich eher erhalten werden, wenn wir ihn unterstützt haben. Drittens mag dazu kommen, dass es die meisten Menschen für unklug halten, einflussreiche Personen zu verärgern oder sich zum Feind zu machen. |
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Nur wenige Menschen sind in einer so mächtigen Position, dass sie
es sich leisten können, die Machtquellen Persönlichkeit und Beziehungsnetz
zu ignorieren. Außerdem: Wer in eine solche Machtposition nicht
geboren wurde, kam dorthin in der Regel nur deshalb, weil er die
Machtquellen Persönlichkeit und Beziehungsnetz auf ein überdurchschnittliches
Niveau entwickelt hat. Viel von dem, was man "interne Politik" nennt (oder auch "Seilschaften"), hängt mit dem halbverborgenen Wirken solcher Beziehungsnetzwerke zusammen: Man stützt und unterstützt sich gegenseitig, weil man sich bewusst ist, dasss man an anderer Stelle auf Unterstützung angewiesen sein wird. |
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Berater und Projektleiter haben "geborgte Macht" |
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Eine machtpolitisch interessante Besonderheit ist die Rolle von Projektleitern und externen Beratern:
Sie haben oftmals sehr viel mehr Macht als
es ihrem formalen Status und ihrem persönlichen Ansehen entspricht. Eine formale Weisungsbefugnis
gegenüber denen, auf deren Unterstützung sie angewiesen sind, besitzen
sie ja nicht – meistens nicht einmal gegenüber den Mitgliedern des Projektteams.
Dass sie meistens dennoch
einige Macht besitzen, liegt nicht zwangsläufig daran, dass es sich bei
ihnen um so eindrucksvolle Persönlichkeit handelte, und es erklärt
sich auch nicht aus ihrem gewachsenen Beziehungsnetzwerk. Vielmehr besitzen
sie "geborgte Macht": Sie wurde ihnen unausgesprochen von der Person
verliehen, die das Projekt in Auftrag gegeben hat und an seiner
erfolgreichen Realisierung interessiert ist. |
Projektleiter und
Berater |
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Geborgte Macht hat ihre Tücken. Das beginnt damit, dass Projektleiter und Berater durch sie sehr schnell sehr viel Macht bekommen – oftmals
mehr, als sie verantwortlich handhaben können. Das kann sich auf
zwei Arten auswirken: Entweder darin, dass sie diese Macht nicht
annehmen (bzw. sich ihrer gar nicht bewusst sind) und damit zum Nachteil des Projekts
einen Teil ihrer Gestaltungsmöglichkeiten verschenken. Oder darin,
dass sie diesen Machtzuwachs zu persönlich nehmen und beginnen, die
Macht selbstherrlich und "ichhaft" einzusetzen, was auf eine milde,
aber dennoch kontraproduktive Form von Machtmissbrauch
hinausläuft. |
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Zweitens ist geborgte Macht immer eine sehr viel wackeligere Angelegenheit
als originäre. Denn sie ist nur so viel wert, wie der Auftraggeber
fest und unerschütterlich hinter dem Projekt steht. Schon bei den
ersten Signalen von Unbehagen oder Abrücken schrumpft die geborgte
Macht wie ein geplatzter Luftballon: Auf einmal ziehen die um Unterstützung angegangenen
Mitarbeiter und Führungskräfte nicht mehr mit, alles geht sehr viel
zäher, und auch die Projektmitglieder verlieren an Zuversicht und
Engagement. Wenn die Rückendeckung nicht schnell und deutlich wieder
hergestellt wird, droht ein Projektabbruch
oder, noch fataler, das allmähliche Versanden des Projekts. |
Abhängig von Rückendeckung |
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Macht entwickeln |
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Wenn Sie erfolgreiches Change Management betreiben wollen, sollten
– nein: müssen Sie Interesse an Macht entwickeln. In diesem Fall
sollten Sie zwei scheinbar gegenläufige Fähigkeiten kultivieren:
Einerseits den Aufbau und die Pflege eines auf Respekt und gegenseitigem Nutzen
basierenden Beziehungsnetzwerks; andererseits hohe Konfliktfähigkeit und die Fähigkeit,
Spannungen und Disharmonie zu ertragen. Michael Löhner hat das
vereinfachend, aber in unnachahmlicher Bildhaftigkeit bezeichnet als
"die Fähigkeit, sowohl Charmebolzen als auch Kotzbrocken zu sein".
Gut, wenn der Wechsel zwischen beidem nicht von Launen, sondern
von geschäftsstrategischen Überlegungen getrieben ist. |
Nutzen und Konflikt-bereitschaft |
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Dafür ist wichtig, dass Sie Ihr Verhältnis zur Macht reflektieren
und kultivieren. Dazu gehört, dass Sie sich systematisch bemühen,
destruktive und ichhafte Züge, wie sie in jedem Menschen vorhanden
sind, aber auch Konfliktvermeidungstendenzen bei sich selbst kennen
zu lernen und sie, so weit es geht, abzubauen. Am besten eignet
sich dafür die Supervision durch einen hierfür qualifizierten
Coach, wobei das regelmäßige Arbeiten in einer Gruppe in aller Regel
noch besser geeignet (und zudem deutlich preisgünstiger) ist als
Einzelsitzungen. Vor allem aber kommt es darauf an, sich gerade im Change Management der machtpolitischen Dimension der eigenen Tätigkeit bewusst zu sein – und sie behutsam, aber auch beherzt zu nutzen. |
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
Link zum Kontaktformular
oder direkte Mail an w.berner(at)umsetzungsberatung.de
oder Telefon +49 / 9961 / 910044
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Wir unterstützen Sie gern!
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© 2001 Winfried Berner / letzte Revision 15.4.2023 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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