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Machtmissbrauch: Von destruktiver und von konstruktiver Macht |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Beim Thema Macht denken viele Menschen
zuerst an Machtmissbrauch – manche mit Beispielen aus Politik und
Geschichte im Hinterkopf, manche in Erinnerung an eigene schlechte
Erfahrungen. In der Tat kann Macht benutzt werden, um sich ungerechtfertigte
Vorteile zu verschaffen, um hemmungslose Ego-Trips auszuleben, um
Gegner zu vernichten und Kritik und unerwünschte Meinungen zu unterdrücken.
Dennoch ist Macht – gleich ob in Unternehmen oder in der Politik
– unverzichtbar, um Veränderungen durchzusetzen, die im übergeordneten
Interesse notwendig sind, aber nicht den Beifall aller Betroffenen
und Interessengruppen finden. |
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Je wirkungsvoller ein Instrument, desto größer ist prinzipiell auch der Schaden, den man mit ihm anrichten kann. Eine Motorsäge ist gefährlicher als
ein Fuchsschwanz, ein Bagger gefährlicher als eine Schaufel, ein
Computer gefährlicher als ein Rechenschieber. Dennoch sind es nicht
die Instrumente, von denen die Gefahr ausgeht, sondern die Menschen,
die sich ihrer bedienen – genauer, die Einstellung ("Gesinnung"),
aus der heraus sie handeln, sowie die Absichten und Ziele, die sie verfolgen. |
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Macht und Persönlichkeit |
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Unbestreitbar zieht Macht bestimmte Persönlichkeitsstrukturen besonders
an. Wie Alfred Adler (1870 – 1937), der Begründer der Individualpsychologie,
schon vor rund 100 Jahren erkannt hat, eignet sich Macht hervorragend,
um Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren (bzw. sie überzukompensieren).
Je mehr sich jemand unterlegen, "klein" und minderwertig fühlt,
desto stärker sein Streben nach Überlegenheit. Dieses Bedürfnis
kann auf verschiedene Arten ausgelebt werden: zum Beispiel durch
Besserwisserei, durch "moralische Überlegenheit" – oder eben durch
Macht.
Insofern kann man die Neigung einer Führungskraft, andere Menschen klein zu machen oder zu schikanieren, durchaus als Selbstauskunft verstehen. |
Minderwertig-keitsgefühle
und Kompensation |
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Kennzeichen für solche neurotischen Muster ist, dass sie immer
eine gegen andere Menschen gerichtete Absicht enthalten:
Sie zielen darauf, sich selbst zu erhöhen, indem sie andere erniedrigen.
Zum Beispiel auf intellektuellem Gebiet ("Wie kann man nur so blöd sein?!") oder auf moralischem, indem sie anderen ein schlechtes Gewissen machen oder sie als selbstsüchtig, rücksichtslos oder ähnliches darstellen.
Oder aber sie erniedigen sie auf praktischem Gebiet, indem sie sie ihre Unterlegenheit spüren lassen und sie zwingen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Zu etwas gezwungen zu werden, ist für andere Menschen besonders bedrohlich,
deshalb ist die Angst vor Machtmissbrauch größer als die vor Klugscheißerei
und Bigotterie. |
Andere erniedrigen, um sich zu erhöhen |
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Doch in der Geschichte der Menschheit gibt es keine Beispiele dafür,
dass wegen der bestehenden oder befürchteten Risiken auf vorhandene Möglichkeiten
verzichtet worden ist. Auch Machtmissbrauch ist nicht durch eine
Dämonisierung der Macht zu verhindern oder einzudämmen.
Eher trifft das Gegenteil zu: Die Dämonisierung und Tabuisierung der Macht
schafft zusätzliche Freiräume für Missbrauch – und zieht erst recht genau die falschen
Leute an. |
Dämonisierung von Macht nützt
nichts |
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Kontrolle der Macht |
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Deshalb ist es notwendig, dass wir uns dem "Phänomen Macht" stellen. Wenn wir ihm nicht ohnmächtig ausgeliefert sein wollen, müssen wir es verstehen und so weit wie möglich für sinnvolle Ziele nutzbar machen; zugleich
sollten wir uns bemühen, seinem Missbrauch oder exzessivem Gebrauch
durch wirksame Regeln einen Riegel vorzuschieben. (Was letztlich übrigens auch eine Form von Machtausübung ist.) |
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In demokratischen Strukturen erfolgt dieses "Zähmen" der Macht durch regelmäßige
Wahlen. Alle paar Jahre haben die Wähler die Möglichkeit zu beurteilen,
ob sie den Umgang der Regierenden mit ihrer Macht insgesamt angemessen
und konstruktiv finden oder nicht. (Ob und in welchem Umfang sie
davon Gebrauch machen, steht auf einem anderen Blatt.)
Das funktioniert nicht perfekt, aber man kann auch nicht ernsthaft behaupten, dass es überhaupt nicht funktionierte. Es können sich sogar neue Parteien bilden und in die Parlamente einziehen, wenn eine ausreichende Zahl von Wählern der Meinung ist, dass die "Altparteien" mit ihrer Macht nicht gut umgehen. Wer noch mehr tun will, kann sich auf regionaler oder überregionaler Ebene in die Politik einmischen, sei es über die Mitarbeit in Parteien und Verbänden oder auf andere Weise. |
Politik: Wahlen und Engagement |
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In Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen existiert diese demokratische Form
der Kontrolle nicht. Die vorhandenen Aufsichtsgremien üben zwar
eine gewisse Kontrolle der Macht aus, allerdings primär aus Sicht
der Anteilseigner und des Kapitalmarkts. Im Geltungsbereich deutschen (und österreichischen) Rechts hat zudem der Betriebsrat eine Kontrollfunktion, was die sozialen Belange der Belegschaft anbetrifft.
Eine nicht zu unterschätzende zusätzliche Kontrolle ergibt sich
de facto aus der Freiheit der Mitarbeiter, das Unternehmen zu verlassen.
Denn der Macht eines Unternehmens kann man sich sehr viel leichter
entziehen als der des Staates. Das gilt auch dann, wenn dieses Sich-Entziehen einen persönlichen Preis hat und vielen Mitarbeitern die Entscheidung, ob sie bleiben oder gehen sollen, nicht leicht fällt. |
Unternehmen: "Bleiben
oder Gehen"
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Dieses Korrektiv ist auch dann wirksam,
wenn aufgrund der Arbeitsmarktlage, des Alters und der persönlichen
Wettbewerbsfähigkeit längst nicht alle Mitarbeiter die Möglichkeit
haben zu gehen. Zumindest die besten und leistungsstärksten Mitarbeiter
haben allemal genügend Alternativen. Wenn aber die Leistungsträger
abwandern,
weil sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht länger arbeiten
wollen, hat das einen erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit
des Unternehmens insgesamt – und damit auf die "Überlebenschancen" der Unternehmensleitung. Die Abwanderung von Leistungsträgern übt daher starken Handlungsdruck auf das Management aus, erst recht, wenn sie erkennbar zunimmt. |
Abwanderung von Leistungsträgern |
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Konstruktive Machtausübung |
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Ob Macht konstruktiv oder destruktiv wirkt, hängt entscheidend
davon ab, wie sie eingesetzt
wird. Der wesentliche Unterschied liegt hier, wie der Individualpsychologen Fritz Künkel (1889
– 1956) glasklar unterschieden hat, darin, ob sie "sachbezogen" oder "ichhaft" eingesetzt wird. "Sachbezogen" ist der Einsatz von Macht dann, wenn die dahinter
stehende Absicht gemeinschaftsfördernd ist, also etwa, wenn es
darum geht, die gemeinsame Sache voranzubringen, etwas Neues aufzubauen, Ideen
zu verwirklichen, aber auch, etwas Wertvolles zu verteidigen.
"Ichhaft" ist der Einsatz von Macht immer dann, wenn die Intention gegen die Gemeinschaft gerichtet
ist – wenn sie also etwa benutzt wird, um sich über andere zu stellen,
andere klein zu machen, Wertvolles zu zerstören. Rupert Lay spricht
in diesem Zusammenhang von "biophilem" bzw. "nekrophilem" Handeln:
Ist das Handeln der "Machthaber" darauf gerichtet, menschliches Leben und Wachstum
zu mehren oder es zu mindern? |
Sachbezogener oder
ichhafter Umgang mit Macht |
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Die Umgebung spürt diesen Unterschied sofort und reagiert darauf.
Konstruktive Machtausübung wird oftmals kaum wahrgenommen, oder
sie wird als eine "wohlwollend ordnende Hand" empfunden und begrüßt.
Der entwertende Charakter der ichhaften Machtausübung hingegen polarisiert
Unternehmen. Manche gehen in den Widerstand, andere wandern früher oder später ab, wieder andere wählen
die Rolle des Opfers und leiden (mehr
oder weniger) still vor sich hin, ohne Konsequenzen zu ziehen. Manche machen sich lustvoll
und oft mit Zügen von Sadismus zu Schergen des Systems oder des
willkürlichen Herrschers. (Was Anna Freud "Identifikation mit dem
Aggressor" genannt hat.) |
Auswirkungen und Reaktionen |
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Dieser große Unterschied rührt daher, dass konstruktive Machtausübung
ohne Demütigungen und (weitestgehend) ohne spektakuläre Siege auskommt
– und damit auch weitgehend ohne "Verlierer". Ihre zentrale Intention besteht nicht
darin, die eigene Großartigkeit zu beweisen, sondern darin, Dinge zu bewegen. Deshalb
genügt es ihr völlig, die Weichen auf unspektakuläre Weise richtig zu stellen und Energie
in die richtige Richtung zu mobilisieren.
Der spektakuläre "Showdown" bleibt daher bei konstruktiver Machtausübung die krasse Ausnahme; im Normalfall läuft
die Durchsetzung unspektakulär beinahe unauffällig ab. Da wird in Einzelgesprächen, Meeting
und Reden Überzeugungsarbeit
geleistet; Kompromissbereitschaft im Detail paart sich mit Klarheit
der großen Linie, und nach einer Weile bildet sich ein breiter Zielkonsens heraus,
dem sich diejenigen, denen das alles eigentlich gar nicht so recht
ist, kaum noch entziehen können. |
Keine Demütigungen,
kaum Verlierer |
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Die Machtausübung läuft hier oft so unauffällig ab, dass ungeübte
Beobachter den Einsatz konstruktiver Macht kaum bemerken. Der leise Zwang
resultiert letztlich aus der stillen Einsicht der "Andersgläubigen",
dass die Sache entschieden ist und es keinen großen Sinn mehr hat,
dagegen anzukämpfen. Weil kein Kampf stattfindet, erleidet auch
niemand eine Niederlage; stattdessen entsteht ein Konsens, der vielleicht am Anfang
noch von einigen Vorbehalten geprägt ist. Machtbewusst
zu denken, heißt diese Vorbehalte zu erkennen, auch ohne dass sie
ausgesprochen wurden, und zu versuchen, sie durch Kommunikation,
Einbeziehung und durch Fordern, also durch das Abverlangen eigener
Beiträge, aufzulösen. |
Unspektakuläre Gestaltung |
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Vorausschauend gestalten statt selbstbezogen demütigen |
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Konstruktiv machtbewusst zu denken, heißt auch, sich bewusst
zu sein, dass die große Zeit der "Gegenreformation" und damit der Widerstand
erst bei der ersten Krise
kommen wird, und sich darauf in doppelter Weise vorzubereiten: Zum
einen dadurch, dass man frühzeitig für greifbare Resultate sorgt, zum anderen
dadurch, dass man in der Krise deutlich macht, dass das Projekt
nach wie vor die volle Unterstützung des Top-Managements hat und
dass ein Nachlassen, geschweige denn ein "Abschuss"
des Projekts überhaupt nicht zur Diskussion steht.
Auch hier findet
die "Machtpolitik" nicht durch spektakuläre Kämpfe statt, sondern
durch kluges Gestalten von Prozessen und durch das frühzeitige Setzen
klarer Signalen – also letztlich durch Konfliktprävention. |
Prävention statt Konfrontation |
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Und auch hier merken naive Beobachter gar nicht, dass Macht ausgeübt
wurde, weil das so kampflos, "unblutig" und vermeintlich konfliktfrei geschieht.
Nur die Betroffenen und einige Insider spüren die eiserne Entschlossenheit,
die zuweilen hinter der "weichen Schale" durchblitzt. Dennoch sind
diese Freundlichkeit und Verbindlichkeit nicht, wie es zuweilen
fehlinterpretiert wird, eine Maske, die mühsam die dahinter liegende
"stählerne Härte" kaschieren soll, sondern Ausdruck einer wohlwollenden Grundhaltung,
die nicht auf Unterwerfung, sondern auf Gestaltung durch Zusammenführung
und Integration zielt. |
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Trotzdem knirscht dabei natürlich der eine oder andere Betroffene
mit den Zähnen: Auch die sanfteste Form der Machtausübung ändert nichts
daran, dass die Betreffenden ursprünglich ganz andere Vorstellungen von der Zukunft hatten
und sich nun "mit sanfter Gewalt" auf einen ungeliebten Weg gezwungen
sehen. Selbstverständlich macht ihnen dies keine Freude,
vielmehr reagieren manche mit mehr oder weniger ausgeprägtem Missvergnügen
auf die ungeliebte Richtung.
In solchen Fällen wird hinter
den Kulissen zuweilen recht ärgerlich und verstimmt über den empfundenen
Zwang gesprochen: Bei etwas mitmachen zu müssen, was man eigentlich nicht wollte, macht nun einmal keinen Spaß.
Dennoch ist dies, verglichen mit einer persönlichen Demütigung oder
einer öffentlichen Niederlage, ein erträgliches Problem. |
Nicht keine, aber
weniger Frustration |
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Mit solchem vorübergehenden Unmut muss man leben –und leben können –,
wenn man Macht als notwendiges Instrument
des Change Management erkennt und sie konsequent
zur Durchsetzung von Veränderungen nutzen will. Wer es nicht aushält, dass einige der Betroffenen auch mal verstimmt sind und einen das auch spüren lassen, der sollte sich mit seiner eigenen Konfliktscheu auseinandersetzen. Denn die kann zu einem gefährlichen Hindernis für erfolgreiche Führung und Change Management werden, weil sie einen emotional erpressbar macht.
Zwar wäre es natürlich schöner, wenn
nicht (mehr oder weniger) sanfter Zwang zum Erfolg führt, sondern
echte Überzeugung. Die Frage ist nur, was Sie tun, wenn manche
Menschen nicht zu überzeugen sind, weil dem gegenläufige Überzeugungen,
Ängste oder Eigeninteressen
im Weg stehen. Am Ende bleiben Ihnen dann nur drei Möglichkeiten:
Entweder die langwierige Suche nach Kompromissen oder der Verzicht
auf das Vorhaben – oder der Mut zur Macht. |
Verstimmung ertragen lernen |
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Sie planen gerade ein Change-Projekt, bei dem es um derartige Themen geht? Oder haben eine verwandte Fragestellung, zu der Sie fachkundige Unterstützung oder eine kompetente Hintergrund-Beratung suchen? Dann sprechen Sie uns gerne an!
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© 2001 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 16.4.2023 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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