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Machtkämpfe: Wie "persönliche Dinge" die Sache in den Hintergrund drängen

 

Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung

 

Beim Stichwort Machtkampf denken die meisten Menschen an einen "Kampf der Titanen": an das Aufeinanderprallen "überlebensgroßer Egos" im Top-Management oder in der Politik, etwa beim Ringen zweier ehrgeiziger Politiker um die Kanzlerkandidatur, beim "Elefantenschach" zwischen ambitionierten Managern oder bei einer "Kraftprobe" zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Und sie glauben, dass solche Machtkämpfe in ihrem eigenen Leben keine nennenswerte Rolle spielten. Doch bei genauerem Hinsehen ist der Alltag voll von Machtkämpfen: zwischen Partnern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, zwischen Kollegen, zwischen Abteilungen und Bereichen, zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat, ja sogar zwischen Fremden.

  • Ringen um Überlegenheit
  • Jede kleine alltägliche Meinungsverschiedenheit kann sich zu einem Machtkampf entwickeln – und zwar dann, wenn sie in ein Ringen um Überlegenheit und damit in einen Kampf um Sieg oder Niederlage umschlägt. Der Weg dorthin ist erstaunlich simpel und schnell beschritten: Oft beginnt es mit einem Dissens in einer Sachfrage sowie damit, dass wenigstens einer der Beteiligten glaubt, den anderen unbedingt überzeugen zu müssen. Wenn der andere sich dieser "Bekehrung" hartnäckig widersetzt, kommt auf beiden Seiten zunehmende Frustration und Verärgerung auf: Die sachliche Meinungsverschiedenheit entwickelt sich zum persönlichen Konflikt.

  • Alltägliche Machtkämpfe
  • Wie man in Machtkämpfe hineinrutscht

     

    Mit wachsender gegenseitiger Verstimmung wird dann meistens auch der Umgangston rauher: Der eine reagiert zunehmend bockig auf die immer penetranter werdenden Bemühungen, ihn zu bekehren; der andere wird immer frustrierter und wütender – und kommt schließlich im Stillen zu dem Schluss: "Wenn jemand sich durch meine begnadeten Argumente auch nach der 30. Wiederholung nicht überzeugen lässt, kann das nur daran liegen, dass er entweder dumm oder bösartig ist." Diese Entwertung des Partners bzw. Gegners liefert die moralische Rechtfertigung für das Ausüben von Zwang, denn: "Wer sich der besseren Einsicht aus Dummheit oder Bösartigkeit verschließt, den darf / muss man zu seinem Glück zwingen!" Wenn nun der andere angesichts des wachsenden Drucks nicht klein beigibt, sondern seine Position verteidigt, ist der Machtkampf da – und nicht mehr ohne weiteres zurückzuholen.

  • Frustrierte Missionare
  •  

    Abb.: In zwei Spielzügen zum Machtkampf

  • Wie aus einem Dissens ein Machtkampf wird
  • Doch nicht nur aus sachlichen Meinungsverschiedenheiten können sich Machtkämpfe entwickeln, sondern auch aus der Art des Miteinander-Umgehens. Wenn beispielsweise ein Teammitglied gegenüber dem anderen eine Überlegenheitspose einnimmt, es zum Beispiel herablassend behandelt, nicht ernst nimmt oder seine Argumente entwertet ("Totaler Schwachsinn!"), sieht sich der andere vor die Wahl gestellt, sich das entweder gefallen zu lassen oder sich dagegen zu wehren. Wenn er sich für das Zweite entscheidet, tritt er in einen Machtkampf ein. Doch auch ohne äußere Veranlassung kommt es oft vor, dass Menschen aus einer scheinbar harmlosen Situation heraus ein Gefühl von Unterlegenheit entwickeln und überkompensierend dagegen ankämpfen: "Jetzt muss ich mich durchsetzen, sonst ist meine Autorität beim Teufel!" Auslöser ist in diesem Fall nicht das Verhalten anderer Beteiligter, sondern es sind die Gefühle, die die aktuelle Situation bei dem Betroffenen auslöst – meist soziale Ängste und Minderwertigkeitsgefühle, welche die charakteristischen überschießenden Reaktionen auslösen.

  • Tatsächliche und vermeintliche Entwertungen
  • Doch Machtkämpfe können sich auch aus dem ergeben, was wir etwas hilflos "die persönliche Chemie" nennen: Jemand, den wir noch nie gesehen haben, kommt zur Tür herein, und sofort ist eine ausgeprägte Antipathie da. Ohne dass irgendetwas vorgefallen ist, kann diese spontane Ablehnung so ausgeprägt sein, dass wir beinahe reflexartig damit beginnen, den Betreffenden zu bekämpfen – und der fackelt nicht lange, sondern schießt zurück. Scheinbar ohne Grund können so heftige Machtkämpfe entstehen. Doch "die Chemie" ist bei genauerem Hinsehen keine Erklärung, sondern nur eine Namensgebung für dieses Phänomen.

    Denn wieso stimmt die Chemie ausgerechnet in diesem Fall nicht?! Oft entsteht spontane Antipathie, weil der andere schon auf den ersten Blick etwas verkörpert, was uns gegen ihn einnimmt: Schon sein Auftreten und Erscheinungsbild löst feindselige und/oder ängstliche Gefühle in uns aus. Bei genauerer Analyse ist dafür nicht so sehr sein Auftreten und Verhalten ausschlaggebend, sondern unser "inneres Echo" darauf: die Gedanken, Phantasien und Gefühle, die aufgrund unserer eigenen Persönlichkeit und Vorgeschichte in uns selbst wach werden. Spontane Antipathie kann zum Beispiel entstehen, wenn wir jemanden als bedrohlich – etwa als Konkurrenten – wahrnehmen, aber zum Beispiel auch aus Neid, aus Verachtung und/oder aus einer Ablehnung des von ihm verkörperten Lebensstils ("Schönling!" – "Kraftmeier!" – "Playboy!" – "Prinzessin!" – "Softie!" –"Domina!" –"Duckmäuser!").

  • Die "persönliche Chemie"
  • Das Streben nach Überlegenheit

     

    Ein Paradebeispiel für die spontane Entstehung von Machtkämpfen sind die Rangeleien auf der Autobahn – etwa, wenn der eine rechts überholen will und der andere durch Beschleunigen und Verringerung des Abstands zum Vordermann zu verhindern sucht, dass der Rechtsüberholer vor ihm einschert. Das Beispiel Autobahn zeigt auch, wie schnell Machtkämpfe eskalieren können und wie schnell sie die Grenze einer harmlosen Kabbelei überspringen: Wenn der Rechtsüberholer Anstalten macht, sich dennoch in die Lücke zu drängen, fährt der Überholte noch dichter auf den Vordermann auf – auch wenn er dabei in riskanter Weise seinen Sicherheitsabstand verkürzt. Und der Rechtsüberholer beschleunigt trotz des Lastwagens kurz vor ihm noch mehr und zieht dann nach links, weil er gar nicht mehr abbremsen könnte ...

    So können sich Menschen, die sich nicht einmal kennen, innerhalb weniger Sekunden in einen Machtkampf verstricken, der ihre Risikobereitschaft sprunghaft ansteigen lässt. In dieser Situation ignorieren sie, dass jeder von ihnen mit rund zwei Tonnen hoch beschleunigten Metalls und erheblicher kinetischer Energie hantiert. Offensichtlich laufen in solchen Situationen selbst in vernünftigen und normalerweise äußerst verantwortungsbewussten Menschen (und besonders in uns Männern) Dinge ab, die uns dazu veranlassen, jeden Gedanken an mögliche Folgen auszublenden und sowohl unsere eigene Gesundheit als auch die anderer Menschen aufs Spiel zu setzen, nur um ... – ja, um was eigentlich?

  • Blitzschnelle Eskalation
  • Offensichtlich mischen sich in solchen Machtkämpfen zwei Motive: Das eine ist eher defensiver Natur; es zielt darauf, die eigene Position zu wahren und sich nicht "unterbuttern" zu lassen, also nicht in eine Position der Unterlegenheit zu geraten. Das andere hat offensiven Charakter: Es zielt darauf, dem anderen die eigene Überlegenheit zu beweisen – den anderen zu provozieren, ihn vorzuführen, ihm "eine Lektion zu erteilen", ihn für sein Fehlverhalten (gemessen an den eigenen Maßstäben) zu bestrafen oder ihn ganz einfach zu besiegen, zu unterwerfen, die eigene Stärke spüren zu lassen. Letzten Endes geht es in beiden Fällen schlicht um Dominanz, um Überlegenheit, nur dass dies im einen Fall eher ein Akt der Selbstverteidigung ist (Vermeiden von Unterlegenheit), während es im anderen mehr oder weniger offensichtlich darum geht, sich und anderen die eigene Überlegenheit zu beweisen.

  • Dominanz­
    verhalten
  • Aber was macht das Thema Über- oder Unterlegenheit eigentlich so brisant, dass daraus ständig Machtkämpfe resultieren? Es leuchtet ein, dass niemand in einer unterlegenen Position sein möchte: Das ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl, sondern es mindert auch objektiv die Chancen auf Ansehen, Einkommen und soziale Akzeptanz. Und warum gehen wir dann nicht einfach auf der Basis von Respekt und Gleichwertigkeit miteinander um? Die Soziobiologie erklärt das letzten Endes mit den Fortpflanzungschancen: Wer eine hohe Position in der sozialen "Hackordnung" erringt, hat bessere Chancen, den Marktanteil seiner Gene in den nachfolgenden Generationen zu vergrößern.

  • Soziale Chancen
  • Eine völlig andere Erklärung bietet die Individualpsychologie: Nach ihrem Begründer Alfred Adler (1870 – 1937) streben alle Menschen als soziale Wesen nach der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Da aber zugleich jeder Mensch unter Minderwertigkeitsgefühlen leidet, fühlt er sich nicht von Natur aus, gewissermaßen kraft seiner Geburt, der Gemeinschaft zugehörig, sondern meint, sich diesen Platz erst erkämpfen zu müssen, indem er seine vermeintliche Minderwertigkeit durch einen besonders "starken Auftritt" kompensiert. Das Problem ist nur, dass diese Bemühungen regelmäßig über das Ziel hinausschießen – und zwar umso weiter, je tiefer das Minderwertigkeitsgefühl sitzt. Adler spricht deshalb nicht von Kompensation, sondern von Überkompensation. Nach Adler ist es schlichte Überkompensation, wenn wir andere herabsetzen und "klein machen": Wir versuchen damit, uns selbst und unserer sozialen Umgebung die eigene Großartigkeit zu beweisen und uns damit unseren Platz in der Gemeinschaft zu verdienen. Und je größer der Selbstzweifel ist, desto größer der Beweisführungsbedarf.

  • Gleichwertigkeit und Minderwertig- keitsgefühle
  • Die sozialen und wirtschaftlichen Kosten von Machtkämpfen

     

    Da das Streben nach Überlegenheit aber kein sonderlich schickliches, edles Motiv ist, missbrauchen wir unseren Verstand, um uns selbst und unserer Umgebung "wertvollere", sozial akzeptable Gründe für unser Dominanzverhalten einzureden. Wir argumentieren, das Ausbremsen des Rechtsüberholers sei angebracht, ja geradezu notwendig, damit dessen unverantwortliches Verhalten nicht auch noch von Erfolg gekrönt sei und damit, psychologisch gesprochen, "positiv verstärkt" werde. (Man sieht: Auch die Psychologie ist nicht gefeit davor, als Lieferantin für Ausreden ausgeschlachtet zu werden.) Oder wir empören uns, im anderen Auto sitzend, über das oberlehrerhafte Verhalten des Rivalen und finden, dass man es solchen Wichtigtuern von Zeit zu Zeit einmal zeigen muss, "damit sie sich so richtig ärgern". (Das Schöne an der Intelligenz ist, dass einem die Alibis nie ausgehen.) Nur bekennende "Alpha-Tierchen" haben kein Problem, zu ihrem Dominanzstreben zu stehen; sie sagen zuweilen ganz offen: "Ich glaube, es ist an der Zeit, mal wieder zu zeigen, wer hier der Herr im Haus ist!"

  • Begründungen, Ausreden und Alibis
  • Über solche "allzu menschlichen" Spielchen bräuchte man nicht viele Worte verlieren, wären sie nicht mit erheblichen Kosten und Gefahren verbunden wären – im Auto mit dem Risiko erheblicher Sach- und Personenschäden, im privaten Zusammenleben mit dem Verschleiß von Beziehungen und reduzierter Lebensqualität, im beruflichen Bereich zusätzlich mit Einbußen an Produktivität und Profitabilität. So kann ein Machtkampf zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter erhebliche Anteile der Arbeitszeit beider verschlingen; ein Machtkampf zwischen Kollegen wird die Zusammenarbeit ihrer Abteilungen und die Qualität ihrer Arbeit deutlich reduzieren, und ein Machtkampf im Vorstand oder zwischen Vorstand und Betriebsrat kann, wenn er nur lange genug anhält und hart genug ausgefochten wird, die Existenz eines ganzen Unternehmens in Frage stellen.

  • Die Kosten von Machtkämpfen
  • Tatsächlich sind Machtkämpfe das Problem des betrieblichen Alltags schlechthin; sie verursachen immense wirtschaftliche und menschliche Schäden. Denn Beziehungskonflikte haben emotional immer den absoluten Vorrang vor den Sachfragen. Wenn jemand in einer Besprechung das Gefühl hat, unangemessen behandelt zu werden, dann interessiert ihn nicht mehr, wie wichtig das Ergebnis dieser Besprechung für die Firma, für seine Abteilung oder für ihn selbst ist. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Frage, wie er sich wieder in eine ihm angemessene Position bringen kann – und wie er den Bösewicht für seine Attacke bestrafen kann. Insofern ist der Leitsatz "Störungen haben Vorrang" keine Moderationsregel, sondern eine Gesetzmäßigkeit: Störungen haben Vorrang, gleich ob wir uns ihnen auch in der Gesprächsführung "offiziell" zuwenden oder nicht (Thomann 1998). Die Gegenwehr gegen tatsächliche oder empfundene Angriffe jedoch mündet leicht in einem Machtkampf, weil sie fast immer mit einer aggressiven, entwertenden Begleitmusik daherkommt ("selber doof"). Die Retourkutsche wiederum lässt der andere nicht auf sich sitzen – und schon ist es passiert: Der Machtkampf ist da.

  • Emotional oberste Priorität
  • Erosion der Produktivität

     

    Nach einem Machtkampf aber ist die Beziehung zwischen den Kontrahenten belastet, und erst recht nach mehreren. Die Folge: Man geht vorsichtiger miteinander um, ist empfindlicher gegen versteckte (oder auch nur hineingehörte) Nebentöne, man "weiß" schon, dass man mit dem anderen nicht vernünftig reden kann. Darunter leidet natürlich die Produktivität. Das verschärft sich, wenn der Machtkampf sich zuspitzt: Man bezieht sich gegenseitig nicht mehr in Entscheidungen ein ("hat ja eh keinen Sinn, mit diesem Quertreiber zu reden"), umgeht sich gegenseitig, fühlt sich irgendwann vor vollendete Tatsachen gestellt und hintergangen, wird noch misstrauischer, versucht Kollegen über die Pläne des anderen auszuhorchen, stellt dem anderen bewusst Fallen ... – und die Produktivität sinkt und sinkt und sinkt.

  • Mit angezogener Handbremse
  • Je enger Menschen zusammenarbeiten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich früher oder später auch einmal in einen Machtkampf verstricken. Und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich daraus bleibende emotionale Altlasten ansammeln. Das gilt insbesondere für Menschen, die ungeduldig und/oder leicht aufbrausend sind, die ein starkes Bedürfnis nach Geltung haben und/oder sehr klare Vorstellungen besitzen, wie Dinge gemacht werden müssen und die sehr hart zwischen "richtig" und "falsch" unterscheiden – wie viele Menschen in oberen Führungspositionen. Man kann sich leicht ausrechnen, welche Konsequenzen dies hat: Wenn jeder in seiner unmittelbaren Umgebung nur ein oder zwei Menschen hat, mit denen die Beziehung ernstlich belastet ist – ein Mitarbeiter, zwei Kollegen, ein Vorgesetzter –, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es in dieser Firma kaum noch Besprechungen gibt, die unbelastet von "persönlichen Dingen" sind. Infolgedessen lauern überall Tretminen; überall muss man aufpassen, nichts Falsches zu sagen (und erst recht nichts Richtiges), sonst drohen verdeckte Machtkämpfe sofort wieder aufzuflammen.

  • Multiplikations- effekte
  • Wenn die Beziehungen aber erst einmal verhärtet sind, gönnt keiner mehr seinen verfeindeten Kollegen irgendwelche Erfolge – auch dann nicht, wenn dies auch für die Firma insgesamt gut wäre. Vielmehr sollen die internen Gegner nach Möglichkeit keinen Stich machen; jedenfalls sollten sie nicht mit wichtigen Vorhaben zum Erfolg kommen – schon gar nicht mit solchen, die ihnen "unverdiente" Beachtung oder gar Anerkennung sichern würden. Infolgedessen blockiert und sabotiert man sich gegenseitig nach Kräften – natürlich nicht offen, sondern verdeckt. Und selbstverständlich geht es dabei immer "einzig und allein um die Sache", die bei alledem natürlich immer mehr unter die Räder kommt. Von da an dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch "über die Bande gespielt wird", das heißt, bis neutrale Dritte für eigene Zwecke funktionalisiert und gezielte Intrigen gesponnen werden. Wobei anhaltende Machtkämpfe auf den obersten Hierarchieebenen besonders teuer kommen. Sie legen oft die Produktivität der gesamten nachgeordneten Bereiche lahm, weil sich die nachgeordneten Mitarbeiter natürlich hüten, konstruktiv mit Kollegen aus dem "feindlichen Lager" zusammenzuarbeiten – damit würden sie ja zu Verrätern an ihren Chefs und Kollegen.

  • Intrigenspiele
  • Machtkämpfe und Macht

     

    Aber um was für eine Art von "Macht" geht es bei diesen Machtkämpfen eigentlich? Macht lässt sich ja definieren als die Fähigkeit, Menschen zu zwingen, Dinge zu tun (oder zu unterlassen), die sie von sich aus nicht tun (oder unterlassen) würden. Diese Definition passt auch auf die Machtkämpfe des Alltags. Aber wenn man sich fragt, welches Tun oder Unterlassen da eigentlich erzwungen werden soll, entsteht ein merkwürdig schwammiges und kurzatmiges Bild: Wie in der Nibelungensage geht es nicht um gewichtige Sachfragen oder gar um grundsätzliche Weichenstellungen, sondern um scheinbar so banale Dinge wie, wer wem an der Kirchentür Vortritt zu gewähren hat.

  • Nicht "Gestaltungs- macht" ...
  • Das ist keine Gestaltungsmacht, um die hier gerungen wird (und die für Veränderungsprozesse tatsächlich von großer Bedeutung sein kann), sondern es geht wirklich nur um die Hackordnung, um den Rangplatz der persönlichen Bedeutsamkeit. Selbst wenn die Kontrahenten darum ringen, wer in einer Sachfrage Recht hat oder wer bei einer Entscheidung seine Vorstellungen durchsetzt, geht es dabei nur noch vordergründig um das "Was", also um die Sache – in Wirklichkeit geht es um das Subjekt, um das "Wer". Offensichtlich sind wir hier wieder an einem Punkt, wo sich Menschen "ichhaft" statt "sachbezogen" verhalten – und wo genau dieses ichhafte Verhalten einen hohen wirtschaftlichen und persönlichen Preis hat.

  • ... sondern Geltung
  • Trotz der begrifflichen Verwandtschaft müssen wir daher scharf trennen zwischen kontraproduktiven Machtkämpfen und dem konstruktiven Gebrauch von (Gestaltungs-)Macht. Letzterer ist für die Veränderung sozialer Systeme oftmals unerlässlich, auch wenn dies nicht überstrapaziert werden darf. Was ist der Unterschied? Wie wir gesehen haben, geht es bei den alltäglichen Machtkämpfen fast immer um persönliche Überlegenheit und Geltung. Entgegen allen Beteuerungen dient die Sache dabei lediglich zur Legitimation sowie als Spielwiese, weil man ohne Schlachtfeld schlecht kämpfen kann. Beim Einsatz von Gestaltungsmacht hingegen geht es wirklich um die Sache: nämlich darum, unternehmerisch sinnvolle Veränderungsziele zu erreichen und hartnäckigen Widerstand, der sich dem in den Weg stellt, auszuräumen.

  • Der zentrale Unterschied
  • Auch wenn der Einsatz von Macht nicht das Mittel erster Wahl ist, kann es dazu erforderlich sein, Blockierer und Bremser zu verwarnen, ihnen Anweisungen und Auflagen zu erteilen und sie nötigenfalls auch "vom Platz zu stellen". Der entscheidende Unterschied ist, dass es dabei tatsächlich um den Fortschritt in der Sache geht und nicht um das Begleichen persönlicher Rechnungen oder die Demonstration von Überlegenheit. Infolgedessen wird Macht sachbezogen in aller Regel erst dann eingesetzt, wenn andere Versuche, den Widerstand auszuräumen, gescheitert sind. Da vermutlich 99 Prozent der Widerstände aus Angst entstehen, lässt sich der Großteil von ihnen durch Empathie, Festigkeit und offene Kommunikation auflösen. Vorschnelle Härte verrät nur Unsicherheit und erzeugt unnötige Verletzungen. Allerdings darf man auch nicht unbegrenzt zuschauen, denn zu langes Zuwarten wirkt als Ermutigung für andere Widerstandsnester, weil es Unsicherheit und mangelnden Durchsetzungswillen signalisiert. Dennoch: Wenn es wirklich um die Sache geht, sind eiserne Entschlossenheit und ausgeprägte Empathie kein Widerspruch, sondern die beiden Seiten derselben Medaille.

  • Ausräumen von Widerständen
  • Vermengungen und Verunreinigungen

     

    Aber lassen sich positive Gestaltungsmacht und negative Machtkämpfe in der Praxis so streng trennen? Tatsächlich überlagern sich sachbezogene und ichhafte Motive allzu oft: In die Durchsetzung sachlicher Ziele mischt sich oft auch eine Komponente von "Machtdemonstration", Entwertung oder Bestrafung. Doch das sind Missgriffe, die der Sache, um die es geht, letztlich schaden. Sie kommen häufig dadurch zustande, dass die meisten Manager ihre Macht (sinnvollerweise) nicht ständig ausspielen, sondern erst dann, wenn sie mit all ihren Überzeugungs-, Einbindungs- und Motivationsbemühungen gescheitert sind und schließlich die Geduld verlieren. Dann aber mischt sich in ihren sachbezogenen Machteinsatz oft auch eine ichhafte (und oftmals selbstgefällige) Komponente: "Den Kerl werde ich lehren, mir auf der Nase herumzutanzen!"

  • Vermischung von sach- und ichbezogenen Motiven
  • So verständlich und nachvollziehbar (und manchmal geradezu wohltuend) eine solche Abstrafung von Blockierern sein kann, hilfreich ist sie nicht. Denn die daraus resultierende Entwertung, Kränkung und Demütigung kann leicht eine fatale Kettenreaktion auslösen: Der Betreffende fühlt sich ungerecht oder mit übertriebener Härte behandelt, ist persönlich verletzt und gedemütigt, kocht innerlich vor Wut – und sinnt natürlich auf Vergeltung. Dies jedoch äußert sich nicht in einer direkten Auseinandersetzung, denn den offenen Machtkampf mit einer hierarchisch höher stehenden Person wird er in aller Regel nicht wagen. Stattdessen geht seine Überkompensation in indirekte, passive Formen des Machtkampfs, wie zum Beispiel Minimal-Kooperation, passiv-aggressive Verweigerung und verdeckte Unterminierung.

  • ... und ihre Folgen
  • Prinzipiell gilt die Regel: Je ausgeprägter die persönliche Demütigung, die durch ichhaften Machteinsatz ausgelöst wurde, desto mehr "überkompensatorische Energie" wird mobilisiert, und desto heftiger der (zumeist passive) Widerstand, der daraus gespeist wird. Und umgekehrt: Je sachbezogener und souveräner der Machteinsatz, desto eher wird er auch von den Betroffenen akzeptiert. Nicht mit Begeisterung natürlich, sondern eher mit Zähneknirschen, aber ohne dass ein großes Bedürfnis nach Rache und Vergeltung entsteht. Deshalb lohnt es sich sehr, sich beim Einsatz von Macht sorgfältig selbst zu disziplinieren und bewusst darauf zu verzichten, die Gelegenheit dazu zu nutzen, "nebenbei" noch eine Lektion zu erteilen oder sein Mütchen zu kühlen.

  • Selbstdisziplin im eigenen Interesse
  • Indirekte, passive Machtmittel

     

    Bislang haben wir uns hauptsächlich mit den offenen, direkten Formen des Machtkampfs befasst, weil die auffälliger und spektakulärer sind. Doch die indirekten, passiven Formen sind darüber nicht zu unterschätzen – im Gegenteil: Sie sind oftmals destruktiver, zermürbender und wirksamer als die offenen. Nehmen wir beispielsweise an, der Chef will in seiner Abteilung eine andere Aufgabenverteilung durchsetzen, aber viele seiner Mitarbeiter sind dagegen. Nach langen Diskussionen erklärt der Chef verärgert, er habe jetzt die Nase voll von dem ganzen Geflenne; irgendwann müsse schließlich eine Entscheidung getroffen werden, und das tue er hiermit. Und er ordnet die neue Aufgabenverteilung an, ohne im Geringsten auf Einwände und Änderungsvorschläge der Mitarbeiter einzugehen. Und einem Mitarbeiter, der sein Konzept besonders heftig kritisiert hat, drückt er noch eine ungeliebte Aufgabe zusätzlich aufs Auge.

  • Zermürbend wirksam
  • Für die Mitarbeiter ist damit klar, dass offener Widerstand zwecklos ist – aber akzeptiert haben sie die neue Aufgabenverteilung deswegen noch lange nicht. Und zudem ist jetzt eine dicke Rechnung offen, weil er ihre ganzen Argumente durch völlige Missachtung entwertet und seinen Kritiker mit einem groben Foul bestraft hat. Ohne sich absprechen zu müssen, gehen die Mitarbeiter nun in einen indirekten, passiven Machtkampf mit ihrem Chef. Einige behalten schlicht ihre bisherige Rollenverteilung bei, und das der Chef dies zufällig bemerkt, erklären sie ihm unschuldig, das sei eine Ausnahme; man würde sich halt aushelfen, um keine Arbeitsrückstände entstehen zu lassen (Beschönigung, Verniedlichung). Andere Mitarbeiter erklären ihm, er hätte aber doch genau das angewiesen, was sie jetzt ausführten (Verfälschung, Manipulation), und das sei aus verschiedenen Gründen auch eine sehr kluge und sinnvolle Arbeitsteilung (Schmeichelei, Korrumpierung).

  • Rache und Vergeltung
  • Eine ältere Mitarbeiterin erledigt ihre neue Aufgabe so schlecht, dass dem Chef die Haare zu Berge stehen (Versagen); auch nach mehrfachen Erklärungen und aktiver Unterstützung verbessert sich ihre Arbeitsqualität kaum; stattdessen erklärt sie schließlich resigniert und unter Tränen: "Chef, das tut mir ja so leid, ich kann das einfach nicht, ich glaube, ich bin einfach zu alt dafür!" (Beißhemmung auslösen, Macht der Schwäche, Einsatz von Wasserkraft). Der bestrafte Mitarbeiter lässt die ungeliebte Zusatzaufgabe erst einmal "wegen Arbeitsüberlastung" liegen (Ausreden, Alibis); als ihn der Chef schließlich anweist, sich umgehend darum zu kümmern, erklärt er, dass ihm die Aufgabe überhaupt nicht klar sei, und bittet den Chef, ihm genauere Instruktionen zu geben (Lähmung). Als dies schließlich nach tausend Nachfragen geschehen ist, führt er sie "exakt gemäß der Anweisungen" so aus, dass das Ergebnis weitgehend unbrauchbar ist (obstruktiver Gehorsam). Zeitgleich erreichen den Chef heftige Klagen aus der Nachbarabteilung; es stellt sich heraus, dass der Mitarbeiter aufgrund seiner Anweisung eine dringende Terminsache liegengelassen hat (Ins offene Messer laufen lassen). Als sich die Beschwerden aus dem Hause häufen und auch sein Vorgesetzter erkennbar unruhig wird, fragt sich der Chef, wer in seiner Abteilung wirklich das sagen hat. Er ahnt aber bereits, dass er es nicht (mehr) ist. Dabei hatten seine Mitarbeiter nur einen kleinen Teil des Repertoires genutzt.

  • Tausend Spielarten passiven Widerstands
  • Konstruktive Auseinandersetzung statt Machtkämpfen

     

    Tatsächlich scheitern viele Manager, aber auch viele Veränderungsprojekte und externe Berater, weil sie sich in zahllosen verdeckten Machtkämpfen verheddert haben – Machtkämpfe, die sie teils durch ihr Vorgehen und Auftreten selbst provoziert haben und die in sie zum anderen Teil unbedacht hineingestolpert sind. Der Versuch, großflächige Veränderungen mit brachialer Gewalt zu erzwingen, hat allenfalls unter ganz spezifischen Bedingungen Aussicht auf Erfolg; es gelingt noch am ehesten, wenn es strukturelle Veränderungen geht.

  • Machtkämpfe vermeiden
  • In der Regel entspringen solche brachialen Veränderungsansätze einer maßlosen Überschätzung der eigenen Durchsetzungschancen. Sie sind überhaupt nur auf offenen Widerstand vorbereitet, den sie lustvoll zu brechen gedenken. Aber natürlich sind die wenigsten Mitarbeiter und Führungskräfte so naiv, in den offenen Machtkampf mit jemanden zu gehen, der zur brachialen Durchsetzung entschlossen ist. Wer eine Veränderung erzwingen will, sollte daher zumindest ein sehr klares und durchdachtes Konzept haben, wie er nicht nur den offenen, sondern auch den passiven, verdeckten Widerstand überwinden will. Denn der lässt sich nicht brechen – er lässt sich nicht einmal greifen, sondern glitscht einem wie ein Aal zwischen den Fingern hindurch.

  • Überschätzung der eigenen Macht
  • Wer außer den üblichen 3A-Sanktionen (Anschiss, Abmahnung, Aufhebungsvertrag) kein Konzept hat, wie er sich gegenüber Beschönigung und Verniedlichung, tatsächlicher und vorgeblicher Unfähigkeit, Missverständnissen und Sachzwängen, Ressourcenengpässen und Prioritätenkonflikten behaupten will, der sollte besser die Finger von brachialer Veränderung lassen – er bewirbt sich sonst nur unfreiwillig als "Flop des Jahres". Ein im Grunde seines Herzens zutiefst hilfloser CEO erzählte uns einmal grinsend, ein bulgarischer Student an einer renommierten Business School habe ihm ein unfehlbares Rezept zur Durchsetzung ungeliebter Veränderungen genannt: "Schmeißen Sie einfach die Hälfte der Leute raus, Sie werden sehen, wie die anderen motiviert sind!" Auf unsere Frage, wie oft er dieses Konzept in einer Firma anwenden könne und müsse, um eine dauerhafte Wirkung zu erzielen, zuckte er nur ärgerlich die Achseln. Doch damit kann man zwar lästige Frager abschütteln, aber nicht die Fragen.

  • Kraftmeiernde Hilflosigkeit
  • Größere Veränderungen erzeugen auch ohne unser aktives Zutun soviel an Ängsten und Widerständen, dass es wahrlich nicht erforderlich ist, beides durch unnötige Machtkämpfe noch zu vergrößern. Je stärker Menschen sich bedroht fühlen, desto stärker bemühen sie sich, sich zu schützen und die Urheber der Bedrohung loszuwerden. Wenn sie im Kampf mit offenem Visier keine Chance sehen, dann gehen sie eben in den Untergrund und nutzen dort alle Möglichkeiten, die ihnen einfallen, um ihre Ziele zu erreichen, einschließlich der schmutzigsten Tricks: "Nur der sich bedroht fühlende Mensch ist gefährlich", hat mein Kollege Dr. Hermann Bayer treffend formuliert. Deshalb ist es sehr viel sinnvoller, ein Klima zu schaffen, in dem über Ängste, Sorgen und Bedenken, über tatsächliche und vorgeschobene Einwände offen diskutiert werden kann: Was offen verhandelt werden kann, muss nicht über verdeckte Machtkämpfe ausgetragen werden. Und wenn die Verantwortlichen alles in ihren Möglichkeiten Stehende getan haben, um die Mitarbeiter aller Ebenen von der Notwendigkeit der Veränderung zu überzeugen und sie auf dem Weg mitzunehmen, dann findet im Notfall auch der beherzte Einsatz von Gestaltungsmacht breite Akzeptanz.

  • Angst reduzieren
    statt erhöhen
  • Fachwissenschaftliche Beratung: Dr. Hermann Bayer

     


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