Die Umsetzungsberatung

Die Psychologie der Veränderung






Winfried Berner, Regula Hagenhoff, Th. Vetter, M. Führing
"Ermutigende Führung"

Für eine Kultur des Wachstums

Ermutigende Führung: Für eine Kultur des Wachstums

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Winfried Berner:
Culture Change

Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil

Culture Change: Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil

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"CHANGE!" (Erweit. Neuauflage)

20 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung

Change! - 20 Fallstudien zu Sanierung, Turnaround, Prozessoptimierung, Reorganisation und Kulturveränderung

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"Bleiben oder Gehen"

Bleiben oder Gehen

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Rache und Vergeltung: Wenn destruktive Motive das Handeln bestimmen

 

Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung

Der Preis gewonnener Machtkämpfe sind offene Rechnungen. Wer in einer Auseinandersetzung unterlegen ist, geht nicht etwa zur Tagesordnung über, sondern er "nimmt übel" – erst recht, wenn die Auseinandersetzung mit (nach seiner subjektiven Bewertung)  unfairen Mitteln und/oder auf eine persönlich kränkende, entwertende Art und Weise geführt wurde. Dabei neigen Menschen dazu, ihren eigenen Anteil an der Eskalation entweder ganz auszublenden oder ihn als "unvermeidliche" Antwort auf das Verhalten der Gegenseite zu betrachten. Infolgedessen fühlen sich die Verlierer häufig unfair oder ungerecht behandelt – und sinnen auf Rache. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, dies ohne großes Risiko zu tun, werden die offenen Rechnungen beglichen, und zwar mit Zinsen und Zinseszinsen.

  • Der Preis gewonnener Machtkämpfe
  • Die Gelegenheit ergibt sich, sobald der Urheber des Grolls das nächste Mal auf Kooperation angewiesen ist, sei es als Vorgesetzter oder Kollege, sei es im Zusammenhang mit einem anstehenden Veränderungsvorhaben. Dann kann man ihn wunderbar "bestrafen", indem man ihm die benötigte Unterstützung verweigert oder nur das Allernötigste tut, um sich nicht angreifbar zu machen. Oder indem man das Vorhaben hinter den Kulissen gezielt hintertreibt, Intrigen spinnt und lustvoll dabei zusieht, wie der Urheber des Ärgers mit wachsender Verzweiflung um sein Projekt kämpft und schließlich spektakulär scheitert. Manche Menschen begnügen sich bei ihrer Rache damit, den anderen relativ "rustikal" auflaufen zu lassen oder ihm aus der sicheren Deckung Knüppel zwischen die Beine zu werfen; andere entwickeln ungeahnte Kreativität, um ihre Rache möglichst kunstvoll zu zelebrieren. Der Effekt ist in beiden Fällen derselbe: Projekte – genauer: ihre Betreiber! – scheitern an unerwarteten heftigen Widerständen oder geraten in größte Schwierigkeiten. Und der Grund dafür hat gar nichts mit den Zielen und Inhalten des Projektes zu tun, sondern mit der Begleichung offener Rechnungen, die in ganz anderen Zusammenhängen entstanden sind.

  • Die Stunde
    der Rache
  • Bestrafung für erlittene Demütigungen

     

    Gelegenheiten, um Kollegen oder Vorgesetzte zu bestrafen und so Rache für tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht zu nehmen, gibt es im Alltag großerer Organisationen ja beinahe in beliebiger Zahl. Die arbeitsteiligen Strukturen von Unternehmen und Behörden bringen es mit sich, dass jeder an vielen Stellen auf die Unterstützung anderer angewiesen ist. Und selbst wenn diese anderen ihre Unterstützung nicht völlig verweigern können, weil es ihr Job ist, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, haben sie doch einen gewissen Spielraum, wie sie diese Leistungen erbringen: Ob sie mitdenken und sich Mühe geben, ob sie die Aufgabe eher nachlässig und desinteressiert erledigen oder ob sie "dagegen denken", das heißt ihre Intelligenz und Kreativität einsetzen, um sie so zu erledigen, dass der Auftraggeber allen Grund hat, sich zu ärgern.

  • Zahlreiche Gelegenheiten
  • Solche Spielräume bestehen überall dort, wo man auf Kooperation und wohlwollende Unterstützung von Menschen angewiesen ist, denen man keine direkte Weisung erteilen kann: Nachbar- und Serviceabteilungen, Schnittstellenpartner, Kunden und Lieferanten etc. Aber sie bestehen sogar dort, wo eine direkte oder indirekte Unterstellung besteht – und damit theoretisch die Möglichkeit, Anweisungen zu erteilen. Selbst dann kann man ja als Vorgesetzter nicht jeden Handgriff im Detail anweisen, sondern ist darauf angewiesen, dass die Mitarbeiter mitziehen und erteilte Aufträge so ausführen, dass das angestrebte Ergebnis tatsächlich erreicht wird. Wenn sie dazu wegen offener Rechnungen nicht oder nur eingeschränkt bereit sind, wird es schwierig. Nicht selten, wenn Vorgesetzte fehlendes Mitdenken oder gar einen eklatanten Mangel an unternehmerischem Denken beklagen, liegt das Problem in Wirklichkeit nicht darin, dass die Mitarbeiter sich nichts bei ihrer Arbeit gedacht haben, sondern dass sie sich etwas dabei gedacht haben – nur dass sie nicht nach einem gangbaren Weg gesucht haben, sondern nach einem, der nicht gangbar ist. Um dann zufrieden melden zu können: "Chef, ich habe es genau so gemacht, wie Sie gesagt haben, aber es hat leider nicht funktioniert!"

  • Spielräume auch bei direkter Unterstellung
  • Genau besehen, gehört manchmal mehr Intelligenz und Kreativität dazu, eine Aufgabe so auszuführen, dass das Ergebnis unbrauchbar ist, als so, dass es seinen Zweck erfüllt – erst recht, wenn diese Sabotage auf verdeckte Art und Weise realisiert werden muss, also so, dass dem "Täter" seine üble Absicht nicht nachgewiesen werden kann. Wenn der Vorgesetzte oder Auftraggeber dann vor Wut schäumt oder sich voller Verzweiflung die Haare rauft, dann hat das Manöver seinen Zweck, und der Akteur genießt mit klammheimlicher Freude, die offene Rechnung "samt Mehrwertsteuer" beglichen zu haben.

  • Kreative Rache ist besonders süß
  • Diejenigen, die noch eine Rechnung offen haben, sind auch deshalb in einer vorteilhaften Position, weil sie beinahe beliebig viel Zeit haben. Die "kalte Rache" ist daher beinahe noch gefährlicher als die "heiße": Wer in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einer erlittenen (oder empfundenen) Kränkung wutentbrannt zurückschlägt, ist damit noch einigermaßen kalkulierbar. Wer sich seine Rache jedoch aufspart, bis eine günstige Gelegenheit dafür gekommen ist, wird damit zum unkalkulierbaren "Langzeitrisiko". Man darf davon ausgehen, dass so mancher Sturz von Top-Managern letztlich darauf zurückgeht, dass er durch sein Verhalten in der Vergangenheit zu viele offene Rechnungen hinterlassen hatte – und dass irgendwann die Stunde der (in aller Regel verdeckten) Rückzahlungen da war.

  • Kalte Rache hat Zeit – und wird zur Zeitbombe
  • Prävention durch gute Kommunikation

     

    Da die Gelegenheiten für offene oder verdeckte Rache so vielfältig sind, ist es ziemlich aussichtslos, sie auf die Dauer unterdrücken oder unterbinden zu wollen. Die beste Möglichkeit, dem Wunsch nach Rache und Vergeltung entgegenzuwirken, ist daher, seinen Mitmenschen möglichst wenig Anlass dazu zu geben. Das heißt nicht, dass man auf keinen Fall etwas tun dürfte, was ihnen missfallen könnte – es heißt lediglich, dass man im langfristigen eigenen Interesse gut beraten ist, dabei nach Möglichkeit so vorzugehen, dass man nicht ohne Not offene Rechnungen hinterlässt. Der Schlüssel dazu ist nicht selbstverordnete "Friedhöflichkeit" und das weiträumige Umfahren sämtlicher Konflikte, sondern ein Umgang mit den Betroffenen, der von Respekt und Gleichwertigkeit getragen ist.

  • Keinen Anlass für Rachegelüste liefern
  • Denn die Verärgerung und Wut, die Auslöser von Rachegelüsten sind, entsteht meist weniger aus dem, was getan wird, als aus der Art, wie es getan wird. Selbst wenn beispielsweise eine Führungskraft zu den Verlierern einer Reorganisation zählt und mit einer weniger wichtigen Position Vorlieb nehmen muss oder wenn Mitarbeiter im Zuge einer Sanierung ihren Job verlieren, muss das keineswegs zwangsläufig das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung wecken. Zwar werden solche Entscheidungen fast unvermeidlich Angst, Enttäuschung und Schmerzen auslösen; trotzdem werden sie in der Regel akzeptiert, sofern die Vorgehensweise für die Betroffenen nachvollziehbar ist und im Prozess und der Kommunikation fair mit ihnen umgegangen wurde. Ärger und Wut, die emotionalen "Motoren" der Rache, entstehen vor allem dann, wenn Menschen entweder den Eindruck haben, durch ein willkürliches Vorgehen oder Ergebnis in unfairer Weise benachteiligt zu werden, oder wenn sie das Gefühl haben, dass mit ihnen missachtend, geringschätzig oder in entwertender Weise umgegangen wurde.

  • Nicht so sehr das Was als das Wie löst Ärger und Wut aus
  • Im Ergebnis unterstreicht das die Bedeutung der Kommunikation in Veränderungsprozessen. Es reicht eben nicht, wenn das Vorgehen "objektiv" logisch und nachvollziehbar ist – damit es von den Betroffenen als schlüssig empfunden wird, muss seine Logik klar und überzeugend vermittelt worden sein. Deshalb muss vor allem der Kommunikationsprozess zu den negativ Betroffenen sorgfältig geplant, vorbereitet und durchgeführt werden. Mit anderen Worten, für gute Change-Kommunikation ist nicht nur Empathie erforderlich, sondern auch ein durchdachtes, geordnetes Vorgehen: Wenn die negativ Betroffenen von ihrem Schicksal aus der Zeitung erfahren bzw. aus der internen Gerüchteküche oder indirekt aus einer öffentlichen Ankündigung – wie etwa, dass ihr Name in dem neuen Organigramm nicht mehr vorkommt –, kann Empathie in der nachfolgenden Kommunikation nur noch den Schaden begrenzen, aber die aus solcher Missachtung entstandene Kränkung nicht mehr ungeschehen machen.

  • Durchdachtes Vorgehen
  • Es reicht daher nicht, dass die direkte Kommunikation mit den Betroffenen von Empathie und Respekt getragen ist – Empathie und Respekt müssen das gesamte Vorgehen bestimmen. Das heißt praktisch, an die Planung des Kommunikationsprozesses nicht zu oberflächlich und gedankenlos heranzugehen, sondern es aus der Perspektive der unterschiedlichen Zielgruppen zu durchdenken und sich erst dann zufriedenzugeben, wenn es nicht zu vorhersehbaren "Kommunikationsunfällen" führt.

  • Empathie –bezogen auf das gesamte Vorgehen

  • Ermutigende Führung: Für eine Kultur des WachstumsWer es schafft, einem Menschen Mut zu machen, hilft ihm, über seine bisherigen Grenzen hinauszuwachsen. Wer es schafft, ein Unternehmen zu ermutigen, eröffnet ihm neue Perspektiven. Wem es gelingt, eine ermutigende Führungskultur aufzubauen, der verschafft seiner Firma einen kaum einholbaren Wettbewerbsvorteil. Das sind die Leitgedanken unseres Buches "Ermutigende Führung – Für eine Kultur des Wachstums" (Schäffer-Poeschel 2015). Damit der geschäftliche Erfolg wächst, müssen die Menschen wachsen, die das Geschäft betreiben. Dieses Buch zeigt, wie Sie dies aktiv fördern und herbei-führen können.

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  • Buch "Ermutigende Führung"
  • Rache und andere "psychologische Nahziele"

     

    Eine interessante Erweiterung der Perspektive bietet das Modell der "störenden Nahziele", das der Individualpsychologe Rudolf Dreikurs (1897 – 1972) Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Auch wenn sich sein Modell ursprünglich auf Erziehung und Schule bezieht, lässt es sich mit geringen Anpassungen auf Erwachsene übertragen. Die Individualpsychologie geht davon aus, dass es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, dazuzugehören und einen anerkannten, respektierten Platz in der jeweiligen Gemeinschaft zu haben. Wer sich akzeptiert und zugehörig fühlt, so Dreikurs, verhält sich konstruktiv und leistet so aktiv seinen Beitrag zu der gemeinsamen Sache – gleich ob als Kind, Jugendlicher oder Erwachsener. Wer sich seiner Akzeptanz hingegen unsicher ist oder wer sich abgelehnt fühlt, dessen Aufmerksamkeit richtet sich auf die eigene Person und darauf, wie er seine Position verbessern kann: Dann "besteht die Tendenz, andere zu kritisieren und sich selbst herabzusetzen." (Dreikurs u.a., S. 22)

  • Suche nach Zugehörigkeit und Akzeptanz
  • Wer selbstbewusst ist und Vertrauen die eigenen Fähigkeiten hat, sichert seine Akzeptanz und Zugehörigkeit, indem er seinen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leistet und indem er freundlich und kooperativ mit den anderen umgeht. Wer hingegen unsicher ist, ob er sich seinen Platz auf diese Weise gewinnen kann, kann leicht auf die Idee kommen, die gewünschte Beachtung auf weniger konstruktive Weise zu erzwingen – nach dem Motto: "Lieber eine Tracht Prügel als überhaupt keine menschliche Zuwendung!" Dreikurs hat hier vier wiederkehrende Muster gefunden, die Kinder, aber auch Erwachsene an den Tag legen; er bezeichnet sie als "störende" oder auch als "irrtümliche Nahziele" – irrtümlich deshalb, weil sie die Umgebung zwar zur Beschäftigung mit den Betreffenden und zu Reaktionen provozieren, aber letztlich ungeeignet sind, um ein dauerhaftes Gefühl von Akzeptanz und Zugehörigkeit herbeizuführen.

  • "Irrtümliche Nahziele"
  • Je nach Grad ihrer Entmutigung wählen die Betreffenden unbewusst eines von vier störenden Nahzielen:
    • Aufmerksamkeit und Beachtung: Sie verhalten sich so, dass sie überproportionale Aufmerksamkeit erzwingen, zum Beispiel durch exzessive Selbstdarstellung, auffälliges Benehmen, durch Jammern und Klagen, aber auch durch ungeschicktes Verhalten oder auch durch Überempfindlichkeit;
    • Macht und Überlegenheit: Sie setzen andere herab, wissen alles besser, nötigen die Umgebung dazu, sich auf ihre Vorstellungen einzulassen, beharren stur auf ihrer Sichtweise, opponieren oder rebellieren gegen den eingeschlagenen Weg;
    • Rache und Vergeltung: Sie bestrafen die Umgebung für ihnen tatsächlich oder vermeintlich widerfahrenes Unrecht, durchkreuzen die Pläne von anderen, schießen lustvoll fremde Vorschläge ab, spinnen Intrigen und verbreiten Verdächtigungen, sabotieren den eingeschlagenen Weg;
    • Verweigerung und Versagen: Tun gar nichts mehr oder nur noch das Allernötigste, verweigern sich jeder Neuerung, beweisen sich als unfähig, versagen bei fast allen Aufgaben, wollen nur noch in Ruhe gelassen werden, strahlen Resignation aus und stecken andere damit an.
  • Vier typische Nahziele
  • Mit Ausnahme des letzten können alle Nahziele sowohl in aktiver als auch in passiver Form umgesetzt werden. Beispielsweise kann man Aufmerksamkeit dadurch auf sich lenken, dass man ausführlich seine jüngsten Heldentaten preist, aber auch dadurch, dass man sich nicht in der vereinbarten Weise verhält, sondern trödelt, Aufgaben nicht erledigt oder sich verspätet. Überlegenheit kann man ebenfalls sowohl aktiv durch Kritisieren, Entwerten und Herabsetzen demonstrieren als auch passiv durch Sturheit, durch das Beharren auf Vorschriften und das Sich-Nicht-Einlassen auf gemachte Vorschläge. Und auch Rache lässt sich nicht nur durch aktives Handeln ausüben, sondern auch durch Auflaufenlassen, durch die die Nichtweitergabe wesentlicher Informationen oder auch durch das Unterlassen von Warnungen.

  • Aktive und passive Formen
  • Interessant ist, welche Reaktionen diese "Nahziele" bei den anderen Beteiligten provozieren. Denn die ausgelösten Gefühle sind überraschend vorhersehbar: Wenn jemand das Nahziel Aufmerksamkeit verfolgt, beispielsweise indem er regelmäßig zu spät kommt und dann mit großem Aplomb sein Zuspätkommen entschuldigt, sind die Reaktionen im Allgemeinen genervt bis ärgerlich. Ähnlich ist es, wenn diese unbewusste Absicht passiv verfolgt wird, wenn jemand also beispielsweise immer erst dreimal gebeten werden muss, bevor er etwas erledigt. Eine Stufe schärfer fallen die Reaktionen aus, die das Streben nach Überlegenheit hervorruft: Es löst Ärger und Wut aus – und verleitet die Umgebung nicht selten dazu, in einen Machtkampf mit den Betreffenden einzusteigen. Noch mehr Wut und Empörung entsteht als Reaktion auf Racheachte, vor allem auf solche, die so eingefädelt wurden, dass man sie ohnmächtig hinnehmen muss und nicht "zurückschlagen" kann: Dann würde man den Betreffenden am liebsten umbringen. Auf diese Weise entsteht eine neue offene Rechnung, die irgendwann beglichen werden muss – die Eskalation der Rache. Totalverweigerung und Versagen schließlich lösen in der Regel keine starken Emotionen mehr aus, sondern nur noch resigniertes Achselzucken: Verweigerer sind in aller Regel sehr gut darin, auch ihre Umgebung zu entmutigen – und sie so davon abzubringen, weitere Versuche zu unternehmen, sie doch noch zu einem aktiven Beitrag zu veranlassen. Das allerdings ist keine Bosheit mehr: Was im Alltag häufig als "Faulheit" bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit blanke Resignation, also tiefste Entmutigung.

  • Provokation vorhersehbarer Reaktionen
  • So betrachtet, wird verständlich, warum der Individualpsychologe Dreikurs von "irrtümlichen" Nahzielen sprach: Zwar bewirkt die Provokation, dass sich die Umgebung den betreffenden Personen zuwendet und sich intensiv mit ihnen beschäftigt. Und sie bewirkt meist auch, dass der kurzfristige Zweck – eben Aufmerksamkeit, Überlegenheit, Rache oder In-Ruhe-Gelassen-Werden – erreicht wird. Doch eine positive Auswirkung auf Akzeptanz und Zugehörigkeitsgefühl haben solche Verhaltensmuster natürlich nicht, im Gegenteil. Insofern wird der kurzfristige Erfolg teuer erkauft, nämlich mit einer Verschlechterung der Beziehung und einer Verstärkung des Gefühls, nicht als gleichwertiger Mitarbeiter oder Kollege geachtet und respektiert zu sein.

  • Der Irrtum
    hinter den Nahzielen
  • Sinnvoller Umgang mit gelebten Nahzielen

     

    Welchen Nutzen bringt diese Erweiterung der Perspektive von unserem ursprünglichen Thema Rache auf die Vielfalt der Nahziele? Zum ersten macht es deutlich, dass das Rachemotiv nicht alleine steht, sondern nur einen Ausschnitt aus den störenden, destruktiven Verhaltensweisen darstellt. Zum zweiten stellt es die Verbindung zur Entmutigung und zum (fehlenden) Zugehörigkeitsgefühl her und ordnet Rache als eine Eskalationsstufe der Entmutigung ein. Und zum dritten eröffnet es eine Lösungsperspektive, indem es sowohl die tieferen Ursachen solchen Verhaltens erkennbar macht als auch den dahinter stehenden Irrtum – und damit auch erkennbar macht, welche Reaktionsweisen geeignet sind und welche nicht.

  • Der Nutzen der Erweiterung
  • Zunächst ist dabei wichtig, sich klarzumachen, dass es wenig bringt, auf diese Nahziele "spontan" oder "intuitiv" zu reagieren: Damit würde man nur auf den grundlegenden "Irrtum" hinter den Nahzielen hereinfallen und ihn sich zu Eigen machen. Das betreffende Verhalten dient ja genau dazu, bestimmte Reaktionen von der Umgebung zu provozieren, wie Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder die Adressaten in einen Machtkampf zu verwickeln. Das tut es, indem es bestimmte Gefühle auslöst: Genervtheit, Unwillen, Ärger, Wut … Spontan zu reagieren, heißt in diesem Fall also nichts anderes als der Provokation auf den Leim zu gehen. Letztlich täten wir damit genau das, was der unbewusste Zweck der Nahziele ist: Wir widmen dem Betreffenden, wenn auch genervt, unsere Aufmerksamkeit, lassen uns in einen Machtkampf verwickeln, sinnen in ohnmächtiger Wut nach einem Gegenschlag oder lassen den "Unfähigen" in Ruhe. Auf diese Weise jedoch lösen wir weder das Problem des Betreffenden noch verbessern wir die Situation – im Gegenteil: Wir schaffen uns ein zusätzliches Problem, indem wir uns beispielsweise in eine destruktive Auseinandersetzung verstricken.

  • Provokationen nicht auf den Leim gehen
  • Allerdings ist es beim Umgang mit diesen störenden Nahzielen leichter zu sagen, was nicht hilft, als Empfehlungen für ein sinnvolles Vorgehen zu geben. Während es bei den ersten beiden – also dem Streben nach Aufmerksamkeit und dem nach Überlegenheit – noch hilft, die Betreffenden zu ermutigen und ihr Zugehörigkeitsgefühl zu stärken, greift das bei dem Nahziel Rache kaum noch. Zudem fehlt oft auch die Gelegenheit dafür, weil Rache und Vergeltung, wie wir gesehen haben, im Unternehmensalltag häufig nicht offen geübt werden, sondern aus der sicheren Deckung. Das kann man als Feigheit betrachten und sich darüber zusätzlich empören; andererseits ist ein solches Handeln zwar nicht sehr sportlich, aber durchaus auch nicht unvernünftig. Denn wenn jemand mit offenem Visier Rache üben würde, würde er sich vermutlich großen Ärger einhandeln. Trotzdem macht es das verdeckte Vorgehen extrem schwierig, darauf überhaupt zu reagieren; man kommt hier an die Grenzen dessen, was im normalen Führungsalltag überhaupt noch geklärt werden kann.

  • Ermutigen und Zugehörigkeits-
    gefühl stärken
  • Gesprächsführung für Fortgeschrittene

     

    Der erfahrene Psychiater Dreikurs empfiehlt für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, aber auch für die Partnertherapie, das betreffende Nahziel im Gespräch mit dem Betreffenden behutsam (!) aufzudecken. Das ist auch in der Tat ein möglicher Weg, und vielleicht sogar der einzige, der zu einer wirklichen Lösung des Problems führen kann – aber es ist ohne Zweifel ein sehr anspruchsvoller Weg. Er setzt als erstes voraus, dass es gelingt, ein Gesprächsklima zu schaffen, in dem sich der andere wirklich angenommen, akzeptiert und respektiert fühlt. Und es erfordert als zweites, diesen heiklen Punkt auf eine Weise anzusprechen, die einerseits deutlich und andererseits trotzdem nicht bedrohlich ist – wie etwa: "Könnte es sein, dass Sie sich mit dem, was Sie da tun, ein Stück weit rächen für Kränkungen, die ihnen in der Vergangenheit angetan worden sind?"

  • Behutsam aufdecken
  • Das Problem ist, dass es in Unternehmen (noch) weit schwieriger ist als in der Erziehungsberatung oder Paartherapie, ein offenes Gespräch über solche Dinge zu führen. Denn der mit solch einer Frage Konfrontierte wird sich, wenn die Vermutung zutrifft, auf der einen Seite zwar verstanden fühlen, auf der anderen aber zugleich auch ertappt – und damit in einer latent bedrohlichen Lage. Er befindet sich dann in einem Dilemma: Obwohl bei unweigerlich ihm das einsetzt, was Dreikurs den "Erkennungsreflex" nannte, und er kaum umhin kann, wenigstens nonverbal zu bestätigen, dass die Frage den Punkt getroffen hat, "darf" er dies eigentlich nicht zugeben. Aus taktischen Gründen muss er sich so verhalten, als ob die Frage völlig "daneben" wäre, und die in ihr enthaltene Unterstellung mit Empörung zurückweisen. Dadurch kann leicht eine Situation entstehen, die für beide Beteiligte recht ungemütlich ist. Trotzdem kann das offene Ansprechen des möglichen Motivs entlastend wirken, sofern es in einer spürbar wohlwollenden Atmosphäre erfolgt. Der Betreffende wird dann vielleicht nicht zugeben, dass die Frage den Punkt trifft, aber er kann auch nicht mehr so weitermachen wie davor.

  • Das Problem mit der Aufdeckung heimlicher Motive
  • Ein Unterschied ist dabei, ob sich die Rache gegen die eigene Person richtet oder ob sich der Betreffende an anderen Personen rächt: Wenn man selber das Ziel ist, wird die Gesprächsführung nochmal ein Stück schwieriger – sowohl deshalb, weil man als Betroffener kaum frei von eigenem Ärger ist, als auch deshalb, weil dann das Aufdecken des Motivs nochmal ein Stück heikler ist. Wenn daher der Verdacht besteht, dass man selber das Ziel der Rache ist, ist es ratsam, einen geeigneten Mediator hinzuzuziehen. Denn die Gefahr ist recht groß, dass das Gespräch unter solchen Umständen misslingt und damit eher einen Beitrag zur Eskalation des Konflikts leistet als zu seiner Bereinigung.

  • Eigene Betroffenheit
  • Trotzdem kommt man kaum umhin, das Thema anzugehen. Denn das Problem ist die Alternative. Wenn es nicht gelingt, das Rachemotiv aufzulösen, sondern ein Mitarbeiter oder eine Führungskraft dauerhaft in der Grundhaltung des Rächers bleibt, ist es schwierig, mit ihm weiterzuarbeiten. Wenn sich jemand auf die Dauer destruktiv verhält, kostet das nicht nur viel Zeit und Kraft – und damit auch Geld –, sondern es zieht alsbald auch Kreise. Früher oder später fragt die Umgebung, warum das Management so etwas zulässt, und manche beginnen ebenfalls mit destruktiven Spielchen. Das heißt, wenn es diese offen oder verdeckt destruktiven Handlungsweisen nicht rasch beendet werden, sind ausgesprochen unerfreuliche Ansteckungseffekte zu befürchten. Dann läuft die Sache früher oder später auf eine Trennung hinaus. Es steht also viel auf dem Spiel: Sowohl für den Einzelnen als auch für das Unternehmen, dessen internes Klima und Handlungsfähigkeit unter solchen Verhaltensmustern zwangsläufig leidet. Daher gibt es keine wirkliche Alternative dazu, sich mit solchen destruktiven Verhaltensweisen aktiv auseinanderzusetzen und sie zu beenden – nach Möglichkeit im Guten, notfalls aber auch durch eine Trennung.

  • Sofortiger Handlungs-
    bedarf
  • Literatur:

    Andriesseens, Ella (1995): Nahziele; in: Wörterbuch der Individualpsychologie; herausgegeben von Reinhard Brunner und Michael Tietze; S. 341 - 345

    Dreikurs, Rudolf; Grunwald, Bernice B.; Floy C. Pepper (1982, 2007): Lehrer und Schüler lösen Disziplinprobleme; Weinheim, Basel (Beltz)

    Dreikurs, Rudolf (1957, 1973, 2003): Psychologie im Klassenzimmer; Stuttgart (Klett-Cotta)

    (So erstaunlich es ist: Die besten Erläuterungen der "störenden Nahziele" finden sich tatsächlich in dieser relativ alten, eher pädagogisch-therapeutisch geprägten Literatur.)

     


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