Diplomatie: Ob und wie man die Wahrheit sagen soll |
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Winfried Berner, Die Umsetzungsberatung |
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Unvermeidlich taucht immer, wenn im Change Management unangenehme
Themen oder schlechte Nachrichten kommuniziert werden müssen, die
Frage nach einem "möglichst diplomatischen" Vorgehen auf. Das eigentliche
Anliegen hinter dieser "diplomatischen Umschreibung" ist in aller
Regel: Wie lässt sich die unangenehme Message so verpacken, dass
sie möglichst unverfänglich und schonend rüberkommt – und dass es
keinen Ärger gibt? |
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Wer Hoffnung auf diese Art von Diplomatie setzt, möge sie getrost
begraben: Es gibt keine Möglichkeit, eine schlechte Nachricht so
zu umschreiben, dass daraus eine gute Nachricht wird. Wenn Ihr Vorgesetzter
Sie zu sich bittet, um Ihnen mitzuteilen, dass Sie zum nächstmöglichen
Termin entlassen sind, dann gibt es keine noch so kunstvolle Umschreibung,
die daraus eine gute Nachricht macht. Würde er in beschönigenden
Formulierungen um den heißen Brei herumreden, würden Sie ihm dies
eher als Feigheit denn als diplomatisches Geschick auslegen. Würde
er gar versuchen, Ihnen die positiven Seiten der Entlassung schmackhaft
zu machen und davon faseln, dass im Chinesischen "Krise" zugleich
"Chance" bedeute, würde Ihnen das die Kündigung kaum erträglicher
machen; Sie wären wohl eher peinlich berührt. |
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Schlechte Nachrichten bleiben schlechte Nachrichten
– egal wie "nett" man sie verpackt.
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Deshalb ist es ein falsches und unrealistisches Ziel, sie durch
geschickte oder "diplomatische" Formulierungen abschwächen oder
gar in etwas Positives verwandeln zu wollen. Zahlreiche Witze leben
davon, wie durch vermeintliche Diplomatie alles nur noch schlimmer
wird. Etwa der: In einem Gourmet-Restaurant fällt ein Gast dadurch
unangenehm auf, dass er sich die Serviette in den Kragen steckt.
"Bringen Sie ihm bei, dass sich das nicht gehört," sagt der Patron
zum Oberkellner, "aber machen Sie es bitte diplomatisch!" Nach kurzem
Überlegen geht der Oberkellner zu dem Gast und fragt höflich: "Was
darf's denn sein, mein Herr: Waschen oder Rasieren?" |
Diplomatische Verschlimme-
rung
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Das ist nur so lange lustig, wie man sich nicht in die Haut des
Gastes versetzt. Er steht nun vor seinen Geschäftsfreunden oder
vor seiner Begleiterin wie ein begossener Pudel da – doch bei aller
Beschämung bleibt ihm kaum etwas anderes übrig als gute Miene zum
bösen Spiel zu machen und gequält (!) über seine Blamage mitzulachen. |
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Das einzige, was der Überbringer einer schlechten Nachrichten tun
kann (und tun sollte!), ist, die schlechte Nachricht nicht durch
ungeschickte oder verletzende Kommunikation noch schlimmer zu machen.
Etwa im Sinne des Satzes: "Takt ist Aufrichtigkeit ohne unnötige
Grausamkeit." Das ist am ehesten durch wohlwollende Deutlichkeit zu erreichen,
also durch Klarheit, die auch im Dissens von persönlicher Wertschätzung
getragen ist. |
Wohlwollende Deutlichkeit |
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Die beiden häufigsten Formen von Grausamkeit sind – neben misslungener
Diplomatie – Ironie und Härte. Ironie, weil sie das Problem ins
Spaßige zieht und dadurch Irritation wie Verletzungsgefahr vergrößert.
Härte, weil sie dem Betroffenen – zum Beispiel in Form einer "Abrechnung"
oder in Form von Schuldzuweisungen – die Verantwortung an
dem Problem zuschiebt und die schlechte Nachricht so weiter verschlimmert,
indem sie sie um Schuldgefühle und zusätzliche Entwertung "anreichert". |
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Schonung und Härte: Zwei Formen von Feigheit |
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Bei genauerer Betrachtung sind sowohl Schonung als auch "schonungslose
Härte" in erster Linie Selbstschutz. Selbstschutz deshalb, weil wir
in aller Regel gar nicht dem anderen schonen, sondern in erster Linie uns selbst: Wir
ersparen uns so sowohl die Notwendigkeit, das Thema offen anzusprechen und den anderen mit unserer Sichtweise zu konfrontieren, als auch ein möglichweise unangenehmes Gespräch sowie die Weiterungen,
die es nehmen könnte (und die wir uns vor schwierigen Gesprächen
in unserer Phantasie
ausmalen). |
Schonung ist Selbstschutz |
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Das Ansprechen unangenehmer Themen ist Stress – insbesondere für
harmonieorientierte Zeitgenossen. Denn erstens haben die meisten
Menschen (glücklicherweise) eine natürliche Hemmung, anderen Menschen
Leid zuzufügen – was wir durch die Konfrontation mit einem Problem ja möglicherweise tun. Zweitens weiß man nie so genau, wie
der andere (oder die Gruppe) auf eine klare Aussage reagieren wird:
Ob er sie achselzuckend zur Kenntnis nimmt und kaum darauf reagiert, ob er
wütend oder aggressiv wird, ob er zu weinen beginnt oder zusammenbricht.
(Wovor sich viele mehr Führungskräfte fürchten als vor Wut und Aggression.)
Und drittens müssen wir befürchten, dass der andere (oder die anderen)
böse auf uns ist, hinterher schlecht über uns redet und sich vielleicht auch irgendwie rächt. Möglicherweise
wird er Sie für einen schlechten, arroganten, rücksichtslosen, hinterlistigen,
eiskalten, skrupellosen (...) Menschen halten – und dies auch jedem
erzählen, der ihm in den Weg kommt. |
Ansprechen kritischer Themen ist Stress |
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All das würden wir uns lieber ersparen. Vor solchen unangenehmen
Konsequenzen, die immerhin denkbar sind, schonen wir uns mit unklaren,
beschönigenden Aussagen. Den anderen schonen wir damit nicht – oder
nur vordergründig. Denn selbstverständlich verhindert all diese "Diplomatie"
nicht, dass der andere betroffen ist, vielleicht sogar in ein Loch fällt, wenn er die wahre Bedeutung
unserer Umschreibungen begreift – wir verzögern es nur so lange,
dass wir beim Absturz nicht mehr zugegen sein müssen. |
... und Stress-vermeidung |
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Die vermeintlich entgegengesetzte Linie ist die der "schonungslose
Härte". Doch Härte ist keine Tapferkeit, sondern eine besonders
perfide Form von Feigheit: Indem wir den anderen heftig angreifen, ihm alle Schuld zuschieben
und ihn mit Vorwürfen überhäufen, versuchen wir, uns selbst vor
Mitverantwortung, Mitschuld und möglicher Kritik zu bewahren. Denn
wenn der andere "sich die alleinige Schuld selbst zuzuschreiben
hat", beweist das ja im Umkehrschluss, dass wir selbst völlig unschuldig
an dem Problem sind. |
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Deshalb wird die Taktik der schonungslosen Härte gerade bei Beziehungsproblemen
besonders "gern" gewählt – im Berufs- wie im Privatleben. Und häufig
scheint sie zunächst auch zu funktionieren, weil der so Attackierte erst
einmal perplex ist und sich überrollen lässt. Oftmals hat es aber
ein übles Nachspiel: Nachdem der Betroffene sich von seinem Schock
erholt hat, schlägt er meistens zurück – zum Beispiel über eine
Beschwerde beim Betriebsrat,
das Einschalten eines Anwalts oder eine Kündigungsschutzklage,
von den Gegenschlägen und der Konflikteskalation im privaten Bereich nicht zu reden. |
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Angst verleitet zu falschem Handeln |
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Nun sollte man über Feigheit nicht so negativ reden: Wenn sie sich
in der Evolution nicht bewährt hätte, wäre sie nicht so verbreitet.
Es ist durchaus etwas dran an dem hübschen Spruch: "Lieber eine
Stunde lang feig als ein Leben lang tot!" Allerdings muss man unterscheiden
zwischen existenziellen Bedrohungen und sozialer Angst.
Die selbe Angst, die bei Lebensgefahr absolut berechtigt und sinnvoll
ist, ist im zwischenmenschlichen Umgang fast immer ein falscher
und oft verhängnisvoller Ratgeber. |
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Denn die Vermeidung einer Konfrontation, zu der uns die Angst instinktiv
verleiten möchte, ist kein sehr sinnvolles Gesprächsziel, wenn es
darum geht, eine unangenehme Entscheidung zu kommunizieren, kritisches
Feedback zu geben oder einen Konflikt zu klären. Denn all diese
Dinge beinhalten ja unvermeidlich, dass man den anderen mit etwas Unangenehmem
konfrontiert. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass
das Vermeiden eines Konflikts, auch wenn es intuitiv
noch so plausibel ist, in sich paradox ist: Es ist unmöglich,
einen Konflikt zu vermeiden, wenn man einen Konflikt zum Thema macht. |
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Das falsche Ziel führt zwangsläufig zu falschen Handeln, nämlich
entweder zu Ausweichen, Abtasten und Herumeiern oder zu – siehe
oben – unnötiger Härte. Dass angesichts dieses Widerspruchs auch
ein widersprüchliches Verhalten "einerseits müsste ich wohl, andererseits
will ich es nicht" herauskommt, ist eigentlich kein Wunder, sondern
die logische Folge. Doch macht es einen konstruktiven Umgang mit
der Situation nicht leichter, sondern führt im Gegenteil zu zusätzlichen
Komplikationen. |
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Die Alternative zum Versuch der Konfliktvermeidung ist, dass man
den Konflikt als Tatsache akzeptiert und sich bemüht, der notwendigen
Konfrontation durch konstruktives Handeln einen positiven Verlauf
zu geben. Der beste Weg hierfür ist konstruktive Deutlichkeit. Sie besteht darin, das kritische Thema in aller Klarheit, aber ohne Aggressivität und ohne Übertreibung, ansprechen, und zwar auf der Basis von Respekt und Gleichwertigkeit. |
Konstruktive Deutlichkeit
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oder Telefon +49 / 9961 / 910044
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Wir unterstützen Sie gern!
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© 2001 Winfried Berner / letzte Aktualisierung 15.7.2017 – vollständige oder auszugsweise Wiedergabe, gleich in welcher Form, honorarpflichtig und nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung / Zitate im üblichen Umfang mit Quellenangabe gemäß wiss. Zitationsregeln zulässig. Näheres siehe Nutzungsbedingungen. |
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